Über dem Eingang der Universitätsaula in Uppsala steht der Leitspruch
Tänka fritt är stort. Men tänka rätt är större.
zu Deutsch
Frei zu denken, ist groß. Aber richtig zu denken, ist größer.
So ein Unsinn. Und nicht nur das, es ist auch noch gefährlicher Unsinn.
Denn richtig und falsch sind normative Begriffe und werden von der
Gesellschaft festgelegt. Der Spruch fördert also konformistisches Denken
und entmutigt die, die aus der Masse herausstechen wollen. Äußerst
unpassend für eine Universität. Wäre man bösartig, könnte man schon
wieder die Parallele zum
Jantelagen
ziehen.
An der Uni Heidelberg steht, nachdem es zwischenzeitlich einmal “Dem
deutschen Geist” hieß, heute wieder “Dem lebendigen Geist”. Besser.
Tolles Video von einem der besseren Stücke von *Silent Shout*, dem
neuesten Album von [*The
Knife*](http://de.wikipedia.org/wiki/The_Knife). Auch wenn sie mit
diesem groß bei den schwedischen Musikpreisen [abgeräumt
haben](http://www.fiket.de/2007/01/31/grammis-verliehen/), finde ich
*Deep Cuts* immer noch besser.
Schweden sind zwar regelmäßig verwundert, wenn man ihnen erzählt, dass
es eingelegten Hering auch in Deutschland gibt, aber der
Variantenreichtum und die implizierte Feierlichkeit des Sill-Essens sind
natürlich schon typisch schwedisch.
Ich mag ja am liebsten Senapssill (Senfsoße) und Skärgårdssill (cremige
weiße Soße mit Kaviar). Und ihr?
Wir stehen zu zweit auf der Brücke. Mit Kinokarten in der Tasche
unterhalten wir uns bis die Vorstellung anfängt und genießen die letzten
Sonnenstrahlen. Eine Frau mittleren Alters stellt sich ein paar Meter
weiter und sieht glücklich aus. Sie sieht zu glücklich aus und schaut
etwas zu sehr in unsere Richtung, als dass man nicht misstrauisch würde,
sie wolle etwas. Schon fängt sie an zu reden. Welch wunderbarer Anblick
das sei. All die Blumen in der Stadt. Und der japanische Kaiser. Und der
Vortrag von Watson gestern, der habe sie ja so froh gemacht, wie dieser
alte und hochdekorierte Mensch auf der Bühne gekichert hat und eine
solche kindliche Neugier an den Tag legte. Das gebe ihr Hoffnung fürs
Altwerden. Der Planetenforscher sei ja auch sehr gut gewesen. Aber
anders, mehr effektiv. Er habe Wissen vermittelt und sie habe diese
Wissensvermittelung wahrlich genossen. Aber der Kardinal später, der sei
ja Deutscher gewesen und auch wenn er auf Englisch geredet habe, sei er
ja so super-duper-deutsch gewesen. Ewig lang habe er geredet. Sie macht
ein gequältes Gesicht. Ich schaue mitleidig, erwähne jedoch nicht, dass
ich auch in diesen Vorträgen saß, sondern gebe ihr ein scherzhaft
abfälliges “Katholiken!” als Antwort. Ach nein! Sie sei ja selbst
katholisch, aber dieser Kardinal, ne, den mochte sie nicht.
Es ist Zeit, auf unseren Kinobesuch hinzuweisen, uns zu verabschieden
und ein wenig über diese Begebenheit zu lächeln. Denn erst wenn jemand
die ungeschriebenen Normen bricht, fallen sie einem auf. Es ist in
Schweden ungewöhnlich, auf der Straße angesprochen zu werden, erst recht
von Schweden.
([YouTube DirektLink](http://youtube.com/watch?v=9L4lm5Yrhqs),
[schwedische Wikipedia über
Sundström](http://sv.wikipedia.org/wiki/Stefan_Sundstr%C3%B6m))
Ich bin erst neulich auf Stefan Sundström aufmerksam geworden, der ein
schwedischer “Singer-Songwriter” mit eigensinnigen
realitätsbeschreibenden beziehungsweise -kritischen Texten zu sein
scheint. Sehr interessant.
In ihrer Mai-Ausgabe hatte die Titanic
einen Text von Max Goldt mit
dem Titel “Sodbrennen und Snobismus”. Den gibt es leider nicht online,
deshalb hier ein Zitat:
Der Snobismus hat ein ungerechtfertigt schlechtes Image, die meisten
wissen eh nicht recht, was der Begriff bedeutet, und verwenden ihn
synonym für Arroganz, Hochtrabendheit und dem respektlosen
Hinabschauen auf sogenannte einfache Leute. Solche Erscheinungen sind
aber allenfalls unschöne Nebeneffekte. Der Kern des Snobismus ist
nicht das Hinabschauen, sondern der Blick nach oben. Als sein
Gegenteil könnte man einen Ausdruck anführen, den Lars Brandt, der
Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers, einmal in Bezug auf Herbert Wehner
und dessen Frau gebrauchte: skandinavisches Bescheidenheitsgetue.
Skandinavisches Bescheidenheitsgetue? Es dämmert, was gemeint ist. Ein
paar Zeilen weiter wird es klarer:
Der Snob orientiert sich an der nächsthöheren gesellschaftlichen
Schicht, und er hat dabei die gleichen Möglichkeiten wie ein
mittelmäßiger Musiker, der einem Guten nacheifert. Entweder er
verbessert sich tatsächlich, oder er wird prätentiös und macht sich
lächerlich. Gefahrvoll ist das Leben. Aber immerhin: Er hat es gewagt,
ein Besserer werden zu wollen! Was in den Augen von selbstgerechten
Kleinbürgern – die sich gern als “ganz normale Menschen” bezeichnen
[...] – freilich bereits eine ungeheuerliche Anmaßung darstellt.
Dazu passend wieder einmal: das Gesetz von
Jante,
dessen negative Auslegung sich mit dem oben beschriebenen deckt. Diesen
Charakterzug gibt es zwar sicherlich sowohl in Deutschland wie in
Schweden, aber ich wage zu behaupten, dass man hierzulande Menschen, die
in irgendeiner Weise aus der Norm herausragen, skeptischer betrachtet.
Zumindest schickt es sich nicht, zu zeigen, dass man mehr kann, mehr hat
oder mehr weiß. Man tritt bescheiden auf und verkneift es sich
beispielsweise, darauf hinzuweisen, dass man etwas schon wusste, das
einem ein anderer gerade erklärt.
Man kann das als angenehm empfinden oder als Hindernis für direkte
Kommunikation. Man kann es als echte Bescheidenheit auslegen oder als
skandinavisches Bescheidenheitsgetue.
([YouTube DirektLink](http://youtube.com/watch?v=vIC_SNtYpxQ),
[Wikipedia-Artikel über
Garmarna](http://de.wikipedia.org/wiki/Garmarna))
Vorhin bei [Radio Paradise](http://www.radioparadise.com/) gehört.
Dieser Internet-Sender im Familienbetrieb aus Kalifornien hat mich schon
auf richtig viel Musik aufmerksam gemacht, auch schwedische. Ich gehöre
zu den “Supporting Listeners” und schicke regelmäßig Geld.
Bevor es hier im normalen Takt weitergeht ein kurzes Update, was in
Schweden so alles in den Nachrichten war während meiner Abwesenheit:
Die rechtsextremen Schwedendemokraten hielten ihren Parteitag in
Karlskrona und parallel dazu wurde bekannt, dass jeder dritte derer
Kommunalpolitiker von Sozialhilfe
lebt,
ein Vorwurf, den die Ausländerfeinde üblicherweise gegen Einwanderer
vorbringen.
Die Buchbranche
boomt.
Das ist nicht neu,
aber trotzdem erfreulich.
Der Verkauf von Alkohol im Systembolaget wächst ebenso. Zehn Prozent
Steigerung gegenüber dem Vorjahr findet das Gesundheitsamt aber eher
weniger
gut.
Auch vom Arbeitsmarkt hört man nur
Erfolgsmeldungen.
4% mehr Angestelle im Vergleich zum Vorjahr und 23% mehr offene
Stellen.
An Busfahrern mangelt
es
schon und man will deshalb die Altersgrenze von 21 Jahren
aufweichen. Wie wäre es mit Import aus Deutschland? Bei Ärzten
scheint das ja gut zu funktionieren.
Schweden hat einen Terrorverdächtigen an Deutschland
ausgeliefert.
56 Prozent ihrer Zeit im Internet oder durchschnittlich sieben
Stunden pro Woche surfen Schweden zum
Privatvergnügen
vom Arbeitsplatz aus, ergab eine Untersuchung.
Das größte schwedische Rockfestival in Hultsfred
streitet
sich mit der Gemeinde um die Lärmbelästigung und droht, das Ganze
abzublasen.
Ich dachte ja bisher, dass der Spaß am Jagen ein Defekt auf dem
Y-Chromosom sei, aber der Anteil der Frauen unter den Jägern in
Schweden
wächst.
Außerdem wird das Jagen wegen einer Regeländerung des Jagdscheins
für viele
teurer.
Gut so.
In Uppsala ist diese Woche die Linné-Woche mit zahlreichen
Veranstaltungen zum 300. Geburtstag des
Botanikers.
Am hiesigen Bahnhof hat man deswegen sogar Palmen
gepflanzt.
Mehr zu den Feierlichkeiten im Laufe der Woche.
Progg ist der schwedische Vorläufer des Punk. Progg ist der Beweis, dass
Schweden in den Siebzigern cooler war als Deutschland. Progg ist
politisch. Progg ist links. Progg ist tot. Progg lebt. Progg ist
musikalisch anspruchslos. Progg ist alternativ. Progg ist zeitlos. Alles
Aussagen, die gleichzeitig zutreffen und falsch sind – zumindest jedoch
eine unzureichende Beschreibung abliefern.
Es geht also um Musik. Das Wort kommt sprachlich zwar von “progressiv”,
progg hat aber nur wenig mit dem Musikgenre progressive rock zu
tun. Progg ist nicht einmal ein einheitliches
Genre, sondern eine schwedische Musikbewegung der 70er Jahre, die viele
Stile umfasst. Die Bandbreite reicht von Folkmusik über vorwiegend
instrumentalen Rock bis zu Blues.
In den Sechzigern war es wohl recht schwer für schwedische Bands,
Plattenverträge zu bekommen, wenn sie andere Musik machten als die
Labels für Hitverdächtig hielten. Gegen Ende des Jahrzehnts bildete sich
also ein alternative Szene mit eigenen Plattenlabels, die in den
Siebzigern ihre kurze Blütezeit erlebten. Die Ansichten der linken 68er
dominierten die politische Anschauung der Bewegung, sorgten aber auch
dafür, dass unpolitischere Bands ausscherten.
Gemeinsamkeit war auf jeden Fall, dass auf Schwedisch gesungen wurde und
dass man sich als Gegengewicht gegen kommerzielle Musik sah. Musik wie
ABBA senke das politische Bewusstsein und richte alles auf den
Massenkonsum aus, dachten nicht wenige. Passend zum gestrigen Abend sei
angemerkt, dass man im Progg das Schlagerfestival verachtete. 1975 gab
es als Gegenveranstaltung ein Alternativfestival in Stockholm, auf dem
Ulf Dageby vom Nationalteatern sich im Lied Doin´ the Omoralisk
Schlagerfestival über selbiges auslässt.
Die zunehmende Politisierung führte dann gegen Ende der 70er zu
Uneinigkeiten und als 1980 das zur Bewegung gehörende Magazin Musikens
makt (Macht der Musik) eingestellt wurde, war Progg zu Ende. Der Punk
hatte übernommen – und zwar nicht nur die Aufmerksamkeit der
Jugendlichen, sondern auch die politisch linke Systemkritik. Zum
Beispiel ist Staten och Kapitalet, das neulich schon im Zusammenhang
mit Ebba Grön und Joakim Thåström Erwähnung
fand ein Cover von
Blå Tåget, bei denen es viel zahmer klang.
Seit den 90er Jahren stößt der schwedische Progg wieder auf mehr
Interesse und einige der Künstler sind wieder auf Tour und spielen mit
viel Zuspruch auf Festivals. Es wird respektiert, dass die Bewegung ein
sehr wichtiger Beitrag zur schwedischen Musikgeschichte war, auch wenn
man einige der extremeren kommunistischen Texte eher belächelt. Im
Gegensatz zur Schlagerbewegung kann man vieles von dieser Musik heute
noch hören.
Es gab und gibt zu viele Musiker, die man zum Progg rechnet, als dass
ich sie hier alle aufzählen könnte, geschweige denn kennen würde. Ein
paar der Protagonisten sollen aber zumindest erwähnt werden: Träd,
Gräs och Stenar, die Hoola Bandoola Band mit Mikael Wiehe,
Kebnekaise, Björn Afzelius, Peps Persson mit Peps
Blodsband, Samla Mammas Manna und natürlich Nationalteatern.
Letztere habe ich sogar in meinem ersten Jahr in Schweden auf einem
Festival gesehen, natürlich ohne damals je von ihnen gehört zu haben.
Peps Persson habe ich neulich verpasst, als er in Uppsala gespielt hat,
aber ich hoffe, das irgendwann nachzuholen.
Nach so viel Text jetzt endlich zur Musik. Videos nach dem Klick.
Leider findet sich nur recht wenig der oben genannten bei YouTube und
dann meist in zweifelhafter Audioqualität. Trotzdem hier die drei
“besten”, die ich finden konnte, abgesehen von denen im gestrigen
Artikel und in
Rainers.
Mikael Wiehe war mir bisher nur im Zusammenhang mit der Hoola Bandoola
Band bekannt, der
schwedischen Progg-Band. Was “Progg” ist, erkläre ich am besten morgen
im Wort der Woche, das geht nicht in drei Sätzen.
Als Vorgeschmack hier der Mitschnitt eines Konzerts zu Wiehes Ehren (er
sitzt am rechten Bühnenrand und ist kurz im Bild), in dem Lars
Winnerbäck und Dregen “Vem kan man lita på?” spielen.
Dregen war
früher bei den Hellacopters und ist auch mit den Backyard Babies
recht erfolgreich. Die beiden zusammen auf der Bühne zu sehen, ist eine
ziemlich obskure Zusammenstellung, aber sehr witzig.