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Unter 9 Kronen pro Euro

Wie vorhergesagt hat der Wechselkurs zwischen Euro und schwedischer Krone jetzt eine Acht vor dem Komma. Damit ist die schwedische Währung so stark wie seit über fünf Jahren nicht. Grund sind – sofern man die konventionelle Lehre der Wirtschaftler glaubt – die guten Wachstumszahlen dieses Jahres und die daraus resultierenden Leitzinserhöhungen der Riksbanken.

Wir erinnern uns: Hierzulande senkte die Zentralbank wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise Anfang 2009 die Zinsen noch stärker als die EZB. Dies, zusammen mit der Flucht des Geldes aus kleinen Währungen in unsicheren Zeiten, schwächte die Krone so weit ab, dass ein Euro bis zu elfeinhalb Kronen kostete. Das hatte für den schwedischen Export denselben Effekt als ob man die Löhne um 20 Prozent gekürzt hätte: schwedische Firmen wurden konkurrenzkräftiger. Allerdings ohne dass die Menschen ärmer wurden – zumindest solange man daheim blieb und einkaufte, denn Reisen wurden zum Beispiel teurer. Dadurch wurde wiederum die Binnennachfrage angekurbelt und Schweden zum derzeitigen “Tigerstaat” der EU.

Um die Konjunktur nicht zu überhitzen und um eine Blase am Wohnungsmarkt, die laut einigen schon da ist und jederzeit platzen kann, vorzubeugen, werden jetzt die Zinsen wieder erhöht, was konkrete Auswirkungen auf die Menschen hat. Denn noch Anfang des Jahres bekam man Geld für 1,2% zum Wohnungskauf geliehen; seit kurzem sind es zwei mehr und ein Kredit der im Januar noch 1500 Kronen pro Monat kostete, liegt jetzt mit 4000 auf der Tasche. Deshalb werden Schweden bald wieder weniger ausgeben können was zusammen mit der erstarkten Krone die Wirtschaft wieder deutlich abschwächt. Ob die Reichsbank ihre Zinsplanung mit weiteren Erhöhungen fortsetzen soll, wird daher heiß debattiert.

Im Rückblick auf die Krise kann man also feststellen, dass Schweden von der eigenen Währung und Geldpolitik profitiert hat. Dies ruft natürlich die Euro-Kritiker auf den Plan, allerdings zu Unrecht. Denn Länder wie Schweden und England konnten dieses Kunststück nur vollführen, weil es die Eurozone gibt, gegen die man abwerten kann. Wenn alle mit eigenen Währungen dasselbe versuchen würden, ginge es nicht. Deutschland wäre dies sogar sehr schwer gefallen wegen seiner starken Wirtschaft – die D-Mark wäre in die Höhe geschossen und hätte die geliebten Exporte zerstört, die dank des schwachen Euro erst möglich sind. In gewisser Weise kann man also sagen, dass sowohl Schweden als auch Deutschland sich zu Lasten des restlichen Europa Vorteile verschafft haben.

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US-Diplomatie über Schweden

Wer in den letzten Tagen und Wochen nicht den Kopf im Sand hatte, sollte mitbekommen haben, dass den USA zahlreiche diplomatische Berichte abhanden gekommen sind und via WikiLeaks ^*^ unter anderem dem SPIEGEL zugespielt wurden. Was darin alles über die deutsche Politik steht, ist dort ausführlich genug zu lesen; hier soll es um das Bild von Schweden gehen, das die Dokumente aufzeigen.

Zur Zeit sind nur sechs Berichte aus der Stockholmer US-Botschaft ^*^ öffentlich. Wenn man diese Zahl mit dem Verhältnis zur Gesamtzahl extrapoliert, wird es am Ende auf über tausend Stück hinauslaufen. Für Aufmerksamkeit haben hierzulande bisher folgende Details gesorgt:

  • Norwegen hat Schweden mit Hilfe der USA hintergangen. Schweden hätte gerne gesehen, dass Norgwegen die hiesigen JAS Gripen Kampfflugzeuge gekauft hätte anstatt der amerikanischen. Aus einem Bericht geht hervor, dass die USA deshalb die Lieferung eines Radars für den Gripen verzögerten und dass die Norweger insgeheim schon deren Modell gewählt hatten, als sie offiziell noch das schwedische Angebot prüften.
  • Schweden als heimliches NATO-Mitglied. Vor dem Besuch von Reinfeldt in Washington warnte der schwedische Botschafter, dass man ihm nicht öffentlich für die gute Zusammenarbeit in Sicherheitsaspekten danken solle, weil ihm dies daheim Schwierigkeiten machen könne. Etwas unwissend wird da berichtet, die schwedische Regierung belüge mit dem Anschein der Neutralitätspolitik und Bündnisfreiheit ihr Volk, denn Schweden ist – vor allem wegen der EU – schön länger ganz offiziell nicht mehr neutral.
  • Die Beschreibung von Außenminister Bildt als “mittelgewichtiger Hund mit der Attitüde eines großen” (medium size dog with big dog attitude) wurde mit Humor genommen. Bildts eigene Reaktion war, er wisse nicht, von welchem Hund die Rede war, er sei schließlich kein Zoologe. Ein Pudel sei er aber sicher nicht. (“Einen Pudel machen” ist ein Ausdruck im Schwedischen der in etwa “sich Asche aufs Haupt streuen” entspricht.) Ansonsten kam Carl Bildt ziemlich gut weg, es wurde explizit gewarnt, dass man sich auf Trefen mit ihm sehr gut vorbereiten müsse, weil er sehr belesen sei, gute Kontakte habe und sein Gegenüber gern teste.
  • Im Zusammenhang mit einem Skandal, der in Norwegen anfing und in dem es um die Überwachung von Bürgern seitens der Botschaften in beiden Ländern geht, kam heraus, dass die schwedische Regierung sehr wohl von diesen Aktivitäten wusste.
  • Ein Bericht handelt davon, wie Schweden genug kritische Fragen stellte und sich nicht einfach abspeisen ließ, als die CIA 2006 ihre geheimen Flüge mit Gefangen via Schweden durchführte. Dies führte zur Einstellung der Flüge.
  • Es wurde vorgeschlagen ^*^, dass Schwedens Kommunikationsinfrastruktur, zum Beispiel das Glasfasernetz von TeliaSonera, auf die Liste mit für die USA kritischer Infrastruktur zu setzen, weil Schweden ein wichtiger Knoten sei und die USA mit dem Baltikum und Russland verbinde. Außerdem auf die Liste solle eine schwedische Pharmafabrik, die ein wichtiges Mittel zur Hilfe bei einem Nuklearunfall herstelle.
  • Zuletzt in der bisherigen Liste gibt es noch den Bericht ^*^ über ein Treffen von Oppositionschefin Mona Sahlin mit der amerikanischen Botschaft, in dem sie um Schützenhilfe bei der Meinungsbildung bat und sich als starke Unterstützerin für den Militäreinsatz in Afghanistan gab.

Viel des oben genannten war schon zuvor bekannt, zumindest wurde darüber spekuliert. Wie skandalös die einzelnen Punkte sind hängt jeweils davon ab, wie sehr sich das öffentlich gesagte mit dem deckt, was im Hinterzimmer besprochen wird. Bisher musste sich hierzulande niemand groß verteidigen.

^*^Die Links gehen zu einem Spiegel von wikileaks.ch. Weitere Spiegel-Seiten hier.

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Sahlin tritt zurück

Es ist wohl die erste überraschende Nachricht seit der Wahl. Und überraschend nur noch deshalb, weil es so lange gedauert hat: Mona Sahlin, Parteichefin der schwedischen Sozialdemokraten, die Verlierer der Wahl vom September, tritt zurück.

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Schlechte Nachrichten fürs Netz

Gestern und heute kamen zwei für schwedische Netznutzer betrübliche Meldungen. Ein Mann wurde wegen Bruch des Urheberrechts verurteilt, weil er auf einen Video-Stream zu einem Hockey-Spiel bei Canal Plus gelinkt hat. Richtig gelesen, er hat nichts geschütztes weitergegeben oder verbreitet, sondern lediglich einen Link zu Canal Plus veröffentlicht, der in keiner Weise per Passwort oder ähnlichem geschützt war.

Die andere Nachricht betrifft die Vorratsdatenspeicherung. Wir erinnern uns, dass Schweden die umstrittene europäische Richtlinie bisher nicht in nationales Recht umgesetzt hat und sich dafür schon einen Rüffel aus Brüssel eingefangen hat. Jetzt da die Wahlen vorbei sind, ist es also an der Zeit, unpopulären Dinge durchzubringen und heute wurde der Gesetzesvorschlag vorgestellt. Dieser ignoriert – von der mangelnden Nützlichkeit einmal ganz zu schweigen – sowohl, dass die EU-Kommission unter der schwedischen Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström, die Richtlinie mittlerweile Kritisch sieht und auf den Prüfstand stellt, als auch die Empfehlung des Expertenausschusses, der empfiehlt, nur die Mindestanforderungen umzusetzen. Der Vorschlag von Justizministerin Ask geht nämlich über die Richtlinie hinaus und will zum Beispiel auch nicht zustandegekommene Telefonate und die Aufenthaltsorte von Teilnehmern speichern.

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Vergesslichkeit

Ts ts ts – da wollte ich mich gerade daran machen, ein “Wort der Woche” zu schreiben über Nerze, schwedisch mink, weil wieder einmal “Aktivisten” tausende dieser Tiere von einer Pelzfarm freigelassen und damit mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben.

Doch was sagt mir mein Archiv: Es gibt diesen Artikel schon.

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Regierung Reinfeldt II

Vorgestern trat der neue schwedische Reichstag zusammen und wählte seinen Vorsitzenden. Die beiden politischen Lager, Rot-Rot-Grün und die bürgerliche Allianz, hatten je einen Kandidaten vorgeschlagen, da jedoch keines der beiden eine eigene Mehrheit hat, freuten sich die neu hinzugekommenen Schwedendemokraten (SD) darauf, zum ersten Mal ihre vermeintliche Macht auszuspielen. Doch es kam anders. Der Kandidat der Allianz, Per Westerberg, war schon in der letzten Mandatsperiode Talman des Reichstages und wurde wiedergewählt, ohne dass die Stimmen von (SD), die auch auf ihn kamen, eine Rolle gespielt hätten.

Dazu brauchte es dreierlei Kuriosa. Zum einen stimme eine Abweichler von Rot-Grün für Westerberg. Zum anderen verpasste eine Abgeordnete der Linken ihre Stimmabgabe, weil sie nicht rechtzeitig von der Toilette zurückkam. Und zum dritten war Thomas Bodström, ehemals Innenminister der Sozialdemokraten und einer ihrer wichtigsten Figuren, schlicht verreist und konnte nicht abstimmen. Dafür fängt Bodström sich wieder einmal Kritik ein, denn sein Urlaubsantrag war noch nicht genehmigt und er ist bekannt dafür, viele Nebenaktivitäten und -einkünfte zu haben, die seine Arbeit im Parlament beeinträchtigen.

Gestern fand dann die feierliche Eröffnung des Parlaments statt und der dazu gehörende Gottesdienst bot den Schwedendemokraten die erste Gelegenheit, sich zu blamieren und ihr wahres Gesicht zu zeigen. Denn obwohl sie von sich behaupten, keine Rassisten zu sein, standen die zwanzig Abgeordneten geschlossen auf und verließen die Kirche, als die Bischöfin vom gleichen Wert aller Menschen sprach und die Demonstrationen gegen Rassismus erwähnte.

Am späteren Nachmittag stellte Fredrik Reinfeldt dann endlich seine neue Regierung vor und hielt eine Regierungserklärung (PDF), die kaum Überraschungen enthielt, sondern sich im Wesentlichen mit den Parteiprogrammen aus dem Wahlkampf deckt und eine direkte Fortsetzung aus den vergangenen vier Jahren verspricht.

An dieser Stelle ist einzuwerfen, dass in Schweden Minderheitsregierungen, wie sie Reinfeldt II im Gegensatz zur letzten sein wird, durchaus handlungsfähig sind und eine lange Tradition in Schweden haben. Eine Vorlage geht nämlich im Parlament durch, solange die Opposition nicht geschlossen einen Gegenvorschlag vorlegt und für diesen stimmt. Das bedeutet zum Beispiel dass Reinfeldts Budget angenommen werden wird, wenn nicht die Schwedendemokraten mit Rot-Grün für deren Vorschlag stimmen. Dies ist unwahrscheinlich, wenn nicht vorab mit (SD) verhandelt wird, was wiederum kaum denkbar ist.

Die Opposition hat also die Prinzipielle Möglichkeit, die Regierung jederzeit abzusägen, doch dafür müssten Sozialdemokraten, Grüne und Linke sich mit den Schwedendemokraten zusammentun. Ein solcher opportunistischer Schachzug würde sie jedoch immens viele Sympathien kosten, vom Verrat an ihren Prinzipien einmal ganz abgesehen. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Minderheitenregierung der Allianz die ganze Mandatperiode lang im Sattel bleibt.

Wie sieht sie nun aus, die Regierung Reinfeldt II? 24 Minister wird es geben – so viele wie in keiner anderen europäischen Regierung. Das hat verhandlungstechnische Gründe, denn die kleineren Koalitionspartner von Reinfeldts Moderaten wollten gern ihre vier (Folkpartiet und Centern) beziehungsweise drei (Kristdemokraterna) Minister behalten weswegen die Zuständigkeiten etwas neu verteilt wurden, damit die Moderaten, entsprechend ihrem höheren Anteil am Wahlergebnis, drei Minister mehr abbekommen als zuletzt.

Zu den Umstellungen gehört auch, dass nicht mehr Maud Olofsson vom Zentrum, sondern Jan Björklund von den Liberalen stellvertretender Staatsminister wird. Das Integrations- und Gleichberechtigungsministerium wird abgeschafft und die Aufgaben den Ministerien für Ausbildung und Arbeitsmarkt zugeschlagen, deren jeweilige stellvertretende Minister zusätzlich Integrations- beziehungsweise Gleichberechtigungsminister werden.

Die gesamte Ministerliste findet sich auf regeringen.se und SvD stellt die sieben neuen Namen vor, für Schweden typisch inklusive Jahreseinkommen.

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Kleine Wahlanalyse

Als die schwedische Wahlbehörde letzte Woche das amtliche Endergebnis der Wahl vom 19. September bekanntgab und die Kontrollauszählungen abgeschlossen waren, hatte sich im Vergleich zum vorläufigen Ergebnis wenig geändert. Die Zentrumspartei hat den Sozialdemokraten noch ein Mandat im Parlament abgeknöpft. Das bedeutet, dass die Vier-Parteien-Allianz von Premierminister Reinfeldt nur zwei anstatt der zunächst geglaubten drei Sitze von einer eigenen Mehrheit entfernt ist.

Bevor heute Nachmittag bekannt wird, wie die Verhandlungen zur Regierungbildung ausfielen und wie Fredrik Reinfeldt regieren will, ist es an der Zeit, das Wahlergebnis und dessen Bedeutung ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.

Moderate gegen Sozialdemokraten

Das Duell zwischen den das letzte Jahrhundert der schwedischen Politik dominierenden Sozialdemokraten (S) und der größten Partei des bürgerlichen Lagers, den Moderaten, haben letztere klar für sich entschieden und knapp vier Prozent im Vergleich zu 2006 hinzugewonnen, während (S) gut vier eingebüßt hat. Das ist nicht nur jeweils das historisch beste beziehungsweise schlechteste Wahlergebnis beider Parteien und das erste Mal, dass die Sozialdemokraten nicht mehr mit Abstand die größte Partei sind. Zusätzlich ist es ein Novum, dass eine bürgerliche Regierung in Schweden überhaupt wiedergewählt wird und ihren Vorsprung gegenüber Rot-Grün sogar vergrößern kann.

Was sind die Ursachen dafür? Wählerbefragungen zeigen, dass die Person Fredrik Reinfeldt sehr wichtig für die Entscheidung der bürgerlichen Wähler war, während (S)-Chefin Mona Sahlin keine so große Rolle spielte. Reinfeldt, der lange Zeit als wenig aufregend oder gar charismatisch galt, hat es also geschafft, das Amt auszufüllen und viele davon zu überzeugen, dass er ein guter Premier ist. Dazu mag auch die geglückte schwedische EU-Ratspräsidentschaft beigetragen haben und nicht zuletzt der Eindruck – gerechtfertigt oder nicht – dass die Finanz- und Wirtschaftskrise Schweden nicht so hart getroffen hat wie andere Länder und dass jetzt wieder Aufschwungszeiten anstehen.

Wie in vielen anderen Ländern ist die Altersstruktur auch in Schweden ein wichtiger Faktor bei Wahlen, denn ältere wählen eher konservativ als junge Menschen. 18-29-jährige machen 20% der Wahlberechtigten aus, die Gruppe 65+ ist ein Fünftel größer. Im Gegensatz zu zum Beispiel Deutschland ist die Aufteilung von Stadt und Land jedoch umgekehrt. Ländliche Gegenden im Norden sind Hochburgen der Sozialdemokraten und die Ballungsgebiete wählen eher bürgerlich.

Ein weiterer Grund für die Verluste der Sozialdemokratie ist laut Wählerbefragungen die Koalitionsaussage mit den Linken, die zum ersten Mal versucht wurde und sich als sehr unpopulär bei den Stammwählern von (S) erwies. Der linke Parteichef Lars Ohly ist für viele ein rotes Tuch und machte es der Mitte schwer, vom bürgerlichen Block zu Rot-Grün zu wechseln.

Vorrangig halte ich jedoch für ausschlaggebend, dass es Rot-Rot-Grün nicht gelungen ist, die ideologischen Unterschiede herauszustellen und ein positives Zukunftsbild von einer gerechteren, sozialeren Gesellschaft aufzuzeigen. Stattdessen wurden Details diskutiert, ein paar Prozent Steuern hier, eine Regeländerung in der Krankenversicherung da. Dies ließ die beiden Blöcke politisch recht nah beieinander erscheinen, trotz grundlegend anderer Sichtweisen bezüglich gesellschaftlicher und eigener Verantwortung.

Ob man die Koalition der vier bürgerlichen Parteien mit diesem Wahlergebnis als “Gewinner” sehen kann, ist jedoch fraglich. Einerseits ja, denn sie haben die rot-grüne Gegenseite klar geschlagen. Anderseits nein, denn sie haben ihre eigene Mehrheit im Parlament eingebüßt. Das ist dem Einzug einer neuen Partei in den Reichstag zu schulden: den Schwedendemokraten.

Von frustrierten, arbeitslosen Männern

Die Schwedendemokraten (SD) haben in den letzten Jahren stetig an Zustimmung gewonnen, vor allem im südlichen Schonen. Ihr Parteiprogramm kreist um die Begrenzung der Einwanderung nach Schweden und darum, die “schwedische Kultur” zu bewahren. Damit meinen sie, wie es sich für eine Partei mit Wurzeln in der rechtsextremen Szene gehört, das klassisch-romantische Schweden, das eigentlich nur noch in den Köpfen deutscher Touristen existiert; nicht das moderne, weltoffene Land, das sich wohlwollende Blicke und Vorbildcharakter in der restlichen Welt erarbeitet hat.

Wie der Einzug von (SD) in den Reichstag zu bewerten ist und wie man in den kommenden vier Jahren mit ihnen umgehen sollte, darüber scheiden sich die Geister. Gibt es wachsende Ausländerfeindlichkeit, gar Rassismus, in Schweden, oder sind die Stimmen für die Schwedendemokraten vor allem Protestwähler?

Die einen heben hervor, dass die Integrationsdebatte tatsächlich nicht offen genug geführt wurde und dass es selbstverständlich auch hierzulande Probleme zu lösen gibt (siehe dazu z.B. die Artikelserie Warten auf Schweden). Diese Sichtweise heißt zugeben, dass (SD) ein von den anderen Parteien vernachlässigtes Thema aufwirft und deshalb Erfolge verbucht. Hiergegen spricht einiges.

Zum einen wächst in Schweden die Zustimmung zu Einwanderung weiterhin stetig, von einer weitreichenden Wende zu mehr Ausländerfeindlichkeit keine Spur. Zum anderen findet man Antworten, wenn man sich die Gesellschaftsschichten anschaut, aus denen (SD) ihre Stimmen bekommt. Mit Abstand überrepräsentiert sind hier Männer, die staatliche Beihilfen beziehen – ironisch, wenn man bedenkt, dass (SD) üblicherweise mit Milchmädchenrechnungen zu den Kosten von Ausländern für den Sozialstaat hausieren geht.

Ich halte deshalb die These, dass (SD) vor allem von Proteststimmen derer profitierte, die sich als Verlierer im heutigen Schweden sehen, für richtiger. Dass effektiv nur zwei politische Blöcke mit diffusen Unterschieden zur Wahl standen, hat hierbei sicherlich geholfen. Doch selbst wenn dies der Fall ist und die Stimmen für die Schwedendemokraten nicht als wachsender Rassismus zu werten sind, ist das Resultat dasselbe, nämlich dass eine Partei mit offen rassistischem Programm im Parlament das Zünglein an der Waage ist, solange die beiden anderen Blöcke nicht aufbrechen. Letztere werden sich daran messen lassen müssen, ob sie sich für politische Entscheidungen von den Stimmen der Schwedendemokraten abhängig machen und ihnen auf diese Weise Einfluss geben, oder nicht.

Die Interpretation als Protestwähler ist hingegen wichtig, wenn man die Ursachen bekämpfen will. Hierbei kann man das Argument vertreten, dass die bürgerliche Allianz zumindest eine teilweise Schuld am Erfolg von (SD) trägt. Eine wirtschaftsliberale Politik, in der man den Abbau sozialer Sicherheiten als Eigenverantwortung verkauft und in der Solidarität zum Unwort wird, erzeugt mehr gesellschaftliche Verlierer und von ihrer Landesführung Frustrierte, die die Schwedendemokraten als einzige “echte Alternative” sehen, die ihnen auch gleich noch einen Sündenbock mitliefert.

Frauen und Freibeuter

Zwei weitere kleine Parteien hatten sich Hoffnung gemacht, die Vier-Prozent-Hürde zu nehmen und ins schwedische Parlament einzuziehen: die Piraten und die Feministische Initiative (Fi). Beide bekamen unter einem Prozent der Stimmen.

Die Piratenpartei litt darunter, dass alle ihre Themen in den Medien des letzten halben Jahres so gut wie keine Rolle spielten. Man kann, wenn man möchte, dahinter politisches Kalkül der Regierung sehen. Die Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung wurde auf nach der Wahl verschoben, ebenso die zweite Instanz des Gerichtsverfahrens gegen die Pirate Bay, das mittlerweile begonnen hat. Nichtsdestotrotz landen eingeschränkte bürgerliche Freiheiten und erhöhte Überwachung immer weit unten, wenn Wähler nach wichtigen Themen gefragt werden. Es ist den Piraten trotz anscheinend guter Organisation nicht gelungen, genug Leute davon zu überzeugen, dass ihre Themen wichtiger sind als die “klassischen” wie Arbeitsmarkt, Schulen oder das Gesundheitssystem, zu denen die Piraten keine Stellung beziehen.

(Fi) ist die Feministenpartei von Gudrun Schyman, ehemals Parteichefin der Linkspartei. Diese konnte zumindest in Schymans Heimkommune Simrishamn einen Erfolg verbuchen – als drittstärkste Partei mit vier Sitzen.

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Nobelpreise 2010

Der jährliche Reigen der Bekanntgabe der Nobelpreise beginnt nachher um 11:30 mit dem Medizinpreis. Das Svenska Dagbladet will vorab erfahren haben, wer den bekommen soll: Robert Edwards, der Vater der künstlichen Befruchtung. Sollte sich das bewahrheiten, wäre das Leck ein Novum. Die Nobelstiftung ist normalerweise ziemlich erfolgreich mit ihrer Geheimhaltung.

  • Medizin, 4. Oktober 11:30. Der Preis geht an den Briten Robert G. Edwards “für die Entwicklung der In-Vitro-Befruchtung.” Links zu nobel.se und tagesschau.de.
  • Physik, 5. Oktober 11:45. Andre Geim und Konstantin Novoselov, beide gebürtige Russen, die in Großbritannien arbeiten, bekommen den Physikpreis dieses Jahr, “für bahnbrechende Experimente zum zwei-dimensionalen Material Graphene.” Links zu nobel.se, tagesschau.de, nochmal tagesschau.de und SpOn.
  • Chemie, 6. Oktober 11:45. Richard F. Heck, Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki werden heuer in dieser Kategorie geehrt werden, “für Palladium als Katalysator bei Wechselwirkungen in der organischen Synthese”. Links zu nobel.se, ZEIT und SpOn.
  • Literatur, 7. Oktober 13:00. Der peruanische Autor Mario Vargas Llosa bekommt den diesjährigen Literaturnobelpreis, “für seine Kartographie von Machtstrukturen und seine energischen Bilder von Widerstand, Revolte und Niederlage des Individuums.” Links zu nobel.se, tagesschau.de, SpOn.
  • Friedenspreis, 8. Oktober 11:00. Dieser Preis geht an Liu Xiaobo, den chinesischen Dissidenten, “für sein langes und gewaltfreies Streben nach grundlegenden Menschenrechten in China”. Links zu nobel.se, SpOn, tagesschau.de.
  • Wirtschaft, 11. Oktober 13:00. Peter A. Diamond, Dale T. Mortensen und Christopher A. Pissarides teilen sich diesen Preis “für ihre Marktanalysen bei einem Missverhältnis von Angebot und Nachfrage”. Links zu nobel.se, tagesschau.de, SpOn.
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Warten auf den Reichstag

Na sowas. Euch so lange warten zu lassen, war selbstverständlich nicht geplant – ab und an kommt einem dann aber doch die Arbeit, inklusive Reisen, dazwischen.

Zum Trost sei gesagt, dass in Schweden in der Zwischenzeit so gut wie nichts passiert ist. Die Verhandlungen zur Regierungsbildung liefen hinter verschlossenen Türen und viele der Gerüchte, über die in den letzten anderthalb Wochen geschrieben wurde, entpuppten sich als Enten.

Heute tritt endlich der neu gewählte Reichstag zusammen und wählt sich seinen Sprecher (Talman). Dieser Posten ist das Äquivalent zum deutschen Bundestagspräsidenten und das formell höchste Amt, in das man in Schweden gewählt werden kann. Bei der Wahl des Talman wird sich zum ersten Mal zeigen, ob Fredrik Reinfeldt Stimmen aus der Opposition für “seinen” Kandidaten herausgehandelt hat, oder ob die neu im Parlament vertretenen rechtsextremen Schwedendemokraten ihre vermeintliche Rolle als Zünglein an der Waage ausspielen können.

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Immer langsam

Die sogenannten Qualitätsmedien zeichnen sich nach den schwedischen Wahlen durch Ungeduld aus. Die Stimmenauszählung läuft noch und die einen bauschen den hypothetischen Fall, dass weniger als 300 Stimmen Unterschied zur vorläufigen Zählung vom Sonntag für eine eigene Mehrheit von Reinfeldts Allianz reichen würden, zu einer ungerechtfertigten Dramatik auf. Sicher, es gibt die Wahlbezirke, in denen es knapp ist so dass ein paar Stimmen ein Mandat zwischen den Blöcken hin und her schieben können. Knappe Bezirke gibt es jedoch statistisch für beide Seiten und warum bloß die einen zu Gunsten gerade der richtigen Allianzpartei umkippen sollten, bleibt unbegründet.

Die ZEIT kommentiert derweil (danke, @toco), was für ein Fehler es ist, dass die Grünen die Einladung Reinfeldts ablehnen und “keine Verantwortung übernehmen”. Dazu kann man wiederum nur sagen, dass so eine Einschätzung völlig verfrüht ist. Hier warten erst einmal alle auf das endgültige Wahlergebnis, das sich bis morgen Vormittag verspäten wird. Deshalb gab es auch noch keine direkte Einladung zu Verhandlungen an die Grünen, die sie hätten ausschlagen können.

Aber irgend etwas muss man ja anscheinend schreiben.

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