Snobismus gegen Bescheidenheitsgetue

In ihrer Mai-Ausgabe hatte die Titanic einen Text von Max Goldt mit dem Titel “Sodbrennen und Snobismus”. Den gibt es leider nicht online, deshalb hier ein Zitat:

Der Snobismus hat ein ungerechtfertigt schlechtes Image, die meisten wissen eh nicht recht, was der Begriff bedeutet, und verwenden ihn synonym für Arroganz, Hochtrabendheit und dem respektlosen Hinabschauen auf sogenannte einfache Leute. Solche Erscheinungen sind aber allenfalls unschöne Nebeneffekte. Der Kern des Snobismus ist nicht das Hinabschauen, sondern der Blick nach oben. Als sein Gegenteil könnte man einen Ausdruck anführen, den Lars Brandt, der Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers, einmal in Bezug auf Herbert Wehner und dessen Frau gebrauchte: skandinavisches Bescheidenheitsgetue.

Skandinavisches Bescheidenheitsgetue? Es dämmert, was gemeint ist. Ein paar Zeilen weiter wird es klarer:

Der Snob orientiert sich an der nächsthöheren gesellschaftlichen Schicht, und er hat dabei die gleichen Möglichkeiten wie ein mittelmäßiger Musiker, der einem Guten nacheifert. Entweder er verbessert sich tatsächlich, oder er wird prätentiös und macht sich lächerlich. Gefahrvoll ist das Leben. Aber immerhin: Er hat es gewagt, ein Besserer werden zu wollen! Was in den Augen von selbstgerechten Kleinbürgern – die sich gern als “ganz normale Menschen” bezeichnen [...] – freilich bereits eine ungeheuerliche Anmaßung darstellt.

Dazu passend wieder einmal: das Gesetz von Jante, dessen negative Auslegung sich mit dem oben beschriebenen deckt. Diesen Charakterzug gibt es zwar sicherlich sowohl in Deutschland wie in Schweden, aber ich wage zu behaupten, dass man hierzulande Menschen, die in irgendeiner Weise aus der Norm herausragen, skeptischer betrachtet. Zumindest schickt es sich nicht, zu zeigen, dass man mehr kann, mehr hat oder mehr weiß. Man tritt bescheiden auf und verkneift es sich beispielsweise, darauf hinzuweisen, dass man etwas schon wusste, das einem ein anderer gerade erklärt.

Man kann das als angenehm empfinden oder als Hindernis für direkte Kommunikation. Man kann es als echte Bescheidenheit auslegen oder als skandinavisches Bescheidenheitsgetue.

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