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Sieg der Überwachungsgegner, oder doch nicht?

Seit ich vor knapp zwei Wochen über die geplante Ausweitung der Überwachungsbefugnisse des schwedischen militärischen Nachrichtendienstes FRA geschrieben hatte, ist viel passiert. In Blogs wurde das Thema heiß diskutiert und es schwappte in letzter Sekunde noch auf die klassischen Medien über, nicht zuletzt mithilfe der außerparlamentarischen Opposition der Piratenpartei. SvD berichtete, dass die FRA auch schwedische Kommunikation abgehört und gespeichert hat, obwohl ihr Auftrag darin besteht, “äußere Gefahren” abzuwehren. Das Thema FRA kam auf die Titelseiten und eine spontane Bewegung bildete sich, die von hunderten Emails an Abgeordnete bis zu parodistisch-optimistischen Videos allerlei in Bewegung setzte, um die Überwachung aller Kommunikation zu verhindern.

Und es zeigte Effekt. Die Debatte gestern im Reichstag soll sehr interessant gewesen sein. Ein Hand voll Politiker der regierenden Allianz erklärten, dass sie gegen das Gesetz stimmen wollten. Der direkte Druck von Wählern kann also doch noch die Parteidisziplin aufwiegen, vor allem wenn man diejenigen an ihre früheren Aussagen erinnert, die sich mit dem Schutz der Privatsphäre profiliert haben. Es schien als habe man die gesuchten Vier beisammen und die Regierung gab nach. Es wurden Kompromissvorschläge bezüglich Behörden mit Kontrollauftrag über die FRA herumgereicht und man einigte sich darauf, das Gesetz noch einmal zur Verbesserung an den zuständigen Ausschuss zu verweisen.

Nach dem was man heute morgen in der Zeitung zu lesen bekam könnte man meinen, die Überwachungsgegner hätten gewonnen. Das wird sich aber erst zeigen, wenn das neue Gesetz auf dem Tisch liegt und man weiß, ob es wirklich besser ist, oder nur eine geschönte Version des alten, die es allen Seiten erlaubt, ihr Gesicht zu wahren, aber an der Sache nichts Wesentliches ändert.

Allen, die Schwedisch können und sich für das Thema interessieren, sei Rick Falkvinges Blog empfohlen.

Nachtrag, 080619: Es ging schnell. Wenige Stunden (!) nachdem das Gesetz gestern morgen ans Verteidigungsministerium zurückverwiesen wurde, lag der neue Vorschlag auf dem Tisch, der zwar etwas mehr Kontrolle der FRA von anderen Behörden verspricht, aber an der Sache, dass jeder ohne Verdacht abgehört werden kann, nichts ändert. Noch gestern Abend wurde das Gesetz angenommen – auch von denen die einen Tag vorher noch große Reden für den Schutz der persönlichen Integrität geschwungen haben. DN leitartikelt zu Recht mit dem Abend der Heuchler. Alleine Camilla Lindberg von der Folkpartiet stimmte gegen ihre Partei.

Ich bin gespannt, wer als erstes Schweden mit diesem Gesetz bei den EU-Gerichten anschwärzt.

2. Nachtrag 080623: Es scheint, als denke Belgien schon über eine solche Klage nach.

Außerdem lesenswert: der Beitrag vom Ravenhorst zum Thema.

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FRA liest mit

Ein Jahr ist vergangen seit die schwedische Opposition den Gesetzesvorschlag vorläufig gestoppt hat, der der FRA (Försvarets radioanstalt, wörtlich die “Radioanstalt der Streitkräfte”) das Abhören des Internet zu erlauben soll. Die Vorgeschichte dazu kann man in mehreren Abschnitten hier im Blog unter dem Schlagwort Überwachung nachlesen.

Zur Erinnerung: Oben genannte Behörde soll das Recht bekommen, jeglichen Datenverkehr, der über das Internet die schwedischen Grenzen passiert, abzuhören und bei Bedarf zu speichern – pauschal, ohne Verdachtsmoment und ohne richterlichen Beschluss. Wohlgemerkt geht es nicht um die Vorratsdatenspeicherung, bei der die Verbindungsdaten (wer wann mit wem von wo aus kommuniziert) gespeichert werden, sondern um die Inhalte der Nachrichten, zum Beispiel von Emails. Alle Kommunikation zu speichern ist technisch noch nicht machbar, deshalb soll anhand von Suchbegriffen vorsortiert werden. Auch das braucht bei der Menge an Datenverkehr eine Menge Rechenkapazität, aber zu diesem Zweck hat die FRA schon einen Supercomputer bekommen, der auf Platz 5 der weltweiten Rangliste steht.

Mitte des Monats geht der Gesetzesvorschlag zur zweiten Abstimmung ins schwedische Parlament, den riksdag. Das vergangene Jahr mit dem parlamentarischen Aufschub war laut Grundgesetz für Diskussionen gedacht. Diese fand aber nicht statt, weder zwischen den großen Parteien, noch in den Medien. Auch jetzt, kurz vor dem Beschluss, schweigen die schwedischen Medien zu dem Thema fast gänzlich.

Lediglich die Piratenpartei versucht, unter anderem mit Demonstrationen die nötige Öffentlichkeit zu schaffen. So kam auch im Ausland ein wenig Aufmerksamkeit zustande: im Register, auf Slashdot und auf Heise.de.

Die Beteuerung der Gesetzesbefürworter, dass nur der Datenverkehr über die schwedischen Grenzen betroffen sein wird und damit die Schweden selbst nur indirekt, ist lächerlich, wenn man weiß wie dezentral das Internet aufgebaut ist, und dass Datenpakete Landesgrenzen frei und oft passieren. Einige schwedische Behörden verwenden sogar ausländische Dienstleister für ihre elektronische Kommunikation. Große Firmen ziehen die ersten Konsequenzen: TeliaSonera, der Zusammenschluss der ehemals staatlichen Telekom-Firmen Schwedens und Finnlands, hat zum Beispiel schon Server nach Finnland ausgelagert, weil sie nach dortigem Recht für die Privatsphäre ihrer Kunden sorgen müssen – vor Schweden also. Google hat angekündigt, keine Server mehr in Schweden zu betreiben, sollte das Gesetz durchgehen.

Das eigentlich Skandalwürdige an der ganzen Sache ist jedoch, dass die FRA nach Aussage ihres eigenen Chefs schon lange die fraglichen Abhörmaßnahmen anwendet und dazu auch den Auftrag bekommen hat. In einem Gespräch mit Rick Falkvinge gibt dieser zu, dass das gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstößt und damit gegen das schwedische Grundgesetz, das diese beinhaltet. Anstatt diesen Grundgesetzbruch zu untersuchen und zu ahnden, soll er also nachträglich legitimiert werden. Und außer einer relativ kleinen Gruppe Aktivisten und besorgter Bürger, schert sich keiner darum.

Dem Gesetz wird aller Voraussicht nach am 17. Juni wieder zugestimmt werden und es wird dann bald in Kraft sein. Es wird also Zeit, seine Emails zu verschlüsseln.

Zum Abschluss sei noch einmal auf das tolle Lied über den Storebror FRA hingewiesen.

Nachtrag 080609: Immerhin gibt es jetzt eine Anfrage im Parlament zum illegalen Abhören, initiiert von einem Politiker der schwedischen Grünen.

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Irakkonferens in Stockholm

Mein Eindruck ist, dass der Irak in Deutschland noch mehr aus den Medien verschwunden ist als in Schweden. Durch die vielen irakischen Flüchtlinge im Land hat das Thema hier eine gewisse Dauerhaftigkeit erlangt. Zur Zeit ist es zusätzlich aktuell, weil morgen in Stockholm, genauer gesagt in Upplands Väsby zwischen der Stadt und dem Flughafen Arlanda, eine große internationale Konferenz über den Irak stattfinden wird.

Ein Großteil der irakischen Regierung kommt, inklusive Premierminister. Ebenso UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und viele EU-Außenminister, die sich sogar vorweg auf eine gemeinsame Linie geeinigt haben. Auch die Außenminister der USA und des Iran werden dort sein – ob sie miteinander reden bleibt abzuwarten.

Dass mit dem großen Polizei- und Sicherheitsaufgebot mit Verkehrsbehinderungen in und um Stockholm gerechnet wird, dürften die meisten gelassen hinnehmen. Dass Schweden aktiv versucht, eine Mittlerrolle einzunehmen, wird allgemein als positiv empfunden.

Bisher habe ich auf Deutsch nur diese Reuters-Meldung zum Thema gefunden, aber das wird wohl morgen mehr. Bis dahin noch ein paar
schwedische Links

Wer Schwedisch kann und sich für den Irak interessiert, dem seien auch die entsprechenden Folgen des tollen Radioprogramms Konflikt aus den letzten Monaten ans Herz gelegt.

Nachtrag 080529: Tagesschau.de berichtet
Nachtrag 080602: Es war angeblich ein Erfolg

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Bösewicht Schweden?

Schweden ist ein Musterland in vielen Bereichen und wird deswegen auch vom Ausland oft gelobt. Natürlich herrscht hier kein perfektes Paradies, aber es ist eben besser als in den meisten anderen Ländern. Neulich führte Schweden erst wieder eine internationale Studie als bestes Land für Mütter an.

Als vorbildlich wird auch immer wieder die großzügige Einwanderungs- und Asylpolitik dargestellt, die hier ja auch schon des öfteren erwähnt wurde. Doch gerade bei diesem Thema gibt es berechtigte Kritik am schwedischen Vorgehen. Die Definition eines “bewaffneten Konflikts”, in den nicht abgeschoben werden darf, ist nämlich so eng, dass sie den Irak und Afghanistan nicht einschließt. Wenn der Asylbewerber also keine direkte Bedrohung für seine Person nachweisen kann, wird abgeschoben.

Auch bei Ländern wie Eritrea und den Iran, in die die Mehrheit der westlichen Länder keine Menschen ausweist, sieht Schweden weniger ein Problem. Zusätzlich besteht Schweden auf der EU-Regel, dass in dem EU-Land Asyl beantragt werden muss, das ein Suchender zuerst betritt. Das ist ein Problem im Fall von Griechenland, das “seine” Asylbewerber in Lager steckt und generell nicht so behandelt, wie man sich das von einem EU-Land wünschen würde. Deswegen wenden viele EU-Länder diese Regel des ersten betretenen nicht auf Griechenland an – Schweden schon.

Besonders hässlich finde ich einen aktuellen Gesetzesvorschlag, der die Gleichstellung bei der Gesundheitsversorgung für “papierlose” Menschen, die in Schweden leben und sich teilweise verstecken müssen, abschaffen will. Gegen diesen Vorschlag scheint sich aber viel Widerstand zu regen.

Wenn man sich die Einwander und nicht die Asylsuchenden anschaut, gilt, dass Schweden hier zur Zeit eine sehr offene Politik hat. Der Wirtschaft geht es gut und man braucht Arbeitskraft. Wer innerhalb einer Frist in Schweden Arbeit findet, darf bleiben. Ob das Menschen wirklich der Willkür der Arbeitgeber ausliefert und das Asylsystem unterminiert, wie einige befürchten, kann ich nicht beurteilen, aber ich hoffe, dass Schweden nicht die gleichen Fehler bei der Integration seiner Gastarbeiter macht wie Deutschland während des Wirtschaftswunders.

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Schwedischer Europarat

Heute übernimmt Schweden den Vorsitz des Europarates. Als Person wird Außenminister Carl Bildt bis November die Rolle des Vorsitzenden ausfüllen und er kommentiert das auch in seinem Blog.

Schweden will die Linie des Rates fortführen, die Durchsetzung der Menschenrechte weiter voranzutreiben. Zur Erinnerung: Der Europarat hat nichts mit der EU zu tun, sondern beinhaltet mit Ausnahme Weißrusslands alle europäischen Staaten, auch die Türkei und Russland.

Sehr spannend scheinen die Medien diese “Wachablösung” allerdings nicht zu finden. Bei Google News habe ich keinen deutschen Artikel dazu gefunden; hier in Schweden meine ich es heute morgen in der Zeitung gesehen zu haben, aber auf den Internetseiten von DN und SvD sieht man keine Spur davon.

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Unwissender Mitverfasser

Gerade wurde ich gefragt, ob ich das bin, der heute morgen den Debattartikel in DN für die Schaffung eines UN-Parlaments mit unterzeichnet hat. Nach anfänglichem Verneinen fiel mir ein, einmal die entprechende Petition unterzeichnet zu haben.

Und so kam es wohl, dass ich auf der Unterzeichnerliste gelandet bin, zwischen allerlei Professoren und Parlamentariern. Lustig, nicht zuletzt weil ich den Artikel heute morgen in der Zeitung überflogen hatte, ohne zu merken, dass ich Mitverfasser bin.

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Doch lieber in der EU?

Würden in Deutschland Politiker den Austritt aus der EU verlangen, würde man sie auslachen. In Schweden ist die Skepsis größer, der Beitritt kam Mitte der 90er nach einem knappen Volksentscheid zustande und die Währungsunion wurde 2003 abgelehnt. Bis vor anderthalb Jahren wurde die sozialdemokratische Minderheitsregierung von zwei Parteien gestützt, zu deren offiziellem Programm es gehörte, den Austritt aus der EU anzustreben. Nämlich von der Linkspartei und den Grünen, die man – sofern man die deutschen Begriffe anwenden kann – eher als “Fundis” denn als “Realos” bezeichnen würde.

Unter eben diesen Grünen ist gerade ein innerparteilicher Streit darüber ausgebrochen, dass die Vorsitzende Maria Wetterstrand findet, dass es doch besser sei, in der EU zu bleiben. Vor allem die Klimapolitik der EU habe sie zum Umdenken bewegt. Der Vorschlag, die Austrittsforderung zu streichen, wurde schon mehrmals auf Parteitagen von den Mitgliedern abgelehnt, aber bis zum Herbst soll ein neuer Anlauf gemacht werden. Viele sehen den EU-Austritt als einen der Grundpfeiler der Politik der schwedischen Grünen, sowohl bei den Mitgliedern als auch den Wählern.

Die Europapolitik ist übrigens einer der wenigen, aber ein wichtiger Punkt, bei dem ich die bürgerliche Regierung der Opposition vorziehe.

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Vor 350 Jahren in Roskilde

Am 26. Februar 1658 wurde zwischen Dänemark und Schweden der Frieden von Roskilde geschlossen. Das war gestern vor 350 Jahren. Schweden erhielt als Gewinner unter anderem die wichtigen Gebiete Schonen, Blekinge und Halland. Wie es dazu kam ist eine Geschichte, die es wert ist, ein andermal ausführlicher erzählt zu werden.

Auf das Datum aufmerksam wurde ich durch Außenminister Carl Bildt, der sein Blog auch weiterhin täglich füllt und dort den Vergleich zum heutigen Verhältnis der beiden Länder anstellt.

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Exporte

Schweden exportiert Lebensmittel und Bier. Letzteres allerdings nur zum Schein, denn die hohen schwedischen Steuern und der legale Privatimport machen es leider lohnend, dass schwedisches Bier zuerst mit Lastern nach Deutschland gekarrt wird und dann in schwedischen Privatautos zurück. Bizarr.

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