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Wort der Woche: Lunginflammation

Man kann es wohl erraten, dass lunginflammation das schwedische Wort für “Lungenentzündung” ist. Keine Sorge, ich habe keine, sondern René Descartes – vor gut 350 Jahren. Er starb daran im Februar 1650 in Stockholm. Und das kam so.

Königin Kristina, die Tochter des schon mindestens einmal hier erwähnten Gustav II. Adolf, des Architekten des Großreichs Schweden im 17. Jahrhundert, war an der Macht. Sie förderte die Uni Uppsala – unter anderem landete die Unibibliothek von Würzburg als Beute nach dem Dreißigjährigen Krieg hier in Uppsala – und ihren verschwenderischen Hof schmückte sie mit Künstlern und Gelehrten.

Nach einem längeren Briefwechsel mit Descartes lud sie ihn im Herbst 1649 zu sich nach Stockholm ein. Ob er bei dieser “Einladung” so viel Wahl hatte, sei dahingestellt. Auf jeden Fall bekamen ihm die kalte Umgebung und die von ihr geforderten frühmorgendlichen Sitzungen mit der Königin nicht. Nach nur wenigen Monaten starb Descartes an der erwähnten Lungenentzündung.

Dass sie im protestantischen Schweden später die Krone niederlegte, um sich mitsamt Staatskasse im Rom dem Papst zu unterwerfen, dafür ist sie jedoch allemal mehr bekannt, als dafür, Descartes auf dem Gewissen zu haben.

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Sture Linnér und Sverker Åström

Sture Linnér und Sverker Åström geben heute nachmittag die diesjährige Vorlesung zu Ehren von Dag Hammarskjöld, der aus Uppsala kam, unter anderem zweiter Generalsekretär der UNO war und den Friedensnobelpreis kurz nach seinem Tod erhielt (das ging damals noch).

Åström und Linnér sind beide über 90 Jahre alt und gehören zu den wichtigen alten Herren der schwedischen Außenpolitik. Linnér war unter anderem enger Mitarbeiter Hammarskjölds und saß im gleichen Flugzeug wie dieser auf dem Weg nach Rhodesien, bis Hammarskjöld ihn von Bord schickte, weil es ein Fehler sei, zusammen zu reisen. Der Flieger stürzte kurz vor der Landung ab und Hammarskjöld kam um.

Sverker Åström ist neben seinen zahlreichen diplomatischen Aktivitäten und Auszeichnungen auch präsent in öffentlichen Debatten, nicht zuletzt als Leitartikler für Dagens Nyheter. Außerdem ist er offen homosexuell und wegen seines hohen Alters und Status ein Aushängeschild der Bewegung. Er moderierte letztes Jahr sogar kurze Zeit die Fernsehsendung Böglobbyn (“Schwulenlobby”). Mehr Info zu den Vortragenden auch hier und hier.

Ich weiß noch nicht, ob ich selbst um 5 Uhr in die Aula des Unihauptgebäudes gehe oder stattdessen der Liveübertragung übers Netz vertrauen soll.

Nachtrag: Ich war doch selbst da und habe ein paar Fotos gemacht. Die Reden waren sehr interessant. Åström begann mit einem Schwerz, in dem er nebenbei seinen 22-jährigen Partner erwähnte, hielt dann eine brennende Anklage gegen den Angriff der USA auf den Irak 2003 und legte dar, wie Dag Hammarskjöld das Vorgehen verurteilt hätte. Er lobte den damaligen Generalsekretär Kofi Annan, der übrigens 2001 auch schon diese Gedächtnisvorlesung gehalten hat, dafür, meist in Hammarskjölds Sinn gehandelt zu haben.

Linnér erzählte von der Kongo-Krise, die ihn und Hammarskjöld die Monate vor dessen Tod beschäftigte und die leicht zu einem überregionalen Konflikt hätte werden können. Die damaligen Anfeindungen sowohl von sowjetischer als auch amerikanischer Seite fanden ebenso Erwähnung wie die letzte Diskussion vor dem Unglücksflug und das Argument, mit dem Hammarskjöld Linnér dann wieder aus dem Flugzeug aussteigen ließ. Später lud Kennedy Linnér zu sich ein, entschuldigte sich für den Druck von seiner Seite und nannte Hammarskjöld einen “größeren Mann als ich es bin”.

Beide Redner waren an den Stellen, an denen es um die Person Hammarskjöld ging, zu Tränen gerührt und für die zahlreichen Zuhörer bestätigte sich einmal mehr, dass Dag Hammarskjöld einer der Schweden des 20. Jahrhunderts war und dass man zu Recht auf ihn stolz ist.

Sverker Åström und Sture
Linnér

Sverker Åström und Sture Linnér – man beachte die Socken.

Nachtrag 071022: mehr Bilder hier.

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50 Jahre Sputnik 1

Heute vor 50 Jahren schoss die Sowjetunion Sputnik 1, den ersten künstlichen Satelliten, in eine Erdumlaufbahn. Unser Institut, zu dem auch Satellitenbauer gehören, feierte demensprechend gerade öffentlich mit einer kleinen Ausstellung (alte Zeitungsartikel, ein Modell und der Originalton von Sputnik) und Torte:

Sputnik-Torte

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3. Oktober

Glückwunsch!

Mauerfall und Wiedervereinigung sind als wohl wichtigstes Ereignis in der deutschen Geschichte seit der Gründung der Bundesrepublik auch im Ausland noch gut in Erinnerung. Dass sich Korea interessiert, das gerade wieder einmal vorsichtige Schritte zur Annäherung der beiden Teile tut, verwundert kaum.

Gleiches gilt jedoch auch für die europäischen Nachbarn. In Schweden schreibt zum Beispiel SvD in der heutigen Ausgabe darüber, wie die DDR lange Zeit in Filmen romantisiert wurde, sich jetzt aber das Bild wieder eher zum Negativen wendet.

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Brandt-Ausstellung in Stockholm

Willy Brandt lebte ab 1940 bis zum Ende des zweiten Weltkriegs in Stockholm im Exil. Neben Park und Statue gibt es jetzt auch die Ausstellung Willy Brandt – Staatsmann und Europäer.

Der Fabian war bei der Eröffnung und ich werde bestimmt vorbeischauen, wenn ich das nächste Mal in der Stadt bin.

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Wort der Woche: Gustavianum

Das Gustavianum ist eines der älteren Gebäude der Universität in Uppsala. Es wurde 1622-1625 am Domplatz, direkt gegenüber der Kathedrale erbaut. Neben einem permanenten Museum und wechselnden Ausstellungen ist in der Kuppel der Anatomielehrsal von Olof Rudbeck zu besichtigen.

![Das Gustavianum zu Beginn des 20 Jhdts. Bild: Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Gustavianum%2C\_fr%C3%A5n\_Ugglan.jpg](/pic/gustavianum_old.jpg "Das") Das Gustavianum zu Beginn des 20 Jhdts. Bild: [Wikipedia](http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Gustavianum%2C_fr%C3%A5n_Ugglan.jpg)

Das Gebäude hat seinen Namen von Gustav II. Adolf, der es errichten ließ, als der bisherige Universitätssitz nicht mehr ausreichte, den wachsenden Bedarf an hochqualifizierten Menschen für die aufstrebende Großmacht Schweden zu decken. Zu Beginn fanden sich außer Lehrsälen, Essens- und Leseräume für Studenten und eine Buchdruckerei im Gustavianum. Später kam eine Bibliothek dazu.

Die auffälligste Veränderung des Hauses fand 1662-63 statt, als der Anantomieprofessor und Universalgelehrte Olof Rudbeck eine Kuppel in der Mitte des Hauses errichten ließ, die eine Sonnenuhr krönt. In der Kuppel befindet sich das Theatrum anatomicum, ein runder Lehrsaal mit Seziertisch in der Mitte, der von steil aufragenden Reihen mit Stehplätzen umgeben ist, so dass 200 Menschen möglichst nah und mit freier Sicht das Geschehen verfolgen konnten. Während des Brandes in Uppsala vom 16. Mai 1702, bei dem Rudbeck viel seiner Arbeit verlor, soll er vom Dach des Gustavianums aus die Löscharbeiten dirigiert haben.

Zwischen 1778, als das alte Hauptgebäude abgerissen wurde, und 1887, als das heutige errichtet wurde, war das Gustavianum Hauptsitz der Universität Uppsala. Die Bibliothek war schon Mitte des 19. Jahrhunderts in den Neubau Carolina Rediviva ausgelagert worden.

Noch bis 1997 wurde das Gustavianum von den universitären Institutionen für alte Geschichte genutzt, seitdem ist es ausschießlich das Museum Gustavianum. Dort sind heute Sammlungen mit klassischen, ägyptischen und nordischen Antiquitäten zu sehen. Rudbecks Lehrsaal ist zugänglich und gehört zur ersten Riege der Sehenswürdigkeiten in Uppsala. Zusätzlich gibt es wechselnde Ausstellungen.

Wer bis hierher gelesen und es noch nicht gemerkt hat: Obiger Text ist aus der Wikipedia. Aber umgekehrt irgendwie. Ich habe den Text vorhin mit dem Gedanken an die Wikipedia geschrieben, weil es zum Gustavianum dort bisher keinen Eintrag auf Deutsch gab. Jetzt schon.

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Ausnahmekino

Es gibt in Uppsala nur zwei größere Kinos mit mehreren Sälen und die gehören mittlerweile beide zu SF, der Svensk filmindustri. Diese Firma produziert auch eigene Filme, hat als Verleih und Vertrieb aber eine marktdominierende Stellung in vielen schwedischen Städten, vor allem wenn es um aktuelle Filme geht.

In Uppsala gibt es zwei rühmliche Ausnahmen vom Mainstream, den Fyrisbiografen und das Slottsbio.

Ersteres Kino gibt es seit 1911 und auf dem wöchentlich wechselnden Programm für die beiden kleinen und sehr gemütlichen Säle stehen vor allem europäische Filme – neu und alt – die in der Regel höheren Ansprüchen genügen als der neueste Streifen aus Hollywood. Es gibt täglich zwei Abendvorstellungen, zweimal pro Woche eine Matinée und seit einiger Zeit auch ein Blog.

Das Schlosskino ist nur drei Jahre jünger als das Fyris und originalgetreu renoviert. Das denkmalgeschützte Lokal ist heute kein kommerzielles Kino mehr, sondern wird von mehreren Filmvereinen in Uppsala genutzt. Das Programm besteht daher in der Regel aus “nur” ein bis zwei Vorstellungen pro Woche, wiederum mit tendenziell kulturell wertvolleren Filmen. Es war im Slottsbiografen, dass Ingmar Bergman als Junge zum ersten Mal in den Vorführraum kletterte und von der Faszination Kino gepackt wurde. Anlässlich seines Todes läuft gerade “Fanny och Alexander”.

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich am Samstag zur Kulturnacht, trotz meiner fünf Jahre in Uppsala, zum ersten Mal im Schlosskino war. Eine überaus passende Atmosphäre für die Vorführung von Stummfilmen mit richtiger Klavierbegleitung.

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Bericht aus der Gruft

Letzte Woche war ich bei den Ausgrabungen im hiesigen Dom, die dort wegen einer geplanten neuen Orgel gerade vorgenommen werden. Wie schon einmal erwähnt hat man dort auch das Grab eines der ersten Astronomen in Uppsala gefunden.

Ich habe Bilder gemacht und etwas mehr auf Schwedisch geschrieben – für Populär Astronomi, in deren Auftag ich unterwegs war.

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Dagen H

Seit genau vierzig Jahren fährt man in Schweden rechts, obwohl in einer Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit gegen die Änderung gestimmt worden war. (via)

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Wort der Woche: Grundlagsutredningen

Schweden hat keine Verfassung, sondern vier Grundgesetze. Eines davon kann in Verbindung mit einem anderen, das jetzt kein Grundgesetz mehr ist, aber trotzdem “Verfassung” genannt werden. Spannend, nicht?

Von vorne: Die vier schwedischen Grundgesetze heißen successionsordningen, regeringsformen, tryckfrihetsförordningen und yttrandefrihetsgrundlagen. Das erste regelt, wie man unschwer am Namen erkennt, die Nachfolge im Königshaus und ist heute das älteste der Grundgesetze (1810). Erst 1980 wurden Frauen auf dem Thron erlaubt und damit Victoria zur Kronprinzessin.

Im Gegensatz dazu ist die “Freiheit zur (Meinungs-) Äußerung” erst seit 1992 Grundgesetz und bildet das Radio-, Fernseh- und Internetkomplement zur “Druckfreiheitsverordnung”, in der wiederum neben der Pressefreiheit auch das Öffentlichkeitsprinzip steht. Die erste tryckfrihetsförordning gab es 1766 und in ihrer heutigen Form gilt sie seit 1949.

Das für die Organisation des schwedischen Staates wichtigste Grundgesetz ist die regeringsformen. Wahlen, die Rolle der Regierung und des Parlaments, der Gesetzgebungsprozess und das Verhältnis zwischen den drei Gewalten des Staates sind hier geregelt. Zusammen mit der “Reichstagsordnung”, die die Arbeit des Parlaments regelt, aber kein Grundgesetz mehr ist, kann man deshalb die “Regierungsform” auch schwedische Verfassung nennen. Die heutige Form gilt seit 1974 und erst kurz davor war das Zweikammerparlament durch eine einzelne Kammer ersetzt worden. Die alte “Verfassung” war von 1809 und damit vor ihrer Abschaffung eine der ältesten in Kraft. Der König hatte darin formell noch politische Macht.

Um eines der Grundgesetze zu ändern braucht es in Schweden zwei gleichlautende Parlamentsbeschlüsse, zwischen denen eine Wahl liegen muss. Auch außerhalb der großen Neuordnungen von 1809 und 1974 gab es immer wieder Veränderungen. 1993 wurde zum Beispiel die Legislaturperiode von drei auf vier Jahre verlängert und die Personenwahl ermöglicht.

Im Juli 2004 wurde eine neue grundlagsutredning beschlossen, also eine “Untersuchung des Grundgesetzes”. Gemeint ist nur die Regierungsform und der Auftrag des eingesetzten unabhängigen Komitees ist, bis Ende nächsten Jahres Vorschläge auszuarbeiten, “wie die Volkssouveränität vertieft und gestärkt werden, wie das Vertrauen des Volkes in das Funktionieren des demokratischen Systems vergrößert werden und wie die Wahlbeteiligung erhöht werden kann” (Übersetzung eines Teils des offiziellen Auftrags). Letzteres ist eine hohes Ziel, liegt doch die Beteiligung bei schwedischen Wahlen meist ein gutes Stück über 80 Prozent – für andere Länder wäre das ein Traumwert, für Schweden ist es eine Verringerung von über 90 Prozent in den Siebzigern und Achtzigern.

2009 wird also eine breite Diskussion über den Bericht und die Vorschläge der grundlagsutredningen stattfinden und dann eventuell in eine Verfassungsänderung münden. Alles in allem ist es aus deutscher, durch die eigene Geschichte der letzten zweihundert Jahre an große Umbrüche gewöhnte Sicht erstaunlich, wie sich große Veränderungen nach und nach in Schweden durchsetzen, ohne dass es einer Revolution oder eines Krieges bedarf.

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