Ich sitze gerade im hiesigen Unihauptgebäude zu einem Seminar mit dem
Titel “Die Universität Uppsala, der Nationalsozialismus und
Nazideutschland”
(PDF).
Zweieinhalb Stunden lang versuchen sechs Professoren, Schriftsteller und
Journalisten in einem Diskussionsforum zu beleuchten, welche Rolle
damals die Universitäten, im besonderen Uppsala, beim Verhältnis zu den
Nazis spielten und was das im Nachhinein für Auswirkungen hatte.
Es geht los. Ich wäre fast nicht in den Saal gekommen. Dass man sich
voranmelden konnte, hatte ich verpasst. Ich bekam dann aber doch noch
einen Platz. Immerhin schön zu sehen, dass das Thema viele Menschen
interessiert.
Zu Eingang wird betont, wie wichtig die Anwesenden Debatteure für die
Diskussion über das Verhältnis der Schweden zu den Nazis waren. Ein paar
Bücher derselben Personen werden genannt. Birgitta Almgren hat zum
Beispiel ein Buch über die Faszination des Nordens und
nationalsozialistische “Infiltration” Schwedens geschrieben.
Als Hintergrund sollte man vielleicht noch wissen, dass die eigene Rolle
während des zweiten Weltkriegs in der öffentlichen Diskussion in
Schweden noch recht jung ist. Die “Aufarbeitung” dieses Kapitels der
eigenen Geschichte haben die Schweden recht lange vor sich hergeschoben.
Anhand dessen wie der Moderator die Teilnehmer vorstellt deutet sich an,
dass sowohl die Rolle der Studenten und des Studentkår als auch die
Flüchtlingspolitik Schwedens im Bezug auf Juden zur Sprache kommen wird.
Die Einleitung von Sverker Oredsson beginnt damit, wie lange schwedische
Historiker auf die Linie eingeschwenkt waren, dass die Politik Albin
Hanssons während des zweiten Weltkriegs tadellos war. Zur Erinnerung:
Schweden war offiziell neutral, machte aber allerlei Konzessionen an
Nazideutschland, um nicht in den Krieg verwickelt zu werden. Zum
Beispiel wurden zwei Millionen deutsche Soldaten auf schwedischen
Schienen transportiert.
Erst 1991 kam eine kurze Streitschrift heraus, die die schwedische Rolle
als beschämend darstellte. Als mögliche Erklärung für die Verzögerung
führt Oredsson die Konzentration nach dem Krieg auf Deutschland als den
einzigen Schuldigen an, während alle Nachbarn als Opfer gesehen wurden.
Er stellt auch dar, wie die schwedische Angst vor einem Angriff
Deutschlands wohl übertrieben war. Man verkaufte weiterhin viel Eisenerz
an die Nazis und nazikritische Zeitungen wurden vorsichtshalber
verboten. Die öffentliche Meinung war, gerade unter Akademikern, sehr
dagegen, fliehende Juden aufzunehmen.
Birgitta Almgren erzählt, wie ihre beiden ehemaligen Professoren in
Uppsala in den 60ern und 70ern die Ausnahme waren, wenn sie ähnliche
Forschung wie ihre Deutschen betrieben, um die Nazizeit aufzuarbeiten.
Was waren die Reaktionen an schwedischen Universitäten als die Nazis die
Macht übernahmen? Damals war Deutsch die Sprache der Akademiker in
Schweden. Dissertationen wurden darin verfasst. Die deutschen
Professoren gaben nicht nur Berichte über Schweden weiter, sondern
versuchten auch, für Verständnis für die Nazis zu werben – allerdings
oft vergebens gegen die “linke Presse”. Traditionalismus und Skepsis
gegenüber Amerikanisierung und Avantgarde waren jedoch ein Weg wie sich
der Sprachgebrauch dem der Nazis näherte. Das schaurige Beispiel eines
Nazi-Agenten in der schwedischen Schulaufsicht wird erzählt.
Der nächste Redner, Ola Larsmo, beginnt damit, wie mehrere
Studentorganisationen in Uppsala sich direkt an den Staatschef wandten,
um für die Sache der Juden einzutreten. Das weckte einiges böses Blut.
Bei einem Treffen der Studenten
(Bollhusmötet) in Uppsala
kam es zu einem verbalen Kräftemessen zwischen beiden Seiten, als es
darum ging, 12 jüdischen Ärzten an der Uni Posten zu geben. Die
Argumente reichten von sachlich bis rein rassistisch und antisemitisch.
Juristen und Theologen werden als besonders engagiert – auf beiden
Seiten – hervorgehoben. Es gab also auch Anhänger der deutschen
Christen.
1942 kamen tausend Juden durch die Wälder aus Norwegen und erzählen, was
dort eigentlich passierte. Das führte dazu, dass Schweden bald mehr
Juden aufnahm.
Heléne Lööw berichtet von der Stille, die lange über dem Thema
Antisemitismus lag. Vorfälle wie der als eine Stockholmer
Studentorganisation Anschläge auf eine Flüchtlingsorganisation plante,
festgenommen wurde und sich dann lediglich nicht mehr in
Universitätsgebäuden treffen durfte, sind im allgemeinen schlecht
untersucht. Es herrschte und herrscht die generelle Meinung “Schweden
sind keine Antisemiten”. Laut Lööw ist man noch am Anfang mit der
Forschung zu diesem Thema.
Svante Nycander geht noch einmal auf das Bollhusmöte ein und wie es
dazu kam. Das ist mir gerade zu kompliziert, es ausformulieren zu
können.
Mein polnischer Bekannter flieht gerade den Saal. Solche Veranstaltungen
sind qualvoll, wenn man noch Probleme mit der Sprache hat. Ich erinnere
mich, zu Anfang meiner Zeit in Schweden selbst frustriert öffentliche
Vorlesungen verlassen zu haben. Ein wenig übertrieben hochgestochen
reden die Leute durchaus.
Karin Kvist Geverts ist die Quotenperson zum Senken des
Altersdurchschnitts, frischgebackene Doktorin. Sie spricht über die
Flüchtlingspolitik und erzählt, dass schon ab 1932 Juden im schwedisch
sauber geführten Melderegister einen Vermerk bekamen und auch
diskriminiert wurden. Zwar wurde ungefähr die Hälfte der jüdischen
Flüchtlinge aufgenommen, allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass sie
weiterreisen. Geverts geht auf die Ausbildung und das Verhalten von
Amtspersonen ein, besonders nach der “Reichskristallnacht” 1938 als
Schweden laut Vieler von Juden “überschwemmt” wurde. Man führte
Ausländerzählungen durch und die Ergebnisse wurden am gleichen Tag wie
das Bollhusmöte in Uppsala bekannt gegeben. Ein hoher Beamter hielt
dieses Studententreffen für wichtig genug, dort zu reden und die
“Invasion der Juden” mit Zahlen zu widerlegen.
Wieder Sverker Oredsson. Er erzählt wie der “Völkische Beobachter”
einige Studentorganisationen in Uppsala und Lund pries, weil sie sich
energisch gegen “Semigranten” einsetzen. Er liest eine Passage aus
Nycanders Buch “Världen ur Uppsalaperspektiv” – das lasse ich mir gern
zu Weihnachten schenken. In Fortsetzung zu Geverts geht er auf das
“antisemitische Hintergrundrauschen” ein und wie “Tradition” oft sehr
nah den Nazis war.
Jetzt sind alle durch und die Debatte wird freier. Larsmo fängt an und
antwortet Nycander, dass man die Studenten in Uppsala nicht damit
verteidigen kann, dass das Bollhusmöte wegen einer Intrige der
Nazi-Freunde zustande kam. Fotos zeigen zum Beispiel, dass 1935 die
Straßen in Uppsala mit Nazipropaganda plakatiert waren.
Birgitta Almgrem weist auf den Sprachgebrauch von “deutschfreundlich”
(tyskvänlig) hin, wenn man “nazifreundlich” meinte. Die Nazipropaganda
hatte es also geschafft, deutsche Kultur und Menschen mit “Nazis”
gleichzusetzen.
Nycander führt den Vergleich zwischen oben genanntem und der heutigen
Flüchtlingsproblematik. Das passte nicht wirklich, finde ich.
Interessant dagegen, dass die heute noch dominierende Lokalzeitung
“Uppsala Nya Tidning” stark antinazistisch war.
Warum dauerte die Stille um Schwedens Rolle bis Ende der 80er und warum
war es ein amerikanischer Historiker, der den Anstoß gab sie zu
brechen?, fragt der Moderator. Lööw, die angebliche Expertin zu dem
Thema, redet jedoch lieber über heutige Flüchtlinge. Dann geht sie aber
doch auf den Unwillen ein, das Problem bei sich selbst zu sehen. Man
führte lieber allerlei Erklärungen an, um nicht am Selbstbild zu
rütteln.
Wenn man die großen schwedischen Universitäten nach ihrem Grad an
Nazifreundlichkeit und -einfluß ordnen wolle, so war laut Oredsson Lund
am “schlimmsten”, dann Uppsala und Stockholm etwa gleichauf und Göteborg
am wenigsten bedenklich, nicht zuletzt wegen des damaligen Rektors dort.
Interessante Details fand ich noch, dass der
Rassengünther in den
20ern an der Uni Uppsala war und dass hier auch das schwedische
Institut für
Rassenbiologie
angesiedelt war und zwar in einem Haus, das ich bisher immer ganz schick
fand.
Jetzt kommen Fragen aus dem Publikum. Der erste Fragende hatte eine sehr
gute, bekam aber keine wirkliche Antwort aus dem Panel. Jetzt traf das
unvermeidliche ein, ein älterer Herr erzählt eine Anekdote, die gern
eine Minute wert gewesen wäre, aber nicht über 5. Und der Moderator
traute sich trotz seiner Ankündigung zu Beginn nicht, ihn abzuwürgen.
Ah, der erste Deutsche steht auf und spricht. Ein Professor in
Stockholm, der seinen Status auch gleich heraushängen lässt,
hihihi. Ich mag
befangen sein, aber er kommt wirklich besserwisserisch herüber und
klingt als wäre er ein wenig sauer, nicht selbst ins Panel eingeladen
worden zu sein.
Zum Abschluss betont Nycander die Rolle, die die heute noch existierende
Studentenzeitung Ergo des Studentenkorps Uppsala in der öffentlichen
Debatte in ganz Schweden spielte und dass im Großen und Ganzen die
Debattenkultur darin recht sachlich war. Auch wenn die Studenten die
damaligen Ansichten in der Bevölkerung widerspiegelten, wirkte die eher
liberale und demokratische Atmosphäre an der Uni der Radikalisierung
entgegen, befindet Nycander.
So, jetzt ist es zu Ende. Alles in allem sehr interessant, fand ich.
Lang geworden ist der Text und ich lese jetzt nicht noch Korrektur,
sondern fahre nach Hause.
Zuletzt eine kleine Warnung: Es ist durchaus möglich, dass ich im oben
Geschriebenen etwas missverstanden habe. Zuhören und gleichzeitig
schreiben ist nicht ganz einfach.