Heute ist Europatag und ich hoffe sehr, dass jeder schon von der Wahl zum Europaparlament am 7. Juni weiß.
Vom Nachrichtenlesen im Netz bekomme ich den Eindruck, dass diese Wahl in Deutschland recht wenig Aufmerksamkeit bekommt. Man blickt stattdessen schon auf die Bundestagswahl im Herbst. In Schweden, wo bei Wahlen immer eine feierliche Stimmung herrscht und man stolz auf die generell hohe Wahlbeteiligung ist, gab es vor ein paar Wochen den Weckruf, dass laut Umfragen nur ein Bruchteil der Bevölkerung über diese Wahl Bescheid wusste.
Seitdem nehmen die Medien ihre Aufgabe durchaus ernst: Es wird täglich (!) berichtet, die Wahl kommt aufs Titelblatt und prominent auf die Webseiten der großen Zeitungen, inklusive Hintergrundinformation darüber, wie die EU funktioniert. Die bisherigen Parlamentarier der Parteien werden unter die Lupe genommen und ihr Stimmverhalten im EU-Parlament kritisch beurteilt. Die Parteien machen echten Wahlkampf mit ihren Programmen und diese werden aktiv diskutiert. In den vier Wochen bis zur Wahl wird diesbezüglich sicherlich noch einiges passieren.
Natürlich sind auch hierzulande die nationalen Wahlen noch wichtiger als die auf EU-Niveau, aber ich glaube behaupten zu können, dass die Situation in Schweden nicht ganz so betrüblich ist wie in Deutschland.
Wie sehen die aktuellen Umfragen aus? Der Abwärtstrend der Sozialdemokraten setzt sich fort und sie liegen mit knapp 30 Prozent gleichauf mit der Moderaten-Partei von Premierminister Reinfeldt. Zum ersten Mal seit 1914 könnten die Sozialdemokraten ihren Platz als stärkste Partei in einer landesweiten Wahl verlieren. Die EU-kritische “Juni-Liste”, die bei der EU-Wahl 2004 über 14 Prozent der Stimmen bekam, scheint wieder in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Die fünf kleineren Parteien des schwedischen Parlaments scheinen bei der EU-Wahl schlecht abzuschneiden.
Immer mehr Aufmerksamkeit bekommt hingegen die Piratenpartei. Die Vorhersagen sehen sie zwischen 5 und 8,5 Prozent, also möglicherweise als drittstärkste Kraft mit zwei der 19 schwedischen Mandate im Europaparlament. Hier kommt es stark darauf an, wie gut es gelingt, die vor allem jungen Sympathisanten an die Urnen zu bringen. Außerdem ist es für neue Parteien eine logistische Herausforderung, die Wahlzettel auf alle Wahllokale zu verteilen. Man wählt in Schweden, indem man den Wahlzettel der jeweiligen Partei ins Wahlkuvert steckt und eventuell einen der Kandidaten in der darauf gedruckten Parteiliste ankreuzt. Nur Parteien, die schon im Parlament sind, bekommen von der Wahlorganisation Unterstützung mit der Distribution der Zettel.
Von der Wahl ganz abgesehen steht die schwedische EU-Ratspräsidentschaft vor der Tür: Vom 1. Juli bis Ende des Jahres wird Fredrik Reinfeldt “EU-Chef”. Glaubt man den Beobachtern, ist die schwedische Regierung schon jetzt heimlicher Ratspräsident, denn die Tschechen, die Anfang des Jahres von Frankreich übernommen haben, befinden sich in einer landesinternen Krise. Ein Misstrauensvotum hat dort die Regierung zu Fall gebracht und gestern übernahm eine Übergangsregierung die Führung bis zur Neuwahl im Oktober. Dass dieser Teamwechsel eine Führungsrolle in der EU sehr schwer macht, ist leicht einzusehen.
Deshalb musste sich die schwedische Ratspräsidentschaft flexibel zeigen und schon im Vorfeld Verantwortung übernehmen. Zum Beispiel führte Reinfeldt die Energieverhandlungen als US-Präsident Obama in Prag war. Auch zum Gipfeltreffen im Juni, bei dem der Nachfolger von Barroso vorgeschlagen werden soll, ist Schweden bereit einzuspringen. Dagegen will man möglichst verhindern, auch noch die zusätzlichen Versicherungen an Irland bezüglich des Lissabon-Vertrages ins eigene volle Programm zu bekommen. Das soll noch vorher fertig werden, damit dort eine neue Volksabstimmung stattfinden kann.
Die bevorstehende Ratspräsidentschaft hat auch innenpolitische Konsequenzen. Reinfeldt hat die Opposition um einen “Burgfrieden” gebeten, damit die Präsidentschaft so ungestört wie möglich durchgeführt werden kann. Das wäre gut für Schweden als Ganzes und würde auch den Sozialdemokraten nutzen, sagt er. Ob ein solcher Frieden sinnvoll ist, darum wird eifrig gestritten und die Oppositionsparteien sind von der Idee wenig begeistert. Thomas Bodström, ehemals sozialdemokratischer Innenminister, nennt Reinfeldt in diesem Zusammenhang gar einen Heuchler: Dieser sei nämlich während der letzten schwedischen Ratspräsidentschaft 2001 wie ein Iltis im Reichstag herumgerannt, um ein Misstrauensvotum gegen den damaligen sozialdemokratischen Regierungschef Göran Persson auf die Beine zu stellen.