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Wie geht es weiter?

Bevor ich mich an die Analyse des Wahlergebnisses mache, ein kurzes Update was jetzt in der schwedischen Politik passiert.

Zuallererst ist zu sagen, dass der bürgerliche Block immer noch die Chance hat, eine eigene Mehrheit zu bekommen. Morgen findet nämlich die sogenannte Onsdagsräkningen (Mittwochszählung) statt, die das vorläufige Ergebnis von vorgestern Nacht neu auszählt und dann auch die Briefwahlstimmen aus dem Ausland beinhaltet. Diese etwa 100.000 Stimmen sind aus Erfahrung eher konservativ als Sozialdemokratisch und es braucht nur 7000 bürgerliche Stimmen in den richtigen Wahlkreisen, um das Ergebnis zu kippen. In diesem Fall wären alle Spekulationen darüber, woher Fredrik Reinfeldt die drei fehlenden Stimmen im Parlament bekommt, hinfällig.

Nichtsdestotrotz finden diese statt und Reinfeldts Einladung an die Grünen waren das Hauptgesprächsthema gestern. Von deren Seite hat man dem bürgerlichen Block erst einmal die Leviten gelesen und eine lange Liste vorgelegt, die eine Zusammenarbeit sehr schwer machen. Dazu gehören die Kernkraftfrage, Klimapolitik, die Umgehungsstraße um Stockholm sowie die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Es wäre den grünen Wählern auch schwer zu vermitteln, wenn man plötzlich zur Stütze einer bürgerlichen Regierung würde, nachdem man mit Rot gegen diese zur Wahl gegangen ist. Dennoch wäre es wohl vermittelbar und sinnvoll, wenn man dabei der Regierung ein paar der grünen Kernfragen aufzwingen könnte – das denkt zumindest Per Gahrton, Mitbegründer der schwedischen Grünen. Zusätzlich will man nur in Verhandlungen gehen, wenn auch die Sozialdemokraten mit dabei sind.

Eine alternative Lösung für Reinfeldt wäre, drei beliebige Parlamentarier aus dem Rot-Grünen Block “abzuwerben”. Dass Abgeordnete ihre Partei verlassen und “poltische Wilde” im Parlament werden, kommt immer wieder vor und diese Personen könnten, wenn sie es geschickt anstellen, als Helden herauskommen, die den Einfluss der Schwedendemokraten verhindern. Nebenbei müssten sie sich nicht voll der Allianz anschließen, sondern von Fall zu Fall für oder gegen sie Stimmen, so dass sie gleichzeitig ihrem Wählerauftrag gerecht werden könnten und die Regierungspoliktik in Richtung Rot-Grün ziehen.

Vorerst heißt es jedoch abwarten. Reinfeldt selbst betonte gestern, dass er erst am 5. Oktober, wenn das neue Parlament zusammentritt, mit seinem Regierungsvorschlag an die Öffentlichkeit treten wird und dass bis dahin in Ruhe Verhandlungen geführt werden müssten und zwar nicht via Journalisten. Um Spekulationen und Informationslecks vorzubeugen, prägte er den zitatwürdigen Satz “Alles was nicht von mir gesagt wird, ist falsch.”

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Reaktionen

Dass die fremdenfeindlichen Schwedendemokraten ins Parlament gewählt wurden hat landesweit Bestürzung, Ärger und Enttäuschung ausgelöst. Typische Zitate aus meinem Bekanntenkreis lauten “Pfui Teufel!”, ”,7 Prozent der schwedischen Bevölkerung sollten sich was schämen!”, “Katastrophe!”, “Schweden fühlt sich heute anders an. Auf schlechtere Weise” oder “Heute schäme ich mich für mein Land”.

In der Tat hat Schweden als Inbegriff von Offenheit und das Bewusstsein, vieles besser hinbekommen zu haben als der Rest der Welt, einen Knacks erlitten. Via Facebook organisierten sich gestern in den Städten spontane Demonstrationen gegen Rassismus und Intoleranz mit tausenden Teilnehmern. So voll hat man den Sergels Torg lange nicht gesehen:

Videolink

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Vorläufiges Endergebnis

valresultat Die nebenstehende Grafik zeigt das vorläufige Endergebnis (siehe val.se) der gestrigen Reichstagswahl in Schweden. Daran werden sich höchstens noch vereinzelte Zehntel ändern, wenn man am Mittwoch die endgültige Auszählung bekannt gibt.

Die wichtigsten Ergebnisse sind demnach:

  • Die Sozialdemokraten (S) sind Verlierer der Wahl und bekommen so wenige Stimmen wie nie zuvor. Der Abstand zu den Moderaten (M) von Fredrik Reinfeldt ist von 25 Prozent bei der Wahl von 2002 auf unter ein Prozent geschrumpft, auch wenn (S) größte Partei bleibt.
  • Die kleinen Parteien verlieren leicht, bis auf die Grünen (MP), die drittstärkste Kraft wurden, und die neu hinzugekommenen Schwedendemokraten (SD) am rechten äußeren Rand des Parteienspektrums.
  • Betrachtet man die beiden politischen Blöcke, die jeweils gemeinsam Wahlkampf machen, so ist Rot-Rot-Grün mit 157 von 349 Sitzen im Reichstag weit von der Mehrheit (175) entfernt, jedoch verfehlen auch die “Gewinner” der Wahl, die Allianz aus Moderaten, Zentrum (C), Christdemokraten (KD) und Liberalen (FP), diese Mehrheit und kommen nur auf 172 Sitze.
  • Damit ist eingetreten, was viele befürchtet haben: Die Schwedendemokraten sind mit 20 Sitzen das Zünglein an der Waage – zumindest solange die beiden Blöcke in ihrer bisherigen Konstellation verharren. Da jedoch keine andere Partei mit den Rechtsextremen zusammenarbeiten will, wird eben dies unhaltbar und man erwartet, dass sich der bürgerliche Block den Grünen nähert, um eine Minderheitenregierung aufzustellen.
  • Die Wahlbeteiligung lag 1,7 Prozent höher als bei der letzten Wahl und kam auf 82,1 Prozent

Zu den wahrscheinlichen Gründen für diesen Wahlausgang und was er für die Zukunft Schwedens bedeutet später mehr.

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Wahlgewinner ohne Mehrheit

Mittlerweile sind die meisten Bezirke ausgezählt und die Zahlen aus der Wählerbefragung scheinen sich mehr oder weniger zu bestätigen: Premierminister Reinfeldts Moderate gewinnen etwas hinzu, die Sozialdemokraten verlieren und liegen nur noch knapp vor diesen. Zusammen mit den gewollten Koalitionspartnern liegt der bürgerliche Block, der die letzten vier Jahre Schweden regiert hat, damit vor der Opposition.

Jedoch kommen die rechtsextremen “Schwedendemokraten” in den Reichstag und verhindern möglicherweise eine eigene Mehrheit für die bürgerliche Allianz, die nach derzeitigem Stand auf 48.3 Prozent der Stimmen kommt. Die aktuelle Hochrechnung vom schwedischen Fernsehen sagt, dass die Sitzverteilung im Parlament 175 zu 154 zu 20 für Allianz, Rot-Grün und Schwedendemokraten ausfällt. Damit hätte die Allianz eine eigene Mehrheit mit einer Stimme, wäre also nicht auf Unterstützung außerhalb der Koalition angewiesen.

Nachtrag, 22:00: Diese eine Stimme Mehrheit ist nach der letzten Prognose wieder weg und es kann bis morgen dauern, bis sich das gesetzt hat. Deutsche Medien rätseln auch mit.

Mittlerweile scheint sich die Mandatverteilung auf 172 für die bürgerliche Allianz, 157 für Rot-Grün und 20 für die Schwedendemokraten einzupendeln, was bedeutet, dass letztere das Zünglein an der Waage sind, solange die beiden Blöcke nicht aufbrechen. Die Regierungsbildung wird interessant.

In seiner Rede gibt Fredrik Reinfeldt sich stark. Immerhin hat er das historisch beste Ergebnis für die Moderaten eingefahren, während die Sozialdemokraten ihr schlechtestes abbekamen. Nichtsdestotrotz braucht er eine Mehrheit im Parlament, um wieder Staatsminister zu werden. Er erteilte den Schwedendemokraten eine klare Absage und nannte explizit die Grünen, denen er eine Hand reichen will. Diese hatten jedoch noch Minuten davor dieses Szenario abgelehnt, weil die politischen Unterschiede zu groß seien.

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Auszählung beginnt

Jetzt arbeiten die Wahlhelfer im ganzen Land fleißig an der Auszählung. Man kann auf val.se live mitverfolgen wie die Ergebnisse eintreffen. Zur Zeit sind erst 10 von 5668 Wahlkreisen ausgezählt, es hat also wenig Sinn, dies schon zu kommentieren.

Übrigens werden alle Stimmen im Laufe der kommenden Woche bei der Wahlbehörde noch einmal ausgezählt und das wird das amtliche Endergebnis, das dann auch die Personenstimmen beinhaltet. Die Wahlhelfer brauchen sich heute Abend also nicht um die optionalen Kreuze auf den Stimmzetteln zu kümmern.

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Valvaka 2010

Die Spannung steigt. In ein paar Minuten kommt die erste Wählerbefragung des schwedischen Fernsehens, das 11.000 Menschen an den Wahllokalen befragt hat. Die Erfahrung zeigt, dass diese auf ein bis zwei Prozent richtig liegen. Echte Zahlen, also von den Wahlhelfern gezählte Stimmen, kommen dann etwas später am Abend.

Hier also die Zahlen von SVTs Wählerbefragung:

  • Moderaterna: 29,1 (+2,9)
  • Folkpartiet: 7,2 (-0,3)
  • Centerpartiet: 7,1 (-0,8)
  • Kristdemokraterna: 5,7 (-0.9)
  • Socialdemokraterna: 30,0 (-5)
  • Miljöpartiet: 9,0 (+3,8)
  • Vänsterpartiet: 6,1 (+0,3)
  • Sverigedemokraterna: 4,6 (+1,7)
  • Übrige: 1,2 (-1,6)

Die beiden Blöcke hätten damit: 49,1 Prozent für die Bürgerlichen, 45,1 Prozent für die Rot-Grünen.

Sollte sich das bestätigen, hätte Schweden eine neue Partei im Parlament – die rechtsextremen Schwedendemokraten. Die Sperre liegt in Schweden nämlich bei vier Prozent. Das kann bedeuten, dass die bürgerliche Allianz, trotzdem sie die Wahl gegen Rot-Grün gewonnen zu haben scheint, keine eigene Mehrheit im Reichstag bekommt. Dann würde Fredrik Reinfeldt wohl eine Minderheitenregierung anführen und versuchen, die Grünen ins Boot zu holen, was allerdings die “grüne Stimme der Allianz”, die Centerpartiet, verprellen dürfte.

Als erste Analyse kann man wohl sagen, dass die Sozialdemokraten, nicht ganz unerwartet, die großen Verlierer sind und nicht einmal mehr mit Abstand die größte Partei werden. Damit kann die vom bürgerlichen Block kopierte Strategie, zusammen mit fertigen Koalitionspartnern in den Wahlkampf zu gehen, als gescheitert erachtet werden. Die Linkspartei ist vielen außerhalb ihres eigenen Wählerkreises sehr suspekt und war den Sozialdemokraten ein Klotz am Bein. Ursprünglich wollten sie auch nur mit den Grünen zusammenarbeiten.

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Wahltag eröffnet

Heute ist es endlich so weit: gut sieben Millionen Schweden und in Schweden lebende sind aufgerufen, an die Urnen zu gehen. Das heißt, eigentlich nur noch fünf Millionen, denn gut zwei haben schon vorab gewählt.

Man erwartet eine hohe Wahlbeteiligung, bis 85 Prozent, und wenn sich die fast täglichen Umfragen der letzten Woche bestätigen, dann wird die Regierung Reinfeldt wiedergewählt. Die rechtsextremen Schwedendemokraten liegen laut diesen knapp über der vier-Prozent-Sperre könnten es zum ersten mal ins Parlament schaffen.

Zu all dem mehr im Laufe des Tages und heute Abend, wenn die vorläufigen Ergebnisse eintrudeln. Denn heute ist auf Fiket.de Valvaka angesagt.

Was in den letzten Wochen hier schon alles zum Thema stand, lässt sich unter dem Schlagwort Wahl2010 leicht finden.

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Parteispendenzwist

Auch im Land, dem das Öffentlichkeitsprinzip und die Ermunterung zum Aufdecken von Missständen zu internationalen Bestnoten in Korruptionsfreiheit verholfen hat, gibt es einen schwarzen Fleck bezüglich der Transparenz, bei dem sogar Deutschland besser abschneidet: die Parteispenden. Dort gibt es nämlich dank der diversen Spendenaffären mittlerweile eine Veröffentlichungsplicht für Spenden über 10.000 Euro.

In Schweden gibt es kein solches Gesetz, jedoch eine freiwillige Übereinkunft der meisten Parteien im Reichstag, Spenden über 20.000 Kronen (≈2150 EUR) offen zu legen. Zwei der Regierungsparteien widersetzen sich jedoch. Die kleine Partei der Christdemokraten und die größte bürgerliche Partei, die Moderaterna. Gute Gegenargumente haben sie keine, denn durch die Ausnahme von Kleinspenden wird für die meisten Spender nicht öffentlich, wie sie wohl wählen, und das Wahlgeheimnis bleibt gewahrt.

Musterland Schweden hat sich wegen der undurchsichtigen Parteienfinanzierung eine Rüge vom Europarat eingefangen und angesichts der Spendenaffäre in Finnland neulich werden jetzt Fragen laut, was die beiden widerspenstigen Regierungsparteien zu verbergen haben. Die Sozialdemokraten, die bisher die freiwillige Regelung bevorzugt hatten, wollen deshalb nun doch ein diesbezügliches Gesetz einführen. Das ist wahlkampftechnisch geschickt, weil es einerseits berechtigtes Misstrauen gegen Reinfeldt aufkommen lässt und andererseits den bürgerlichen Block spaltet, denn die liberale Folkpartiet und das Zentrum sind wie die Opposition für offene Parteispenden.

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Neues von Assange

Zwei kurze Updates zum Fall Assange:

  • Gestern wurde bekannt, dass Julian Assange vor gut drei Wochen, also bevor die Vergewaltigungsvorwürfe aufkamen, bei der Einwanderungsbehörde um Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in Schweden ersucht hat. Er wolle Schweden zu seiner Basis machen und hier offiziell als Herausgeber von Wikileaks registriert werden, damit der Meddelarskydd für die Organisation gilt.
  • Heute teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass jetzt doch noch die Voruntersuchung wegen Vergewaltigung eingeleitet wird, entgegen der Aussagen von letzter Woche. Ob dies etwas mit dem Verhör zu tun hat, das mittlerweile mit Assange durchgeführt wurde, hat man nicht erfahren.

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Ran an die Urnen!

Heute morgen hat in Schweden die Wahl begonnen. Denn neben der Briefwahl und der Stimmabgabe am eigentlichen Wahltag (19. September) haben ab jetzt auch zahlreiche Vorab-Wahllokale geöffnet, bei denen man zu beliebiger Zeit vorbeischauen kann, um zu wählen. Allein in der Stockholmer Innenstadt gibt es etwa zwanzig davon, an strategisch gut gelegenen Orten wie dem Hauptbahnhof, so dass man auf dem Arbeitsweg kurz Halt machen kann.

Bei der letzten Wahl nutze etwa ein Drittel der Stimmberechtigten diese Möglichkeit und heuer wird der Anteil wohl noch größer werden, weil man jetzt nicht einmal mehr die Stimmkarte, die man in den letzten Tagen nach Hause geschickt bekam, dabei haben muss. Wenn man sich ausweisen kann, wird einem vor Ort einfach eine neue Stimmkarte ausgedruckt.

Das ist natürlich nur möglich, weil es die Personnummer gibt, dank derer man das Wahlregister zentral abgleichen kann und die abgegebenen Stimmen bis zum Wahltag zum richtigen Wahllokal transportieren kann, wo sie am 19. abends gezählt werden. Deshalb finde ich die Vorab-Wahllokale ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie man staatliche hierzulande Abläufe effektiver als anderswo gestaltet und versucht, den Bürgern so wenig Steine wie möglich in den Weg zu legen. Selbst wenn dies sicherlich nicht der einzige Grund für die traditionell hohe Wahlbeteiligung in Schweden ist, kann zumindest keiner behaupten, es sei ihm zu umständlich gewesen.

Wie das mit dem Wählen vor sich geht, hatte ich bei der Europawahl letzt beschrieben. Diesmal werden drei unterschiedliche Stimmen in drei separaten Kuverts abgegeben. Eine für den Riksdag (das Parlament), eine für die Regionalverwaltung (Landsting) und eine für die Kommunen.

Aktuelle Umfragen sehen die regierende Vierparteienkoalition ein paar Prozent vor der rot-rot-grünen Opposition, die in letzter Zeit keine gute Figur machte, egal was sie hervorbrachte. Sollte Staatsminister Reinfeldt tatsächlich wiedergewählt werden, wäre das historisch, denn bisher waren bürgerliche Regierungen jeweils nur kurze Intermezzi zwischen den langen Perioden sozialdemokratischer Herrschaft.

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