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Nachtrag

Was ist in den letzten Wochen in Schweden wissenswertes passiert? Die Politik betreffend blieb bei mir vor allem hängen, dass Premierminister Reinfeldt geglückt ist, was er gleich nach der Wahl andeutete: Er wollte über den bürgerlichen Block, dessen Vierparteienkoalition Schweden trotz parlamentarischer Minderheit regiert, hinaus gehen und sich mit den Grünen zu bestimmten Punkten einigen. Dies wird verständlicherweise sowohl von seinen kleineren Koalitionspartnern als auch von den Sozialdemokraten ungern gesehen, denn es ist ein Schritt in Richtung einer Blau-Grünen Koalition in der Zukunft.

Das erste große Thema, bei dem jetzt fünf (!) Parteien gemeinsam die Richtung angeben, ist die Einwanderungspolitik, die mit dem Einzug der ausländerfeindlichen “Schwedendemokraten” ins schwedische Parlament besondere Aktualität bekam. Reinfeldt beweist hier Mut und nähert sich nicht dem rechten Rand des konservativen Spektrums an, wie es zum Beispiel in Dänemark der Fall war und ist, sondern nimmt für den Rest der Legislaturperiode den Schwedendemokraten jegliche Möglichkeit zur Einflussnahme in ihrer Herzensangelegenheit, indem er mit den Grünen eine weiterhin offene und progressive Einwanderungspolitik betreibt. Kudos.

In anderen Bereichen haben die knappen Verhältnisse im schwedischen Reichstag seit der Wahl für einige überraschende Ergebnisse gesorgt. Diverse Abstimmungen, die nach der Sitzverteilung eigentlich hätten einen gewissen Ausgang nehmen sollen, kippten, weil Abgeordnete auf den falschen Knopf drückten, unabgemeldet fehlten oder zur falschen Zeit auf der Toilette waren. Außerdem funktioniert das Ausgleichssystem, nach dem abwesende Abgeordnete der Parteien gegeneinander aufgerechnet werden, anscheinend nicht immer zuverlässig. Es herrscht also mehr Spannung im Parlament als zuvor.

Ein Hauptthema der letzten Wochen war die Ernennung von Mona Sahlins Nachfolger auf dem Posten des Parteichefs der Sozialdemokraten. Es wurde der bis dato recht unbekannte Håkan Juholt, der jetzt den Auftrag hat, die Partei neu aufzustellen und die Wahl in gut drei Jahren zu gewinnen. Wir werden sehen.

Dann war da noch die Ankündigung, wer auf die neuen Scheine fürs schwedische Geld kommen wird, allesamt Kulturpersönlichkeiten: Astrid Lindgren auf dem 20er, Evert Taube auf dem 50er, Greta Garbo auf dem 100er, Ingmar Bergman auf dem neu einzuführenden 200er, Birgit Nilsson auf dem 500er und Dag Hammarskjöld auf dem 1000er. Außerdem werden die neuen Scheine, die in etwa vier Jahren in Umlauf kommen sollen, kleiner als die alten. Vor allem die geringere Höhe wird geldbeutelfreundlicher.

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Die deutsche Einwandererdebatte

Abgestoßen verfolge ich gerade die wieder einmal aufgeflammte Debatte um Einwanderer in Deutschland. Schon lange nicht mehr habe ich so viel Unsinn gelesen und es scheint, als ob man lediglich alle paar Jahre die gleichen Pseudoargumente durchkaut, ohne das Thema voran zu bringen.

Wenn Frau Merkel Dinge sagt wie

Wer sich nicht am christlichen Menschenbild orientiere, sei fehl am Platz, sagte sie unter großem Beifall.

dann bin ich in der Tat froh, nicht mehr in Deutschland zu leben, denn laut Kanzlerin wäre ich ja fehl am Platz, weil ich das Menschenbild des aufklärerischen Humanismus – dessen ehemals stolze Tradition in deutschen Landen schon länger geschändet wird – bevorzuge.

Haben CDU/CSU so viel Angst vor einer neuen Partei rechts von ihr, dass sie sich immer wieder ganz weit in diese Richtung lehnen müssen? Vielleicht hat der Spiegelfechter ja recht, dass das völlig normal ist.

Ganz bestimmt hat er Recht damit, dass die Prämissen der Debatte falsch sind. Deutschland ist mittlerweile Auswanderungsland und wenig attraktiv für Ausländer. Kein Wunder, denn willkommen sein ist eine Grundvoraussetzung, über deren Fehlen man in Deutschland eher selten spricht.

Macht Schweden es besser? Ich finde ja, allein schon die Zahlen belegen das: Als ich hierher kam gab es eine halbe Million weniger Meschen im Land als heute (knapp 6% Zuwachs in 8 Jahren), Deutschland hat im gleichen Zeitraum 600.000 Menschen verloren. Laut hiesigen Statistiken tragen Einwanderer einen signifikanten Teil zur positiven wirtschaftlichen Entwicklung bei und federn diverse Probleme der alternden Bevölkerung (Rentensystem etc.) ab. Und die meisten politischen Parteien sind vollen Herzens für Einwanderung und diskutieren, was man selbst tun kann, damit Integration noch besser gelingt, anstatt populistische Forderungen an Einwanderer zu stellen. Das mag zur Folge haben, dass die immer vorhandene ausländerfeindliche Minderheit eine eigene Partei ins Parlament bringt, doch das ist immer noch besser als dass die große regierende “Volkspartei” die entsprechenden Ansichten vertritt.

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Kleine Wahlanalyse

Als die schwedische Wahlbehörde letzte Woche das amtliche Endergebnis der Wahl vom 19. September bekanntgab und die Kontrollauszählungen abgeschlossen waren, hatte sich im Vergleich zum vorläufigen Ergebnis wenig geändert. Die Zentrumspartei hat den Sozialdemokraten noch ein Mandat im Parlament abgeknöpft. Das bedeutet, dass die Vier-Parteien-Allianz von Premierminister Reinfeldt nur zwei anstatt der zunächst geglaubten drei Sitze von einer eigenen Mehrheit entfernt ist.

Bevor heute Nachmittag bekannt wird, wie die Verhandlungen zur Regierungbildung ausfielen und wie Fredrik Reinfeldt regieren will, ist es an der Zeit, das Wahlergebnis und dessen Bedeutung ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.

Moderate gegen Sozialdemokraten

Das Duell zwischen den das letzte Jahrhundert der schwedischen Politik dominierenden Sozialdemokraten (S) und der größten Partei des bürgerlichen Lagers, den Moderaten, haben letztere klar für sich entschieden und knapp vier Prozent im Vergleich zu 2006 hinzugewonnen, während (S) gut vier eingebüßt hat. Das ist nicht nur jeweils das historisch beste beziehungsweise schlechteste Wahlergebnis beider Parteien und das erste Mal, dass die Sozialdemokraten nicht mehr mit Abstand die größte Partei sind. Zusätzlich ist es ein Novum, dass eine bürgerliche Regierung in Schweden überhaupt wiedergewählt wird und ihren Vorsprung gegenüber Rot-Grün sogar vergrößern kann.

Was sind die Ursachen dafür? Wählerbefragungen zeigen, dass die Person Fredrik Reinfeldt sehr wichtig für die Entscheidung der bürgerlichen Wähler war, während (S)-Chefin Mona Sahlin keine so große Rolle spielte. Reinfeldt, der lange Zeit als wenig aufregend oder gar charismatisch galt, hat es also geschafft, das Amt auszufüllen und viele davon zu überzeugen, dass er ein guter Premier ist. Dazu mag auch die geglückte schwedische EU-Ratspräsidentschaft beigetragen haben und nicht zuletzt der Eindruck – gerechtfertigt oder nicht – dass die Finanz- und Wirtschaftskrise Schweden nicht so hart getroffen hat wie andere Länder und dass jetzt wieder Aufschwungszeiten anstehen.

Wie in vielen anderen Ländern ist die Altersstruktur auch in Schweden ein wichtiger Faktor bei Wahlen, denn ältere wählen eher konservativ als junge Menschen. 18-29-jährige machen 20% der Wahlberechtigten aus, die Gruppe 65+ ist ein Fünftel größer. Im Gegensatz zu zum Beispiel Deutschland ist die Aufteilung von Stadt und Land jedoch umgekehrt. Ländliche Gegenden im Norden sind Hochburgen der Sozialdemokraten und die Ballungsgebiete wählen eher bürgerlich.

Ein weiterer Grund für die Verluste der Sozialdemokratie ist laut Wählerbefragungen die Koalitionsaussage mit den Linken, die zum ersten Mal versucht wurde und sich als sehr unpopulär bei den Stammwählern von (S) erwies. Der linke Parteichef Lars Ohly ist für viele ein rotes Tuch und machte es der Mitte schwer, vom bürgerlichen Block zu Rot-Grün zu wechseln.

Vorrangig halte ich jedoch für ausschlaggebend, dass es Rot-Rot-Grün nicht gelungen ist, die ideologischen Unterschiede herauszustellen und ein positives Zukunftsbild von einer gerechteren, sozialeren Gesellschaft aufzuzeigen. Stattdessen wurden Details diskutiert, ein paar Prozent Steuern hier, eine Regeländerung in der Krankenversicherung da. Dies ließ die beiden Blöcke politisch recht nah beieinander erscheinen, trotz grundlegend anderer Sichtweisen bezüglich gesellschaftlicher und eigener Verantwortung.

Ob man die Koalition der vier bürgerlichen Parteien mit diesem Wahlergebnis als “Gewinner” sehen kann, ist jedoch fraglich. Einerseits ja, denn sie haben die rot-grüne Gegenseite klar geschlagen. Anderseits nein, denn sie haben ihre eigene Mehrheit im Parlament eingebüßt. Das ist dem Einzug einer neuen Partei in den Reichstag zu schulden: den Schwedendemokraten.

Von frustrierten, arbeitslosen Männern

Die Schwedendemokraten (SD) haben in den letzten Jahren stetig an Zustimmung gewonnen, vor allem im südlichen Schonen. Ihr Parteiprogramm kreist um die Begrenzung der Einwanderung nach Schweden und darum, die “schwedische Kultur” zu bewahren. Damit meinen sie, wie es sich für eine Partei mit Wurzeln in der rechtsextremen Szene gehört, das klassisch-romantische Schweden, das eigentlich nur noch in den Köpfen deutscher Touristen existiert; nicht das moderne, weltoffene Land, das sich wohlwollende Blicke und Vorbildcharakter in der restlichen Welt erarbeitet hat.

Wie der Einzug von (SD) in den Reichstag zu bewerten ist und wie man in den kommenden vier Jahren mit ihnen umgehen sollte, darüber scheiden sich die Geister. Gibt es wachsende Ausländerfeindlichkeit, gar Rassismus, in Schweden, oder sind die Stimmen für die Schwedendemokraten vor allem Protestwähler?

Die einen heben hervor, dass die Integrationsdebatte tatsächlich nicht offen genug geführt wurde und dass es selbstverständlich auch hierzulande Probleme zu lösen gibt (siehe dazu z.B. die Artikelserie Warten auf Schweden). Diese Sichtweise heißt zugeben, dass (SD) ein von den anderen Parteien vernachlässigtes Thema aufwirft und deshalb Erfolge verbucht. Hiergegen spricht einiges.

Zum einen wächst in Schweden die Zustimmung zu Einwanderung weiterhin stetig, von einer weitreichenden Wende zu mehr Ausländerfeindlichkeit keine Spur. Zum anderen findet man Antworten, wenn man sich die Gesellschaftsschichten anschaut, aus denen (SD) ihre Stimmen bekommt. Mit Abstand überrepräsentiert sind hier Männer, die staatliche Beihilfen beziehen – ironisch, wenn man bedenkt, dass (SD) üblicherweise mit Milchmädchenrechnungen zu den Kosten von Ausländern für den Sozialstaat hausieren geht.

Ich halte deshalb die These, dass (SD) vor allem von Proteststimmen derer profitierte, die sich als Verlierer im heutigen Schweden sehen, für richtiger. Dass effektiv nur zwei politische Blöcke mit diffusen Unterschieden zur Wahl standen, hat hierbei sicherlich geholfen. Doch selbst wenn dies der Fall ist und die Stimmen für die Schwedendemokraten nicht als wachsender Rassismus zu werten sind, ist das Resultat dasselbe, nämlich dass eine Partei mit offen rassistischem Programm im Parlament das Zünglein an der Waage ist, solange die beiden anderen Blöcke nicht aufbrechen. Letztere werden sich daran messen lassen müssen, ob sie sich für politische Entscheidungen von den Stimmen der Schwedendemokraten abhängig machen und ihnen auf diese Weise Einfluss geben, oder nicht.

Die Interpretation als Protestwähler ist hingegen wichtig, wenn man die Ursachen bekämpfen will. Hierbei kann man das Argument vertreten, dass die bürgerliche Allianz zumindest eine teilweise Schuld am Erfolg von (SD) trägt. Eine wirtschaftsliberale Politik, in der man den Abbau sozialer Sicherheiten als Eigenverantwortung verkauft und in der Solidarität zum Unwort wird, erzeugt mehr gesellschaftliche Verlierer und von ihrer Landesführung Frustrierte, die die Schwedendemokraten als einzige “echte Alternative” sehen, die ihnen auch gleich noch einen Sündenbock mitliefert.

Frauen und Freibeuter

Zwei weitere kleine Parteien hatten sich Hoffnung gemacht, die Vier-Prozent-Hürde zu nehmen und ins schwedische Parlament einzuziehen: die Piraten und die Feministische Initiative (Fi). Beide bekamen unter einem Prozent der Stimmen.

Die Piratenpartei litt darunter, dass alle ihre Themen in den Medien des letzten halben Jahres so gut wie keine Rolle spielten. Man kann, wenn man möchte, dahinter politisches Kalkül der Regierung sehen. Die Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung wurde auf nach der Wahl verschoben, ebenso die zweite Instanz des Gerichtsverfahrens gegen die Pirate Bay, das mittlerweile begonnen hat. Nichtsdestotrotz landen eingeschränkte bürgerliche Freiheiten und erhöhte Überwachung immer weit unten, wenn Wähler nach wichtigen Themen gefragt werden. Es ist den Piraten trotz anscheinend guter Organisation nicht gelungen, genug Leute davon zu überzeugen, dass ihre Themen wichtiger sind als die “klassischen” wie Arbeitsmarkt, Schulen oder das Gesundheitssystem, zu denen die Piraten keine Stellung beziehen.

(Fi) ist die Feministenpartei von Gudrun Schyman, ehemals Parteichefin der Linkspartei. Diese konnte zumindest in Schymans Heimkommune Simrishamn einen Erfolg verbuchen – als drittstärkste Partei mit vier Sitzen.

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Mehrsprachige Infos

Die Internetseite der Wahlbehörde ist der Platz für alle technischen und organisatorischen Fragen rund um die Wahl und dort wird auch das vorläufige Ergebnis veröffentlicht werden.

Prominent auf der Startseite verlinkt sind Broschüren mit dem Wichtigsten zur Wahl – in 25 Sprachen! Darunter natürlich auch Deutsch (PDF). Man bekommt schon immer wieder den Eindruck, dass Schweden seine Minderheiten und Einwanderer, die nicht notwendigerweise Schwedisch sprechen, nicht vergisst und aktiv versucht, sie am öffentlichen Geschehen zu beteiligen.

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Entdecke Schweden

Deutet man an, dass die Sitten von Einwanderern Probleme mit sich bringen, wird man schnell Rassist genannt. Aber natürlich müssen Kulturen infrage gestellt werden dürfen. Zumindest wenn wir es wagen, mit der eigenen anzufangen, schreibt Maciej Zaremba im abschließenden Artikel der Serie Warten auf Schweden .

Talal Eid erzählt, dass seine Arbeit “Muslime in Amerika” heißen sollte. Es wurde stattdessen “Amerikanische Muslime”. Warum der Unterschied? “Der 11. September”, sagt er. “Die Nachbarn fingen mich an zu beäugen, fragten sich, worauf ich hinaus wollte, auf welcher Seite ich stand. Das war nicht angenehm, aber verständlich. Damals hielten sich die Muslime Bostons unter ihresgleichen und nahmen nur selten und ungern an der großen Gesellschaft teil.”

Talal Eid ist Imam und Gründer des Islamic Center of New England. Bei unserem Treffen in Rinkeby^1^ erzählt er, wie tausende nach den Attentaten zu dem selben Schluss kamen – es ist nicht genug, eine tolerierte Randgruppe zu sein – will man Gleichstellung, darf einem nicht egal sein, was das Land beschäftigt. “Im Großen und Ganzen fiel die Zeit nach dem 11. September gut für uns aus. Mehr muslimische FBI-Agenten und andere Funktionäre. Wir waren dabei.”

Das ist wohl nicht übertrieben. 2006 kam der erste Muslim in den amerikanischen Kongress. Keith Ellison, so sein Name, erklärte, dass er seinen Eid auf den Koran ablegen wolle. Es gab Proteste, die jedoch schnell versiegten als klar wurde, dass er auf ein Exemplar des Koran schwören würde, das er aus der Kongressbibliothek ausleihen durfte: 1764 in London gedruckt, ein Jahr später von Thomas Jefferson gekauft. So baut man ein Volk…

Keith Ellison wurde von “Little Somalia” in Minneapolis in den Kongress gewählt. Die Hauptstraße dort heißt Snoose Boulevard, im Gedenken an die Schweden des vorvorletzten Jahrhunderts mit ihrem Snus^2^.

Man sagt, es sei kein Zufall, dass es so viele Einwanderer nach Minnesota zieht. Es läge etwas Skandinavisches und Voruteilsfreies über dem Bundestaat. Umso seltsamer, dass die Somalier so gut in Minnesota zurecht kommen und so schlecht in Schweden, wo sie es von allen Flüchtlingsgruppen am schwersten haben, Arbeit zu finden, und am ehesten im Verbrechensregister landen. Abdi Aynte, BBC-Journalist in Minneapolis, wundert sich selbst, wie gut seine Landsleute klarkommen, in Anbetracht der Schwierigkeiten, die ihre Kultur mit sich bringen kann.

Zum Beispiel finden viele, dass es eine Sünde ist, Geld zu leihen. Also verweigern sie Studienkredite. Trotzdem gibt es schon jetzt mehr Somalier als einheimische Schwarze an den Hochschulen. “Ein Rätsel”, lacht Aynte. Weniger lustig ist, dass andere es für sündhaft halten, Alkohol zu handhaben. Oder Hunde. Das wäre weniger ein Problem, wenn nicht fast alle Taxis der Stadt von Somaliern gefahren würden. Nach über 5000 Klagen von abgewiesenen Reisenden (darunter Sehgeschädigte mit Blindenhund) drohten die Behörden, den Frömmelnden die Taxi-Lizenz zu entziehen. (Eine Reihe Imame befand, die Berührungsangst habe keinerlei Grundlage im Koran.) Aber die Fahrer sahen das als Diskriminierung und gingen vor Gericht. Das wies die Klage ab: Alle dürfen ihre Religion frei ausüben, aber niemand ist gezwungen, Taxi zu fahren.

Das erzählt Abdi Aynte in einem Seminar in Rosenbad^3^. Eine handvoll Schwedensomalier lacht wissend. Aber meine in Schweden geborenen Landsleute runzeln die Stirn.

Nein, so freimütig reden wir in Schweden nicht über Kultur. Wenn man andeutet, dass Bräuche von Einwanderern Probleme bereiten, kann man von von irgendeinem halbstaatlichen Organ gebrandmarkt werden. Ist der Verstoß gering, kommt man mit “Kulturrassist” glimpflich davon. Wir erinnern uns, wie das R-Wort in der Debatte um Ehrenmorde hernieder prasselte.

Ich verstehe, wie es dazu kam. Jahrzehntelang befand man alle Kulturen für der schwedischen unterlegen, bis einige Stigmatisierte der Sache überdrüssig wurden. Aber deren Lösung – den Begriff “Kultur” wie die Pest zu meiden, ist unakzeptabel.

Ich lese, dass schon verdächtig ist, wer “Zusammenprall von Kulturen” sagt, denn so reden nur die, die “diskriminieren” wollen. Das schrieb das Zentrum gegen Rassismus fest, eine Organisation, die vier Jahre lang staatlich finanziert war (bis Nyamko Sabuni 2007 den Geldhahn zudrehte).

So wie viele seltsame Ideen hat auch diese eine nachvollziehbare Geschichte. Als in Europa Rassenlehren strafbar wurden, veränderten die Xenophoben ihren Sprachgebrauch. Es hieß nicht mehr, dass Araber eine schlechtere Rasse waren, sondern dass ihre Kultur mit der französischen unvereinbar war. Unglücklicherweise kam gleichzeitig die postkoloniale Ideologie auf, die behaupten konnte, es sei “Kulturimperialismus”, für Feminismus oder Liberalismus in Afrika zu plädieren. Und irgendwie landeten diese beiden Denkmuster in einer perversen gegenseitigen Umarmung. Ich habe französische Rassisten erklären gehört, dass es zum Schutz ihrer Kultur vor schädlichem europäischem Gedenkengut sei, wenn Front National Afrikaner aussperrt.

Selbstverständlich war es nötig, den Missbrauch von “Kultur” durch die Rechtsextremen zu durchdringen. Doch wiederum griff der historische Zufall ein. Die Berliner Mauer fiel, die Arbeiter der westlichen Welt verstanden sich nicht mehr als das Salz der Welt, eher als ihre immer schuldbewusstere Mittelschicht, weshalb dem Marxismus die Luft ausging. Dachte man.

Jemand sollte einmal beschreiben wie es vor sich ging, dass daraus “Antirassismus” wurde. “Einwanderer” mussten herhalten als sich das Proletariat nicht mehr aufstellen wollte. Uns wurde der Auftrag anvertraut, den Kapitalismus zu unterwandern. (Warum wird man eigentlich nie gefragt, welche Rolle man in der Apokalypse spielen will?)

Vereinfacht sieht das “antirassistische” Schema folgendermaßen aus: Das Kapital braucht gefügige Arbeitskraft. Einwanderer sind das beste Material. Indem man deutlich macht, wie “anders” sie sind, macht man sie extra abhängig, wodurch man sie leichter ausbeuten kann. Deshalb ist Rassismus im Interesse des Kapitals. Was wiederum erklärt, warum das (kapitalistische) Schweden per Definition von Rassismus durchsetzt sein muss und warum alle Reden vom Zusammenprall von Kulturen eine suspekte Agenda beinhalten. Kulturen gibt es, aber alle sind gleichwertig, dürfen nicht miteinander verglichen werden, noch weniger gegeneinander aufgewogen.

Ich übertreibe nicht. All dies kann man in der Integrationsuntersuchung (SOU 2005:41) nachlesen, geführt von Masoud Kamali, bestellt von Mona Sahlin^4^.

Wenn Ihr einen hauptberuflichen Antirasissten trefft, der diesen heilsbringenden Blick hat, kann es passieren, dass er mit Rassismus etwas anderes meint als im Wörterbuch steht. Vielleicht meint er “Kapitalismus”, oder den “Westen”, die “Moderne” oder einfach “die herrschende Ordnung”. Im schlimmsten Fall meint er tatsächlich “Demokratie”. So wird der Antirassismus in Schweden von Ideologen kompromittiert. Das sollte alarmieren, denn er wird tatsächlich gebraucht.

Zum Beispiel erklärt der Redakteur der “Kunskapsbanken” des Zentrum gegen Rassismus (CMR), dass ein Einwanderer kein Rassist sein kann. Der Begriff passt ausschließlich auf Schweden (die Mehrheitsgesellschaft). (Ich merke, dass die strikte Trennung von Einwanderern und Schweden von den Schwedendemokraten begrüßt werden dürfte.) Masoud Kamali sagt mir seinerseits, dass der Völkermord der Araber an den Schwarzen in Darfur nicht im Rahmen von Rassismus diskutiert werden dürfe, denn an dieser Plage ist allein der weiße Mann Schuld.

Ich erwähne das alles als Hintergrund dafür, warum die unumgängliche Diskussion darüber, was Integration ist, wer sich an wen anpassen soll und warum, beklagenswerterweise fast völlig ins Stocken gekommen ist. Oder schlimmer – sich in die Hinterzimmer zurückgezogen hat, wo die Schwedendemokraten rumhängen. Die “Antirassisten” haben uns nicht von ihren Theorien überzeugt, aber sie haben es geschafft, den Begriff “Kultur” zu stigmatisieren.

Am 14 Oktober 1956 sammelten sich 400.000 Menschen auf einem Feld vor der indischen Stadt Nagpur, um von ihrer Kultur Abschied zu nehmen. Sie verwarfen sie, gemeinsam und für immer, weil sie einsahen, dass sie sie ihrer Menschenwürde beraubte. Sie hatten versucht zu reformieren, hatten alles getan, argumentiert, demonstriert… Sie bekamen auch Recht vor dem Gesetz, aber was half das gegen tausendjährige Bräuche. Sie standen trotzdem weiterhin niedriger in den Augen der anderen. An diesem Tag entsagten sie also dem Hinduismus, dieser reichen Tradition mit Mahabarata und Bhagavad und allem drum und dran, einer Bilderwelt und Literatur, die zweitausend Jahre die ihre war, aber die sich als unmöglich erwies, sie mit einem Leben in Würde zu vereinen.

So begab es sich, als die Unberührbaren zum Buddhismus konvertierten, um das Kastenwesen aus ihren Seelen zu vertreiben.

Wenn man sich das Recht nimmt, die Qualität einer Kultur zu diskutieren (gemessen an den Chancen der Menschen auf ein würdiges Leben) wird die Geschichte unverständlich. Als eine Million Schweden aus dem Land flohen, war es nicht nur die Armut, es war auch die erdrückend gewordene Einheitskultur.

Eine Kultur kann versteifen, kann zum teilweise Behinderten werden und Krankengymnastik brauchen. Sie kann mehr oder weniger verschlossen sein, sich selbst zu Ignoranz oder Selbstlügen verurteilen, Einbildung und Berührungsängste wachsen lassen, sich in leeren Gesten festfahren, oder in Opfermythen. Sie kann manipuliert werden, um eine verrottete Ordnung aufrecht zu erhalten. (“Sollte der Schleier in der arabischen Welt einer echten demokratischen Entscheidung unterworfen werden, würde er ohne weiteres fallen”, schrieb der Poet Adonis vor kurzem.)

Man muss also die Kultur von anderen kritisch diskutieren können, mit Distanz und ein wenig Humor. Das ist überhaupt nicht gefährlich oder rassistisch. Unter einer Voraussetzung: dass wir unsere eigene Kultur der gleichen Behandlung aussetzen.

Darauf will ich hinaus. Dass auch Schweden eine Kultur haben, genauso wie die Jemeniten. Das ist nichts Neues für den Mitbürger, dürfte es aber für die Mehrheit unserer Politiker und Integrationsexperten sein. Liest man deren Werke, wird einem etwas Erstaunliches klar: Es sind nur die anderen, die eine “Kultur” haben. Franzosen haben eine und Muslime. Wir nicht. Kultur stellt sich dort als etwas Unmodernes und Unreifes dar, dem Schweden entwachsen ist, so wie man Kinderkrankheiten entwächst. Mithilfe der Vernunft haben wir uns von allem Unfug befreit und sind nunmehr normal, wenn wir nicht sogar “das Normale” sind.

Natürlich ist das eine Art Ethnozentrismus, aber ein besonders giftiger, denn im Gegensatz zum deutschen oder französischen ist der schwedische seiner selbst nicht bewusst, sondern selbstverständlich.

Nirgends wird das so deutlich wie in den SFI^5^-Büchern. Die meisten Schweden empfinden das Jante-Gesetz^6^ wohl als eine Behinderung und Hindernis für Lebensfreude und Kreativität. In den SFI-Büchern wird es dagegen gelehrt als sei es Teil der UNO-Charta. Die angemessene Antwort, wenn jemand deinen Text lobt, den du selbst für brillant hälst, soll sein: “Na ja, er war wohl so so. Ich bin nicht zufrieden mit der Diskussion am Schluss.”

In Schwedischkursen für Ärzte im Ausland werden auch schwedische Bräuche unterrichtet, aber mit Distanz. Da kann ein Arzt sagen: “In Schweden solltest du dich nicht so direkt ausdrücken, wie du es gewohnt bist, weil die Leute sonst glauben, du hättest psychische Probleme. Du musst es geschickt verpacken. Es sei denn der Patient ist Finne, natürlich.”

Wenn es nach dem SFI-Buch geht, sollen wir folgenden Satz üben, als sei es die einzig zivilisierte Art sich auszudrücken: “Ich kann vielleicht ein wenig fühlen, dass du manchmal mehr Lesen üben bräuchtest.”

Ich kann dem Leser auch nicht dieses Rezept für eine geglückte Konversation während einer Kaffeepause vorenthalten:
“Was für ein Wetter!” (Das kann sowohl gutes als auch schlechtes Wetter bedeuten, je nach Betonung und Wetter)
“Wie warm es geworden ist.”
“Oh, was war das ein Wind gestern Abend!”
“Hast du gehört, wie das Wetter am Wochenende werden soll?”

Ja, natürlich reden wir so… Aber kaum weil wir einer Art Universalregel gehorchen (“Respekt vor dem Privatleben anderer”, behauptet das Lehrbuch), sondern wegen der nordischen Ängstlichkeit.

Dieser Mangel an Selbstdistanz wäre belustigend, hätte er nicht so ernste Konsequenzen. Das Unvermögen, das Exotische an der eigenen Kultur zu sehen, die man als supermodern wahrnimmt, bringt es mit sich, dass man automatisch das der anderen beklagt. Jemand, der in der Kaffeepause Sterbehilfe diskutieren will, ist nicht nur anders, er ist sozial inkompetent. Jemand, der an Gott glaubt, kann nicht gleichzeitig so rational sein wie wir. Und so weiter.

Zurück zu unseren somalischen Flüchtlingen, die so gut in Minnesota zurecht kommen und so schlecht in Örebro und Rinkeby. Ein paar Vergleiche: Es gibt über 800 “somalische” Firmen allein in Minneapolis, gegenüber 38 in ganz Schweden, erklärt der Wirtschaftshistoriker Benny Carlson, der auf diesem Gebiet forscht. Jeder zweite Somalier in Minnesota hat Arbeit, knapp jeder vierte in Schweden. Wie wäre es, wenn wir versuchten, diesen Unterschied nicht mit der somalischen, sondern mit der schwedischen Kultur zu erklären?

Frau Arisa floh vor dem Krieg in Somalia durch gesperrte Wege in Kenia, dann via Jemen, Syrien, Libyen und Italien nach Schweden. (Ich möchte den Reiseführer sehen, der diese Route mit drei Kleinkindern im Gepäck wiederholt.) Aber als Frau Arisa in Schweden landete, fragte keiner nach ihren Talenten, die sie hierher gebracht haben. Keiner fragte, was sie kann (sie war Schneiderin) oder was sie wollte. Was man sah war eine hilflose und unterdrückte Frau (Schleier!), die eine lange Eingewöhnungszeit braucht, bevor sie ihre ersten Schritte in Schweden machen kann. Und so kochte man ihr eine dicke Suppe aus Fürsorgemaßnahmen, die Frau Arisa entmündigten und ihre Söhne auf den Weg in die Putzkolonne brachte.

Adbullahi Aress erzählt dies und hat dazu eine Theorie. Als die Somalier nach Schweden kamen waren sie das Schwarzeste und fremdeste, das man je zu Gesicht bekommen hatte. Und weil man umso mehr Mitleid mit jemandem haben muss, je mehr er sich von uns unterscheidet, hat man sich mehr um sie gekümmert als um andere. “Wir wurden Geiseln des Systems”, sagt Aress. Er selbst kam durch, indem er vor den Integrierern floh, nach deren Willen er sich nicht um Arbeit hätte kümmern sollen, bevor er nicht alle Kurse zu Ende gebracht hatte, die man für ihn ausgesucht hatte. Heute ist er Forscher bei Sida^7^.

Ich frage wie es mit Frau Arisa weiterging. “Sie wohnt mittlerweile in England.”

Dort lebt heute auch Mohammed Issa, der 1998 als Beweis für unsere Offenheit herumgereicht wurde (als erster Somalier in der Kommunalverwaltung), der aber zehn Jahre lang keine Arbeit in Schonen fand. In Sheffield dauerte es drei Monate. Auch Ali Hassan wohnt jetzt in Sheffield, bekommen wir in “Konflikt” auf P1^8^ zu hören. Er ging auf Nummer sicher und lernte einen garantierten Mangelberuf (Krankenpfleger), aber bei jeder Bewerbung stellte sich heraus, dass es schon genug Personal gab.

Dann muss es in den zuständigen Regionalverwaltungen doch Rassenvorurteile geben? Aber was, wenn die Kritik hier nicht standhält? Mag sein, dass sie nie zu sehen bekamen, wie schwarz er war, dass der Name genug war. Stattdessen können wir die These untersuchen, ob Hassan vielleicht aus dem gleichen Grund ohne Arbeit blieb, aus dem Lars (Nachname: Stjernkvist) Direktor der Integrationsbehörde wurde. Ohne Zweifel eine respektable Persönlichkeit, allerdings ohne Kompetenz für den Auftrag (was er bald selbst einsah). Er hatte weder Erfahrung in den Sachfragen noch innerhalb staatlicher Verwaltung. Es muss hunderte besser geeignete, manche dunkelhäutige Dozenten in einem passenden Themengebiet gegeben haben. Oder zumindest erfahrene Beamte. Warum wurden sie alle zugunsten eines Lars übergangen?

Erlaubt mir zu spekulieren. Weil er über die gleichen Witze wie wir anderen lachen würde, keine unbegründete Meinung äußern, nicht gestikulieren oder sich auf Bücher beziehen, die wir nicht gelesen haben, nicht unterbrechen, gleich verstehen was damit gemeint ist, dass Olsson “ein wenig speziell” ist. Er war eine Person, mit der man sich geborgen fühlt. Mit der keine Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit auftreten würden. Selbstverständlich würde ein dunkelhäutiger Dozent mit denselben Eigenschaften ebenso infrage kommen. Das Problem ist, dass es keine solchen gibt.

Entschuldigt die Karikatur. Meine Absicht ist aufrichtig. Man darf Leute nicht als Rassisten abstempeln, wenn sie nur auf Geborgenheit aus sind. Dass das Resultat dasselbe sein kann, steht auf einem anderen Blatt.

Vor einiger Zeit fragte sich die Staatswissenschaftlerin Isabell Schierenbeck, warum in Israel, das in den 90ern eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat (viele aus Afrika, die meisten nicht einmal Juden), diese in gleichem Maß Arbeit haben wie Einheimische, während der Unterschied bei der Beschäftigung in Schweden 17 Prozent beträgt. Sie fand einen entscheidenden Unterschied in der Behandlung. Weder die israelischen noch die schwedischen “Graswurzelbürokraten” – die, die Neuankömmlinge treffen – waren vorurteilsfrei. Aber in Schweden konnten die Vorurteile auf die Machtausübung durchschlagen. Warum? Weil der schwedische Funktionär beurteilen durfte, was der Flüchtling brauchte. Er hatte das Recht “zu helfen”. Der israelische hatte diese Möglichkeit nicht. Er verteilte lediglich das, worauf die Leute Anrecht hatten.

Ich glaube diese Reportage hat gezeigt, dass es viele und starke Vorurteile schwedischer Bürokraten gegenüber Auswärtigen gibt, aber dass sie keineswegs von Rasse handeln. Wir können auch nicht wissen, ob die Vorurteile tief sitzen, oder ob sie täglich in den ungleichen Treffen neu geboren werden, zu denen beide Seiten gezwungen sind.

Es gibt Rassisten, aber sie sind wenige und zu scheu, das Debakel der Integration zu erklären. Rassismus meint es außerdem nicht gut. Das taten die Beamten in Botkyrka. Kurden kommen aus einer Herdenkultur, dachten sie sich. Lasst uns ihnen helfen, Ziegen zu züchten! Man startete ein Projekt, beantragte EU-Gelder, fand geeignetes Land, diskutierte Zäune mit Gunnebo und Maschinen mit Alfa Laval (Ziegenkäse!) und stellte ein Budget auf. Dann ging alles irgendwie den Bach runter.

Ich frage den Projektleiter wie viele Ziegenzüchter enttäuscht waren, als es nicht zustande kam. “Ziegenzüchter?” Die wollte man erst suchen, wenn das Projekt sicher war.

Ich rufe ein paar Integrationsstellen an. Wäre es möglich, frage ich, all die Information zu gesunder Ernährung, die Einführungen, Ausflüge zu IKEA und den SFI-Kurs, ja sogar alle Beihilfen abzulehnen und stattdessen die 189.400 Kronen, die Sie für mich vom Staat bekommen haben, ausgezahlt zu bekommen? Hier und jetzt? Wenn ich verspreche, dass Sie nie wieder von mir hören? Nein, das geht nicht. Nicht einmal als Kredit? Nein.

In den 40ern debattierte man bei den Sozialdemokraten, wie die Beihilfen für Bedürftige aussehen sollten. Alva Myrdal wollte sie in Naturalien geben. Arme sollten Seife, Kleidung und Vitamine nach Bedarfsprüfung zugeteilt bekommen. Geld konnten sie keins bekommen – weil man ihnen nicht zutraute, die eigenen Bedürfnisse zu beurteilen. Das Modell wurde von anderen Sozialdemokraten opponiert. Es sei stigmatisierend, fanden sie, außerdem bräuchte man eine riesige Bürokratie, um zu beurteilen, was jeder einzelne braucht.

Alva Myrdal verlor dieses Mal. Aber sie bekam ihre grausame Revanche. Ein Modell, das man in den 40ern als unzeitgemäß und stigmatisierend für Schweden ansah, wurde fünfzig Jahre später auf Flüchtlinge angewandt. Die schon an der Grenze ins Sozialhilfesystem eingeteilt werden. Ein System, geschaffen um Jeppe den Fixer durchzubringen, oder Karin mit den Kindern, die vom Vater allein gelassen wurden, und Torsten, dem die Arbeit auf die Nerven geht, wird auf völlig nüchterne Somalier und andere, die es nach Schweden verschlagen hat, angewendet. Und ein paar Jahrzehnte später wunderten sich die, die die Entscheidung getroffen hatten, sehr darüber, dass Svensson den Einwanderer nicht gleichgestellt betrachtet – und sie fingen an, mit Svensson wegen Rassismus zu schimpfen.

Ein Freund erzählt, wie er von Arbeitskollegen eingeladen wird auszugehen und zusammen “Blattar zu klopfen”^9^. “Solltet ihr nicht mich zuerst schlagen?” fragte er. “Ich bin doch so einer.” “Nein, zum Teufel, du bist doch kein Blatte. Du hast es doch geschafft.”

Frau Arisa heißt in Wirklichkeit anders.

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-15. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

Fußnoten:
^1^ Rinkeby ist ein Vorort im westlichen Stockholm mit hoher Einwanderdichte.

^2^ Snus?

^3^ Rosenbad ist das schwedische Regierungsgebäude in Stockholm. Mehr bei Wikipedia.

^4^Mona Sahlin ist Parteichefin der größten Partei Schwedens, der Sozialdemokraten.

^5^ SFI = Schwedisch für Einwanderer. Siehe dazu die bisherigen Artikel der Serie.

^6^ Das Jantelagen war schon Wort der Woche.

^7^ Sida ist die schwedische Behörde für Entwicklungshilfe.

^8^ P1 ist einer der Radiosender des öffentlich-rechtlichen Sveriges Radio. “Konflikt” ist ein in der Regel exzellent recherchiertes und ausführliches wöchentliches Programm, das sich mit einem aktuellen Brennpunkt befasst. Auf der Webseite findet man die Episoden auch als MP3 zum Herunterladen.

^9^Zu “Blatte” siehe Fußnote des dritten Artikels.

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Das Stockholmer Programm

Zur Zeit tagen die europäischen Justiz und Innen- bzw. Migrationsminister hier in Stockholm. Zur Diskussion steht das “Stockholmer Programm” mit unter anderem neuen, verbesserten Richtlinien für Flüchtlinge, die nicht in allen Mitgliedsländern gleich gut behandelt werden. Außerdem geht es um die Ausweitung der grenzüberschreitenden Polizeiarbeit und Sicherheitspolitik.

Vor allem zu letzterem wird einiges an Kritik laut. Es wird befürchtet, dass wieder einmal das Terrorismus-Argument herangezogen wird, um weitere Überwachungs- und Kontrollmechanismen einzuführen.

Und weil andere dies schon ausführlicher beleuchtet haben, hier nur noch ein paar Links zum weiterlesen: 1, 2, 3, 4, 5, 6

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Das Land in guten wie in schlechten Zeiten

Bald ist Schweden das einzige Land in Europa, das von neuen Mitbürgern nicht mehr verlangt, als dass sie nicht im Knast waren. Im fünften Teil der Serie Warten auf Schweden beleuchtet Maciej Zaremba, was ein Bürger seinem Land versprechen sollte.

Ein Gericht in Kanada hat das Handelsverbot an Sonntagen für diskriminierend befunden, weil es Juden und Muslime dazu zwingt, ihre Geschäfte an zwei Tagen der Woche geschlossen zu halten. Ich frage den Vorsitzenden der Schwedendemokraten, wie ihm dieses Urteil gefällt: Alle Geschäfte sollen einen Tag in der Woche geschlossen sein, aber nicht notwendigerweise am Sonntag.

Nein, das gefällt Jimmie Åkesson nicht. Er ist zwar selbst nicht gläubig, sondern eine “Mischung aus Agnostiker und gar nichts”. Aber sollte ein solches Problem in Schweden aufkommen, dann sollten sich alle nach den schwedischen Feiertagen richten.

In Ian Burumas Buchreportage “Mord in Amsterdam” treffen wir Aboutaleb Ahmed, den Gemeinderat, der in Holland für getrennten Schwimmunterricht für muslimische Mädchen kämpft. Ihm leuchtet nicht ein, wie es die Grundfesten der Gesellschaft erschüttern soll, der Prüderie nachzugeben. Doch der gleiche Ahmed findet, dass Marokkaner, die holländisches Recht nicht befolgen wollen, nach Marokko zurückkehren sollten.

In ganz Europa wird diskutiert, was “die multikulturelle Gesellschaft” eigentlich bedeutet. Wer soll sich wem anpassen – und wie weit? Welche Zusammenstöße von Kulturen sind einfach nur bereichernd und welche bedrohen das friedliche Zusammenleben? Der Trend ist eindeutig, erfährt man aus Roger Brubakers Buch “Ethnizität ohne Gruppen”: Der Multikulturalismus, wie er jahrzehntelang die Politik beherrscht hat, hat seine Versprechen nicht eingelöst. Wo man sich ein farbenfrohen Mosaik erhofft hatte, wuchsen graue Ghettos. Wo man dachte, man bezeuge der Kultur der anderen Respekt, trug man zu ihrem Ausschluss aus der Gesellschaft bei. Das Recht zum Anderssein, ein schönes liberales Prinzip, konnte auch als Verbot dazuzugehören interpretiert werden.

Es ist paradox, dass in Deutschland, wo es keine “Integrationspolitik” gibt, die Arbeitslosigkeit bei Einwanderern halb so hoch ist wie im multikulturell führenden Holland. In der Bundesrepublik werden Einwanderer auch Gewerkschaftsmitglied, was anscheinend besseren Schutz gegen Diskriminierung bietet als alle holländischen Ombudsmänner zusammen.

Der Multikulturalismus machte es nicht leichter, Marokkaner in Amsterdam zu sein, aber schwerer, Holländer zu werden. Einige wurden sich ihrer grundlegenden Werte unsicher. Ist es feministisch, die Macht arabischer Väter über ihre Töchter zu beklagen, oder modrig, ethnozentrisch und wert, sich dafür zu schämen? Auch in Schweden gibt es heutzutage “antirassistische Feministen”, deren “anti” sich gegen die Feministen richtet, die anzudeuten gewagt haben, dass Ehrenmorde im Libanon mehr akzeptiert sind als in Norwegen.

Ich erzähle nichts Neues, sondern will auf Folgendes hinaus. Ich wünsche mir, dass Schweden den Fehler Hollands nicht wiederholt. Ich lese in Ian Burumas Buch, der Populist Pim Fortuyn wäre nie so groß geworden, wenn die Stützen der Gesellschaft die Wähler nicht zu ihm getrieben hätten, indem sie den Begriff “Rassismus” gegen die anständigsten Kritiker des Multikulturalismus missbrauchten (darunter der Soziologe Paul Scheffer, dessen “Het multiculturele drama” davor warnte, dass die Politik Armut zum Dauerzustand macht). Die Folge war eine ordentliche Gegenreaktion. Die Populisten bekamen die öffentliche Meinung hinter sich. Heute werden im liberalen Holland offen diskriminierende Gesetze verabschiedet.

Ich finde meine Staatsbürgerschaftsbescheinigung nicht mehr. Muss sie verloren haben, im Zorn, gleich als sie ankam. Es war ein Massenausdruck, Modell 70er-Jahre. Ich glaube mich zu erinnern, dass die perforierte Kante noch dran war. Und ich Idiot hatte erwartet, ins Stadthaus geladen zu werden, Händeschütteln, eine Blume vielleicht, ein Minimum an Zeremonie. Stattdessen finde ich die Urkunde, dass ich 1969 zum Beamten bei der Post “verordnet” wurde. Briefträger also. Das steht auf Urkundenpapier mit Unterschrift und Stempel.

Bald ist Schweden das einzige Land in Europa, das von neuen Mitbürgern nicht mehr verlangt, als dass sie nicht im Knast waren. Oder besser gesagt: das sich nicht mehr von ihnen erwartet. Man kann Schwede werden, ohne zu wissen, was das Wort “Medborgare” bedeutet, ob wir mit oder vielleicht gegen Hitler gekämpft haben, oder mit welchen Werkzeugen wir Homosexuelle hinrichten. Die offizielle Erklärung ist, dass sich neue Mitbürger auf diese Weise zugehöriger fühlen. Andere halten es für Gleichgültigkeit, notdürftig als Rücksicht verpackt. Ich gehöre zu letzteren. Schulterzucken hat mich noch nie willkommen fühlen lassen.

Es ist ein wenig paradox von einem Land, das Meistern seiner exotischen Sitten (du sollst immer Hände schütteln, aber nicht auf der Arbeit) zu erwarten, sich aber nicht darum zu scheren, ob der Mensch die Sprache spricht, in der dieselben Sitten vermittelt werden. (Versteht mich nicht falsch. Das Recht auf Asyl kann nicht an Sprachfertigkeiten geknüpft werden. Also soll man Bürger werden können, ohne Schwedisch zu sprechen. In einigen Fällen, wie dem 59-jährigen Ambro aus einem früheren Artikel, ist das unvermeidlich. Aber es kann nicht der wünschenswerte Regelfall sein.)

In den USA, in Kanada, Großbritannien und anderen Ländern müssen sich neue Mitbürger aktiv der Gemeinschaft anschließen: eine Ahnung davon haben, wie das Land regiert wird, und das Modell gut finden. Die Form variiert, vom Zeugnis, dass man einen Kurs besucht hat, bis zu regelrechten Examen und Anwesenheitspflicht bei der Zeremonie. Es ist interessant, was laut dem britischen Test das Allerbritischste ist. Ich stelle die Frage ein paar Bekannten, alle raten falsch. “Britain is a country where people of many different cultures and faiths live. What brings British people together is …” (hier glauben die meisten, dass etwas zur Sprache, der Geschichte oder der Königin kommt) â€?... that they listen to different points of view, they have respect for equal rights and they believe that community is important.â€?

Seit September gilt auch in Deutschland ein Einbürgerungstest. Nach vielen Kontroversen blieben nur Fragen übrig, wie das Land und die EU regiert werden, dazu moderne Geschichte und ein wenig Tradition. Ich kann fast kein Deutsch, aber habe den Test problemlos geschafft. Es ist nicht schwer, die richtige Antwort aus den gegebenen auszuwählen: “Pfingsten ist ein… 1. christlicher Feiertag. 2. deutscher Gedenktag. 3. internationaler Trauertag. 4. bayerischer Brauch.” Oder: “Was ist ein deutsches Gesetz? 1. Man darf auf der Straße nicht rauchen. 2. Frauen müssen Röcke tragen. 3. Man darf Kinder nicht schlagen. 4. Frauen dürfen keinen Alkohol trinken.” Nur um die leichtesten zu nennen.

“Ich habe deutsche Freunde getestet. Mehrere haben den Test nicht bestanden”, sagt Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Er hat haufenweise Kritik daran, wie Deutschland seine Einwanderer behandelt. “Die Bedingungen für die Staatsangehörigkeit werden ständig verschärft. Damit wir uns nicht willkommen fühlen?” Aber er will den Test nicht verwerfen. “Wenn die Regierung will, dass die Deutsch-Türken bessere Deutsche werden als sie selbst, ist das in Ordnung für mich.” Ich frage ihn, was ich tun müsste, damit er mich als Landsmann ansehe. “Lerne Deutsch”, sagt er, “wir müssen uns ja verstehen.” Soll ich nicht büffeln, wie Hitler an die Macht kam? “Das musst du wissen. Aber ich glaube das kommt mit der Sprache.”

Fatma Erdem, zwanzig Jahre jünger als Kolat, schneidet Grimassen, als der Test zur Sprache kommt. Sie ist selbst Ratgeber in Bürgerschaftsfragen, kam mit elf Jahren aus der Türkei nach Berlin und hält den Test für einen Filter, der Leute mit geringer Bildung außen vor halten soll. Am meisten regen sie die Fragen über den Krieg auf. “Was hat Geschichte mit der Staatsangehörigkeit zu tun?” Doch, sage ich, deutsche Geschichte… Sie unterbricht mich. “Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft. Warum soll gerade die deutsche Geschichte mich formen?”

Nach dieser Replik höre ich nicht mehr, was sie sagt, zu viele Fragen hat sie in Gang gesetzt. Ist Fatmas Gleichgültigkeit gegenüber der deutschen Geschichte nur eine Frage zwischen ihr und Deutschland – oder können auch Nicht-Deutsche eine Meinung dazu haben? Welche Verantwortung haben neue Mitbürger dabei, die alte Geschichte zu verwalten? Fatma ist schließlich genauso wenig Schuld am Dritten Reich wie gleichaltrige Deutsche, aber letztere sind zum ständigen Umgang mit dieser Plage gezwungen. Kommt sie darum herum – mit der Begründung, dass sie nicht von einer Deutschen geboren wurde? Doch dann sind wir wieder dabei, Verpflichtungen (und vielleicht Rechte) an die Blutlinie zu knüpfen.

Man sagt, das mangelnde Interesse Deutschlands daran, aus seinen Türken Mitbürger zu machen, komme daher, dass Deutsche nicht verstehen, warum sich jemand freiwillig zum Deutschen machen will. Mit all dem, was zu diese Zugehörigkeit mit sich bringt. Fatma findet jedoch, dass deren Trauma nicht ihr Problem ist. Sollen die Deutschen über diese Nachricht jubeln – oder sollen sie erschrecken? Eins ist sicher: Ihre Vorstellung vom Deutschsein deckt sich nicht mit der Fatmas.

Ich denke an die postkolonialen Ideologen, die wie der schwedische Integrationsforscher Masoud Kamali der Meinung sind, dass alle Europäer eine gigantische Schuld geerbt haben: Es waren Kolonialismus und Sklavenhandel, die den Wohlstand der Weißen aufgebaut haben, Schweden inklusive. Aber wenn er jetzt selbst Europäer geworden ist und diesen Wohlstand genießt – wird er dann mitschuldig? Oder kann man als Bürger und Ideologe eine Haltung jenseits aller schuldenbeladenen Gesellschaften und aller Forderungen einnehmen? Ich stelle die Frage, weil ich die Antwort nicht weiß.

Wenn der Leser jetzt meint, es rieche nach Metaphysik, dann will ich versichern, dass das Problem keineswegs ein theoretisches ist. Es ist praktisch und hochaktuell, denn Millionen Menschen plagen sich damit: Wofür stehen die Nationalstaaten in der globalisierten Welt, wozu verpflichten sie einen? Was darf man verlangen, was muss man im Namen der Toleranz aushalten? Bleibt sie unbeantwortet und wird abgetan, kann diese Frage leicht zu einer Wunde werden, in die Fremdenhasser ständig Salz streuen können.

Kann man Schwede sein, wenn es einem passt? In guten Zeiten dabei sein und sich in schlechten wegducken? Für den, der seit drei Generationen Svensson heißt, klingt das zu Recht idiotisch. Er hat schließlich keine Wahl. Aber die, die mehrere Zugehörigkeiten mitbringen, kennen die Versuchung: sich bei Gegenwind herauszuwinden. “Wir sind die besten!”, wenn Schweden gewinnt, aber “Pfui Teufel, was sind die schlecht!”, wenn sie verlieren.

Der Philosoph Leszek Kolakowski fragt sich in einem brillanten Aufsatz, was eine Nation ist. Ein Verein freier Individuen wohl kaum, schließlich werden die meisten in eine gegebene Gemeinschaft hineingeboren, inklusive Sprache, Kultur und einer Geschichte aus Heldentaten und Verbrechen. Eine Nation ist eher eine Art moralische Einheit, eine Schicksalsgemeinschaft. Man erbt die Schränke und Gemälde der Vorväter – aber auch ihre Schulden. Kann man sagen: Ich nehme den Hausrat – aber nicht die Schulden? Nein, bei Erbschaftsfragen gilt alles oder nichts.

So verhält es sich auch bei der historischen Verantwortung, argumentiert Kolakowski. Zwar kann kein Fremder von heutigen Deutschen verlangen, dass sie von der Schuld nach Hitler beschwert werden. Aber zum Zwecke ihrer geistigen Gesundheit sollen Deutsche (genau wie alle anderen) eine besondere Verantwortung für das empfinden, was im Namen dieser Nation verbrochen wurde.

Was passiert, wenn man sich weigert? Muss sich das türkische Mädchen in Berlin zwischen der deutschen und der türkischen Schuld entscheiden? Oder, schrecklicher Gedanke, erbt sie gar beide? Sollte es unmöglich sein, sich außerhalb der Spukschlösser der Geschichte zu stellen? “Mich gehen weder eure Leistungen noch eure Verbrechen an, ich bin kein Teil irgendeines Schicksals, ich bin nur mir selbst Rechenschaft schuldig.” Sicherlich kann man das sagen, meint der Philosoph, aber wenn man es auch denkt, dann betrügt man sich selbst. Denn wer alle Gemeinschaft aufgekündigt hat, hat auch seinen Anspruch auf Solidarität aufgegeben. Wenn er einmal in Not gerät, hat er von anderen nichts zu verlangen. “Unsere Gleichgültigkeit wird mit Gleichgültigkeit vergolten werden und wir dürfen nicht klagen.”

Nyamko Sabuni meinte einmal, dass “Integration” im Herzen stattfindet. Wenn man aufhört, “die” zu denken, und mit “wir” anfängt. Ich teile diese Erfahrung. Deshalb sollten wir uns fragen, ob dieser Prozess durch unseren noblen Respekt vor der Vielfalt, der sich zuvorderst darin äußert, Leute ständig daran zu erinnern, wie wenig sie dazugehören, erleichtert wird.

Vor ein paar Jahren musste eine Hochschule ihre Vielfalt beweisen. Man machte Inventur und siehe da – man entdeckte ein paar Individuen, von denen man nicht im Traum gedacht hätte, dass sie einen im Ausland geborenen Elternteil hatten. Einwanderer! Die Rektoren waren glücklich, die Statistik gerettet, die Gelder gesichert. Nur dass der ein oder andere Lehrer mit einem neuen und nicht ganz behaglichen Gefühl in der Magengegend nach Hause ging.

Vielleicht kann man nicht alles gleichzeitig haben: einverleibt und in seiner Eigenheit wahrgenommen zu werden. Nichts illustriert das besser als die Geschichte von Akilah. In Schweden, wohin er zunächst kam, fragte man interessiert wo er her kam, lobte sein Schwedisch und bemühte sich, seinen Namen richtig auszusprechen. Er wusste das zu schätzen. Als er dann in die USA zog, fragte niemand nach irgendetwas und man nannte ihn Al. “Excuse me, my name is Akilah.” “C’mon Al, you’re American now!”, war die Antwort, gefolgt von einem kräftigen Klaps auf den Rücken. Akilah (oder Al) hat wirklich ein Problem. Er findet, er hat ein Recht auf seinen Namen. Andererseits wurde er in Schweden nie Schwede genannt. Oder auf den Rücken geklopft.

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-12. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

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Wem gehört die Flagge?

“Bin ich Schwede?” fragt Maciej Zaremba den Parteichef der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, als sie sich treffen. “Das weiß ich nicht, ich treffe dich zum ersten Mal”, antwortet dieser. Was meint er damit? Im vierten Teil der Artikelserie Warten auf Schweden versucht Maciej Zaremba, die Angst vor den Fremden zu verstehen und trifft auf die Trauer um das verlorene Folkhemmet^1^.

Die Kirche in Rinkeby steht meistens leer, die Moschee ist überfüllt. Aber nur erstere ist auf der Karte der Gemeinde eingezeichnet. Ich stelle mich mit einer jüdischen Kippa auf dem Kopf vor die Moschee, man sagt schließlich es sei unbehaglich für einen Israeli, sich in diesen Vierteln aufzuhalten. Stunden vergehen, Menschen gehen ein und aus, nichts passiert. Ich gehe weiter nach Tensta. Endlich, an der Bar kommt die Frage: “Was hast du auf dem Kopf?” Mir bleibt keine Zeit zu antworten bevor eine Stimme hinter mir “Symbol! Er ist Jude!” ruft. Zu der Stimme gehören breite Schultern, eine schwarze Lederjacke und ein schiefes Lächeln. “Du, ich bin zwar Moslem, aber wir sind wie Juden! Wir hassen auch Araber!”

Tun wir? Er ist irakischer Kurde. “Das Land, das es nicht gibt. Araber haben mein Land zerstört!” Aber jetzt, sage ich schnell, um das Thema Araber zu beenden, jetzt scheint ihr doch ein Kurdistan im Norden des Iraks zu bekommen. “Du”, sagt er, “jetzt sind es die Kurden, die sich selbst ihr Land kaputt machen. Zwei Banden mit Banditen, die um die Macht kämpfen. Pfui Teufel! Soll ich ehrlich sein? Soll ich?” Er sieht sich um, senkt die Stimme und beugt sich vor: “Du, wenn es Krieg gibt, kämpfe ich für Schweden. Viel besseres Land.”

Auf welche Stufe der Integrationstreppe sollen wir diesen Kejal stellen? Laut Integrationsministerin Nyamko Sabuni ist die Frage falsch gestellt. Nicht wir haben die Macht zum Beurteilen, findet sie und sagt “Integriert ist man wenn man ‘Ja, ich will leben, ich will sterben im Norden’^2^ sagt – nicht im Kongo – und wenn man das auch wirklich meint.”

Keine schlechte Antwort, denke ich mir. Dieses Gefühl setzt voraus, dass man die Bräuche des Landes mag und wie Kejal bereit ist, für sie einzutreten. Was kann man mehr verlangen?

Jimmie Åkesson verlangt viel mehr. Nach dem Programm der Schwedendemokraten soll die Staatsbürgerschaft im Prinzip ein Privileg für Schweden sein. Und “Schwede ist der, der sich selbst als Schwede sieht und von anderen als solcher wahrgenommen wird”. Ich fahre nach Kristianstad, um herauszufinden was das bedeutet.

“Man muss schwedische Werte haben”, sagt Åkesson. “Man braucht unsere Sichtweise auf Demokratie und Gleichberechtigung – nein, das war falsch – auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Und wie wir uns um Tiere kümmern.”

Reicht das? “Nein, dazu kommt noch die Kombination aus Körpersprache und solchen Dingen. Dass man pünktlich ist und sich in die Schlange stellt, zum Beispiel.” Und dann die Äußerlichkeiten. “Eine Frau mit Kopftuch, die einem nicht die Hand gibt, kann keine Schwedin sein”, sagt er, “auch kein Sikh mit Turban”.

Die Schwedendemokraten haben eine Kulturtheorie. Menschen geht es am besten unter ihresgleichen. Ein hoher Grad an ethnischer und kultureller Gleichheit ist Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft. (Deshalb war es ein Fehler, die Staatskirche abzuschaffen.) Also hat jede Kultur das Recht, ihre “ursprüngliche” Eigenheit zu beschützen. Hier bedienen sich die Schwedendemokraten beim Weltnaturschutzbund: Jede Kultur muss wie eine bedrohte Art bewahrt werden, der Vielfalt zuliebe. Bewahrt wird, indem man Vermischung mit anderen vermeidet. Deshalb sollte jede Kultur in einem eigenen Staat wohnen. Ein Volk, eine Nation, ein Staat.

Ich verstehe, dass vor diesem Hintergrund die ethnische Säuberung auf dem Balkan ein Fortschritt für die Vielfalt der Kulturen war, auch wenn ein paar Leute bei dem Coup heimatlos wurden. Deshalb frage ich den Parteichef nach der Zigeunerkultur. Schließlich ist diese auch eine Kultur, oder? Ja, ist sie. Und unvereinbar mit der schwedischen sei sie. Und sie soll bewahrt werden, der Vielfalt zuliebe? “Ja, genau so wie alle anderen Kulturen.” Wo denn? Da weiß Åkesson keine rechte Antwort darauf, welchen Landstrich die Roma für sich beanspruchen. Vielleicht weiß ich es besser? Aber solange sie in Schweden wohnen sollen sie wie Schweden werden.

Wie muss man werden, um “von anderen als Schwede wahrgenommen” zu werden? Bin ich für dich Schwede? frage ich Åkesson. “Das könntest du sein.” Könntest? “Ich weiß es nicht, ich treffe dich zum ersten Mal… eine tiefere Analyse ist auf die Schnelle schwer. Ich helfe ihm ein wenig: Ich habe zehn Jahre länger als du in Schweden gelebt und kann die Kultur wahrscheinlich ein wenig besser, weil es mein Beruf ist. Schwede?

“Ich kann das nicht beurteilen”, sagt Åkesson, “weil es nicht selbstverständlich ist, mit welcher Kultur du dich identifizierst. Ich nehme an du kommst aus einem anderen Land.” Dann erklärt er, warum man als Schwede kein Durcheinander bei der Zugehörigkeit haben kann. Man hat sich hauptsächlich schwedisch zu fühlen, nichts anderes nebenher.

Deshalb bin ich schließlich als zweifelhaft einzuordnen, zusammen mit Cornelis Vreeswijk, Nyamko Sabuni und Zlatan Ibrahimovic^3^, zu dem es laut Åkresson so manche offene Frage gibt. Zlatan ist nicht in Schweden geboren. Er gibt sich individualistisch; das ist unschwedisch. Er hat gesagt, dass er für Bosnien spielen will! Und Jackie Arklöv^3^? “Ohne Zweifel Schwede. Er ist ja schwedisch erzogen worden und kennt keine andere Kultur neben der schwedischen.

Aha. Für Åkesson ist das “Schwedentum” eine warme Wertegemeinschaft, die dafür sorgt, dass man versteht und sich untereinander wohl fühlt. Und er empfindet dies offenbar mit Jackie Arklöv, aber nicht mit Vreeswijk, Sabuni oder mir. Ob er versteht, was er da sagt? Ich mache einen letzten Anlauf. Er hat gesagt, dass er Laila Freivalds als schwedisch wahrnimmt, obwohl sie aus Lettland eingewandert ist. Warum ist er dann nicht bereit, Nyamko Sabuni, die auch als Kind hierher kam, als genauso gute Mitbürgerin zu akzeptieren?

“Ich habe einfach keine Lust, das zu wollen.”

Das sagt er zwei Mal, es ist also kein Lapsus. Aber woher soll ich wissen, ob das Augenzwinkern den Rassisten oder den Folkhemmet-Nostalgikern gilt? Ist Sabunis Fehler, schwarz zu sein – oder vielleicht dass sie zu den Liberalen gehört – und so markant urban ist?

Das “Folkhemmet” ist für die Schwedendemokraten nämlich genauso positiv aufgeladen wie in den Leitartikeln des Dala-Demokraten. Und wenn man nachschaut, findet man kaum Unterschiede zwischen ihrem Programm und dem der Sozialdemokraten aus den dreißiger Jahren; abgesehen von Details wie einem Weltkrieg, 80 vergangenen Jahren und einer von Grund auf anderen Welt. Heutzutage muss man Leute ja von den Dingen überzeugen, die man diesmal nicht mit ins Parteiprogramm geschrieben hat, weil sie so selbstverständlich sind: Dass Schweden ein Volk mit dem selben Glauben, Bräuchen und Aussehen ist und gerade deswegen sind sie untereinander solidarisch. Und halten sich natürlich fern von Europa, das von unvernünftigen und fremden Elementen bevölkert wird.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig, ob der Mythos vom Folkhemmet wahr ist oder nicht. Er ist der einzige schwedische Mythos mit Wirkung. Und wer ihn geschickt ausnutzt zieht die Stimmen der Frustrierten an, egal ob sie von links oder rechts kommen. Falsch oder nicht, der Mythos sagt, dass es einmal ein Gemüt, eigentlich eine richtige Kultur, hier im Lande gab, die uns umeinander kümmern ließ, jeden sein Scherflein beitragen, nicht schmarotzen, die Obrigkeit respektieren, einander trauen, das Fahrrad unverschlossen abstellen… Dann passierte etwas, eine äußere Kraft (Ausländer laut Åkesson, Neoliberale laut einigen Sozialisten, jüdische Liberale laut den Antisemiten) kam und zerstörte alles.

Åkessons Partei sagt von sich, für Religionsfreiheit zu sein, warum also Moscheen verbieten? “Die stellen einen Fremdkörper im Stadtbild dar”, antwortet Åkesson. Er kann ganz kleine Moscheen gut heißen, solange sie rot sind und weiße Kanten haben. “Mal im Ernst, Jimmie”, sage ich, “schau mal aus dem Fenster und antworte nicht als Parteichef sondern als echter Schone. Hättest du nicht lieber eine schöne Moschee oder ein Taj Mahal vor den Augen anstatt dem hier?”

Seine Aussicht ist die schmutzig-graue Plattenfassade der Regionalverwaltung mit hunderten gleicher Gucklöcher, eine Kopie des Kronoberg-Gefängnisses.

“Nein”, antwortet Jimmie Åkesson, “das hier… damit ist man doch aufgewachsen, das fühlt sich eher schwedisch an.”

“Schweden braucht die Erlaubnis, um seinen Verlust zu trauern”, sagt Luis Abascal. Er erntete in den 90ern viel Lob als Stadtteil-Direktor im Einwanderervorort Kista, indem er Firmen mit einbezog. Innerhalb von fünf Jahren sanken die Sozialleistungen von 250 auf 70 Millionen und die Arbeitslosigkeit von 25 auf 3 Prozent.

Welchen Verlust? “Den Verlust den Schwedentums”, antwortet Abascal. Des Schwedentums, von dem der Mythos Folkhemmet handelt.

Als er 1974 nach Schweden kam gab es zwei Fernsehkanäle, drei Radiosender, eine Staatskirche, eine staatstragende Partei und zwei paar Unterhosen zur Auswahl bei Epa oder Tempo^4^. Im Bus sahen Schweden Gesichter wie aus dem Spiegel, der Staat kümmerte sich um das meiste, Politiker logen nur selten und Direktoren hatten keine neunstellige Rente.

Abascal meint, dass wir die enormen Veränderungen, die Schweden durch die Aufnahme großer Flüchtlingswellen mitgemacht hat, nicht wirklich verstehen. Wenn man bedenkt wie natürlich das Unbehagen am Fremden ist, dann muss man die Geduld und Großzügigkeit der Schweden bewundern. Er findet man solle zuhören, wenn jemand murrt, weil er ein Fremder im eigenen Land geworden ist. Vielleicht ist er ja einer der letzten Schweden im Vorort, der zwischen Waschküche und Supermarkt versucht, Brücken zwischen dem alten und dem neuen Schweden zu schlagen; und der vielleicht sogar ein Held ist. Aber weil er seine Frustration nicht korrekt ausdrücken kann, wird er als Reaktionär oder schlimmeres abgestempelt.

Abascal fragt sich, warum die Dankbarkeit, die viele Flüchtlinge gegenüber Schweden empfinden, in der öffentlichen Debatte nicht vorkommt. Man hört vor allem Kritik und Vorhaltungen. Deshalb versteht er, wenn es manchen so vorkommt, als ob man den Fremden zum Essen eingeladen hat, dabei sein Bestes gegeben hat oder fast, aber vom Gast nur die Klage über den sparsamen Nachtisch zu hören bekommt, nachdem er das Mahl heruntergeschlungen hat.

Was ist mit der Integration? “Eine Katastrophe”, findet Abascal, aber nicht weil Schweden rassistisch ist, wie einige behaupten. “Rassisten vermischen biologische mit psychologischen Eigenschaften. Das tun Schweden nicht. Aber sie sind mit einer Partei aufgewachsen, die laufend wiederholte, dass man im besten Land der Welt lebe. Da bekommt man leicht den Eindruck, dass alle Hinzugekommenen Schmarotzer sind.”

Deshalb verstehe er die Verbitterung, die müsse ausheilen, Leute müssen loswerden können, was sie auf dem Herzen haben. Erst dann kann man von einem mehr harmonischen Verhältnis zwischen den “neuen Schweden” und den “ethnischen Schweden” sprechen.

Ich höre zu, werde immer mehr gefangen. Er spricht frei heraus, nennt Einwanderer nicht “sie”, auch nicht “wir”. Er senkt nicht die Stimme, wenn er dies und das kritisiert. Äußerst selten heutzutage. Außerdem nuanciert er seine Urteile, was noch seltener ist: Er schätzt Nyamko Sabuni (“Sie hat klar gemacht, dass die Stellung der Frau nicht verhandelbar ist; man braucht die Arbeit von Ottar^5^ nicht noch einmal von vorne zu machen”), aber er rümpft die Nase über die “Politik mit dem Schlagstock” ihrer liberalen Partei, die andeutet, dass alles Schuld der Einwanderer sei. “Die wollen sich wohl für die nächste Wahl aufstellen.”

“An der verunglückten Integration sind weder die Schweden noch die Einwanderer schuld”, sagt Abascal. “Es liegt am System.” Nämlich daran, dass unsere Bürokraten als gegeben annehmen, dass “der Einwanderer” Probleme hat. Wenn er nicht gleich selbst das Problem ist. Will ich Beispiele? Man bot in Kista einen Computer-Kurs für somalische Frauen an. Als sie kamen schlugen die Sozialarbeiter Alarm. Diese Frauen können keine männlichen Lehrer bekommen, so eingewickelt von Kopf bis Fuß wie sie waren. “Wir haben keine anderen Lehrer”, erwiderte Abascal bestimmt. Und siehe da – es ging gut, der Kulturschock war nur in den Köpfen der Sozialarbeiter. Doch die kamen gleich auf etwas Neues: Diese Frauen konnten unmöglich die Laptops mit nach Hause nehmen. Denn dort würden sie entweder gestohlen oder ihre Männer würden sich herabgesetzt fühlen, weil die Frauen ein Gerät haben, das sie selbst nicht beherrschten. “Reine Projektion”, lacht Abascal.

Ich nehme an, dass es die selben Leute waren, die vorschlugen, die Flagge vom Rathaus zu nehmen. Die nackte Stange, so der Gedanke, würde weniger ausgrenzend wirken.

Ich habe Lius Abascal so viel Platz gegeben, weil seine Haltung selten in der öffentlichen Debatte vorkommt, die einem Minenfeld gleicht: Auf der einen Seite die, die bei jeder Gelegenheit wiederholen, dass in Schweden schwedische Regeln gelten. Auf der anderen die “Multikultis” (mit Erlöser-Allüren, allergisch auf Nuancen), die die “Mehrheitskultur” demontieren wollen, damit sich keiner außen vor fühlt.

Erstere wollen Moscheen loswerden – letztere wollen die Flagge einziehen, wenn sie nicht gerade gegen Psalmgesang kämpfen. Erstere erklären die havarierte Integration damit, dass Einwanderer nicht hinein passen, letztere damit, dass Schweden auf “rassistischen Strukturen” beruht. Die Schimpfworte fliegen und mittendrin ducken sich die Schulrektoren, die erwarten, dass ihnen der Vielfaltsberater erklärt, wofür blau-gelb, Psalme, das Kreuz, der Handschlag oder der Schleier stehen. Sie haben nicht verstanden, dass kein Ratgeber der Welt ihnen da aus der Patsche helfen kann. Wofür die Symbole stehen wird dadurch definiert, wie sie die Rektoren selbst anwenden.

Es begab sich auf dem Markt von Nora vor ein paar Jahren, dass eine Gruppe junger Männer mit rasierten Köpfen sich ihren Weg zu einem Stand bahnten, an dem ein paar Ausländer standen. Keine Polizei vor Ort, keiner wusste wohin, die Fäuste schon in der Luft, Blicke machtlos abgewendet. Da hörte man plötzlich Gesang. Er kam scheinbar von nirgendwo, ein Sopran, hoch und mächtig. Es wurde immer ruhiger, die Menschenmenge wurde dichter, nur der Gesang war zu hören. Da brachen die Angreifer ein, sahen unsicher um sich und zogen sich gen Ausgang zurück, erzählt man. Auch dass die Stimme ihnen durch die Dunkelheit folgte und sie den Markt verließen.

Belehrenderweise war es der Psalm “Blott en dag, ett ögonblick i sänder”, der die nationale Sturmtruppe so effektiv vertrieb. Einer der Psalmen also, der laut dem Diskriminierungsbeauftragten ungeeignet für Schulabschlussfeiern ist, weil er auf Einwanderer “ausschließend” wirken kann.

Ich finde die Stimme. Sie gehörte Maria Langefors, Pastorin der Missionskirche und ausgebildete Sängerin. “Ich sang aus vollem Hals, à la Nilsson”, erinnert sich Langefors. Warum versuchtest du es nicht mit “We shall overcome”?

“Alles ging so schnell, ich sang was mir am Herzen lag.”

Kejal heißt in Wirklichkeit anders.
Ottar – Elise Ottesen-Jensen

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-10. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

Fußnoten:
^1^Wörtlich übersetzt “Volksheim”. Der Begriff beinhaltet mehr als in einer Fußnote Platz hat und sollte aus dem weiteren Text klarer werden.

^2^Das ist einer der Refrains aus der schwedischen Nationalhymne.

^3^Vreeswijk ist schwedisch-holländischer Troubadour und eine Ikone in Schweden (siehe auch hier). Sabuni (ursprünglich aus Burundi) ist Integrationsministerin der Regierung Reinfeldt. Zlatan ist der schwedische Fußballstar schlechthin (bosnisch/kroatische Herkunft). Arklöv ist in Liberia geboren und verurteilter schwedischer Kriegsverbrecher und Mörder. Freivalds ist sozialdemokratische Politikerin und war seit Ende der 80er mehrmals Justiz- und Außenministerin.

^4^Tempo und Epa sind alte schwedische Warenhausketten, die mittlerweile in Åhlens aufgegangen sind. Siehe auch Epa-traktor.

^5^Ottar ist der Spitzname von Elise Ottesen-Jensen, norwegisch-schwedische Sexualaufklärerin. Eine Zeitschrift mit den Themen Sexualiät und Gesellschaft nennt sich nach ihr auch Ottar.

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Verloren in der Vielfalt

In den letzten Jahren ist der Blatte^1^ modern geworden. Viele wollten eine gemeinsame Identität für alle nicht-Svennar schaffen, nicht zuletzt die Zeitschrift Gringo. Im dritten Artikel der Serie Warten auf Schweden fragt sich Maciej Zaremba, ob dieser Wille dem Rassismus in Schweden Aufwind gibt.

Es war voll im Schwimmbad Vivalla an diesem Tag, weswegen die Beweislage gut ausfiel. Man hörte: “Verdammte Zigeunerschweine”, “Ich werd’ alle Zigeuner ficken”, einige hörten außerdem “Huren, Hurensöhne und Pack”. Weil all das den Roma zugerufen wurde, führte der Ankläger an, dass der Schreihals wegen Volksverhetzung bestraft werden solle. Aber er überzeugte das Gericht in Örebro nicht, welches mit der Begründung freisprach, dass dies “nicht als Herabsetzung des Ansehens der Roma betrachtet werden kann”.

Dieses Urteil erregte die Schwedendemokraten^2^, die meinten, dass der Angeklage sicherlich verurteilt worden wäre, wenn sein Name nicht Habibi, sondern Svensson gelautet hätte.

Es gibt Hinweise, dass die Schwedendemokraten hier recht haben könnten. Wenn es um gewöhnliche Straftaten geht, können Einwanderer kaum damit rechnen, milder behandelt zu werden; eher umgekehrt. Aber bei Hassreden scheint das Einwanderer-Sein ein mildernder Umstand zu sein. Zum Beispiel wird der Vorfall im Schwimmbad nicht in die Statistik für angezeigte Hassverbrechen aufgenommen, eben weil der Schreihals Habibi hieß.

Nach der Zählweise des Rats zur Verbrechensvorbeugung (Brå) ist es also kein Hassverbrechen, wenn ein Einwanderer gegen Roma oder Schwarze hetzt. Zum Hassverbrechen wird es erst, wenn ein Schwede dies tut. Es sei erwähnt, dass Brå diese Regel selbst nicht mag, aber gezwungen ist, den Anweisungen der Säpo^3^ zu folgen. Und die hält es offenbar für gegeben, dass ein hasserfüllter Einwanderer ein geringeres Risiko darstellt als ein Schwede.

Ich frage mich natürlich wie Brå es anstellt, die richtigen Schweden herauszusortieren. Das ist mühsam, bekomme ich zu hören. “In der Anzeige steht selten, wo jemand geboren ist. Deshalb richten wir uns nach dem Namen”.

Soll man sich wundern, dass ein Staat, der Straftaten nach Namen Buch führt – “Was meinst du? Klingt Holt schwedisch? Ok, dann war es eine Straftat” – gewisse Probleme mit der “Integration” hat?

Für die Schwedendemokraten wurde dieses Urteil zu einem weiteren Beleg, dass der Staat Ausländer zulasten der Einheimischen bevorzugt. So kann man das natürlich sehen. Oder auch umgekehrt. Als Beweis der Geringschätzung: Ach – du bist ja nur ein Einwanderer.

Ich lese einen Artikel auf der Debattenseite von DN, in dem Masoud Kamali die sexuelle Veranlagung eines Ministers in seine Argumentation einbaut. Im Kulturteil lese ich, wie Kurdo Baksi mit Verachtung die Kleidung, das Geschlecht und die Rasse einer Politikerin als Erklärung für ihre Ansichten analysiert.

Wären diese Texte von einem Svensson geschrieben worden, hätte man ihn wohl öffentlich ausgepeitscht, wenn man die Artikel überhaupt gedruckt hätte. Aber mit diesen Namen darunter weckten sie kaum Entrüstung, außer – genau! außer bei anderen Autoren mit ungewöhnlichen Namen (wie Madon, Wager, Demirbag-Sten). Ja, bei diesen Gelegenheiten durften sie alleine die schwedische Presse-Ethik verteidigen.

Was bekommen wir hier zu sehen? Den Anfang einer geteilten Öffentlichkeit, wo Hautfarbe, Geschlecht, Religion und Herkunft das Recht geben, Dinge zu sagen, die andere nicht dürfen? Man kann leicht Beiträge finden, in denen jemand abgetan wird, weil er kein Einwanderer ist, nicht aus den “Vororten” kommt, zufällig ein Mann in gewissem Alter ist oder – am allerschlimmsten – eine eingewanderte Frau ist, die nicht unterschreibt, dass in Schweden Rassismus herrscht. Dann kann man sie “Hausneger” nennen und damit durchkommen, wenn man nicht Svensson heißt, natürlich.

Das aussagekräftigste Beispiel dafür, wie wichtig die Identität des Absenders geworden ist, ist die Zeitschrift Mana, deren Chefredakteur Babak Rahimi es für notwendig hielt, sich in seinen Artikeln als Frau im Iran auszugeben, inklusive erfundener Biografie.

Es ist merkwürdig, dass diesmal genau diejenigen den zivilisierten Diskurs unterhöhlen, die sich selbst für “Antirassisten” halten. Als Geschmacksprobe hier ein Beitrag aus der Bloggosphäre: “Den Begriff Hausneger könnte man effektiv … gegen Neger/Einwanderer anwenden, die in einer bürgerlichen Partei sind, z.B. Nyamko Subyami^4^ in der Folkpartiet” (antirassistische Schreibweise, meine Anm.). Kapiert? Nicht in Schweden geboren zu sein, verpflichtet zu bestimmten Ansichten. Eine etabliertere Bloggerin, der sich zur “Linken” bekennt, findet Einwanderer nicht gut, die “mischfarbige Beziehungen” eingehen. Das erschwere den Kampf gegen Rassismus, findet sie. Genau wie die extreme Rechte scheint sie der Ansicht zu sein, dass Hautfarbe verpflichtet.

Wenn es doch nur Extremisten wären, die Einwanderern eine bestimmte Identität zuschreiben. Aber als es vor wenigen Jahren zu einem akademischen Streit zwischen Dozent Westholm und Professor Kamali kam, bekamen wir vom Rednerpult des Parlaments zu hören, dass die Regierung eingreifen müsse:

”... diese schädliche und polemische Diskussion wurde in Dagens Nyheter veröffentlicht, wodurch der Konflikt negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Einwandererbevölkerung und den schwedischen Behörden haben kann.”

Ja, ihr habt euch nicht verlesen. Wenn ein Westholm einen Kamali kritisiert, kann das die gesamte “Einwandererbevölkerung” krumm nehmen. Keiner der Gewählten wandte hastig etwas gegen die Idee ein, dass “Einwanderer” eine Volksgruppe sind, wie Pavlovs Hunde festgelegt, deren zuliebe wir Diskussionen abwürgen müssen (gerade die polemischen). Lag es daran, dass die Rednerin nicht in Schweden geboren war? Ana-Maria Narti hieß sie.

Wenn “Einwanderer” zur Sprache kommen, werden Mitbürger unsicher, was es sich zu sagen gehört. Als ob die Sprache vermint worden wäre. Nett gemeinte Fragen wie “Wo kommst du her?” können mittlerweile Entrüstung auslösen. “Ich bin in Mora geboren.” Man muss aufpassen, was man sagt. Und vielleicht denkt man ja wirklich falsch, ein wenig veraltet? Es ging doch alles so schnell … Und es ist bei Weitem nicht leicht zu wissen, wie man der neuen Vielfalt gerecht werden soll. Da wird eine SFI-Lehrerin als “elitär” beschimpft, wenn sie etwas dagegen einwendet, dass jemand, der nicht schreiben kann und mit starkem Farsi-Akzent spricht, Einwanderern Schwedisch beibringen soll. Da wird eine andere wegen Diskriminierung angezeigt, weil sie gesagt hat, Frauen im Iran seien unterdrückt.

Wenn Menschen anfangen, sich in ihrer Sprache und ihren Gedanken unsicher zu fühlen, öffnet sich ein Markt für Bauchredner, Anstandsdamen und Alibis. Will man die Erfolge der Schwedendemokraten verstehen, kann man Gringo nicht außen vor lassen, die Zeitschrift, die 2005 entstand und drei Jahre später in Konkurs ging.

Es ist nicht besonders verwunderlich, dass ein paar gebürtige Jugendliche, die die Frage “Woher kommst du?” einmal zu oft gehört haben, auf die Idee kommen, eine Zeitschrift Umgekehrt zu machen, wo die “Blattar” für alles Coole und Attraktive stehen, während die “Svennar” Statisten im debilen Hintergrund darstellen. Das kann als Satire helfen, Augen zu öffnen: “Ach so, ihr schert uns alle über einen Kamm und schaut auf uns herab? Schluckt eure eigene Medizin!”

Aber Gringo ging weiter. Dort wurde der “Blatte” zur Identität gemacht, deren einzige sichere Eigenschaft es war, kein “Svenne” zu sein und es auch nie zu werden. Teils weil die Svennar sie nicht herein ließen (Rassismus), teils weil die Kultur der Svennar die Mühe gar nicht wert war.

Ja, so könnte vielleicht die Reaktion auf unerwiderte Liebe aussehen. Aber Gringo war Theater. Die Redakteure, die vorgaben für eine verstoßene Masse zu sprechen, waren gut angepasste Unternehmer, die sich ein “Blatte-Schwedisch” ausgedacht hatten, das kaum einer spricht, und die sich zum Vermittler für Ansichten aufgeschwungen hatten, die kaum jemand vertritt. Und die man mit Nazismus vergleichen kann: “Leider gründet sich der schwedische Nationalismus auf die Sprache, genau die gleiche Art Nationalismus, die Hitler befürwortete”, stand in Gringos Agenda. Oder auch, dass schwedische Frauen untaugliche Sexobjekte waren (zu kleine Ärsche), während die schwarzen viel besser rochen, wie in Gringo 7/05 zu lesen war. Wurden Schwedens Einwanderer dadurch in ihrer eigenen Identität gestärkt?

Das Eigenartige war nicht, dass dort Muff und umgekehrter Rassismus gedruckt wurden. Das Eigenartige war, dass alte Volksbewegungen, Behörden und Firmen fünfstellige Beträge dafür bezahlten, das Ganze in Kursen und Vielfaltstagen wiederholt zu bekommen. Dass man mit Einwanderern auf eine spezielle Art reden muss, weil sie ein Volk für sich sind, mit eigenem Kauderwelsch, dass sie kein Interesse an schwedischer Kultur haben, aber verlangen, dass man ihre eigene anerkennt. Da war es raus. Ein Carlos, oder heißt er Zaynar, hat es gesagt. Was für eine Erleichterung.

Muss gesagt werden, was für ein gefundenes Fressen Gringo für unsere Xenophoben wurde? “Gringo… (hat) es geschafft, die Immigranten in Schweden als Vorortsaffen darzustellen, die blind von ihrem fundamentalen Bedürfnis nach Bestätigng und Respekt gesteuert sind”, jubelt einer der unbehaglichsten Blogger dieser Ecke. Nicht ganz gerecht, aber auch nicht ganz falsch. Noch wichtiger für die Schwedendemokraten (SD) war Gringos Bestätigung ihrer Grundidee: dass Schwede-Sein etwas ethnisches ist. Der kichernde Empfang, den der Hohn auf “Svennar” auf Konferenzen und in den Fernsehsofas fand, schien zu bestätigen, was SD lange behauptet hatte: dass Schweden seine Selbstachtung verloren hat und nicht auf seine Kultur aufzupassen weiß – also brauchte es die Schwedendemokraten.

Das Absurdeste an der Geschichte ist, dass die Einrichtungen, die sich mit Gringo einließen, dessen Ideologie in keinster Weise ernst nahmen. Sie kauften Ablassbriefe zum Herzeigen, wenn die Revision der Vielfältigkeitsarbeit kommt. Auf diese Weise brauchten sie nicht selbst darüber nachzudenken, ob es Rassismus ist, von einem Schwedischlehrer gutes Schwedisch zu verlangen, oder ob es wirklich eine gute Idee ist sich aufzuregen, wenn eine Frau den Handschlag verweigert. Es ist ja auch traumatisch, solche Dinge zu diskutieren.

Sicher kann das traumatisch sein. Wenn es schiefgeht, kann man das R-Wort genannt werden. Vor einiger Zeit bekamen sechzig führende Staatswissenschaftler, die in einem Brief an die Regierung gegen die politische Einflussnahme in der Integrationsuntersuchung protestierten, von Mona Sahlin^5^ als Antwort, dass ihr Protest “rassistische Untertöne” hätte. Was sich bei Dilsa Demirbag-Stens Prüfung der Korrespondenz als reine Erfindung entpuppte. (Expressen 30/6 -04)

Ich gehe davon aus, dass Mona Sahlin zufrieden mit sich war, hatte sie doch mit nur einem Wort des Spotts eine beschwerliche Debatte ruhig gestellt. Aber noch mehr freuten sich die Schwedendemokraten. Wenn legitime Kritik an Integrationspolitik ohne Hand und Fuß auf diese Weise abgetan wird, bekommen die Fremdenhasser ein Monopol auf diese Debatte.

Da gibt es den Schulrektor (in Råneå), der einen Dreizehnjährigen nach Hause schickt, weil auf seinem T-Shirt eine schwedische Flagge zu sehen ist mit den Worten “Schweden ist mein Vaterland”. Das Kleidungsstück könnte “nazistisch verstanden werden”, findet der Rektor. Dann war da die Kommune Nyköping, die der Kirchengemeinde verbietet, auf dem Totengedenkplatz neben Lids mittelalterlicher Kirche ein Kreuz aufzustellen. “Zu starkes religiöses Symbol”, heißt es, unpassend in einer multikulturellen Gesellschaft wo auch Atheisten Anstoß nehmen können.

Die Achtklässler der Strandskolan in Klagshamn bekamen kein Klassenfoto, weil sie an dem Tag Trikots der Nationalmannschaft anhatten (vor dem Spiel gegen Dänemark). “Es steht in unserem Lehrplan, dass wir gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz arbeiten sollen”, erklärt der Rektor. Nein, er finde nicht, dass die Nationalmannschaft für Rassismus stehe, aber die Trikots könnte jemand “so auffassen”. Außerdem kann “Den blomstertid nu kommer”^6^ als “diskriminierend wahrgenommen werden” und ist deshalb ungeeignet für Schulabschlussfeiern, findet der Diskriminierungsombudsman (DO), der die Bräckeskolan auf Hisingen wegen Psalmgesang gerügt hat.

(Interessanterweise ist der Rat schwedischer Muslime mit dem DO hier nicht einer Meinung. Die Vorsitzende Helena Benaouda sagt mir, dass es “absurd wäre, Psalmgesang an Schulabschlussfeiern generell zu verbieten.” Im Gegenzug sollte die Schule jedes Mal die Eltern fragen, ob alle damit einverstanden sind.)

Fast hätte ich Kista vergessen, wo einige Beamte die Flagge vom Gemeindehaus nehmen wollten, damit die Einwanderer auf dem Järvafältet sich mehr zu Hause fühlen könnten. Zum Glück war der Gemeindedirektor zufällig ein japanisch-italienisch-spanischer Indianer. Luis Abascal hieß er, kam aus Uruguay, brummelte “jetzt sind wir in Schweden” und die Flagge blieb.

Wir leben in interessanten Zeiten. Für die Rektoren in Råneå und Klagshamn ist blau-gelb etwas Suspektes, für Abascal ist die Flagge ein verbindendes Symbol. Damit sei nicht nur gesagt, dass die obigen Verwirrungen immer mehr aufgebrachte Mitbürger in die Arme der Schwedendemokraten treiben, sondern auch gezeigt, welch schwächelnde Empathie man mit den Menschen hat, deren Gleichstellung man zu verteidigen vorgibt. Man versucht, dem Zerrbild der Einwanderer gerecht zu werden. Oder vielleicht nur dem eigenen Selbstbild.

Die Gemeinde Sigtuna glaubt sich an vorderster Front der multikulturellen Gesellschaft. Allgemeine Schulferien am orthodoxen Karfreitag, dem kurdisch-persischen Neujahr Noruz und an Id Al-Fitr, dem Ende des Ramadan. Alle werden eingebunden, dass es eine Freude ist. Gleichzeitig bereitet es Frau Cherine leider wenig Sorgen, dass Kerstin und Kalle in die Schule gehen während sie und ihre Familie Neujahr feiert. Ihr Problem ist stattdessen, Schwedisch zu lernen. Wo bekommt sie Information dazu? Nirgends. Sigtuna ist eine der wenigen Gemeinden, in denen alle Information, auch die über die Kurse “für den, der Schwedisch von Grund auf lernen muss”, ausschließlich in eben dieser Sprache bereitliegt.

Habibi heißt in Wirklichkeit anders.

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-05. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

Fußnoten:
^1^Blatte und Svenne sind unübersetzbar. Ersteres hat sich aus einer abfälligen Bezeichnung für Einwanderer (deren Ursprung unklar ist) zu einem Wort entwickelt, das von (Teilen) der Gruppe selbst zur Identifikation verwendet wird – parallel dazu, wie sich manche Schwarze “Nigger” nennen und wie Homosexulle das Wort “schwul” übernommen haben. Svenne ist das Gegenstück zum Blatte, also eine abfällige Bezeichnung des letzteren für “typische Schweden”. Die Ableitung kommt wohl vom allgegenwärtigen Nachnamen “Svensson”.

^2^Die “Schwedendemokraten” sind eine nationalistisch-traditionalistische Partei, die “Schweden schwedisch erhalten” wollen. Am ehesten sind sie wohl mit den deutschen “Republikanern” zu vergleichen. Die Wikipedia weiß mehr.

^3^Säpo steht für Säkerhetspolisen, also “Sicherheispolizei”. Damit ist der nationale Geheimdienst Schwedens gemeint.

^4^Nyamko Sabuni ist Integrationsministerin der Regierung Reinfeldt.

^5^Mona Sahlin ist heute Parteichefin der größten Partei Schwedens, den Sozialdemokraten.

^6^Das ist der bekannteste und beliebteste der schwedischen Sommer-Psalme. Er wird traditionell bei Schulabschlussfeiern gesungen. Mehr dazu auf SChwedisch

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Miss deinen Schnurr

Warten auf Schweden. Die Sprache ist der wichtigste Weg in die schwedische Gesellschaft, darüber sind sich fast alle einig. Trotzdem sind viele Sprachkurse für Einwanderer völlig unzureichend, zumindest für die Schüler. Andere haben entdeckt, dass es da gutes Geld zu verdienen gibt. Die Integration mag missglückt sein, aber die Integrationsindustrie läuft hervorragend.

“Spricht er Schwedisch?” fragt der Arbeitgeber.
“Hassan ist in Schweden geboren.”
“Ja, das steht hier. Aber spricht er Schwedisch?”

Rassismus? Oder vielleicht zur Hälfte Vorurteil, zur Hälfte Erfahrung mit Gymnasiasten aus Rosengård und ähnlichen Gebieten? “Das Gymnasium ist heutzutage keine Garantie mehr, dass ein Schüler Schwedisch spricht”, sagt Sven Hagströmer, Öresund AG, auf einer Konferenz in Rosengård. Er wünscht sich einen landesweiten Sprachtest auf höherem Niveau als das heutige SFI (Schwedisch für Einwanderer). Würden Arbeitgeber so ein Zeugnis zu sehen bekommen, würden keine komischen Fragen mehr gestellt und viele Unannehmlichkeiten würden vermieden.

Hagströmer, der eine Arbeitsvermittlung in Tensta betreibt, steht kaum im Verdacht, Leuten wie Hassan übel mitspielen zu wollen. Aber was meint er mit “Spricht er Schwedisch?” Ohne zu fragen weiß ich, dass er mehr meint als der Brite, der fragt “Does he speak English?”.

In Stockholm ist es unendliche Male schwerer als in London, eine Arbeit zu finden oder überhaupt ernst genommen zu werden, wenn man die Sprache misshandelt. Sagst du “Varfår anvenda sevora outlendska årt ner dät finz inhemskt adekfat våkaboulär dispånibäl?”^1^ werden Leute anfangen, langsam mit dir zu reden, sie werden schwere Worte vermeiden und dich ansonsten wie einen geistig Zurückgebliebenen behandeln. Und sie werden dich nicht an ihrem Arbeitsplatz haben wollen. Laut unseren Antirassisten liegt das daran, dass Schweden rassistischer sind als andere. Das ist so nicht sicher. Aber sie sind bestimmt musikalischer als andere.

“Miss deinen Schnurr”, schreibt die Lehrerkandidatin an die Tafel. Die Schüler kramen nach ihren Linealen, die anderen Lehrer starren ins Nichts. Bis es jemand begreift. “Sie meint ‘miss deine Schnur’”.^2^

Ihr lacht, nehme ich an. Lacht nur. Ihr habt keine Ahnung, in was für eine Bredouille es einen erwachsenen Araber oder Polen bringt, den Unterschied zwischen langen und kurzen Vokalen hören zu müssen. Oder sich einzuprägen, dass es “die” Schnur heißt. Gibt es da eine Regel?

Wer mit Schwedisch aufgewachsen ist, versteht nicht, welch seltsame Sprache er spricht. Versuch einmal, einen Chinesen oder Franzosen “luspudeln tjuter vid husknuten”^3^ sagen zu lassen. In Unterschied zu den meisten Sprachen ist das Schwedische ein sprudelnder Bach in dem die Vokale über Steine gestreckt werden und wo die Worte scheinbar ohne Grund aufsteigen und absinken aber mit einer solchen Präzision dass man einen Satz über eine ganze Buchseite ohne Komma schreiben kann weil der Leser selbst die Pausen da einfügt wo sie hingehören und wenn ein Schwede für sich selbst liest hört er in seinem Kopf die Atempausen zwischen den Worten.

“Prosodie” nennt man das und es ist fast unmöglich nachzuahmen, wenn man nicht in dieser Tonart in den Schlaf gewiegt wurde. Deshalb klingt in euren Ohren Schwedisch mit russischer Melodie klagend, mit arabischer starrsinnig und mit polnischer ungehalten und eintönig wie der Dialekt aus Uppsala. Und – lasst es uns zugeben – quälend wie falscher Gesang. Ich weiß. Nach einer Viertelstunde mit krächzendem Ungarisch-Schwedisch wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass es aufhört.

Zu allem Überfluss ist die unberechenbare Betonung wichtig für die Bedeutung, also glaube nicht du wüsstest was du sagst, bloß weil die Worte an der richtigen Stelle gelandet sind. Und dann das Schwerste überhaupt, die Inversion, eine seltene Eigenheit^4^, die letzte Verteididungslinie der Schweden, ohne jahrelanges Training unmöglich zu erzwingen: “Schau Boris, das Subjekt kommt immer nach dem Verb, wenn der Satz mit etwas anderem als dem Subjekt eingeleitet wird.” Verstanden? Macht nichts. Aber Boris sagt: “Letzte Woche ich verstand es, ich glaubte.”

Nein, das war noch nicht alles. Versuch einmal, mit Hilfe eines Wörterbuchs eine Zeitung zu lesen, oder auch Straßenschilder. Steht da Fahrradhelmpflicht? Flüchtlingsauffanglager? Sperrmüllraum? Oder wenigstens Weihnachtsessen? (Ich dachte lange Zeit, “Reimfleisch”^5^ sei ein Leiden, das sich stillsitzende Dichter einfangen.) Wie soll ein Vietnamese, dessen Sprache aus einsilbigen Worten besteht (in Hanio schreibt man Za-rem-ba), wissen, wie er “Zugriffsgeschwindigkeitsmessung” auseinanderklamüsern soll? Zug scheint ein Verkehrsmittel zu sein… Zugriff – ein Berg im Wasser mit Schienenverbindung?

Und dann der schwedische Tonfall: Hier ruft der Gast “Bist du noch ganz dicht?”, wenn der Kellner die Reste des Aquavits abräumen will. Jeder Schwede versteht, dass diese Äußerung auf den Durst des Gastes anspielt und nicht auf den Verstand des Kellners. Aber heutzutage gibt es Kellner, die das nicht verstehen. Die nehmen es persönlich. Doch doch, sie können die Sprache, aber nicht ihren Nerv.

Inger Lindberg, Professorin in Schwedisch als Fremdsprache, unterlag diesem Missverständnis und meint, dass der Ausländer die Geschichte der schwedischen Trinkkultur hätte studieren müssen, mitsamt Durst und Schuldgefühlen, Abstinenzbewegung und Stempelbuch^6^, um diesen Tonfall zu verstehen. Wessen Fehler war es? Der des Kellners, der zu wenig über die nordische Spirituosenneurose wusste, oder der der Professorin, die zu wenig über den Kellner wusste? Vielleicht hatten beide zu wenig “multikulturelle Kompetenz”? Siehe da, ein guter Ausgangspunkt für die Debatte darüber, wer sich wem anpassen soll.

Worauf will ich mit dieser Tirade hinaus? Darauf dass, weil es weder wahrscheinlich noch wünschenswert ist, dass Schweden weniger musikalisch werden, und weil die Sprache in diesem Land wohl auch in Zukunft der vorrangige Schlüssel zur Gemeinschaft bleiben wird (wichtiger als die Hautfarbe, will ich meinen), Schwedisch für Einwanderer ein Prestigeprojekt sein sollte, mit gut bezahlten Lehrern und ausgefeilter Pädagogik. Ein musikalisches Abenteuer sollte es sein. (Das haben sie an der Sprachschule Paragona in Warschau verstanden, wo Vokalexperten eingeflogen werden, damit kein Doktor “Sollen wir nackt baden?” sagt, wenn er “den Nacken badden”^7^ meint.)

Tatsächlich war es während eines kurzen Zeitraums in den Sechzigern mit etwas Glück möglich, nach drei Monaten sogar die Inversion zu beherrschen. Damals schafften es ein paar links angehauchte Sprachlehrer, die Regierung davon zu überzeugen, dass es unwürdig ist, das Schwedisch des Griechen bei “Geh nicht unter hängender Last” aufhören zu lassen. Das führte zu einer großzügigen Anzahl an Stunden, enthusiastischen Lehrern und motivierten Studenten.

Alles weitere ist eine Geschichte des Verfalls. Keine andere Schulform wurde über die Jahre so misshandelt wie SFI. Schimpft also nicht gleich auf den Einwanderer, wenn er sich nicht verständlich machen kann. Und schimpft auch nicht auf die Lehrer. Die haben nämlich so gut wie nichts zu sagen.

Versuch gern selbst, in einer Klasse mit dreißig Schülern (fünfzig, wenn du Pech hast) zu unterrichten, zu der jede Woche Anfänger hinzukommen, in der einige Hochschullehrer sind und andere nicht schreiben können, in der einige alles geben wollen während andere nichts geben können, weil sie nach der Vergewaltigung in Kenia auf Valium sind. Wieder andere sitzen da ihr drittes Jahr, weil jemand meinte, sie bräuchten “feste Routine und etwas zu tun”. Und du selbst, lieber Lehrer, hast vielleicht noch nie Erwachsene unterrichtet, wenn du überhaupt Sprachlehrer bist. Du bist vielleicht Tanzpädagoge und fragst deine Kollegen nach dem Unterschied zwischen Objekt und Subjekt (ja, das kam bei der staatlichen Lernia in Stockholm wirklich vor). Aber solltest du zufällig qualifizierter SFI-Lehrer sein und damit länger studiert haben als deine Kollegen, die Schweden unterrichten, dann bekommst du niedrigeren Lohn bei längeren Arbeitstagen.

Ich werde euch, liebe Leser, nicht mit all den Malen, wo zum Beispiel funktionierende Schulen eine nach der anderen stillgelegt wurden, langweilen; ich will nur ein paar symbolische Punkte zur Orientierung reichen. Es brauchte beispielsweise vierzig Jahre Einwanderung bis die Regierung einsah, warum man getrennte Kurse für Akademiker und Analphabeten braucht. Die SFI-Lehrer wussten das von Anfang an. Aber erst 2003 wurden sie erhört.

An der Sprachschule Paragona in Warschau, wo man in sieben Monaten Ärzteschwedisch unterrichtet, hat man eigene Unterrichtsmaterialien zusammengeschustert. Die meisten SFI-Bücher sind nicht anwendbar, bekomme ich zu hören, “weil sie Unbehagen bei den Studenten hervorrufen”.

Ich versuche es mit ”+46”, dem wohl meistverbreiteten Lehrbuch über Schwedisch als Fremdsprache. Das erste schwedische Ding, das man trifft, ist die Uhr. Ist es viertel vor oder viertel nach? Pünktlichkeit zählt. Einer der ersten Sätze, die man zu sagen lernt, ist, dass man krank ist. Wir heißen Abdul oder Keziban. Wir sind um acht Uhr in der Schule (das mit der Pünktlichkeit ist erst gemeint), gehen zur Apotheke, buchstabieren unseren verdammten Namen, bitten um Verzeihung, sind wieder krank und schon auf Seite 63 erfahren wir, wie die Zukunft aussieht: Fatemeh und Mohsen haben einen Laden, arbeiten 80 Stunden die Woche und sind froh darüber. Dann werden wir bestohlen und betrogen, wir achten auf Sonderangebote, heben den Kassenzettel auf, kaufen gebraucht, werden zum dritten mal krank, danach deprimiert, werden überwiesen, überfahren, treffen die einsame Gudrun mit dem kaputten Kreuz, dann Peter mit den Magenbeschwerden, wir werden allergisch, aber haben genug Kraft, Vokale zu üben: “Die Knie tun weh und die Nase ist verstopft” und Betonung: “Sie hat Fieber”, das Tempus nicht vergessen: “Ich hatte diese Woche keine Zeit”. Wir sehen schlecht, hören schlecht und es juckt, aber wir lernen die Körperteile “Ihr tut der … weh”.

Auf Seite 119 keimt Hoffnung auf mehr Heiterkeit. Alma aus dem 19. Jahrhundert erzählt. Leider falsch gelegen: Sie wird von Läusen angesteckt und stirbt, erst 49 Jahre alt, weil es damals kein Penicillin gab. Aber heute gibt es das! Neue Hoffnung, aber auf der nächsten Seite bricht sich Alice das Bein. Wir haben Probleme mit den Nachbarn, melden Verstopfung im Müllschacht, üben das Hörverstehen: “Nein, jetzt hat mir wieder jemand die Zeit gestohlen.” Wir machen ein Praktikum in der Großküche und lernen, Worte zusammenzusetzen: Praktikums-Platz.

Wenn wir auf Seite 190 ankommen, haben wir immer noch nicht gelernt, dass es “Sonne” und “Mond” heißt, aber wir haben sieben Mal unsere Personennummer aufgesagt.

Reicht es? Vielleicht noch eine Grammatikübung? Mach einen Satz aus zweien: “Er ist zu Hause. Er ist krank.”

Man könnte meinen es sei unmöglich, ein Schwedisch-Anfängerbuch ohne Meer, Schärengarten und Berge zu schreiben, ohne Schnaps, Psalmen und Eishockey, ohne Evert Taube und Bellman, ohne die Asa-Mythen (warum heißt es Thorstraße?), ohne auch nur einen Hauch schwedischer Kultur und wo niemand je flirtet, ins Theater geht, scherzt, wo ihm etwas gelingt oder er sich zumindest mit den unfehlbaren Produkten der Nobel AG um die Ecke bringt.

Es ist also doch möglich. Roy Anderssons Film “Lieder aus dem zweiten Stock” ist ein Lustspiel im Vergleich zur geruchlosen Hölle, die Almqvists & Wiksells Verlag da präsentiert. Nein, das ist kein einzelner Unglücksfall. Im “Handbuch Schwedisch als Fremdsprache” ist der Adressat ein Typ, der andauernd “genau” sagt und der sich allem Anschein nach vom Tropf ernährt und durch Zellteilung fortpflanzt, denn weder isst noch flirtet er, so beschäftigt ist er damit, Formulare auszufüllen.

Natürlich erzählen diese Bücher nicht von Schweden. Es ist der Einwanderer, der porträtiert wird. Unterbewusst natürlich. Aber woher kommt das Bild dieses armen Würstchens, das zum Sozialfall geboren ist, das an die Hand genommen und wie ein Kind angeredet werden muss? Niemand hat den Autoren entsprechende Anweisungen gegeben, also muss es aus der Luft kommen, die sie atmen. Kann dies ein weiterer Schlüssel zur Havarie der Integration sein? Während wir darauf waren, dass die Wissenschaft diese Frage beantwortet, lasst uns einen Blick darauf werfen, was dieses Bild für Konsequenzen hat.

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Fußnoten:
^1^ Das ist leider unübersetzbar, denn der Inhalt des Satzes ist unwichtig und zielt mit der falschen Schreibweise darauf ab, die typischen Fehler von Einwanderern in der Betonung der Vokale und der Satzmelodie in Schrift zu fassen.

^2^ Man stelle sich vor, “Schnurr” bedeute so viel wie “Schniedel”, um neben den Sprachschwierigkeiten auch die lustige Seite dieses Beispiels zu sehen.

^3^ Wiederum ist der Bedeutung dieses Satzes (“Der Lauspudel schreit an der Hausecke”) nebensächlich. Es geht hier um die Betonung auf mehreren Silben der Worte und um die langen Vokale.

^4^ Für Deutsche zum Glück gar nicht so schwer. Was seltsame Satzstellung angeht, machen wir den Schweden leicht was vor. Gleiches gilt natürlich für die zusammengesetzten Worte im nächsten Abschnitt.

^5^ Rim ist im Schwedischen der “Reim”, rimma bedeutet neben “reimen” aber auch “salzen”. Rimfläsk ist also “Pökelfleisch”. (Als mir nach 20 Minuten Grübeln kein ähnlich gutes deutsches Wortspiel einfiel, gab ich auf und erkläre es lieber.)

^6^ Früher mussten Schweden ein Buch zum Alkoholkauf beim Systembolaget mitbringen, in dem die Rationen abgestempelt wurden. Motbok nannte sich dieses.

^7^ Mit “badden” ist “baden, einwickeln” gemeint. Im Schwedischen liegt der hörbare Unterschied zwischen den beiden Sätzen nur in der länge der Vokale.

“Ich glaube nicht, dass die vom Sozialamt Sadisten sind”, sagt eine SFI-Lehrerin in Vårberg, “sie folgen wohl bloß ihren Regeln.” Ihr bester Schüler, eine armenische Lehrerin, soll gezwungen werden, den Schwedischkurs einen Monat vor dem Examen abzubrechen. Weil sie weiterstudieren will, ist dieses lebenswichtig für sie. Aber das Sozialamt meint, ihr Schwedisch sei gut genug, jetzt soll sie irgendeinen Job suchen, Arbeit geht vor. Nein, eine Stelle haben sie keine für sie. Aber will sie die Zuwendungen behalten, soll sie ihre Zeit auf dem “Jobmarkt” in Vårberg verbringen. (Unsere Armenierin ist nicht dumm. Sie meldet sich beim Jobmarkt, um dann in die Schule zu entwischen.)

Auf dem Jobmarkt sitzt dagegen Juhan Khaled, Möbelschreiner aus Kirkuk im Norden Iraks, dem das gleiche Sozialamt vorschreibt, jeden Tag mindestens zwei Stunden am Bildschirm nach Arbeit zu suchen. Tut er das nicht, wird die Sozialhilfe gestrichen. Juhan würde lieber schreinern, wenn er Werkzeug hätte. Aber jetzt sitzt er hier seit anderthalb Jahren. Nein, er schaut nie auf den Bildschirm, denn er kann nicht lesen. Ja, auf dem Sozialamt weiß man das.

Der Automechaniker Marion Hanna fährt jeden Tag von Södertälje nach Liljeholmen, um in einem Schnellkurs Schwedisch zu lernen. Er sagt, er habe nicht darum gebeten und verstehe so gut wie nichts, genauso wie die anderen 18 in seiner Gruppe. “Der halbe Tag geht so für mich drauf. Ich lerne mehr, wenn ich meiner Tochter Märchen vorlese”, sagt Marion. Wie ist er denn dort gelandet? Er glaubt, dass die Gemeinde den Kurs schon eingekauft hatte und dann mit Leuten füllen musste. “Das ist Wahnsinn. Ein Mensch mit geringer Ausbildung kann keine acht Stunden täglich dasitzen und Grammatik erklärt bekommen – auf Schwedisch”, sagt ein SFI-Lehrer.

Und dann haben wir Abdulrahman Ali, der eigentlich Glück hat. Er fuhr LKW im Irak und kam jetzt in den Schwedischkurs für LKW-Fahrer, eine schlaue Erfindung der SFI-Lehrer in Vårberg (in Schweden werden 7000 LKW-Fahrer gesucht). Aber das Sozialamt will seine Unterstützung streichen. Er soll stattdessen auf dem Jobmarkt sitzen, denn Studien gelten nicht als Beschäftigung.

Oder der Schweißer Ali Firas. Die werden von der Industrie händeringend gesucht und Firas hat es sogar geschafft, in eine Weiterbildung für die schwedische Lizenz zu kommen, und bräuchte nur ein wenig Geld zum Leben während des Kurses. Aber das Sozialamt sagt nein. Sie haben herausgefunden, dass Firas nachts auf den Booten nach Finnland putzt und finden, dass er das auch weiterhin tun sollte.

Ich muss auch von Safia Nasser erzählen, die in Bagdad Mathe und Arabisch unterrichtete. Ihr Mann hatte eine Schmuckgeschäft. “Alles weg.” Jetzt hat sie fast als Vorschullehrerin (Mangelberuf) Fuß gefasst, “aber sie sagen ich muss besser Schwedisch”. Das würde sie nur zu gerne. Aber das Sozialamt findet, sie könne genug. Sie verliert ihre Beihilfe, wenn sie weiter Schwedisch lernt. Schweden kann es sich nicht leisten, sie noch zwei Monate im SFI zu behalten. Ein seltsames Land, findet Magister Nasser, denn es war genug Geld da, sie zu einem Kurs zu schicken, um den sie nicht gebeten hatte. Der dauerte sechs Monate bei Lernia in Liljeholmen. Das war etwas mit “Marktwirtschaft”, glaubt Nasser. Sie kann es nicht genau sagen, denn damals verstand sie kein Schwedisch.

(Für die, die es nicht wissen: Für die “Integration” sind das Arbeitsamt, das Amt für Erwachsenenausbildung, die Regionsverwaltungen und das Einwanderungsamt zuständig. Aber auf dem Unterhaltsgeld sitzt das Sozialamt, das am meisten zu sagen hat. Deshalb die unzähligen Reibereien zwischen diesen Behörden.)

Auch wenn die Integration missglückt ist, geht es der Integrationsindustrie bestens. Im ganzen Land spießen Ausbildungsfirmen aus dem Boden, unbekümmert von der Börse, denn ihr Markt ist politisch, nicht ökonomisch. Einige Firmen liefern auch Ausbildung. Was andere abliefern werden wir gleich zu sehen bekommen.

Ich brauchte drei Tage um herauszufinden, welchen Kurs Frau Ambro denn jetzt drei Monate lang besucht hat. Sie konnte mir weder die Adresse noch den Namen der Schule nennen. Man nimmt den Bus von Farsta, vielleicht war es Nummer 1831, erzählt Frau Ambro, nach Telje steigt man dann aus. Telje in Farsta? Ach, Telia! Das macht sie jeden Nachmittag, fünf Tage die Woche. Sie ist 59 Jahre alt und sehr müde nach dem Schwedischunterricht an den Vormittagen, besonders weil zum Essen zwischen Vårberg und Farsta keine Zeit bleibt. Wovon handelt der Kurs denn? “Das kann ich nicht sagen”, sagt Frau Ambro, “weil ich nicht verstehe, was sie sagen. Aber ich glaube es geht ums Wetter.” Sie hatte ein Geschäft in Mogadischu, spricht zusätzlich Arabisch, aber hat nie lesen gelernt. (Ihre Muttersprache Somali wurde erst 1972 Schriftsprache.) Sie will nicht nach Farsta fahren, “um drei Stunden lang auf die Uhr zu schauen”. Aber tut sie es nicht, bekommt sie kein Geld zum Leben.

Der Kurs heißt Thema Kommunikation. Die Firma, die ihn der Gemeinde Stockholm verkauft hat, nennt sich Kompetenzausbildung AG. Man sagt, die Schüler sollen da Alltagsschwedisch üben. Zum Beispiel Briefe schreiben. Der Medizinstudent aus Taschkent scheint das gut hinzubekommen. Aber ist das Unterricht, was ich da sehe? Die Lehrerin redet vor allem selbst, ja, tatsächlich übers Wetter. “Jetzt ist Herbst, die Blätter fallen. Wir stellen die Uhren um.” Manchmal stellt sie eine Frage, aber berichtigt die Antworten nicht. Was macht Frau Ambro in dieser Klasse? Ich habe es gestoppt: In den drei Stunden Unterricht durfte sie eine Minute und zwanzig Sekunden lang ihr Schwedisch üben. Das war das eine Mal als sie die Frage verstand. Für diese Sekunden haben wir der Kompetenzausbildung AG 240 Kronen gezahlt. Das entspricht ungefähr 15.000 Kronen pro Stunde für Frau Ambros effektive Sprachausbildung.

Hinterher frage ich den Chef warum man der Gemeinde nicht sofort mitgeteilt hat, dass Frau Ambro nichts von diesen Stunden hat (von denen sie jetzt fünfhundert Stück durchgemacht hat). Das hätte jeder normaler Lehrer getan. Da windet sich der Chef und sagt, dass “die Sprache zu hören immer etwas bringt”. Das ist wahr. Aber Frau Ambro hat schon ein Radio.

Aber sag nicht, dass die teure “Einführung” ein schlechtes Geschäft sei. Die 4.840 Kronen, die Kompetenzausbildung jeden Monat für die Aufbewahrung von Frau Ambro bekommt, sind mehr als diese zum Leben bekommt.

“Die dachten nur ans Geld”, sagt ein Lehrer, der Anfang des Jahrzehnts für die Firma gearbeitet hat. “Man will zwar heute überall Vielfalt, aber kommt man mit Schwedischlehrern aus, die nicht rechtschreiben können?” fragt sich ein anderer ehemaliger Angestellter. Zuletzt senkte die Firma die Gehälter der Lehrer auf das niedrigste Niveau der Branche und erhöhte das Pensum auf dreißig volle Stunden Unterricht pro Woche, fast doppelt so viel wie an Gymnasien üblich. Früher nannte man so etwas “Ausbeutung”. Jeder weiß, dass Unterricht, der diesen Namen verdient, unter solchen Bedingungen nicht möglich ist.

Jetzt fragt sich der Leser vielleicht, wer diese Kapitalisten sind, die entdeckt haben, was für ein gutes Geschäft der Flüchtling ist. Vorsitzender der Kompetenzausbildung AG ist Tomas Eneroth, Vorstandsmitglied bei SAP, vormals Vorsitzender im Ausbildungsausschuss des Reichstags und auch bei Lernia. Und der Geschäftsführer heißt Jonas Thoursie, ein alter Freund von Eneroth aus JuSo-Tagen.

Viele Gemeinen, darunter Stockholm, haben ihre SFI-Ausbildung in Firmen ausgegliedert. Der Gedanke dahinter war, dass die Konkurrenz die Preise drückt und die Qualität erhöht. Am liebsten beides zugleich. Sicherlich kann Konkurrenz auch für Schulen und Pflegeheime unter gewissen Voraussetzungen gesund sein. Aber ein funktionierender Merkt setzt gut informierte und mündige “Kunden” voraus. Und dass man wirklich eine Wahl hat.

Wie glaubt ihr würden Autowerkstätten aussehen, wenn man die neuen Bremsen mit Kupons vom Sozialamt bezahlen müsste, wenn man sich die Werkstatt nur von einer Liste auf Französisch aussuchen und bei Unzufriedenheit nicht wechseln dürfte? Bestenfalls würden ein paar Automechaniker aus reiner Berufsehre versuchen, sauber zu bleiben. Aber wohl nicht sehr viele.

Genau das ist dagegen der Zustand bei SFI. Als “Kunde” sind Flüchtlinge in unserem System so gut wie machtlos. Die Alten im Heim haben vielleicht noch einen Angehörigen, der Alarm schlagen kann bei Pflegemissständen. Die Flüchtlinge haben niemanden. Viele können nicht einmal beurteilen, ob ihr Unterricht gut oder schlecht ist, denn womit soll ihn der irakische Unteroffizier vergleichen? Man hätte sich also mit dem Hintern ausrechnen können, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis die Schnäppchenjäger angerannt kommen, wenn man SFI dem Markt aussetzt.

Habt deshalb Mitgefühl mit den armen SFI-Lehrern, die ständig zu hören bekommen, sie würden die Integration eigenhändig zugrunde richten. Sie bekommen nur selten die Chance, ihre Arbeit gut zu machen. Beschuldigt also nicht die Lehrer, sondern ihre Arbeitgeber und lasst die Revisoren einmal ein Auge auf die zuweilen engen Freundschaften zwischen unseriösen SFI-Unternehmern und deren Auftraggeber in den Gemeinden werfen.

Unter diesen Vorraussetzung wäre SFI zur Katastrophe geworden, gäbe es nicht die Idealisten. Wer funktionierendes SFI sehen will, braucht nur die rote Linie nach Süden zum Erwachsenengymnasium in Vårberg zu nehmen.

Dort kann man sich mit Michael Carnheden über das Getriebe der R-Serie von Scania unterhalten, oder über den richtigen Gebrauch des konjugierten Verbs, oder was der r-Laut bei Baudelaire bewirkt. Zur Zeit bringt er zwanzig Einwanderern LKW-Schwedisch bei. Der Kurs läuft seit September und spätestens im Mai sollen alle den C-Führerschein haben und hinterm Steuer sitzen.

Vårbergs SFI-Lehrer haben ihre Kompetenzen überschritten. Sie haben die Region nach Flüchtlingen mit Mangelberufen durchsucht, haben ihnen angepasste Kurse zusammengestellt, haben Pakte mit Praxen, Speditionen und Einzelhandelschefs geschlossen und haben – das Allerschwierigste – eine ganze Reihe von Sozialämtern davon überzeugt, Ausnahmen von diversen Regeln zu machen (wie die, dass Ausbildung nicht als Beschäftigung gilt). Und sie sorgten dafür, dass die Leute zu Essen und ein Dach über dem Kopf hatten. Eigentlich Selbstverständliches, könnte man meinen. Aber weil unser Integrationsapparat so aufgebaut ist wie er ist, war es eine kleine Heldentat.

“Idealismus”, schrieb ich, aber das war das falsche Wort. “Respekt” ist eher am Platz. Zuallererst vor sich selbst als Lehrer. Und vor den Schülern.

Wie bezeugt man einer Frau Respekt, die sich zum Pflegepersonal ausbildet, aber zum Unterricht in ein graues somalisches Gewand verhüllt kommt? So vielleicht: “In diesem wunderschönen Kleid wirst du nicht im Krankenhaus arbeiten können. Wenn du immer so gekleidet sein musst, ist es wohl besser, dass du abbrichst.” “Und schau an, am nächsten Tag kam sie mit rosa Kopftuch und normaler Kleidung und wirkte sehr zufrieden damit, dass sie mich dazu gebracht hat, mich zu beschweren.”, erzählt die Lehrerin.

Siehe da, eine elegante Art, das mit der “Kultur” zu handhaben. Von weniger eleganten handelt der nächste Artikel.

Juhan Khaled, Marion Hanna, Abdulrahman Ali, Ali Firas, Safia Nasser und Frau Ambro heißen in Wirklichkeit anders.

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-03. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

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