oder Individuum contra Kollektiv.
Das schwedische Verb byta bedeutet “tauschen, austauschen, wechseln”.
Ein stam ist ein “Stamm”, im Zusammenhang sowohl mit Bäumen wie auch
Menschen, außerdem auch “Rohr”. Letztere Bedeutung ist in der
Zusammensetzung stambyte gemeint, es geht also um das Auswechseln von
Rohren. Und zwar in Wohnhäusern, wo die Wasserleitungen, vor allem aber
die Abflussrohre nach in der Regel 4-6 Jahrzehnten komplett erneuert
werden, um Wasserschäden vorzubeugen.
Das ist ein großer Eingriff in ein Haus, der die eigene Wohnung für
mehrere Wochen unbewohnbar machen kann und bei dem oft die Badezimmer
gleich ganz mit renoviert werden müssen. Von Hausbesitzern einmal
abgesehen, besteht der Wohnungsmarkt in Schweden wie schon oft erwähnt
zum großen Teil aus so genannten
Wohnrechten,
es ist also die Genossenschaft, in die man sich einkauft (und wo man
Stimmrecht hat), die entscheidet, wann und wie in ihren Häusern ein
stambyte gemacht wird. Eben weil dies eine so große Störung des
Privatlebens darstellt, ist die Frage, ob die Rohre schon ausgetauscht
sind, eine der ersten, die man dem Makler vor dem Wohnungskauf stellt.
Die Antwort spielt dann auch beim Preis eine Rolle.
Letzen Herbst stand auf der Vollversammlung unseres Viertels mit fast
400 Wohnungen die Frage an, ob man bald stambyte macht, oder den
Mittelweg des “Relining” geht, bei dem man die Rohre erneuert, indem man
die alten als Form für eine neue Wand aus Flüssigplastik benutzt. Die
Details sind nicht so wichtig, interessant fand ich, dass die Wahl
zwischen den beiden Alternativen gleichzeitig eine Wahl zwischen
Individualismus und Kollektivismus darstellte. Denn ein richtiger
stambyte würde allen, die ihre Badezimmer schon renoviert hatten,
selbige wieder zerstören und dazu wie gesagt temporär starke
Einschränkungen in der Benutzbarkeit der Wohnung mit sich bringen, was
gerade für die nicht wenigen Älteren im Wohngebiet beschwerlich wäre.
Andererseits würde die Mehrheit, die noch die alten Badezimmer hat,
diese auf Kosten aller renoviert bekommen. Beim “Relining” würden
Badezimmer intakt und die Wohnung benutzbar bleiben, aber jeder müsste
selbst für Badezimmerrenovierungen zahlen, die in vielen Wohnungen
sowieso anstehen.
Der Unterschied in den monatlichen Mehrabgaben an die Genossenschaft
zwischen den beiden Lösungen wäre wegen unterschiedlicher Laufzeiten der
Kredite nicht einmal übermäßig groß ausgefallen. Nach hitzigen
Diskussionen fiel die Wahl aufs “Relining”; die individualistischen
Interessen siegten also über die kollektivistische Alternative, die der
Mehrheit von Vorteil gewesen wäre, aber einer Minderheit starke
Nachteile gebracht hätte.
Interessanterweise stand auf der selben Versammlung noch eine zweite
Frage an, bei der man genau gegenteilig entschied. Unser
Internetanbieter wollte mit der Genossenschaft einen Rahmenvertrag
abschließen, der allen den 100-MBit-Zugang plus IP-Telefonie für 150
Kronen im Monat bringen würde, anstatt der 250 alleine fürs Netz bisher.
Der Haken daran: Alle würden automatisch Kunden und bezahlen die 150,
auch wenn sie die bereitgestellten Dienste nicht nutzen wollen oder
können. Also wieder eine Wahl zwischen einem Vorteil für viele auf
Kosten einer Minderheit und der individuellen Lösung, die für die
meisten mehr kostet. In diesem Fall fand die Versammlung, dass der
Nachteil für die Minderheit nicht groß genug ist, um das Angebot
auszuschlagen. Dem Kollektiv-Vertrag mit dem Netzanbieter wurde
zugestimmt.