Tagged with Deutschland

Sprengmeister Schweden?

Die ZEIT schreibt über gesprengte Geldautomaten:

Wie in so vielen Dingen sind auch bei Attacken auf Geldautomaten die Skandinavier den Deutschen voraus. Weil Dynamit in Privathaushalten lange gebräuchlich war, jagte man in Schweden die Automaten von Anfang an in die Luft. [...] Die Stärke der Tresorwände spielt eine Rolle. In den USA stehen viele Geldautomaten in Geschäften, Restaurants und Bars. Dort gelten sie als wenig gefährdet – es sind, salopp gesagt, Sardinenbüchsen. Deutschland liegt mit Spanien und Frankreich im internationalen Mittelfeld. Die dicksten Tresore haben die Schweden.

Zugegeben, das Dynamit hat ein Schwede erfunden: Alfred Nobel. Ja, der mit den Preisen. Das mit dem “Dynamit in Privathaushalten” höre ich allerdings zum ersten Mal. Weiß dazu jemand mehr?

Tagged , , ,

Schwedischer Sommer

Während in der alten Heimat die Ferien gerade erst anfangen, ist für viele Schweden heute der erste Arbeitstag. Passend dazu scheint nach einigen eher regnerischen und kühlen Wochen heute die Sonne und die ganze Woche soll schön und warm werden.

Tagged , , ,

Bald Bundestagswahl

Am 27. September ist Bundestagswahl. Und weil ich davon ausgehe, dass hier der ein oder andere im Ausland lebende Deutsche mitliest, sei hiermit darauf hingewiesen, dass man selbst dafür sorgen muss, im Wählerverzeichnis der letzten Heimatgemeinde eingetragen zu sein. Dann bekommt man die Briefwahlunterlagen zugeschickt.

Jetzt ist die richtige Zeit, das in Angriff zu nehmen.
Weiterlesen bitte beim Bundeswahlleiter.

Tagged ,

Das unnötige Blog

Ich erspare mir und Euch, liebe Leser, normalerweise bewusst Meta-Diskussionen über Blogs und die “Bloggosphäre”; ein Dauerbrenner ist zum Beispiel das Verhältnis der “alten” Medien gegenüber neuen wie Blogs. Ich denke mir meist “Macht doch einfach, anstatt drüber zu schwätzen! Was gut ist, findet Leser.” Gleichzeitig setzt das eigene Publizieren, egal in wie kleinem Stil das geschieht, neue Gedanken bei Nicht-Medien-Menschen frei und die meisten Blog-Schreiber können deshalb den Diskussionsbedarf zu diesen Themen nachvollziehen.

Heute morgen war in der Zeitung ein Artikel mit dem Titel Das unnötige Blog zu lesen, der der deutschen Blog-Welt so fremd erscheinen dürfte, dass ich nicht umhin komme, ihn aufzugreifen.

Schwedische Medien zollen Blogs und Bloggern einen Respekt, der oft nur schwer nachzuvollziehen ist – besonders in der Zeitungswelt. Die Chefredakteure des Aftonbaldet und des Expressen wetteifern frustriert, wer besser vor der Bloggosphäre zu Kreuze kriecht. [...] Sobald ich in einer Diskussion über soziale Medien teilnehme, bekomme ich Varianten des Modesatzes “Blogs bestimmen die Agenda für die traditionellen Medien” zu hören und die meisten scheinen darin überein zu stimmen, dass dem so sei.

(Übersetzung von mir)

Das ist aus deutscher Sicht unerhört. Dort geht das Klagelied in die andere Richtung, nämlich dass die klassischen Medien die Themen der Blogs weitgehend ignorieren. Natürlich gab und gibt es Ausnahmen, aber ich halte es für keine Übertreibung, dass Blogger in Schweden mehr beachtet sind und sich damit auch mehr Einfluss erkämpft haben; dass Zeitungen Blogs zitieren ist zum Beispiel an der Tagesordnung. Vielleicht hatten es Blogger auch leichter hier, schließlich sind Rangordnung und elitistisches Denken in Schweden weniger ausgeprägt (siehe Jantelagen) als in Deutschland (siehe Untertan).

Zurück zum Artikel, dessen Autor Alex Schulman durch sein Blog bekannt wurde, das er 2007 mit einer Million Besuchern pro Monat (das entspräche etwa dem zehnfachen in deutschen Maßstäben) beendete. Im Artikel fährt er fort, dass der Einfluss von Blogs von den “alten” Medien selbst überschätzt wird und dass Blogs eigentlich recht irrelevant seien. Es fallen die üblichen Argumente, die man auch aus Deutschland kennt: Es gibt sehr wenige aktive Blogs und 95% der Menschen lesen keine Blogs; die meistgelesenen Blogs sind über “seichte” Themen wie die Modeblogs junger Frauen; Blogs sind selbstreferenziell und drehen sich um sich selbst; der Mehrheit der Bevölkerung sind die Themen egal, die in Blogs groß werden.

Schulman endet mit einem Plädojer dagegen, dass die klassischen Medien sich so sehr von Blogs beeinflussen lassen, denn damit bekämen diese erst ihren Einfluss verliehen, der ihnen nicht zustünde.

Das mag so sein. Ob man ihm bei der Bewertung zustimmt oder die Hellhörigkeit der “Altmedien” auf Blogs stattdessen gut findet, ist jedoch Geschmacksache. Eine Folge des Ganzen ist das aufkommen der Piratenpartei mit den Themen zur Überwachung, die erfolgreich von Blogs in die Zeitungen wanderten und somit die Partei erst bekannt und wählbar machten. Der Erfolg der Piraten bei den EU-Wahlen vor ein paar Wochen hat den Stein ja auch in Deutschland ins Rollen gebracht. Und “Schuld” daran sind die schwedischen Zeitungen, die dem Internet zu sehr zugehört haben.

Tagged , , ,

Die animierte Mauer

Über das diesjährige zwanzigste Jubiläum des Mauerfalls wird auch in Schweden berichtet. So wurde ich auf diese sehenswerte Animation der Deutschen Welle über die Befestigung selbst aufmerksam.

Tagged , , ,

Das Land in guten wie in schlechten Zeiten

Bald ist Schweden das einzige Land in Europa, das von neuen Mitbürgern nicht mehr verlangt, als dass sie nicht im Knast waren. Im fünften Teil der Serie Warten auf Schweden beleuchtet Maciej Zaremba, was ein Bürger seinem Land versprechen sollte.

Ein Gericht in Kanada hat das Handelsverbot an Sonntagen für diskriminierend befunden, weil es Juden und Muslime dazu zwingt, ihre Geschäfte an zwei Tagen der Woche geschlossen zu halten. Ich frage den Vorsitzenden der Schwedendemokraten, wie ihm dieses Urteil gefällt: Alle Geschäfte sollen einen Tag in der Woche geschlossen sein, aber nicht notwendigerweise am Sonntag.

Nein, das gefällt Jimmie Åkesson nicht. Er ist zwar selbst nicht gläubig, sondern eine “Mischung aus Agnostiker und gar nichts”. Aber sollte ein solches Problem in Schweden aufkommen, dann sollten sich alle nach den schwedischen Feiertagen richten.

In Ian Burumas Buchreportage “Mord in Amsterdam” treffen wir Aboutaleb Ahmed, den Gemeinderat, der in Holland für getrennten Schwimmunterricht für muslimische Mädchen kämpft. Ihm leuchtet nicht ein, wie es die Grundfesten der Gesellschaft erschüttern soll, der Prüderie nachzugeben. Doch der gleiche Ahmed findet, dass Marokkaner, die holländisches Recht nicht befolgen wollen, nach Marokko zurückkehren sollten.

In ganz Europa wird diskutiert, was “die multikulturelle Gesellschaft” eigentlich bedeutet. Wer soll sich wem anpassen – und wie weit? Welche Zusammenstöße von Kulturen sind einfach nur bereichernd und welche bedrohen das friedliche Zusammenleben? Der Trend ist eindeutig, erfährt man aus Roger Brubakers Buch “Ethnizität ohne Gruppen”: Der Multikulturalismus, wie er jahrzehntelang die Politik beherrscht hat, hat seine Versprechen nicht eingelöst. Wo man sich ein farbenfrohen Mosaik erhofft hatte, wuchsen graue Ghettos. Wo man dachte, man bezeuge der Kultur der anderen Respekt, trug man zu ihrem Ausschluss aus der Gesellschaft bei. Das Recht zum Anderssein, ein schönes liberales Prinzip, konnte auch als Verbot dazuzugehören interpretiert werden.

Es ist paradox, dass in Deutschland, wo es keine “Integrationspolitik” gibt, die Arbeitslosigkeit bei Einwanderern halb so hoch ist wie im multikulturell führenden Holland. In der Bundesrepublik werden Einwanderer auch Gewerkschaftsmitglied, was anscheinend besseren Schutz gegen Diskriminierung bietet als alle holländischen Ombudsmänner zusammen.

Der Multikulturalismus machte es nicht leichter, Marokkaner in Amsterdam zu sein, aber schwerer, Holländer zu werden. Einige wurden sich ihrer grundlegenden Werte unsicher. Ist es feministisch, die Macht arabischer Väter über ihre Töchter zu beklagen, oder modrig, ethnozentrisch und wert, sich dafür zu schämen? Auch in Schweden gibt es heutzutage “antirassistische Feministen”, deren “anti” sich gegen die Feministen richtet, die anzudeuten gewagt haben, dass Ehrenmorde im Libanon mehr akzeptiert sind als in Norwegen.

Ich erzähle nichts Neues, sondern will auf Folgendes hinaus. Ich wünsche mir, dass Schweden den Fehler Hollands nicht wiederholt. Ich lese in Ian Burumas Buch, der Populist Pim Fortuyn wäre nie so groß geworden, wenn die Stützen der Gesellschaft die Wähler nicht zu ihm getrieben hätten, indem sie den Begriff “Rassismus” gegen die anständigsten Kritiker des Multikulturalismus missbrauchten (darunter der Soziologe Paul Scheffer, dessen “Het multiculturele drama” davor warnte, dass die Politik Armut zum Dauerzustand macht). Die Folge war eine ordentliche Gegenreaktion. Die Populisten bekamen die öffentliche Meinung hinter sich. Heute werden im liberalen Holland offen diskriminierende Gesetze verabschiedet.

Ich finde meine Staatsbürgerschaftsbescheinigung nicht mehr. Muss sie verloren haben, im Zorn, gleich als sie ankam. Es war ein Massenausdruck, Modell 70er-Jahre. Ich glaube mich zu erinnern, dass die perforierte Kante noch dran war. Und ich Idiot hatte erwartet, ins Stadthaus geladen zu werden, Händeschütteln, eine Blume vielleicht, ein Minimum an Zeremonie. Stattdessen finde ich die Urkunde, dass ich 1969 zum Beamten bei der Post “verordnet” wurde. Briefträger also. Das steht auf Urkundenpapier mit Unterschrift und Stempel.

Bald ist Schweden das einzige Land in Europa, das von neuen Mitbürgern nicht mehr verlangt, als dass sie nicht im Knast waren. Oder besser gesagt: das sich nicht mehr von ihnen erwartet. Man kann Schwede werden, ohne zu wissen, was das Wort “Medborgare” bedeutet, ob wir mit oder vielleicht gegen Hitler gekämpft haben, oder mit welchen Werkzeugen wir Homosexuelle hinrichten. Die offizielle Erklärung ist, dass sich neue Mitbürger auf diese Weise zugehöriger fühlen. Andere halten es für Gleichgültigkeit, notdürftig als Rücksicht verpackt. Ich gehöre zu letzteren. Schulterzucken hat mich noch nie willkommen fühlen lassen.

Es ist ein wenig paradox von einem Land, das Meistern seiner exotischen Sitten (du sollst immer Hände schütteln, aber nicht auf der Arbeit) zu erwarten, sich aber nicht darum zu scheren, ob der Mensch die Sprache spricht, in der dieselben Sitten vermittelt werden. (Versteht mich nicht falsch. Das Recht auf Asyl kann nicht an Sprachfertigkeiten geknüpft werden. Also soll man Bürger werden können, ohne Schwedisch zu sprechen. In einigen Fällen, wie dem 59-jährigen Ambro aus einem früheren Artikel, ist das unvermeidlich. Aber es kann nicht der wünschenswerte Regelfall sein.)

In den USA, in Kanada, Großbritannien und anderen Ländern müssen sich neue Mitbürger aktiv der Gemeinschaft anschließen: eine Ahnung davon haben, wie das Land regiert wird, und das Modell gut finden. Die Form variiert, vom Zeugnis, dass man einen Kurs besucht hat, bis zu regelrechten Examen und Anwesenheitspflicht bei der Zeremonie. Es ist interessant, was laut dem britischen Test das Allerbritischste ist. Ich stelle die Frage ein paar Bekannten, alle raten falsch. “Britain is a country where people of many different cultures and faiths live. What brings British people together is …” (hier glauben die meisten, dass etwas zur Sprache, der Geschichte oder der Königin kommt) â€?... that they listen to different points of view, they have respect for equal rights and they believe that community is important.â€?

Seit September gilt auch in Deutschland ein Einbürgerungstest. Nach vielen Kontroversen blieben nur Fragen übrig, wie das Land und die EU regiert werden, dazu moderne Geschichte und ein wenig Tradition. Ich kann fast kein Deutsch, aber habe den Test problemlos geschafft. Es ist nicht schwer, die richtige Antwort aus den gegebenen auszuwählen: “Pfingsten ist ein… 1. christlicher Feiertag. 2. deutscher Gedenktag. 3. internationaler Trauertag. 4. bayerischer Brauch.” Oder: “Was ist ein deutsches Gesetz? 1. Man darf auf der Straße nicht rauchen. 2. Frauen müssen Röcke tragen. 3. Man darf Kinder nicht schlagen. 4. Frauen dürfen keinen Alkohol trinken.” Nur um die leichtesten zu nennen.

“Ich habe deutsche Freunde getestet. Mehrere haben den Test nicht bestanden”, sagt Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Er hat haufenweise Kritik daran, wie Deutschland seine Einwanderer behandelt. “Die Bedingungen für die Staatsangehörigkeit werden ständig verschärft. Damit wir uns nicht willkommen fühlen?” Aber er will den Test nicht verwerfen. “Wenn die Regierung will, dass die Deutsch-Türken bessere Deutsche werden als sie selbst, ist das in Ordnung für mich.” Ich frage ihn, was ich tun müsste, damit er mich als Landsmann ansehe. “Lerne Deutsch”, sagt er, “wir müssen uns ja verstehen.” Soll ich nicht büffeln, wie Hitler an die Macht kam? “Das musst du wissen. Aber ich glaube das kommt mit der Sprache.”

Fatma Erdem, zwanzig Jahre jünger als Kolat, schneidet Grimassen, als der Test zur Sprache kommt. Sie ist selbst Ratgeber in Bürgerschaftsfragen, kam mit elf Jahren aus der Türkei nach Berlin und hält den Test für einen Filter, der Leute mit geringer Bildung außen vor halten soll. Am meisten regen sie die Fragen über den Krieg auf. “Was hat Geschichte mit der Staatsangehörigkeit zu tun?” Doch, sage ich, deutsche Geschichte… Sie unterbricht mich. “Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft. Warum soll gerade die deutsche Geschichte mich formen?”

Nach dieser Replik höre ich nicht mehr, was sie sagt, zu viele Fragen hat sie in Gang gesetzt. Ist Fatmas Gleichgültigkeit gegenüber der deutschen Geschichte nur eine Frage zwischen ihr und Deutschland – oder können auch Nicht-Deutsche eine Meinung dazu haben? Welche Verantwortung haben neue Mitbürger dabei, die alte Geschichte zu verwalten? Fatma ist schließlich genauso wenig Schuld am Dritten Reich wie gleichaltrige Deutsche, aber letztere sind zum ständigen Umgang mit dieser Plage gezwungen. Kommt sie darum herum – mit der Begründung, dass sie nicht von einer Deutschen geboren wurde? Doch dann sind wir wieder dabei, Verpflichtungen (und vielleicht Rechte) an die Blutlinie zu knüpfen.

Man sagt, das mangelnde Interesse Deutschlands daran, aus seinen Türken Mitbürger zu machen, komme daher, dass Deutsche nicht verstehen, warum sich jemand freiwillig zum Deutschen machen will. Mit all dem, was zu diese Zugehörigkeit mit sich bringt. Fatma findet jedoch, dass deren Trauma nicht ihr Problem ist. Sollen die Deutschen über diese Nachricht jubeln – oder sollen sie erschrecken? Eins ist sicher: Ihre Vorstellung vom Deutschsein deckt sich nicht mit der Fatmas.

Ich denke an die postkolonialen Ideologen, die wie der schwedische Integrationsforscher Masoud Kamali der Meinung sind, dass alle Europäer eine gigantische Schuld geerbt haben: Es waren Kolonialismus und Sklavenhandel, die den Wohlstand der Weißen aufgebaut haben, Schweden inklusive. Aber wenn er jetzt selbst Europäer geworden ist und diesen Wohlstand genießt – wird er dann mitschuldig? Oder kann man als Bürger und Ideologe eine Haltung jenseits aller schuldenbeladenen Gesellschaften und aller Forderungen einnehmen? Ich stelle die Frage, weil ich die Antwort nicht weiß.

Wenn der Leser jetzt meint, es rieche nach Metaphysik, dann will ich versichern, dass das Problem keineswegs ein theoretisches ist. Es ist praktisch und hochaktuell, denn Millionen Menschen plagen sich damit: Wofür stehen die Nationalstaaten in der globalisierten Welt, wozu verpflichten sie einen? Was darf man verlangen, was muss man im Namen der Toleranz aushalten? Bleibt sie unbeantwortet und wird abgetan, kann diese Frage leicht zu einer Wunde werden, in die Fremdenhasser ständig Salz streuen können.

Kann man Schwede sein, wenn es einem passt? In guten Zeiten dabei sein und sich in schlechten wegducken? Für den, der seit drei Generationen Svensson heißt, klingt das zu Recht idiotisch. Er hat schließlich keine Wahl. Aber die, die mehrere Zugehörigkeiten mitbringen, kennen die Versuchung: sich bei Gegenwind herauszuwinden. “Wir sind die besten!”, wenn Schweden gewinnt, aber “Pfui Teufel, was sind die schlecht!”, wenn sie verlieren.

Der Philosoph Leszek Kolakowski fragt sich in einem brillanten Aufsatz, was eine Nation ist. Ein Verein freier Individuen wohl kaum, schließlich werden die meisten in eine gegebene Gemeinschaft hineingeboren, inklusive Sprache, Kultur und einer Geschichte aus Heldentaten und Verbrechen. Eine Nation ist eher eine Art moralische Einheit, eine Schicksalsgemeinschaft. Man erbt die Schränke und Gemälde der Vorväter – aber auch ihre Schulden. Kann man sagen: Ich nehme den Hausrat – aber nicht die Schulden? Nein, bei Erbschaftsfragen gilt alles oder nichts.

So verhält es sich auch bei der historischen Verantwortung, argumentiert Kolakowski. Zwar kann kein Fremder von heutigen Deutschen verlangen, dass sie von der Schuld nach Hitler beschwert werden. Aber zum Zwecke ihrer geistigen Gesundheit sollen Deutsche (genau wie alle anderen) eine besondere Verantwortung für das empfinden, was im Namen dieser Nation verbrochen wurde.

Was passiert, wenn man sich weigert? Muss sich das türkische Mädchen in Berlin zwischen der deutschen und der türkischen Schuld entscheiden? Oder, schrecklicher Gedanke, erbt sie gar beide? Sollte es unmöglich sein, sich außerhalb der Spukschlösser der Geschichte zu stellen? “Mich gehen weder eure Leistungen noch eure Verbrechen an, ich bin kein Teil irgendeines Schicksals, ich bin nur mir selbst Rechenschaft schuldig.” Sicherlich kann man das sagen, meint der Philosoph, aber wenn man es auch denkt, dann betrügt man sich selbst. Denn wer alle Gemeinschaft aufgekündigt hat, hat auch seinen Anspruch auf Solidarität aufgegeben. Wenn er einmal in Not gerät, hat er von anderen nichts zu verlangen. “Unsere Gleichgültigkeit wird mit Gleichgültigkeit vergolten werden und wir dürfen nicht klagen.”

Nyamko Sabuni meinte einmal, dass “Integration” im Herzen stattfindet. Wenn man aufhört, “die” zu denken, und mit “wir” anfängt. Ich teile diese Erfahrung. Deshalb sollten wir uns fragen, ob dieser Prozess durch unseren noblen Respekt vor der Vielfalt, der sich zuvorderst darin äußert, Leute ständig daran zu erinnern, wie wenig sie dazugehören, erleichtert wird.

Vor ein paar Jahren musste eine Hochschule ihre Vielfalt beweisen. Man machte Inventur und siehe da – man entdeckte ein paar Individuen, von denen man nicht im Traum gedacht hätte, dass sie einen im Ausland geborenen Elternteil hatten. Einwanderer! Die Rektoren waren glücklich, die Statistik gerettet, die Gelder gesichert. Nur dass der ein oder andere Lehrer mit einem neuen und nicht ganz behaglichen Gefühl in der Magengegend nach Hause ging.

Vielleicht kann man nicht alles gleichzeitig haben: einverleibt und in seiner Eigenheit wahrgenommen zu werden. Nichts illustriert das besser als die Geschichte von Akilah. In Schweden, wohin er zunächst kam, fragte man interessiert wo er her kam, lobte sein Schwedisch und bemühte sich, seinen Namen richtig auszusprechen. Er wusste das zu schätzen. Als er dann in die USA zog, fragte niemand nach irgendetwas und man nannte ihn Al. “Excuse me, my name is Akilah.” “C’mon Al, you’re American now!”, war die Antwort, gefolgt von einem kräftigen Klaps auf den Rücken. Akilah (oder Al) hat wirklich ein Problem. Er findet, er hat ein Recht auf seinen Namen. Andererseits wurde er in Schweden nie Schwede genannt. Oder auf den Rücken geklopft.

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-12. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

Tagged , ,

Kurz notiert

Der Wahlerfolg der Piratenpartei war am Montag die Nachricht, die es auf alle Titelseiten schaffte. TAZ und Tagesspiegel berichten gut, viele andere so schlecht, dass sie die Piratenpartei mit der Pirate Bay gleichsetzen. Das große internationale Interesse ist wiederum eine Nachricht für sich in Schweden.

Die Auszählung der Personenstimmen, die entscheiden, wer die schwedischen Sitze im neu gewählten Europaparlament bekommt, geht voran und an einigen Stellen wird wie vermutet die von den Parteien aufgestellte Reihenfolge durcheinander geworfen. Zum Beispiel wird der eine Sitz der Christdemokraten nicht von der Listenersten Ella Bohlin, sondern vom ehemaligen Parteichef Alf Svensson eingenommen werden. Anna Maria Corazza Bildt, die italienischstämmige Frau von Außenminister Carl Bildt, wurde auch nach vorne gewählt.

Dass das Wahlresultat durchgängig pro-EU ausfiel, gibt den Wahlverlierern und EU-Ablehnern der Linkspartei zu denken. Die ersten innerparteilichen Rücktrittsforderungen für Parteichef Lars Ohly werden laut.

Dagens Nyheter, die wichtigste schwedische Tageszeitung, hält heute ihren “Auslandstag” im stockholmer Konzerthaus. Dazu werden alle Korrespondenten nach Hause geholt und ein interessantes Programm auf die Beine gestellt. Höhepunkt am Nachmittag wird Premierminister Fredrik Reinfeldt sein, der zur schwedischen EU-Ratspräsidentschaft sprechen wird, die in drei Wochen beginnt. Ich werde es wohl nicht schaffen, dort vorbei zu schauen, aber man kann auch im Netz zusehen. Hierzulande ist man auch so fortschrittlich, ganz offiziell das Twitter-Hashtag #utrikes als Nachrichtenkanal zu dieser Veranstaltung zu empfehlen.

Die anstehende schwedische Ratspäsidentschaft löst derweil nahtlos die EU-Wahl als Top-Thema in den Medien ab – der Begriff “EU-Jahr” scheint gerechtfertigt. Auf eu2009.se ist mittlerweile einiges zu lesen und erst gestern erklärte Reinfeldt in Brüssel die schwedischen Prioritäten.

Gud finns nog inte Der Verein Humanisterna, der sich gegen den Einfluss von Religionen auf die Gesellschaft einsetzt und bei dem ich halb-aktives Mitglied bin, hat seine bisher größte Kampagne gestartet: Gud finns nog inte, übersetzt: “Gott gibt es wahrscheinlich nicht”. Die Inspiration kommt sicher von den Bus-Kampagnen in vielen Ländern, aber da Schweden schon eines der säkularsten Länder der Welt ist, widmet sich die hiesige Kampagne eher der Auklärung darüber, wie man als Nicht-Gläubiger trotzdem noch von Religionen negativ beeinflusst wird. Das nebenstehende Bild ist derzeit in U-Bahn-Stationen und ganzseitigen Zeitungsannoncen kaum zu übersehen.

Und zuletzt: das Wetter. Es ist kalt hier seit Montatsbeginn, es werden sogar Kälterekorde für Juni gebrochen. Nachtfrost im südlichen Linköping ist um diese Jahreszeit ungewöhnlich. Man nennt diese kalten Nächte übrigens Järnnätter (“Eisennächte”), was angeblich von einer falschen Übersetzung aus dem Deutschen kommt: “Eis” und “Eisen”.

Tagged , , , , ,

Farbe bekennen

Die Wahl zum EU-Parlament hat begonnen. Holland hat schon gewählt (leider falsch ); in Deutschland, Österreich und Schweden ist Sonntag Wahltag, auch wenn hierzulande schon viele von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, bei einem der Vorab-Wahllokale vorbeizuschauen, die seit gut zwei Wochen geöffnet sind.

Vorab für all die, die nicht bis zu Ende lesen wollen: Geht wählen! Wenn euch keine der Parteien passt, macht die Stimme ungültig. Das geht mit in die Rechnung ein – im Unterschied zur nicht abgegebenen Stimme.

Es folgen wie versprochen ein paar Gedanken zur wichtigen Frage, was man denn wählen soll – natürlich aus meiner eigenen Perspektive. Zuallererst muss man sich, finde ich, klarmachen, dass nicht die Politik zur Abstimmung steht, die die Parteien bezüglich des Verhältnisses zwischen dem eigenen Land und der EU vertreten. Stattdessen geht es darum, welche Politik man künftig von der EU sehen will. Dass sich, gerade in Schweden, viele Menschen und auch einige Parteien noch nicht damit abgefunden haben, dass Politik von der EU kommt, die jeden betrifft, sollte eigentlich keine Rolle spielen. Tut es aber natürlich doch, denn ich finde es widersinnig, eine Partei, deren Programm für “weniger EU” und mehr “Eigenständigkeit” der Nationen steht, ins EU-Parlament zu wählen. Es geht darum, bessere EU-Politik zu machen, nicht weniger.

Weiterhin ist wichtig zu bedenken, dass die europäischen Parteien sich zu Fraktionen zusammenschließen, die meist gemeinsam abstimmen. (Fraktionszwang gibt es jedoch keinen.) Folgende fünf Parteigruppen sind für die deutschen und schwedischen Parteien relevant.


Parteigruppe Sozialdemokraten Christdemokraten/Konserv schwedische Socialdemokraterna ative Partei(en) SPD Moderaterna, deutsche Partei(en) Kristdemokraterna CDU, CSU


Man stimmt also indirekt auch immer für die Parteien aus den anderen Ländern, die im gleichen Block sitzen wie die “eigene” Partei. Das bedeutet zum Beispiel, dass jeder, der konservativ (CDU/CSU bzw. Moderaterna oder KD in Schweden) wählt, auch für die italienische Popolo della Libertà von Berlusconi stimmt, bei der seit Kurzem auch die Neofaschisten dabei sind. Das ist für mich genauso ausgeschlossen wie andere rechtspopulistische Parteien.

Wenn es um Wirtschaftsfragen geht, bin ich im Grunde Sozialdemokrat. Mit der schwedischen SAP habe ich aber zwei Probleme. Zum einen waren die schwedischen Sozialdemokraten damals treibende Kraft bei der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und haben aus meiner Sicht die falsche Haltung zu Urheberrechts- und Überwachungsfragen. Zum anderen gehören sie zu denen, die sich im Grunde unsicher sind, wie gut die EU für Schweden eigentlich ist. Frei bewegliche Arbeitskraft, einer der Grundpfeiler der europäischen Einigung, sehen sie als Bedrohung für das “schwedische Modell” der Tarifverträge.

Die hiesigen Linken wollen Schweden ganz aus der EU austreten lassen, stehen also außer Frage.

Was ist mit den Grünen? Wenn ich mich aus dem schwedischen Wählerregister aus- und ins deutsche eingetragen hätte, hätte ich wahrscheinlich grün gewählt. Die hiesigen Grünen haben sich aber gerade erst dazu durchgerungen, die schwedische EU-Mitgliedschaft überhaupt gutzuheißen. Sie sind gegen den Euro und den Vertrag von Lissabon, was zwar eigentlich keine für diese Wahl relevanten Fragen sind, sie mir aber extrem unsympathisch macht. Außerdem sind sie sehr links und eher mit dem Fundi-Flügel der deutschen Grünen zu vergleichen. Andererseits haben sie (neben den offensichtlichen Unweltfragen, in denen sich die schwedischen Parteien aber weitgehend einig sind) weniger Überwachung und eine Reform des Urheberrechts auf dem Programm, um privates Filesharing zu legalisieren.

Internetfragen scheinen in Deutschland gerade erst mit der “Zensursula”-Debatte in die Allgemeinheit durchzudringen. In Schweden ist man da etwas weiter. Die FRA-Debatte, das PirateBay-Urteil und das IPRED-Gesetz waren jeweils wochenlang Schlagzeilen wert und haben die Piratenpartei hervorgebracht, wie wohl den Einzug ins EU-Parlament schaffen wird (s.u.). Mit deren Programm stimme ich zwar völlig überein, habe aber trotzdem zwei Probleme mit ihnen. Zum einen ist es eine Ein-Fragen-Partei, die zu allem außer dem Schutz der Privatsphäre und der radikalen Reform der Urheber- und Patentsysteme keine Stellung beziehen. Auch wenn ich diese Fragen für lange vernachlässigt und wichtig halte, gibt auch andere wichtige Themen. Die Piraten wollen im Parlament entweder der Gruppe der Grünen oder den Liberalen beitreten und in allen anderen Fragen mit dieser Gruppe abstimmen, was ich wiederum für akzeptabel halte. Allerdings stellen sich die Piraten gegen den Lissabon-Vertrag, was erstens unnötig ist, weil das keine Frage des EU-Parlamentes ist und der Vertrag von Schweden schon ratifiziert ist, und zweitens die Piratpartei nach eigener Aussage als Nachfolger der EU-kritischen Juni-Liste platziert, die in der letzten EU-Wahl drittgrößte schwedische Partei wurde und für mich unwählbar ist.

Bleiben die Liberalen. Wenn man mit “liberal” die Stärkung der Bürgerrechte und Freiheiten meint, bin ich dafür zu haben. Wenn man damit die neoliberale Dereglierung der Märkte meint, dann nicht. Ich finde es ein wenig absurd, dass dieselbe FDP, die den Schlamassel der Banken- und Wirtschaftskrise mit ihrer Politik mitverursacht hat, in Deutschland immer bessere Umfragewerte bekommt. Das schwedische Pendant Folkpartiet ist jedoch weniger marktliberal und hat mit die beste EU-Politik.

Schweden hat noch eine zweite Partei, die in der liberalen Gruppe im EU-Parlament landen wird: Die Centerpartiet bezeichnet sich selbst als “sozial-liberale grüne Partei”. In der Tat kann man sie die zweite grüne Partei Schwedens nennen (auch gegen Kernkraft) und sie haben in den Fragen der Piratenpartei glaubwürdig ähnliche, wenn auch weniger radikale Positionen wie diese vertreten. Außerdem behauptet der EU-Profiler, sie liege mir am nächsten. Dass das Zentrum gegen die Einführung des Euro in Schweden ist, spielt ja wie gesagt bei dieser Wahl keine Rolle. Bei einer Wahl zum schwedischen Reichstag würde ich sie (wenn ich dürfte) nicht wählen.

Bei alldem ist noch gar nicht berücksichtigt, dass bei der Wahl die Direktstimmen auf dem Wahlzettel viel genutzt werden und man “seinen” Kandidaten ins Parlament schicken kann. In der Tat sind die EU-Parlamentariker recht frei und ein überzeugender Kandidat kann trotz “Fehlern” seiner Partei gute Arbeit leisten. Auf die einzelnen Kandidaten werde ich jetzt nicht noch eingehen, aber ich habe mit Interesse deren Antworten auf Bürgerfragen gelesen, die man im EU-Portal von DN findet.

Summa summarum bleiben mir zwei Möglichkeiten:

  • Piratenpartei wählen und die Kandidatin auf Platz Zwei ankreuzen. Ich habe Amelia Andersdotter vor einiger Zeit kurz getroffen und trotz ihres jungen Alters von 21 Jahren teilt sie die Torheit ihrer Partei und des Kandidaten auf Platz Eins nicht, den EU-Vertrag abzulehnen. Nebenbei würde ich die grüne Parteigruppe stützen (wenn die Piraten diese auswählen) ohne für die schwedischen Grünen stimmen zu müssen. Sollten sie bei den Liberalen landen, deckt sich das mit der zweiten Wahlmöglichkeit:
  • *Centerpartiet* oder *Folkpartiet* wählen, wahrscheinlich eher erstere. Die entscheidende Frage ist wohl, ob ich die Themen der Piraten für wichtig genug halte, für eine Ein-Frage-Partei zu stimmen (was ich an sich für problematisch halte), oder ob ich ihren ohne Frage existierenden Einfluss auf die etablierten Parteien schon ausreichend finde.

    Zuletzt noch zu den [aktuellen Umfragen](http://www.dn.se/polopoly_fs/1.884775!synovate.swf) in Schweden: Acht Parteien scheinen die 4%-Hürde zu nehmen. Die Sozialdemokraten (26%, 5 Sitze), die Moderaten (22%, 5 Sitze), Grünen und Folkpartiet mit je 11% (2 Sitze), Linke, Zentrum, Christdemokraten und Piraten mit je um die 6% und einem Sitz. Die Piraten werden also eher nicht drittstärkste Partei wie [einige behaupten](http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/piraten-werden-ins-eu-parlament-einziehen/), scheinen aber ihren Platz im EU-Parlament in der Tasche zu haben. Ich habe kurz nach einer Umfrage/Vorhersage für die Wahl in Deutschland gesucht, aber keine gefunden – seltsam. Wie wählt ihr und warum?
Tagged , , , , ,

Euro(pa)-Fragen

Wie schon im Herbst erwähnt, ist die Diskussion um den Euro wieder aktuell in Schweden. Man liest regelmäßig in den Zeitungen davon und erst heute morgen wurde eine Statistik veröffentlicht, die zum ersten Mal mehr Euro-Befürworter als -Ablehner zum Ergebnis hatte. Zur positiveren Einstellung habe vor allem der Eindruck beigetragen, dass sich der Euro in der Wirtschaftskrise bewährt hat, während die Krone stark an Wert verlor.

Überraschend fand ich, dass es gerade die Unter-30-Jährigen sind, die den Euro ablehnen. (Andererseits: Ich gehöre ja schon über ein Jahr nicht mehr zu dieser Gruppe.) Zudem ist die Mehrheit der Frauen gegen den Euro.

Zwei der Regierungsparteien wollen eine baldige neue Volksabstimmung zur Einführung des Euro. Premierminister Reinfeldt hält die Frage jedoch nicht für aktuell, solange die Ja-Seite (zu der er und seine Partei auch gehören) untereinander zersplittert ist. Es wird also wohl noch eine Weile dauern bis Schweden zur EMU gehört.

Und weil wir gerade bei Europa sind: In weniger als zwei Wochen ist Wahl. Wer seinen Standpunkt zu einigen Fragen mit denen der Parteien vergleichen will, kann das auf euprofiler.eu tun. Interessant ist hierbei, sich sowohl die deutschen als auch die schwedischen Parteien einblenden zu lassen:

Parteienvergleich

Wie man sieht decken die etablierten Parteien in Schweden ein größeres Spektrum auf der vertikalen Achse ab; die deutschen streuen dagegen stärker auf der links-rechts-Skala. Wie sehr das der Wirklichkeit entspricht sei dahingestellt, die Anzahl der Fragen ist schließlich sehr begrenzt.

Tagged , , , ,

Raoul Wallenberg

Die Wallenbergs sind die wohl bekannteste, einflussreichste und wohlhabendste Familiendynastie Schwedens und noch heute eng mit wichtigen Teilen der Wirtschaft verzahnt. Raoul Wallenberg, geboren 1912, galt in jungen Jahren als schwarzes Schaf der Familie, bekam jedoch 1944 vom schwedischen Staat den Auftrag, etwas gegen die Judenverfolgung in Ungarn zu unternehmen. In dem halben Jahr bis zur russischen Eroberung Budapests schaffte es der geschickte Diplomat mit Hilfe von schwedischen Schutzpässen, zehntausende Juden vor dem Abtransport in Konzentrationslager zu retten. Vereinzelt griff er auch unter persönlichem Risiko bei bevorstehenden Erschießungen ein.

Er geriet dann in russische Gefangenschaft und starb wahrscheinlich 1947. Die Umstände sind bis heute nicht völlig aufgeklärt und noch Jahrzehnte später gab es Hinweise darauf, dass Raoul Wallenberg am Leben sei, was die schwedische Öffentlichkeit lange beschäftigte. Es wurde vor allem Kritik an der schwedischen Regierung laut, die nach Kriegsende aus Angst, es sich mit Stalin zu verscherzen, nicht auf einen Austausch Wallenbergs hinarbeitete, sondern signalisierte, dass man ihn als tot erachtete.

Nachträgliche Ehrungen des “ungarischen Schindler” gab es viele, sowohl von amerikanischer, israelischer und natürlich ungarischer Seite. 1995 erhielt er postum den Europäischen Menschenrechtspreis des Europarates und in Berlin ist immerhin eine Straße nach ihm benannt. Ansonsten ist mein Eindruck, dass Raoul Wallenberg in Deuschland eher weniger bekannt ist, weswegen ich die Lektüre des oben verlinken Wikipedia-Artikels empfehlen möchte. Wer Schwedisch kann, sei auch auf die Radiodokumentation über ihn hingewiesen, die ich heute morgen im Zug zu Ende gehört habe und die man als MP3 herunterladen kann.

Tagged , , ,