Warten auf
Schweden. Edward
Issa ist Zahnarzt. Nordschweden sucht händeringend nach Zahnärzten.
Trotzdem sitzt Dokor Issa seit anderthalb Jahren in einen Backsteinbau
in Kristianstad, immer ungeduldiger wegen des zu langsamen
Sprachunterrichts. Ist die Fürsorglichkeit der Politiker zum Hindernis
für wirkliche Integration geworden? Willkommen zum ersten Teil in Maciej
Zarembas Artikelserie “Warten auf Schweden”.
Zuerst ein Bekenntnis. Lange Jahre habe ich mich geweigert, meinen Pass
zu zeigen, wenn ich innerhalb Skandinaviens reiste. Die Grenzpolizei
betrachtete meinen Führerschein, dann kam die Frage: “Schwedischer
Staatsbürger?” Ich nickte immer als Antwort. “Sprichst du Schwedisch?”
Erneutes Nicken. “Warum sagst du nichts?” “Weil ich dachte, das hier sei
eine Passkontrolle, kein verdammter Sprachtest.”
Ich glaubte, den Beamten beibringen zu müssen, dass Schweden ganz
unterschiedlich aussehen können. So passierte es mir, dass ich letzten
Frühling bei einer Reise außerhalb Schengens meinen Pass zu Hause
vergaß. Und siehe da, sonntags in aller Herrgottsfrühe auf einen Feld
vor dem Flughafen Skavsta stand eine Behörde bereit, mir einen
vorläufigen Pass auszustellen. Der Mann, der das (in sieben Minuten)
machte, trug schwedische Polizeiuniform, klang aber wie ein Türke. Ich
überlegte kurz, ob ich ihn fragen sollte, wie es ihm in Schweden
gefällt. Der Passpolizist in der Kabine sah aus wie Idi Amin. Die Frage
nach dem Gefallen vergaß ich sofort, sein Dialekt war deutlich aus
Dalarna. Er kniff die Augen zusammen, schaute mich schräg an und meinte,
dass ich eine interessante Farbe für meinen Pass gewählt hätte. (Für
die, die es nicht wissen: Notpässe sind rosa.) Was antwortet man da?
“Pass auf, das kann dir auch passieren.” “Sicher”, grinste Amin durchs
Panzerglas, “aber bei mir würde es nicht so gut zu den Augen passen.”
Ich ging mit dem dummen Lächeln eines gerade Bekehrten ins Flugzeug. Ein
schwarzer Wachtmeister aus Dalarna, der Schwulenwitze reißt. Und der
genug Gespür dafür hat, bei wem sie ankommen. Oh mein Gott, wir sind auf
Manhattan!
Im Jahre 1956 begab sich das Volk auf die Straßen der Gelehrtenstadt
Lund, da das Gerücht ging, ein Neger sei am Bahnhof gesichtet worden.
Seitdem hat ein Land, das seit Jahrhunderten fast völlig einheitlich in
Sprache, Glaube und Sitten war, über zwei Millionen Fremde aufgenommen
(jeder zweite zog wieder weg), ohne dass irgendwelche Katastrophen auf
dem Weg eintrafen. Das Misstrauen gegenüber dem Fremden ist ein
natürlicher Reflex. Lass uns also der Gerechtigkeit halber feststellen,
dass Schwedens Treffen mit dem Fremden zuallererst eine
Erfolgsgeschichte ist. Wer meint ich beschönige, kann darüber
nachsinnen, was für Spasmen Auswärtige in Dänemark hervorrufen.
Das wollte ich gesagt haben, damit ich im Folgenden frei reden kann.
Es begab sich im Frühling 2007, dass das Maß voll war für Lage Wigren,
Chefzahnarzt in Storuman. Sieben Jahre lang gelang es ihm nicht, einen
festen Zahnarzt in seine Klinik zu bekommen. Die Patienten murren, ihr
Gebiss ständig neuen Doktoren zu zeigen. Also fasst Lage Wigren seinen
Entschluss. Wenn wir keinen Schweden finden, der in Storuman bleiben
will, nehmen wir eben einen aus dem Ausland. Und wenn wir ihm selbst die
Sprache beibringen müssen.
Und siehe da, es es ergibt sich glücklicherweise, dass gerade als Lage
Wigren seinen Entschluss fasst, die Einwanderungsbehörde zu Kenntnis
nimmt, dass Edward Issa auf der Flucht aus Bagdad in Arlanda angekommen
ist.
Alles scheint für ein glückliches Aufeinandertreffen angelegt zu sein.
Über dreitausend Bedienstete in den Gemeinden stehen bereit, das Treffen
zwischen Dr. Issa und Dr. Wigren zu erleichtern, 181.400 Kronen
staatlichen Geldes sind für ihn zurückgelegt, es gibt ein Ministerium
und drei Behörden, die sich nur damit beschäftigen, wie er
schnellstmöglich Arbeit findet. Was will man mehr?
Fazit: Anderthalb Jahre später sitzt Dr. Issa voller Ungeduld über den
langsamen SFI-Kurs (Schwedisch für Einwanderer) in einem roten Ziegelbau
in Kristianstad. In der Zwischenzeit hat Storuman einen ausländischen
Zahnarzt – aus Polen. Ewa Bisztyga heißt sie, kam im Februar 2008 in
Lapplanda nach Schweden, schon integriert, wie es schien, weil sie nicht
nur Schwedisch sprach, sondern auch Witze machte. Drei Tage später fing
sie an, Steuern zu zahlen, ziemlich viel Geld, mehr als Edward zum Leben
in Kristianstad hat. Man integriert ihn nämlich immer noch und gleich
dürfen wir sehen, wie so etwas vor sich geht.
Diese Reportage versucht zu verstehen, warum es zwangsläufig so kommen
musste. Ist es der Rassismus der Schweden, der es den Einwanderern
schwer macht durchzukommen, was viele behauptet haben, oder ist es etwas
anderes? Wird Integration dadurch erschwert, dass Fremde zu viel
unvernünftige Kultur mitbringen – während in unserer alles vernünftig
und aufgeschlossen ist? Und was meinen wir eigentlich mit
Staatsbürgerschaft?
Der Versuch eilt, diese Fragen zu beantworten; nur wenige Kilometer vom
frustrierten Dr. Issa entfernt brütet der Vorsitzende Jimmie Åkesson vor
sich hin. Auch er frustriert, aber voller Zuversicht. Alles bisher
genannte ist Wasser auf die Mühlen seiner Schwedendemokraten, die schon
den Sitz im Reichstag wittern. Ist es nur deren ländlicher Charme – oder
haben die guten, toleranten und antirassistischen Kräfte ihnen auf die
Beine geholfen?
Zurück zu Lage Wigren in Storuman. Er versucht nicht einmal, seinen
Doktor unter den Neuankömmlingen zu suchen. Nicht nur weil es länger mit
irakischen Zahnärzten dauert als mit denen aus der EU (die nicht zu
beweisen brauchen, was sie können). Wigren weiß, dass es sinnlos ist.
Schauen wir uns an, was passiert wäre, hätte er es versucht.
Schweden ist ein Zentralstaat, also sollte es die Zentrale am besten
wissen. Wigren ruft das Integrationsministerium an. Hallo, haben Sie
zufällig einen Zahnarzt zum Integrieren? Das Ministerium hat solche
Informationen nicht. Aber es gibt die vielleicht beim Justizministerium?
Er ruft an, dort weiß man es auch nicht, aber verspricht, bei der
Einwanderungsbehörde nachzufragen, “die Verantwortung zur
Bestandsaufnahme hat”. Tut uns leid, die Behörde führt kein Buch über
die Berufe von Einwanderern. Aber versuche es bei der Zentrale für
Gemeinden und Regionen, schließlich wird ja dort integriert. Nein, da
weiß man auch nichts. Wigren bekommt den Rat, direkt die einzelnen
Gemeinden anzurufen. Derer gibt es 290.
Dr. Wigren macht einen letzten Versuch beim Arbeitsamt. Nein, auch diese
Behörde führt nicht Buch, ob es Zahnärzte, Chauffeure, Krankenschwestern
oder andere gesuchte Berufe unter den Neuankömmlingen gibt. Aber frag
gerne noch einmal nächstes Jahr, dann haben wir vielleicht eine Liste.
Versuch es derweil beim Amt für Statistik, raten die Vermittler. Unser
Doktor ruft an. Bingo! Einen solchen Katalog gibt es zwar nicht, aber
wenn man bezahlt, kann das Amt die Berufsstatisktik mit dem
Melderegister zusammenführen und so die Aufenthaltsgenehmigungen nach
Beruf verteilt ermitteln. Aber nur bis 2006. Das macht nichts! ruft
Wigren und zückt das Portemonnaie. Ich kaufe die ganze Liste! Liste? Sie
bekommen eine Tabelle. Die Namen dürfen wir nicht herausgeben.
Was bleibt? An den zentralen Behörden vorbeizugehen und anzufangen,
lokale Flüchtlingsorganisationen anzurufen. Davon gibt es gut vierzig,
einige haben mehrere Stunden Telefonzeit pro Tag, aber keine ist
verpflichtet, Informationen herauszugeben. Man hat zwar über diverse
Daten der Flüchtlinge Buch geführt, aber nach “Beruf” kann man in der
Datenbank nicht suchen. Von Hand vielleicht? “Unter 900 Namen? Dafür
haben wir keine Zeit…” Aber wenn Wigren Riesenglück hat, landet er bei
einem Juwel von Bürokrat, wie Lars Ulander in Söderhamn. Der erinnert
sich nicht nur zufällig, dass es zwei Doktoren in seinem Lager gibt, er
ist auch bereit, sie aufzusuchen und mit ihnen zu reden.
Jahrzehntelang hat der Staat erfasst, welche Fliesen Svensson in seinem
Sommerhaus hat und wann er das erste Mal onanierte. Kein Aspekt unserer
Lebensweise wurde für zu trivial fürs Zentralregister befunden. Aber
dass die Flüchtlinge, die Schweden aufnimmt, einen Beruf haben, haben
sämtliche Behörden zufällig vergessen. Das ist natürlich kein Zufall. Es
ist ein Muster. Sich das vor Augen zu halten ist ein erster Schritt, die
Havarie der Integration in Schweden zu verstehen. Hier wendet jemand
ein, dass es nicht Aufgabe von Zahnarzt Wigren ist, Dr. Issa zu finden.
Völlig richtig. Es gibt 33 Personen in Kristianstad, die in Vollzeit
Neuankömmlinge integrieren. Denen kann der Ärztemangel in Nordschweden
nicht entgangen sein.
Als Edward Issa und seine Frau (die in Bagdad Informatik studiert hat,
ein weiterer Mangelberuf in Schweden) im Sommar 2007 nach Schweden
kommen, wollen sie so schnell wie möglich Schwedisch lernen. Aber sie
müssen warten, antwortet das Integrationsbüro, denn zuerst müssen sie
den Kurs besuchen, der zur Beschäftigung der Flüchtlinge erfunden wurde
und sich “Der Weg in die Gesellschaft” nennt. Dort darf man lernen wie
wichtig Hygiene und Gleichberechtigung sind, wie staatliche Pfändung
funktioniert und wie gesund Waldspaziergänge sind. Ein Besuch bei IKEA
ist auch dabei. Aha, sagt Dr. Issa, erstaunt darüber, dass er lernen
soll, sich die Hände zu waschen, aber warum nicht Schwedisch?
Er bekommt zu hören, dass es keinen Platz gibt im Schwedischkurs, “aber
ich schaute nach und da saßen Leute, die schliefen, warum Platz für die
und nicht für mich?” Im Dezember 2007, nach sieben Monaten, bekommt er
endlich Schwedischunterricht. Doch der Kurs kommt nur stockend voran,
ständig kommen neue Schüler, er findet er lernt zu wenig. Ich verstehe
ihn, nach neun Monaten unterscheidet er nicht zwischen Präsens,
Infinitiv und Imperfekt. Wir schreiben einander im Oktober 2008. Zur
gleichen Zeit kauft sich die polnische Arztin in Storuman ein Haus und
ihr zweites Pferd. Zu Edward Issa sagen die Integrierer, dass er im
Sommer 2009 ein Praktikum anfangen kann, das ihn legitimiert. Aber
lieber Edward, sage ich, du bist doch völlig fehl am Platz. Hat dir
niemand erzählt, dass es Spezialkurse für Leute wie dich gibt?
Ich rufe seinen Sachbearbeiter an. “Intensivkurs Schwedisch für
ausländisches Pflegepersonal? Haben wir nicht in der Gemeinde.” Nein,
aber den gibt es in Göteborg, sage ich. “Das war mir wirklich nicht
bewusst.” Sollte sie das nicht wissen, wenn sie Ärzte integriert? “Ich
hatte noch nie eine solche Anfrage.”
Seltsam, Issa sagt, dass er gefragt hat, aber nein als Antwort bekam.
Vielleicht fragte er auf die falsche Art? Ich hege den Verdacht, dass
Issas Kontakt mit der Integration Ähnlichkeiten mit dem Kauf von
Flugtickets bei Aeroflot zu Sowjetzeiten aufweist: “Gibt es Flüge nach
Krasnojarsk? Ja. Wann? In einer Stunde. Und morgen? Ja. Wann denn? Um
drei Uhr. Nur um drei? Nein, auch um sieben Uhr. Und übermorgen? Ja. Um
wieviel Uhr? Um drei. Kann es sein, dass es tägliche Flüge nach
Krasnojarsk um drei und um sieben Uhr gibt? Ja. Warum sagen sie das
nicht gleich? Sie haben nicht gefragt.”
Hatte Edward Issa nur kein Glück? Nina Haddad ist Narkoseärztin aus
Bagdad. Schwedische Krankenhäuser suchen solche händeringend, aber
Haddad sitzt zuerst sechs Monate in Lund, wo sie Schwedisch für
Analphabeten besucht und Bilder auf Papier malt (“das war obligatorisch,
war man nicht da, bekam man keine Sozialhilfe”), danach ein Monat in
einem Lager in Vetlanda (“man tat nichts”). Als sie endlich Schwedisch
lernen darf, stellt sie einen SFI-Rekord auf. Sie hofft, das
medizinische Examen im Februar 2009 abzulegen und ein Jahr später mit
der Arbeit anzufangen. Dann sind fast vier Jahre vergangen seit sie nach
Schweden kam. Auch ihr Sachbearbeiter hat ihr nicht gesagt, dass sie es
in Stockholm und Göteborg in der Hälfte der Zeit schaffen kann.
Issa und Haddad hatten trotz allem Glück. Einen dritten irakischen Arzt
wollten die Integrierer zum Lampen zusammenschrauben schicken.
“Erfahrung im schwedischen Arbeitsleben ist wichtig”, bekam er zu hören.
(Im Integrationsbüro hat dieses Praktikum einen anderen Namen: Er
bekommt “eine Nah-Arbeits-Erfahrung”, gackern die Sachbearbeiter).
Sollte er sich weigern, würde das Geld gestrichen. Dass er sein
Praktikum stattdessen im kommunalen Zahnarztbetrieb macht, ist dem
beherzten Eingreifen seines SFI-Lehrers zu verdanken. Der seinen Namen
nicht in der Zeitung haben wollte. “Als ich den Zahnarztbetrieb
kontaktierte, übertrat ich meine Befugnisse.”
Sollen wir glauben, dass sämtliche “Integrationssekretäre” in
Kristianstad, die “den bestmöglichen Service auf dem Weg” geben sollen,
nicht wissen, dass es Intensivkurse für medizinisches Personal gibt?
Oder dass sie nicht genug Energie haben, “Gesundheitsschwedisch” zu
googlen, wo man alle Information findet? Eine Beamtin bittet mich zu
bedenken, dass es sich für die Gemeinde mehr lohnt, wenn diese Doktoren
in der Putzbranche arbeiten. Dann kassiert Kristianstad 20.000 Kronen
vom Staat, weil dem Flüchtling Arbeit verschafft wurde. Sollen sie
dagegen zum Kurs in Göteborg geschickt werden, müssen die Integrierer
das vom staatlichen “Schablonenbeitrag” bezahlen, der die Einführungen
bezahlt. Und damit ihre eigenen Löhne. So sinnvoll ist das ganze
angelegt.
Ich solle auch nicht den Alltagsrassismus in Schonen vergessen, sagt
sie. Dann verbessert sie sich: “Rassismus ist das falsche Wort, aber wie
soll man das nennen, was diese Beamten fühlen, wenn sie merken, dass
diese dunkelhäutigen Wilden, auf die sie immer herabgeblickt haben, bald
doppelt so viel verdienen wie sie und mit Frau Doktor angeredet werden?”
“Dreieinhalb Jahre, das ist viel zu lange für einen Arzt, aus dem Beruf
heraus zu sein”, seufzt Nina Haddad in ihrem roten Sofa. Schauen wir, ob
man es anders machen kann.
Wir befinden uns in Warschau, im schicken Viertel “die rote
Schweinebucht”, wo bis vor kurzem das Luxusghetto für die Parteioberen
war. Die Sprachschule Paragona versorgt schwedische, dänische und
britische Praxen mit medizinischem Personal. Hier holte sich Lars Wigren
seine polnische Ärztin.
“Liebe Frau Larsson,
Sie haben einen Termin am 15. August, aber ich kann Sie am diesem Tag
leider nicht empfangen, weil ich nach Stockholm auf einen medizinischen
Kongress fahre. Ich kann Sie stattdessen am 22. oder 23. August
empfangen, aber ich bitte Sie, einen neuen Termin mit meinem Sekretär
auszumachen … Ich bitte um eine schriftliche Antwort, damit ich weiß,
dass wir einig sind. Herzliche Grüße. Ihre Ärztin Agniezka.”
Das bemerkenswerte an diesem Brief (der eine Prüfung ist zum Thema:
Schreib einen Brief an einen Patienten) ist nicht der Grammatikfehler im
ersten Satz. Sondern dass er am 24. Juli von einer Person geschrieben
wurde, die am 7. Januar noch kein Wort Schwedisch konnte.
Das Konzept von Paragona ist es, in höchstens sieben Monaten so viel
Sprache zu lehren, dass ein polnischer Arzt, der in Härnösand, Edbjerg
oder Leeds landet, vom ersten Tag an genauso gute Versorgung erbringen
kann wie ein einheimischer Arzt. (Für Psychiater dauert es acht Monate.)
Seit 2003 hat Paragona Dänemark, Norwegen, England, Frankreich und
Schweden mit über 500 Doktoren versorgt. Es scheint also als ob das
größte Problem bei der Integration (dass der Einwanderer zu schlecht
Schwedisch kann, um eine vernünftige Stelle zu bekommen) vielleicht gar
nicht so groß zu sein braucht.
“Hallo, wie geeeeht es euch? Worüber sollen wir heute reden?” Mit
gekünstelter Mädchenstimme macht Paragona-Lehrerin Lisa nach, wie SFI
klingen kann. Kindergarten für Erwachsene, versteht man, Gruppenarbeit,
Tätscheln. Völlig fehl am Platz, findet Lisa. Sie hat selbst nichts
gegen Demokratie im Klassenzimmer, aber “die meisten, die nach Schweden
kommen, seien es Usbeken, Iraker oder Polen, sind Lehrer gewohnt, die
einen Plan haben und wissen, was sie mit jeder Unterrichtsstunde wollen.
Mit diesem Stil lernen sie schnell. Das schwedische Modell verwirrt sie,
weil nichts von ihnen erwartet wird. Dann gewöhnen sie sich leider
daran.” Ihre polnischen Studenten verlangen, jeden Freitag eine Prüfung
zu schreiben. Soll der Sprachkurs effektiv sein, sagt Lisa, muss er an
den Schüler angepasst werden. Trichter für die Polen, freiere Formen für
Amerikaner, Spiele mit Worten für die, die nie in der Schule waren.
(Siehe da, ein Beitrag zur Integrationsdebatte. Wenn wir als gegeben
voraussetzen, dass eine Schulform, die an schulüberdrüssige Teenager aus
Täby angepasst ist, die beste für den irakischen Gefreiten und den Arzt
aus Ethiopien ist – zeugt das dann von unserer Leidenschaft zur
Gleichbehandlung – oder vielleicht unserer Arroganz?)
Lisa will nicht, dass ich SFI mit Paragona vergleiche, das sei
ungerecht. Paragonas Schüler sind auf gleichem Niveau, ans Studieren
gewöhnt, haben ein klares Ziel und arbeiten gegen eine Deadline. Nichts
von alldem trifft auf die Mehrheit der SFI-Klassen in Schweden zu. Doch
zugleich regt sie sich über ihre Erinnerung an die träge Stimmung im
Klassenzimmer auf. “SFI sollte klarmachen, dass die Sprache das Leben
bestimmt, der Schlüssel zu ihrer Zukunft, dass die Chance nicht
wiederkommt, wenn sie diese eine vergeigen.” Aber es ist als ob Schweden
weder sich selbst noch die Einwanderer wirklich Ernst nimmt.
Der Ernst in Warschau: acht Stunden Unterricht, zwei Stunden
Hausaufgaben an fünf Tagen die Woche. Die Ärzte wohnen auf dem Campus,
schalten sie den Fernseher ein, laufen schwedische Nachrichten, wollen
sie Filme sehen läuft “Raus aus Åmål” oder gleich Ingmar Bergman. Ein
Psychiater fragt sich, ob “Das Schweigen” ein realistischer Film ist. Er
schaut lieber den schwedischen “Landarzt”.
Ich darf bei einer Übung der ärztlichen Untersuchung dabei sein. “Sag
was ich tun soll”, sagt der Lehrer, “aber ich befolge nur perfektes
Schwedisch”.
“Geh drei Schritten vor. Lege die Handflachen gegen den Wind.”
“Hier bläst kein Wind.”
“Wand. Ziehe bitte die Zunge heraus.” (Der Lehrer führt die Hand zum
Mund.)
“Nein, nicht so! Ich meine … reich mir die Zunge?”
Die Schwedischklasse verbiegt sich vor Lachen. Auch ich trockne eine
Träne und erinnere mich, dass das so war als ich vor 40 Jahren
Schwedisch lernte. Unser Lehrer Jonas Wall meinte, dass Wörter am besten
hängenbleiben, wenn man sie an Gefühlen festmacht. Wenn wir also
Grammatik übten, provozierte er Drama in unserem Keller: “Die da
drängelt sich in der Schlange vor, was sagst du?” Nach drei Monaten
konnten ein Pole und ein Libanese miteinander über den Sinn des Lebens
streiten – auf Schwedisch. Aber das war eine andere Zeit. Heute muss man
nach Warschau fahren, um so etwas zu finden.
“Sie setzten mich vor einen Computer und sagten ich solle nach Wissen
suchen. Ich wollte Grammatik lernen, sie sagten das sei nicht nötig. Sie
gaben mir Aufgaben, für die sie keine Zeit zum Korrigieren hatten. An
einigen Tagen hatten wir gar keinen Lehrer. Ich habe fünf Monate meines
Lebens vergeudet.”
Das erzählt Katarzyna, die im Frühling versuchte, in Rosengård Schwedish
zu lernen. Die Firma Meritausbilung AG, an die sie von der Gemeinde
verwiesen wurde (nein, sie durfte die Schule nicht selbst wählen),
betreibt auch in Sjöbo und Tomelilla SFI-Kurse. Dort unterrichtete man
im Frühling 2007 kurdische Analphabeten und iranische Akademiker in der
gleichen Gruppe. 2,8 Lehrer sollten den 90 Schülern “individuell
angepassten Unterricht” geben, für 30 Stunden pro Woche und einen Lohn
knapp über dem der Müllmänner der Gemeinde.
Ich behaupte nicht, dass diese Schule typisch ist. Aber sie ist gut
genug für unsere Behörden. Ein frischer “Beurteilungsbericht” (25.09.08)
fand nichts zu beanstanden.
Selbst gerechnet komme ich auf 250 Stunden Privatunterricht, die sich
Katarzyna mit zwei anderen Schülern hätte teilen können, wenn das Geld
der Steuerzahler nicht stattdessen an die Meritausbildung AG verschenkt
worden wäre.
Lisa, Edward Issa, Nina Haddad und Katarzyna heißen in Wirklichkeit
anders.
Maciej Zaremba
—
Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur
Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier
entlang.
Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-01. Jag tackar
Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.