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Wort der Woche: Hen

Wie wir alle wissen ist Schweden in Sachen Gleichberechtigung relativ weit vorne in der Welt. Das gilt sowohl für allerlei praktische Regelungen als auch für das Bewusstsein um Geschlechterrollen, das bei vielen angekommen ist. Denn nur wer die typischen Verhaltensmuster und Erwartungen bei sich und anderen erkennt, kann dazu Stellung beziehen.

Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist könsneutral, “geschlechtsneutral”. Gesetze und Bestimmungen zum Beispiel sollen natürlich so formuliert sein, dass sie unabhängig davon sind, ob die Beteiligten ein Y-Chromosom haben oder nicht; das Prinzip streckt sich aber viel weiter. Denn was immer wir lesen oder hören, sobald von “ihr” oder “ihm” die Rede ist, schwingt das individuelle Bild vom eigenen und dem anderen Geschlecht mit. Dies möchte man als Schreibender in gewissen Situationen vielleicht bewusst vermeiden. (Dazu kommt, dass “Geschlecht” bei weitem keine so klar getrennte rosa beziehungsweise hellblaue Sache ist, wie sich die meisten das vorstellen.)

Sprachlich entsteht hierbei das Problem, mit dem das Schwedische natürlich nicht alleine ist, dass es kein geschlechtsneutrales Pronomen gibt, sondern nur “er” oder “sie”, han eller hon. Es ist zwar nicht falsch, das Pronomen für Dinge, den, auch für Personen zu benutzen, man vermeidet dies aber lieber. Und so kommt es, dass sich jemand das Wörtchen hen als geschlechtsneutrales Personalpronomen ausgedacht hat; Objektform henom, possessiv hens.

Ursrünglich war es wohl nur dafür gedacht, nicht immer han eller hon sagen oder schreiben zu müssen, gewisse Kreise propagieren jedoch, hen auch dann zu benutzen, wenn das Geschlecht der betreffenden Person zwar bekannt ist, aber keine Rolle spielt; also han und hon durch hen zu ersetzen. Als neulich das erste Kinderbuch erschien, das konsequent hen verwendet, machte das Wort den Schritt von Transsexuellen und feministischen Aktivisten ins Rampenlicht und eine ordentliche Debatte brach los.

“Hen verwirrt Kinder!”, meinen die einen. “Lieber als Individuum denn als Geschlecht”, sehen sich andere. “Hen ist als Wort schon vergeben und bedeutet Schleifstein”, rufen die selbsternannten Sprachwächter und der rechte Rand schimpft über die “Geschlechtsextremisten” und “neue Auswüchse an politischer Korrektheit”. Da “Mann sein” und “Frau sein” für viele zum Selbstbild dazu gehört, ist es wohl nicht verwunderlich, dass sich Widerstand dagegen regt, das Geschlecht zur Identitätsstiftung abzuschwächen. Ich persönlich kann mich mit hen durchaus anfreunden.

Wieder andere sehen die humoristische Seite der Diskussion und schaffen eine pragmatische Lösung: Der Henerator ist ein Browser-Plugin, das überall han und hon durch hen ersetzt.

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Spielzeugkatalog

In Schweden versuchen auch Spielzeugkataloge, keine alten Geschlechterrollen zu zementieren.

(Bild via Facebook)

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Stand der Entwicklung

Das UNDP hat den diesjährigen Bericht zum weltweiten Entwicklungsstand veröffentlicht, der Länder mit Hilfe des Entwicklungsindex HDI vergleicht, in den Einkommen, (Aus-)Bildung und Lebenserwartung einfließen.

In dieser Rangliste landet Schweden auf Platz 10, direkt hinter Deutschland und vor der Schweiz. Norwegen belegt die Spitze vor Australien. Interessant ist die Veränderung, wenn man den HDI auf Verteilungsgerechtigkeit korrigiert: Dann rutschen die USA von Platz 4 auf 23, Schweden steigt auf Platz 3 und Deutschland auf 7.

Ebenfalls im Bericht findet sich der Gleichberechtigungsindex und hier führt in der Tat Schweden die Welt an; vor Holland, Dänemark, der Schweiz, Finnland, Norwegen und Deutschland wieder auf Platz 7.

Die gresamte Tabelle findet man in der Kurzversion des Berichts (PDF) – was DN davon hält, steht hier.

Nachtrag 111117: Vor fünf Jahren hatte ich das Thema schon einmal, wie ich gerade zufällig entdeckte.

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Retweet

Grüne Frauen zwitschern:

Die beiden Länder, die mehr als 50 Prozent Frauen ins EP schicken: Schweden 56%, Finnland 62% Frauen. #EP09

und:

Länder die ungefähr im EP-Frauenanteil mit D gleichauf liegen, sind: Ungarn , Rumänien, Slowakei, Spanien (um die 36% Frauenanteil) #EP09

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Alles neu macht der Mai

Zwei Neuerungen zum Monatswechsel:

  • Gleichgeschlechtliche Paare können ab heute in Schweden heiraten, nicht mehr nur ihre “Partnerschaft registrieren”.

  • Ab sofort darf es in Schweden auch “richtige” Eigentumswohnungen geben, nicht nur das übliche Wohnrecht (Artikel überarbeitet). Vorerst jedoch nur bei Neubauten mit mehr als drei Wohnungen.

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Was ändert sich 2009? Teil 4

Vierter und letzter Teil mit neuen Gesetzen und veränderten Regeln in Schweden zum Jahreswechsel. Teil 1, Teil 2, Teil 3.

  • **Integrations- und Gleichberechtigungsministerium** - *Änderung in der Verordnung zum staatlichen Ausgleich für die Aufnahme von Flüchtlingen aufgrund der neuen Regeln zur Arbeitskrafteinwanderung.* Das hängt mit den im [ersten Teil](http://www.fiket.de/2008/12/16/was-aendert-sich-2009/) erwähnten neuen Regeln zur freieren Einwanderung von Arbeitskraft zusammen. Die Gemeinden bekommen also keine Hilfszahlungen für diese Art Einwanderer. - *Neues Diskriminierungsgesetz und neuer Diskriminierungs-Ombudsmann.* Die bisherigen [Ombudsmänner](http://www.fiket.de/2007/12/10/wort-der-woche-jo-jk/) für Gleichberechtigung, gegen ethische, sexuelle und behinderungsbedingte Diskriminierung werden zusammengelegt. Das neue Diskriminierungsgesetz ersetzt auch einige frühere Einzelgesetze und gilt für einen weiteren Bereich der Gesellschaft. - *Änderung in der Verordnung zu staatlichen Beihilfen für Tätigkeiten gegen Diskriminierung.* Das ist eine vor allem eine Umformulierung soweit ich sehen kann. - *Beitrag für die Gemeinden für deren Mithilfe bei den Wahlen zum Europaparlament 2009.*
  • - *Pauschalbeitrag für die Aufnahme von Flüchtlingen.* Die Beträge werden angehoben. - **Kulturministerium** - *Erhöhte Fernsehgebühr.* - *Erhöhung der Bibliothekserstattung.* Verfasser werden in Schweden für die Nutzung ihrer Werke in Bibliotheken kompensiert. - *Das “Reichsarkiv” übernimmt die Aufgabe, ein schwedisches biographisches Lexikon herauszugeben.* Die eigene Behörde dafür wird aufgelöst und das Pendant zum deutschen Bundesarchiv übernimmt. - *Die Verbrechen des Kommunismus werden in den Auftrag des Forums für lebendige Geschichte aufgenommen.* Wenn ich mich recht erinnere, gab es vor einiger Zeit eine größere Diskussion darüber, dass die Zeit des Kommunismus in Osteuropa zu beschönigend dargestellt wird, unter anderem in Schulbüchern. Das [Forum für lebendige Geschichte](http://www.levandehistoria.se/) liegt in der stockholmer Altstadt. - *Das Architekturmuseum bekommt ein breiteres Tätigkeitsfeld.* Formgebung und Design kommen hinzu. - **Arbeitsmarktministerium** - *Zusammensetzung des Arbeitsgerichts.* - *Änderungen im Gesetz zum Arbeitsumfeld.* Dabei geht es um Unfallvermeidung und Gesundheitsrisiken am Bau. - *Arbeitslosengeld bei Auszeit ohne Lohn.* - *Handhabung von personenbezogenen Daten in arbeitsmarktpolitischen Tätigkeiten.* Die Arbeitslosenversicherung und das Amt zur Arbeitsvermittlung sollen auf die Daten des jeweils anderen zugreifen können und erstere hat in bestimmten Fällen eine Unterrichtspflicht gegenüber letzterem.
  • *Zinsen bei Rückzahlungsforderungen von Arbeitslosengeld.* Unter bestimmten Bedingungen müssen jetzt Zinsen gezahlt werden, wenn man fälschlich Arbeitslosengeld bekommen hat und es zurückzahlen muss.

    So, das waren jetzt alle Punkte aus dem schwedischen Dokument ([PDF](http://regeringen.se/download/d4eebe7f.pdf?major=1&minor=117622&cn=attachmentPublDuplicator_0_attachment)).
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Keine männliche Lucia, bitte!

Lucia ist in Schweden, was der Nikolaus in Deutschland. Na ja, zumindest haben beide Feste gemeinsam, dass eine Person mit kirchlichem Hintergrund der Anlass ist, dass es mit Kindern zu tun hat, dass ein paar Wochen vor Weihnachten gefeiert wird und dass das jeweils andere im eigenen Land weitgehend unbekannt ist.

Gestern war wieder einmal Lucia und man sah schon in den Tagen davor allerlei kerzentragende junge Menschen singend in den Straßen. Eine interessante Anekdote hat sich in diesem Zusammenhang in Motala am See Vättern zugetragen. Die Schüler wählten wie üblich, wer die diesjährige Lucia der Schule werden solle. Und die Wahl fiel auf einen Jungen. Die Rektorin (!) fand das jedoch nicht in Ordnung und bestimmte, dass die Lucia weiblich zu sein hat.

Und weil man sich in Schweden der Ungleichbehandlung der Geschlechter von klein auf bewusster ist als anderswo und weil aktiv versucht wird, die klassischen Geschlechterrollen aufzubrechen, schaffte es diese Geschichte in die landesweiten Medien. Die Facebook-Gruppe Lasst den Jungen Lucia werden! hat knapp zehntausend Mitglieder.

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Homo-Ehe trotz Christdemokraten

In Schweden dominiert die Wahl von Barack Obama zur Zeit die Nachrichten genauso wie in Deutschland. Deshalb war es wohl sehr schlau vom schwedischen Premierminister Fredrik Reinfeldt, gerade gestern bekanntzugeben, dass die Regierung keinen gemeinsamen Vorschlag zur Einigung bezüglich der lange diskutierten Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe vorlegen wird.

Der Hintergrund ist folgender. Eine “registrierte Partnerschaft” können homosexuelle Paare zwar schon länger eingehen, aber obwohl fast alle Parteien auch für die “Ehe” sind, sträubt sich die an der Regierung beteiligte kleine Partei der Christdemokraten. Dass deswegen kein Kompromiss der Regierung zustande kam, kann die Christdemokraten nicht freuen, denn jetzt werden wohl bald einzelne Parlamentarier das geschlechtsneutrale Ehegesetz ins Parlament einbringen wo es von einer breiten Mehrheit, inklusive Opposition, angenommen werden wird. Formell werden die Christdemokraten also von ihren Koalitionspartnern nicht übergangen, in der Praxis aber schon.

Das wäre in etwa so als wenn die Regierung Schröder den Bau von neuen Kernkraftwerken gegen den grünen Koalitionspartner mit Hilfe der Stimmen der FDP durchgebracht hätte. Dass die Koalition um Reinfeldt wohl trotzdem bestehen bleiben wird, zeugt wiederum von einem ausgeprägten Pragmatismus in der schwedischen Politik.

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Patrik 1,5

Vorgestern Abend haben wir Patrik 1,5 gesehen, ein aktueller schwedischer Film von Ella Lemhagen mit Gustaf Skarsgård und Torkel Petersson in den Hauptrollen. Die beiden spielen das schwule Pärchen Göran und Sven, die vom Sozialamt grünes Licht für eine Adoption bekommen haben und gerade in eine vorstadtidyllische Straße mit Einfamilienhäusern gezogen sind.

Als das Sozialamt ihnen dann endlich den anderthalbjährigen “Patrik” anbietet, ist die Freude groß – bis sich herausstellt, dass das Komma verrutscht war und Patrik (Tom Ljungman) ein Fünfzehnjähriger mit krimineller Vorgeschichte ist. Es folgen allerlei Verwicklungen, aber natürlich geht der Film gut aus.

Besonders bemerkenswert fand ich die Darstellung des homosexuellen Paares und der Welt um sie herum. Frei von Schwulenklischees sind Göran und Sven einfach zwei liebende Menschen mit den gleichen Alltagsproblemen, die alle Paare erleben. Es ist ihre Umwelt, die bizarr herüberkommt. Von kleinen Gängeleien bis zu offener Feindseligkeit – ohne unglaubwürdig zu wirken sind es die Nachbarn, die seltsam sind, nicht das schwule Pärchen.

Abgesehen von der vielleicht zu schnellen Wandlung von Patrik zum “guten Jungen” haben wir den Film durchweg genossen und es gibt viel zu lachen. Patrik 1,5 ist bei weitem kein Genrefilm für Schwule, sondern sei jedem, der Schwedisch kann, ans Herz gelegt. Dem Credo Charmantester Film des Herbstes kann ich mich nur anschließen.

Die erfolgreicheren schwedischen Filme schaffen es ja manchmal auch in deutsche Kinos und da Patrik 1,5 hier wohl sehr gut läuft, kann man das auch für diesen Film hoffen.

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Im Zug

Der Wecker klingelt, es ist fünf Uhr. Wo bin ich? Ach ja, im Bettsofa eines Freundes in Stockholm. Seltsam, dass man es auf solche Weise lösen muss, wenn man den Sechs-Uhr-Zug Richtung Malmö nehmen will und in Uppsala wohnt. Wir fahren zum Bahnhof mit dem letzten Nachtbus, ergreifen eine kostenlose Ausgabe des Svenskan, kaufen Kaffee und Frühstück und steigen in den Zug. Die Hoffnung, dass mich das gebuchte ruhige Abteil von Kindergeschrei verschont, bestätigt sich. Schlafende Leute in den Sitzen der näheren Umgebung. Frühstücken und Zeitung lesen. Einzig interessant ist die Geschichte aus den Dreißigern, als der schwedische König von seinem angeblichen Liebhaber erpresst wurde und der Hof sich dessen mit Hilfe der Gestapo entledigen wollte. Ich packe den Rechner aus und schaue eine Folge Star Trek Voyager. Nur noch anderthalb Staffeln, dann bin ich mit der einzigen mir bislang unbekannten Serie des Star-Trek-Universums durch. Ich lade meine Internet-Karte auf und lese Emails und Neuigkeiten. Elvis Costello und Beck kommen aus den Kopfhörern. Mehr Kaffee aus dem Bordrestaurant. Ich lasse die Woche Revue passieren. Ist etwas Bloggenswertes passiert? Dass ein schwedischer Olympiakommentator meinte, man könne ja kein Mitleid mit deutschen Sportlern haben, weil man nur Hitler denken würde, hat ein paar Wellen geschlagen. Aber ich versuche ja, Sport auf Fiket zu vermeiden. Biologen meinten, dass Schweden genetisch mit den Norddeutschen am meisten gemein haben, viel mehr als mit den Finnen. Die Firma, die die Kästen zum Drücken an Fußgängerampeln in vielen schwedischen Städten herstellt und diese auch exportiert, wird sehr christlich geführt. Gemeinsames Beten am Arbeitsplatz und solche Dinge. Nach eigener Aussage haben sie ein christliches Symbol auf ihr Produkt gedruckt: Die nach oben zeigende Hand meint nicht den Knopf über ihr, sondern Gott. Das vergaßen sie natürlich, beim Verkauf zu erwähnen. Bizarr und beleidigend, finde ich. Natürlich auch amüsant. Neben Tipps und Theorie habe ich im pädagogischen Kurs während der ersten Woche auch ein paar Hintergründe über das schwedische Universitätssystem erfahren. Zum Beispiel dass es recht ambitionierte und konkrete Pläne gibt, Ungerechtigkeiten und Diskriminierung aufgrund Geschlecht, sozialer oder geographischer Herkunft und anderer Faktoren entgegenzuwirken. Ich frage mich, ob meine Alma Mater in Heidelberg Vergleichbares hat und befürchte, dass nicht. In Kürze kommen steigen wir um. Zeit den Knopf zu drücken, auf dem “Publish” steht.

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