Tagged with Politik

Durchregiert

In der Seitenspalte ganz oben sieht man gerade, dass ich heute vor einem Jahr viel geschrieben habe. Es war nämlich Wahltag. Wenn man von der Zeit bis zur Regierungsbildung absieht, ist die Regierung Reingfeldt also mittlerweile ein Jahr alt.

Was hat sich geändert? Wurden die Erwartungen erfüllt?

Fredrik Reinfeldt hatte einen rauhen Anfang mit zwei Rücktritten seiner Minister in den ersten Wochen. Beides waren Frauen – die Regel, dass Männer mehr aussitzen dürfen, behält also trotz des Blockwechsels seine Gültigkeit. Einige andere hätten bessere Gründe gehabt.

In gewisser Weise ist es parallel zu Deutschland, dass der wirtschaftliche Aufschwung schon vor der Wahl absehbar war, aber die neue bürgerliche Regierung die Früchte einfährt. Das und die vollen Staatskassen hat sie trotzdem nicht davon abgehalten, Einschnitte ins Sozialsystem vorzunehmen und Steuern so zu senken, dass die Wohlhabenderen am meisten davon haben. Die Liste der einzelnen Maßnahmen ist erstaunlich lang und man sieht deutlich, dass in Schweden eine Regierung weniger durch starke föderale Strukturen begrenzt als in Deutschland. Das “Durchregieren”, das Frau Merkel in Deutschland vorhatte, ist in Schweden eher Realität.

Trotzdem ist der Premier eher blass in seinem Auftreten und Wirken geblieben und in letzter Zeit wird ihm das offen vorgehalten. Bis zur nächsten Wahl ist es freilich lang, doch laut Umfragen scheinen viele Schweden, die die “Allianz für Schweden” aus den vier bürgerlichen Parteien bei der Wahl für sich gewinnen konnte, indem sie vorgaukelte, im Grunde doch auch beinahe sozialdemokratisch zu sein, ihre Gunst schon länger wieder der Partei, die über 80% der letzten hundert Jahre das Land regiert hat, zuzuwenden: den Sozialdemokraten.

Der Economist kommentiert das Jubiläum der Regierung auch. (via Calle)

Tagged , ,

Neuigkeiteneinzeiler

  • Die schwedische Fluglinie SAS zieht nach zwei Notlandungen einen Flugzeugtyp aus dem Verkehr.
  • Zwei Militärhubschrauber stoßen zusammen und man zieht auch dieses Modell aus dem Verkehr – als ob die “Tendenz zur Kollision” ein Konstruktionsfehler wäre.
  • Die bürgerliche Regierung bedient weiterhin ihre wohlhabende Klientel.

  • Brasiliens Lula war da, wurde durch die Stadt kutschiert (wörtlich!) und man verhandelte über den Unsinn “Biokraftstoff”.

Tagged , , ,

Verteidigungsminister Odenberg tritt zurück

Nicht einmal ein Jahr im Amt, trat Verteidigungsminister Mikael Odenberg heute zurück. Ausnahmsweise ist es kein Skandal um die Person, der hinter dem Rücktritt steht, sondern die geplanten Kürzungen des schwedischen Verteidigungshaushalt um fünf Milliarden Kronen in den nächsten Jahren.

Odenbergs Nachfolger wird Sten Tolgfors, der bisher Handelsminister war. Wer letzteres Amt übernehmen wird, ist noch unklar.

Tagged , ,

Zensur auf Regierungsrechnern

Auf den Rechnern der schwedischen Regierung wurde ein Filter installiert, der es unmöglich machen soll, von dort “unanständige” Internetseiten aufzurufen. Es geht um Pornographie, Gewalt und rassistische Inhalte.

Kann mir jetzt bitte jemand erklären, wie sich der Gesetzgeber ein vollständiges Bild von vielleicht regulierungsbedürftigen Inhalten machen soll, wenn jemand anders – wer bestimmt, was unanständig ist? – für ihn entscheidet, was er zu sehen bekommt und was nicht? Sich selbst zu zensieren, halte ich für einen der größeren Böcke, den die jetzige Regierung geschossen hat.

Tagged , , ,

Dagen H

Seit genau vierzig Jahren fährt man in Schweden rechts, obwohl in einer Volksabstimmung mit überwältigender Mehrheit gegen die Änderung gestimmt worden war. (via)

Tagged , , ,

Wort der Woche: Grundlagsutredningen

Schweden hat keine Verfassung, sondern vier Grundgesetze. Eines davon kann in Verbindung mit einem anderen, das jetzt kein Grundgesetz mehr ist, aber trotzdem “Verfassung” genannt werden. Spannend, nicht?

Von vorne: Die vier schwedischen Grundgesetze heißen successionsordningen, regeringsformen, tryckfrihetsförordningen und yttrandefrihetsgrundlagen. Das erste regelt, wie man unschwer am Namen erkennt, die Nachfolge im Königshaus und ist heute das älteste der Grundgesetze (1810). Erst 1980 wurden Frauen auf dem Thron erlaubt und damit Victoria zur Kronprinzessin.

Im Gegensatz dazu ist die “Freiheit zur (Meinungs-) Äußerung” erst seit 1992 Grundgesetz und bildet das Radio-, Fernseh- und Internetkomplement zur “Druckfreiheitsverordnung”, in der wiederum neben der Pressefreiheit auch das Öffentlichkeitsprinzip steht. Die erste tryckfrihetsförordning gab es 1766 und in ihrer heutigen Form gilt sie seit 1949.

Das für die Organisation des schwedischen Staates wichtigste Grundgesetz ist die regeringsformen. Wahlen, die Rolle der Regierung und des Parlaments, der Gesetzgebungsprozess und das Verhältnis zwischen den drei Gewalten des Staates sind hier geregelt. Zusammen mit der “Reichstagsordnung”, die die Arbeit des Parlaments regelt, aber kein Grundgesetz mehr ist, kann man deshalb die “Regierungsform” auch schwedische Verfassung nennen. Die heutige Form gilt seit 1974 und erst kurz davor war das Zweikammerparlament durch eine einzelne Kammer ersetzt worden. Die alte “Verfassung” war von 1809 und damit vor ihrer Abschaffung eine der ältesten in Kraft. Der König hatte darin formell noch politische Macht.

Um eines der Grundgesetze zu ändern braucht es in Schweden zwei gleichlautende Parlamentsbeschlüsse, zwischen denen eine Wahl liegen muss. Auch außerhalb der großen Neuordnungen von 1809 und 1974 gab es immer wieder Veränderungen. 1993 wurde zum Beispiel die Legislaturperiode von drei auf vier Jahre verlängert und die Personenwahl ermöglicht.

Im Juli 2004 wurde eine neue grundlagsutredning beschlossen, also eine “Untersuchung des Grundgesetzes”. Gemeint ist nur die Regierungsform und der Auftrag des eingesetzten unabhängigen Komitees ist, bis Ende nächsten Jahres Vorschläge auszuarbeiten, “wie die Volkssouveränität vertieft und gestärkt werden, wie das Vertrauen des Volkes in das Funktionieren des demokratischen Systems vergrößert werden und wie die Wahlbeteiligung erhöht werden kann” (Übersetzung eines Teils des offiziellen Auftrags). Letzteres ist eine hohes Ziel, liegt doch die Beteiligung bei schwedischen Wahlen meist ein gutes Stück über 80 Prozent – für andere Länder wäre das ein Traumwert, für Schweden ist es eine Verringerung von über 90 Prozent in den Siebzigern und Achtzigern.

2009 wird also eine breite Diskussion über den Bericht und die Vorschläge der grundlagsutredningen stattfinden und dann eventuell in eine Verfassungsänderung münden. Alles in allem ist es aus deutscher, durch die eigene Geschichte der letzten zweihundert Jahre an große Umbrüche gewöhnte Sicht erstaunlich, wie sich große Veränderungen nach und nach in Schweden durchsetzen, ohne dass es einer Revolution oder eines Krieges bedarf.

Tagged , , , , ,

Böses Flaschenwasser

Das finde ich einen sehr sinnvollen Rat, den der schwedische Umweltminister da gibt, nämlich kein Flaschenwasser zu trinken. Zusätzlich zum Umwelt- und Klimaargument kommt noch, dass man so der Absurdität entgegenwirkt, dass immer mehr Menschen ihr Wasser, das grundlegendste aller Lebensmittel, von Coca-Cola (Bonaqua) oder Nestlé kaufen.

Meiner Erfahrung nach wird in Schweden aber sehr viel Leitungswasser getrunken, das ist der Regelfall. Sogar Säfte kauft man oft im Konzentrat, das man zu Hause mit Wasser aus dem Hahn auffüllt.

Tagged , , , , ,

Schwedische Entwicklungshilfe

Das Thema, ob und wie die reichen Länder der Welt den ärmeren Entwicklungshilfe zukommen lassen sollen, ist kein einfaches. Es gibt Stimmen aus Empfängerländern, die die Hilfe komplett abschaffen wollen, weil sie zusammengenommen mehr Schaden anrichte als Gutes tue. Das gilt insbesondere für die zahlreichen kleine Akteure, die nicht selten durch ihre unkoordinierten aber spektakulären Einzelaktionen, die sie zum Überleben brauchen, die langfristigen Projekte der Großen am “Markt” konterkarieren.

Schweden unterstützt nicht nur die Entwicklungshilfeprojekte der EU und der UNO, sondern hat auch eine eigene Behörde, SIDA genannt, die bilaterale Projekte in zahlreichen Ländern finanziert. Ein knappes Prozent des schwedischen Bruttovolkseinkommens geht in Entwicklungshilfe, eine der weltweit höchsten Ziffern. Deutschland gibt anteilsmäßig nur ein Drittel dessen, in absoluten Zahlen ist das natürlich immer noch das dreifache der 25 Milliarden Kronen aus Schweden. (Zahlen von 2005: D, S)

Die gegenwärtige bürgerliche Regierung hat – im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen – die Entwicklungshilfe nicht gekürzt und sorgt nun mit einem Plan für Gesprächsstoff, den es schon zu Zeiten der Sozialdemokraten gab. Die Anzahl der unterstützten Länder soll drastisch verringert werden und das Geld effektiver eingesetzt werden. Ein relativ kleines Land wie Schweden könne nicht überall seine Finger im Spiel haben, wenn man jeweils gute Arbeit tun will.

Knapp vierzig Länder sollen “gestrichen” werden und zwei Milliarden Kronen umverteilt. Die dieser Tage von der zuständigen Ministerin vorgelegte Auswahl richtete sich nach der Arbeit für Menschenrechte, danach, dass man nur wenigen Ländern in Konfliktregionen hilft, in denen man einen ordentlichen Beitrag leisten kann, und dass man in den Ländern bleibt, die wenig Hilfe aus anderen Quellen bekommen. Länder wie Südafrika, Chile, Peru, Indien und China (ganze Liste) werden also bald keine direkte Entwicklungshilfe aus Schweden mehr bekommen.

Im Allgemeinen kommt Zuspruch zum Prinzip, auf Qualität statt auf Quantität zu setzen, aber der Prozess, wie die Länder letztendlich ausgewählt wurden, war undurchsichtig und erntet Kritik.

Tagged , ,

Staatliche Filmzensur

In Deutschland werden die Altersfreigaben bei Filmen von der FSK bestimmt. Es handelt sich also um eine Filmwirtschaft “freiwillig” durchgeführte Kontrolle, die bei Filmen die Indizierung durch den Staat ersetzt hat.

In Schweden gibt es noch die staatliche Filmzensur. Die zuständige Behörde, Statens biografbyrå, ist die weltweit älteste solche und existiert seit 1911. Die frühere Praxis, dass Szenen aus Filmen geschnitten wurden, ist jedoch heutzutage die äußerst seltene Ausnahme und man beschränkt sich auf die Festsetzung der Altersgrenzen. Trotzdem muss immer noch jeder Film vor Veröffentlichung von der Behörde beurteilt und freigegeben werden.

Die Diskussion, die Zensur abzuschaffen, wird wohl seit längerem immer wieder geführt, so auch jetzt. Im Sinne der freien Meinungsäußerung und weil das Gesetz so veraltet ist, sei dies längt überfällig. Auch wenn zwei der vier schwedischen Regierungsparteien für die Abschaffung sind, wird es wohl nicht dazu kommen, weil die Christdemokraten wieder einmal blockieren.

Tagged , , , ,

Europa trinkt zu viel

2005, zum 50. Jubiläum des Systembolaget, gab es eine Anzeigenkampagne in europäischen Zeitungen, die den schwedischen Standpunkt in der Alkoholpolitik erklären und für ihn werben sollte. Der Text der Anzeige richtete sich direkt an José Manuel Durão Barroso, den Präsidenten der Europäischen Komission, und fasst die Argumentation aus schwedischer Sicht sehr schön zusammen. Übersetzt lautet er wie folgt:

Bild der
Anzeige

Lieber Herr Barroso, aus diesen Gründen sollten Sie ernsthaft darüber nachdenken, das Trinken einzuschränken:

Bildunterschrift: Probleme mit Alkohol kosten die europäischen Länder nach Schätzungen der WHO jedes Jahr 200 Milliarden Euro. Das ist sehr viel Geld.

So seltsam es klingen mag, wenn es von einem der weltweit größten Käufer von Alkohol kommt, wir machen uns Sorgen um die Trinkgewohnheiten auf unserem Kontinent. Europäer trinken doppelt so viel wie Menschen in anderen Teilen der Welt. Und nach den Zahlen der WHO sterben jedes Jahr 600.000 Europäer an den Folgen von Alkoholkonsum.

Die Situation ist eine andere von Land zu Land, teils wegen kultureller Unterschiede. Aber im Ganzen sind die Probleme rund um Alkohol in Europa erheblich. Und sie nehmen schnell zu. Gerde in Nordeuropa, wo viele Leute angefangen haben, ihr Bier, Wein und Spirituosen in billigeren Nachbarländern zu kaufen, oft in großen Mengen.

In Schweden, wo die Menschen lange Zeit viel weniger tranken als in anderen Ländern, hat der Alkoholkonsum in den letzten zehn Jahren um 30% zugenommen. Als Folge sind auch die zugehörigen Probleme gewachsen (auch wenn sie immer noch weniger ernst als in den meisten EU-Ländern sind).

Der niedrige Konsum in Schweden hatte wenig mit schwedischer Kultur zu tun, wie jeder bestätigen kann, der einen Freitagabend in unserer Kultur verbracht hat. Es liegt an der Art, wie alkoholische Getränke verkauft werden: Nur in unseren Läden. Ohne Profitabsicht. Zu eingeschränkten Zeiten. Und mit hohen Steuern.

Schweden wären wohl nicht so angetan von diesem System, wenn es dem Kunden nicht auch Vorteile brächte, zum Beispiel die weltgrößte Auswahl an Bier, Wein und Spirituosen. Zur Feier unseres 50. Geburtstags zeigen Umfragen, dass wir unsere zwei Hauptaufgaben besser als je erfüllen; die Kunden zufriedenzustellen und Minderjährige davon abzuhalten, in unseren Läden einzukaufen.

Trotzdem wachsen die Probleme mit Alkohol immer schneller. Aus diesem Grund bringen wir unsere Jubiläumsanzeige in der Financial Times. Wenn man 50 wird, darf man sich etwas wünschen. Und unser Wunsch ist es, dass Sie, und andere Europäer, darüber nachdenken, was die EU-Länder gewinnen können, wenn man die Probleme rund um Alkohol reduziert.

Wir wissen, dass die EU sich nicht vorrangig mit Dingen wie diesen beschäftigt. Aber Gesundheit und Wohlergehen der Bürger beeinflussen auf ihre Art die Gesundheit und das Wohlergehen der Wirtschaft. Niemand kennt die genauen Kosten von Alkoholproblemen, aber die WHO schätzt die Rechnung auf 2 bis 5% des Bruttosozialprodukts. In Geld ausgedrückt? Zwischen 200 und 500 Milliarden Euro pro Jahr für die gesamte EU.

Was wenn einiges davon gespart werden könnte? Wir haben ihnen ein interessantes Buch zum Thema geschickt. Es ist ein von der WHO geförderter Bericht, der die Möglichkeiten zur Verminderung des Problems darlegt. Aber weil er 290 Seiten lang ist und weil wir wissen, dass Sie sehr viel zu tun haben, haben wir noch etwas anderes getan.

Wir haben einen Film für Sie gemacht. Sie können ihn unter www.DearMrB.se ansehen.

Um ihnen Zeit zu sparen, haben wir einen fünfminütigen “Schnellkurs” erstellt und ihn auf die Internetseite www.DearMrB.se gestellt. Wir hoffen, dass Sie ihn nützlich finden. Außerdem hoffen wir, dass Sie die Überschrift nicht erschreckt hat. (Wir versprechen, so etwas frühestens 2055 wieder zu tun.)

Das schwedische Alkoholverkaufsmonopol, das seinen 50. Jahrestag feiert.

Das Video kann man immer noch auf der verlinkten Seite ansehen und es ist in der Tat gut gemacht. Leider scheint die Kampagne nicht viel gebracht zu haben: Ein EU-Gericht erst neulich den privaten Import per Versand nach Schweden für rechtens erklärt. Der schwedische Staat versucht jedoch wiederum, sich übers Geld zu wehren.

Persönlich stimme ich wohl, vielleicht anfangs zur eigenen Überraschung, schon länger eher der Argumentation des Systembolaget zu, denn die Zahlen sind nicht von der Hand zu weisen und ich weiß das große Sortiment wirklich zu schätzen.

(via)

Tagged , , , ,