Schweden hat keine Verfassung, sondern vier Grundgesetze. Eines davon
kann in Verbindung mit einem anderen, das jetzt kein Grundgesetz mehr
ist, aber trotzdem “Verfassung” genannt werden. Spannend, nicht?
Von vorne: Die vier schwedischen Grundgesetze heißen
successionsordningen, regeringsformen, tryckfrihetsförordningen
und yttrandefrihetsgrundlagen. Das erste regelt, wie man unschwer am
Namen erkennt, die Nachfolge im Königshaus und ist heute das älteste der
Grundgesetze (1810). Erst 1980 wurden Frauen auf dem Thron erlaubt und
damit Victoria zur
Kronprinzessin.
Im Gegensatz dazu ist die “Freiheit zur (Meinungs-) Äußerung” erst seit
1992 Grundgesetz und bildet das Radio-, Fernseh- und Internetkomplement
zur “Druckfreiheitsverordnung”, in der wiederum neben der Pressefreiheit
auch das
Öffentlichkeitsprinzip
steht. Die erste tryckfrihetsförordning gab es 1766 und in ihrer
heutigen Form gilt sie seit 1949.
Das für die Organisation des schwedischen Staates wichtigste Grundgesetz
ist die regeringsformen. Wahlen, die Rolle der Regierung und des
Parlaments, der Gesetzgebungsprozess und das Verhältnis zwischen den
drei Gewalten des Staates sind hier geregelt. Zusammen mit der
“Reichstagsordnung”, die die Arbeit des Parlaments regelt, aber kein
Grundgesetz mehr ist, kann man deshalb die “Regierungsform” auch
schwedische Verfassung nennen. Die heutige Form gilt seit 1974 und erst
kurz davor war das Zweikammerparlament durch eine einzelne Kammer
ersetzt worden. Die alte “Verfassung” war von 1809 und damit vor ihrer
Abschaffung eine der ältesten in Kraft. Der König hatte darin formell
noch politische Macht.
Um eines der Grundgesetze zu ändern braucht es in Schweden zwei
gleichlautende Parlamentsbeschlüsse, zwischen denen eine Wahl liegen
muss. Auch außerhalb der großen Neuordnungen von 1809 und 1974 gab es
immer wieder Veränderungen. 1993 wurde zum Beispiel die
Legislaturperiode von drei auf vier Jahre verlängert und die
Personenwahl ermöglicht.
Im Juli 2004 wurde eine neue
grundlagsutredning beschlossen,
also eine “Untersuchung des Grundgesetzes”. Gemeint ist nur die
Regierungsform und der Auftrag des eingesetzten unabhängigen Komitees
ist, bis Ende nächsten Jahres Vorschläge auszuarbeiten, “wie die
Volkssouveränität vertieft und gestärkt werden, wie das Vertrauen des
Volkes in das Funktionieren des demokratischen Systems vergrößert werden
und wie die Wahlbeteiligung erhöht werden kann” (Übersetzung eines Teils
des offiziellen Auftrags). Letzteres ist eine hohes Ziel, liegt doch die
Beteiligung bei schwedischen Wahlen meist ein gutes Stück über 80
Prozent – für andere Länder wäre das ein Traumwert, für Schweden ist es
eine Verringerung von über 90 Prozent in den Siebzigern und Achtzigern.
2009 wird also eine breite Diskussion über den Bericht und die
Vorschläge der grundlagsutredningen stattfinden und dann eventuell in
eine Verfassungsänderung münden. Alles in allem ist es aus deutscher,
durch die eigene Geschichte der letzten zweihundert Jahre an große
Umbrüche gewöhnte Sicht erstaunlich, wie sich große Veränderungen nach
und nach in Schweden durchsetzen, ohne dass es einer Revolution oder
eines Krieges bedarf.