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Zu viel Öffentlichkeit?

In Schweden ist gerade ein Thema aktuell, das sowohl das Öffentlichkeitsprinzip als die Dateitauschseite The Pirate Bay betrifft.

Hintergrundgeschichte ist ein Kindsmord, für den eine deutsche Frau vor kurzem hier verurteilt wurde. Dieser Fall hat den schwedischen Abendzeitungen in den letzten Monaten viel Gelegenheit gegeben, sich von ihrer hässlichsten Seite zu zeigen. Die Untersuchungsakten der Polizei wurden nicht als geheim deklariert und sind damit öffentlich, inklusive der Obduktionsbilder der Kinderleichen.

Irgendwer hat sich dann die Akten besorgt und hat sie mit Hilfe der Pirate Bay verbreitet. Der Sender TV4 behauptete daraufhin dreist, die Pirate Bay habe die Akten selbst verbreitet und es wurden Rufe laut, die Bilder aus dem Netz zu nehmen. Die Pirate Bay argumentiert natürlich zu Recht, dass sie lediglich eine Plattform zum Austausch von Daten ist, und dass sie keinen Anlass sieht, die Verbreitung von sowieso öffentlichen Informationen zu unterbinden. Die Geschmacklosigkeit liegt aufseiten desjenigen, der die Bilder hochlädt, und all derer, die sie herunterladen.

Dagens Nyheter leitartikelt schließlich heute morgen zum gleichen Thema. Immerhin erkennt der Schreiber die Position der Pirate Bay als richtig an, wirft aber die Frage auf, ob das Öffentlichkeitsprinzip aus dem 18. Jahrhundert im Licht moderner Kommunikationsmittel vielleicht eingeschränkt werden müsste.

Bei aller Geschmacklosigkeit im Extremfall und obwohl auch ich den Schutz der Privatsphäre für ein hohes Gut halte, bin ich skeptisch gegenüber solchen Forderungen. Die Schweden haben ihrem Öffentlichkeitsprinzip viel zu verdanken.

Nachtrag 080909: Jetzt auch bei Heise.

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Merkel in Stockholm

Angela Merkel kommt morgen zu Beratungen nach Stockholm, lese ich gerade im Blog des schwedischen Außenministers Carl Bildt. Ich nehme an, dass es um Georgien geht, in das er stark engagiert ist.

Nachtrag 080826: Dieses Bild muss noch erwähnt werden. Sehr idyllisch. Der Platz heißt Harpsund und ist ein Anwesen auf dem Land nicht sehr weit von Stockholm (Karte), das dem schwedischen Staat 1953 gespendet wurde und seitdem als Erholungsort für den Regierungschef genutzt wird. Angela Merkel war gestern Fredrik Reinfeldts erster Gast im Ruderboot, in dem unter anderem schon Chruschtschow saß.

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Anderes Geschlecht, anderer Wert

Anzeige der
Grünen Vor ein paar Tagen habe ich nebenstehende schlaue Anzeige der schwedischen Grünen in der Zeitung gesehen und abfotografiert. Sie zeigt die schwedischen Geldscheine, sortiert nach Wert. Die Pointe ist, dass die beiden Frauen “weniger wert” sind und dass das nicht nur in diesem übertragenen Sinn gilt.

Die Bildunterschrift lautet übersetzt:

Anderes Geschlecht, anderer Wert. Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer, obwohl sie die gleiche Arbeit tun. Findet irgendwer wirklich, dass das so sein soll? Wir glauben nicht. Die Grünen haben eine deutliche Politik, das zu ändern. Lies mehr auf unserer Webseite www.mp.se – Die Umweltpartei die Grünen.

Dieses Thema hatten wir schon, aber ich finde es immer wieder bemerkenswert, dass es hier in Schweden, wo der Lohnunterschied geringer ist als in den meisten anderen Ländern, viel präsenter ist als zum Beispiel in Deutschland. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass eine der deutschen Parteien damit auf Stimmen- und Mitgliederfang geht.

Die Scheine des Euro haben keine Menschen mehr abgebildet, schaut man sich aber die der alten D-Mark an, dann fällt auf, dass bewusst Mann und Frau abwechselnd gewählt wurden. Bei der alten Serie (bis 1989) waren nur auf dem 5- und 20-Mark-Schein Frauen zu sehen.

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Sommerloch

Es ist Sommer in Schweden. Das sagt zwar nicht unbedingt etwas über das Wetter aus, aber über die Mentalität der Leute. Im Juli passiert in Schweden nicht viel. Die meisten haben Urlaub, um den kurzen Sommer auszunutzen. Geschäfte und Firmen schließen, sogar einige Restaurants. In den Städten ersetzen Touristen die Einheimischen (s.u.), die stattdessen irgendwo auf dem Land sind.

Trotzdem wollen Zeitungen gefüllt werden und so blättert man sich allmorgendlich durch typische Sommerlochmeldungen wie die, dass ein Pilz die Eschen auf Gotland bedroht oder dass bei einem “Spreng-Attentat” zwei Bretter der Veranda eines Kommunalpolitikers zerbrochen wurden.

Ein paar Dinge sind vielleicht trotzdem erwähnenswert:

  • Christer Fuglesang, der bisher einzige schwedische Astronaut darf nach seinem einzigen Flug vor anderthalb Jahren nun doch noch einmal mit dem Space Shuttle der USA zur ISS fliegen, und zwar Juli 2009. Nur kurz nach dieser Meldung meldete er sich prominent in DN zu Wort und forderte mehr schwedisches Engagement im Weltraum.
  • Das umstrittene Abhörgesetz hält sich hartnäckig in den Debatt-Seiten und sechs Frauen aus der liberalen Folkparti wollen gegen die Regierung, an der sie beteiligt sind, meutern und eine zukünftige Motion der Opposition für Änderungen am Gesetz unterstützen. Eine Klausel, dass nur bei Verdacht abgehört werden darf, ist im Gespräch, würde die massenhafte Überwachung Unschuldiger verhindern und die Behörde FRA praktisch arbeitslos machen. Was jedoch genau in dieser Richtung passieren wird, ist noch unklar.
  • Im größten Freizeitpark des Nordens, Liseberg bei Göteborg, ist letzte Woche ein Fahrgeschäft havariert und es gab ein paar Verletzte.

  • Der Tourismusboom hält weiter an und jedes Jahr ist ein neues Rekordjahr. Im Mai kamen ganze 17 Prozent mehr Leute nach Stockholm als letztes Jahr. Allerdings ist mein persönlicher Eindruck, dass unser kostenloses Gästezimmer (siehe auch hier) bisher etwas weniger nachgefragt ist.

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Klage beim Europäischen Gerichtshof

Jetzt ist sie da, die Klage gegen das FRA-Gesetz beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Kläger ist die Ideenschmiede Centrum för Rättvisa (rättvisa=Gerechtigkeit). In der Klageschrift (PDF) ist auch eine englische Zusammenfassung zu lesen.

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Peinlich, DN

Heute morgen in der Papierausgabe zu diesem Artikel noch das Bild mit den vier iranischen Raketen abzudrucken, das gestern schon überall als Fälschung herumgereicht wurde, finde ich schon peinlich für Schwedens größte seriöse Tageszeitung Dagens Nyheter.

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FRA-Gesetz weiter aktuell

Das neulich verabschiedete Gesetz, das dem militärischen Geheimdienst FRA die Überwachung jeglicher kabelgebundener Kommunikation erlaubt (ältere Artikel dazu), ist weiterhin fast täglich in den Zeitungen und ist eines der Top-Themen der gerade stattfindenden Almedalsveckan. Der Protest aus der schwedischen Bevölkerung scheint nicht abzuebben – in den letzten Wochen wurden mehrere Millionen Protest-Emails geschrieben.

Gestern berichtete SvD aus “informierten Kreisen”, dass der eigentliche Zweck des Gesetzes darin besteht, die Kommunikation Russlands, die zu 80% durch Schweden geht, abzuhören und die gewonnenen Informationen als Tauschware für befreundete Dienste zu haben. Unabhängig davon, ob das stimmt und was die Russen dazu sagen, könnte das auch ein weiterer Rechtfertigungsversuch der FRA-Befürworter sein. Schweden sind nämlich im Allgemeinen skeptischer gegenüber Russland als beispielsweise Deutsche.

Mona Sahlin, Parteichefin der Sozialdemokraten, hat unterdessen angekündigt, das umstrittene Gesetz im Falle eines (nicht unwahrscheinlichen) Wahlsiegs in zwei Jahren wieder abzuschaffen. Das ist zwar etwas seltsam, weil der ursprüngliche Vorschlag von eben diesen Sozialdemokraten stammt, aber Sahlin war damals weder involviert noch Parteichefin. Der Umschwung ist also nicht ganz unglaubwürdig.

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Neue Gesetze und Regelungen

Morgen ist Halbjahr und das ist in Schweden das Datum, an dem neue Gesetze in Kraft treten. DN fasst die Änderungen heute in der Zeitung zusammen und ich übersetze mal:

  • Es gelten neue Regeln beim Krankschreiben. Das war heiß diskutiert, aber jetzt soll die Arbeitsfähigkeit bei Langzeitkranken regelmäßig geprüft werden. Außerdem gibt es Krankengeld nur noch höchstens 364 Tage aus einem 450-Tage-Zeitraum. Danach gibt es weniger Geld.
  • Die ebenso umstrittene “Hausfrauenprämie” ist jetzt auch Wirklichkeit. Kommunen können bis zu 3000 Kronen pro Monat an Eltern auszahlen, wenn das Kind nicht in die Vorschule geht.
  • Die Regel, dass Eltern mehr Monate Geld bekommen, wenn beide ihren Teil betiragen, gibt es hier schon lange. Jetzt kommt ein zusätzlicher Gleichberechtigungsbonus dazu, der bis 100 Kronen pro Tag wächst je ausgeglichener der Anteil beider Elternteile an der Elternzeit ist.
  • Um Betrügereien zu verhindern, braucht man jetzt einen Wisch von der Vorschule, dass das Kind nicht da war, wenn man die Regelung “Sorge fürs kranke Kind” (schw. vård av sjukt barn (VAB); als Verb: vabba) in Anspruch nehmen will, die es einem erlaubt, spontan von der Arbeit wegzubleiben.
  • Um Alkohol am Steuer auch auf See zu bekämpfen, darf die Küstenwache jetzt auch Blutproben nehmen, die vor Gericht beweiskräftig sind. Bisher kamen wohl viele ungeschoren davon, weil es so lange dauerte, bis man die Schuldigen bei der Polizei hatte.
  • Es ist ab morgen einfacher, Tätern gestohlenes Eigentum wegzunehmen.
  • Die Zuzahlregeln beim Zahnarzt werden etwas besser mit der Reform des Systems.
  • Eine Änderung des Alkoholgesetzes erlaubt jetzt eine Person als Mittler, wenn man Alkohol für den Eigenbedarf aus der EU, Island und Norwegen einführen will.

  • Die Regeln für die City-Maut in Stockholm ändern sich auch ein wenig. Man bekommt jetzt den Bescheid jeden Monat geschickt und die Bezahlfrist wird verlängert. Dafür erhöht sich die Strafe, wenn man trotzdem zu spät zahlt.

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FRApedia

Das Thema Überwachung und Försvarets Radioanstalt hält sich weiterhin in den schwedischen Medien – auch nachdem das Gesetz verabschiedet wurde.

Es gibt zahlreiche Demonstrationen in allen größeren Städten, die Sache hat eine Krise in der Zentrumspartei ausgelöst, wer sich vorher als Schützer der persönlichen Integrität hingestellt hat und dann doch für das Gesetz stimmte, sieht sich öffentlich blamiert. Die einzige aus der bürgerlichen Koalition, die dagegen stimmte, bekam hunderte Blumensträuße. Es werden weiter Leit- und Debattartikel geschrieben, der Außenminister findet das Gesetz toll, der ehemalige FRA-Chef natürlich auch, Umfragen zeigen jedoch eine breite Ablehnung der neuen Überwachungsbefugnisse.

Neben der Initiative Stoppa FRA-lagen gibt es jetzt auch die FRApedia als Koordinations- und Sammelstelle für Informationen. Dort gibt es auch zahlreiche Tipps zum Selbstschutz. Die FRApedia ist zur Zeit prominent von Schwedens meistbesuchter Webseite verlinkt, der Pirate Bay, die ihr Piratenschiff gegen das Logo der FRA getauscht hat.

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Wort der Woche: Sommarpratarna

Sommarpratarna (wörtlich “die Sommerredner”) ist der umgangssprachliche Name für eines der, wenn nicht das beliebteste Radioprogramm Schwedens: Sommar i P1.

Seit 1959 wird die Sendung ausgestrahlt, die sich Tage Danielsson ausgedacht hat. Jeden Tag ab Mittsommer bis Mitte August bekommt ein Sommarpratare anderthalb Stunden Radiozeit, in der er oder sie selbst bestimmt, welche Musik gespielt wird und was sie sagt. Die Auswahl der Menschen, die diese Chance bekommen, ist dabei natürlich entscheidend und es wird jedes Jahr mit Spannung erwartet, wenn die Liste eine Woche vor dem ersten Abschnitt bekannt gegeben wird.

Sei es Ingmar Bergman, der um Briefe mit Hörermeinungen bittet, um diese dann ungelesen zu verbrennen oder das (angeblich, ich habe es nicht gehört) ergreifende Mutterportrait von Mustafa Can, das Telefonleitungen zusammenbrechen lies: Es gibt unzählige Anekdoten zu diesem Radioprogramm, die Reaktionen der Hörer sind zahlreich und es gibt sogar Bücher dazu. Sommarpratare gehört seit 2006 auch laut SAOL offiziell zum schwedischen Wortschatz.

Meine spontane Auswahl, was ich mir aus dem diesjährigen Programm wohl anhören werde:

  • Max Tegmark, Physiker/Kosmologe am MIT.
  • Lars Winnerbäck, Musiker.
  • Margot Wallström, Vize von EU-Kommissionschef Barroso), Bloggerin.
  • Elisabeth Massi Fritz, Anwältin, die die Grenzen von Gesetzen austestet.
  • Peter Wallenberg, einer aus der wohl wichtigsten Industriellenfamilie Schwedens.
  • Jonas Wahlström, Tierexperte, den jeder (außer mir) aus dem Fernsehen kennt.
  • Michael Segerström, Schauspieler, u.a. Darling vom letzten Jahr.
  • Björn Ulvaeus, ex-ABBA, Mit-Humanist.
  • Antonia Ax:son Johnson, Großunternehmerin.
  • Mattias Klum, international bekannter Naturfotograf.
  • Dolph Lundgren, wieder einmal ein Fall von “Ach, der ist Schwede!?” für mich.
  • Annika Söder, Chefin eines Teils der Welternährungorganisation.
  • Göran Hägglund, Parteichef der Christdemokraten. Den höre ich mir nur an, wenn ich mich aufregen will.
  • Annika Norlin, Musikerin: Säkert!, Hello Saferide.
  • Pia Johansson, Schauspielerin, auch bei Parlamentet dabei.
  • Boris Grigorjev, KGB-Oberst, den muss man wohl einfach hören.
  • Carin Götblad, Polizeichefin.
  • Mikael Tornving, Komiker, auch bei *Parlamentet*.

    Die Abschnitte sind 30 Tage in voller Länge auf der Webseite des SR [anhörbar](http://www.sr.se/cgi-bin/P1/program/sandningsarkiv.asp?programID=2071) und danach auch noch als [Podcast](http://www.sr.se/cgi-bin/P1/program/artikel.asp?ProgramID=2071&Artikel=2139202), allerdings mit gekürzter Musik. Die *Sommarpratarna* seien hiermit allen empfohlen, die Schwedisch können oder dabei sind es zu lernen, denn man lernt dabei auch eine Menge Menschen des öffentlichen Lebens in Schweden kennen. Integration pur.
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