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Der Europa-Vertrag

Ich bin ja doch sehr gespannt, was morgen und übermorgen beim Treffen der EU-Staatschefs herauskommt. Das interessiert mich viel mehr als der G8-Gipfel neulich. Den neuen Vertrag, der vor allem die Entscheidungsprozesse innerhalb der Gemeinschaft reformieren soll und den allen voran die deutsche Kanzlerin anstrebt, hat zwar noch keiner zu Gesicht bekommen, aber nach allem, was man lesen konnte, bin ich eher positiv eingestellt.

Im schwedischen Parlament wurde in den letzten Tagen auch darüber debattiert und wie erwartet kam Kritik von den EU-kritischen Linken und Grünen. Schweden steht aber weitgehend hinter dem deutschen Vorhaben, auch wenn das Parlament heute noch einmal die beiden schon erwähnten Bedingungen bekräftigt hat: Keine zusätzlichen Hürden für die Aufnahme neuer Länder und kein Passus über illegale Einwanderung. Das würde zu unnötiger Diskriminierung führen. Man munkelt aber, dass beides im Sinne Schwedens erfüllt werden wird.

Und denen, die neue Referenda fordern, sei in Erinnerung gerufen, wie die EU anfing (sehr lesenswerter Text):

»Das alles spielte abseits der Öffentlichkeit«, erinnert sich Philippe de Schoutheete, der damals als junger Diplomat im belgischen Außenministerium arbeitete. »Ein gemeinsamer Binnenmarkt mit Deutschland – diese Idee hätte in Belgien oder Holland wahrscheinlich kein einziges Referendum passiert.« Nur die weitsichtigen Beobachter merken, was geschieht. »Niemals in der Geschichte der Menschheit ging eine so wichtige Entwicklung, vorangetrieben von einer Handvoll Leute, so unbemerkt vonstatten«, erinnerte sich später der britische Premier Winston Churchill. Tatsächlich werden die wichtigen Entscheidungen in kleinen Kreisen getroffen. Bürgerbeteiligung, Demokratiedefizite? Darüber denkt kaum jemand nach.

Letzteres mag man beklagen, oder – wie ich – froh sein, dass es dazu kam. Wir haben unsere Vertreter schließlich gewählt, damit sie Entscheidungen in unserem Namen treffen können.

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Minister mit wertlosem Examen?

Die neueste Sau, die gerade durchs politische Dorf in Schweden getrieben wird, betrifft Arbeitsmarktminister Sven Otto Littorin. Der MBA, den er in seinem Lebenslauf angibt, wurde im Fernstudium abgelegt und stammt von der Fairfax University in den USA. Dabei scheint es sich um eine Diplomfabrik zu handeln, die anstatt Studienleistungen Geld als Gegenleistung für einen Abschluss verlangt.

Das Högskoleverket würde nach eigener Aussage ein solches Examen in Schweden nicht anerkennen. Ein nettes Detail des Skandals ist, dass Littorin sich weder daran erinnert, wo die “Universität” lag, noch, wer der Betreuer seiner Abschlussarbeit war. Anmerkenswert ist auch noch, dass es ein Blogger war, der den Stein ins Rollen gebracht hat.

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Kristdemokraterna

Die gegenwärtige schwedische Regierung besteht aus der bürgerlichen Moderatpartiet, der Zentrumspartei, der liberalen Folkpartiet und den Kristdemokraterna (kd). Letztere sind im Gegensatz zum deutschen Pendant keine große Volkspartei, sondern eine kleine ultrakonservative Partei, in der sich die “religiöse Rechte” inklusive evangelikaler Vereinigungen wie Livets Ord versammelt.

Aber die anderen drei brauchen (kd) zum Regieren und immer wieder hört man von Vorhaben, gegen die sich der kleinste der Koalitionsteilnehmer sträubt. Zwei aktuelle Beispiele:

  • Die Regierung will den Schulbeginn im Alter von sechs Jahren obligatorisch machen und damit die Grundschule auf zehn Jahre verlängern. Bisher war das Vorschuljahr freiwillig. Die Christdemokraten zweifeln.
  • Alle Partien des Reichstags, also auch die Oppositionsparteien, sprechen sich mittlerweile für eine geschlechtsneutrale Gesetzgebung beim Thema Ehe aus. In praktischen Belangen sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften zwar schon heute nicht mehr benachteiligt, der neue Gesetzestext würde die letzten semantischen Hürden beseitigen und Homosexuelle könnten in Zukunft “heiraten” und “Ehe schließen” anstatt ihre “Partnerschaft registrieren”. [(kd) bleibt hart dagegen](http://www.sr.se/cgi-bin/ekot/artikel.asp?Artikel=1429905), natürlich mit dem gleichen Nicht-Argument wie G. W. Bush, dass die Ehe als Institution zwischen Mann und Frau geschlossen wird. Das sei eine Regelung wie sie sich hunderte von Jahren lang in Schweden bewährt habe. Richtig viele Freunde scheinen sie sich damit nicht zu machen. Wenn heute Wahl wäre, würden die Christdemokraten [unter der 4%-Sperre](http://www.sr.se/cgi-bin/ekot/artikel.asp?Artikel=1430123) landen und nicht mehr ins Parlament einziehen.
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Ein Platz für Anna Lindh

Die schwedische Außenministerin Anna Lindh war die beliebteste Politikern des Landes und hätte aller Voraussicht nach die Nachfolge von Göran Persson als Chefin der Sozialdemokraten und wohl auch als Premierministerin angetreten, wenn sie nicht im September 2003 in einem Kaufhaus ermordet worden wäre.

Nach einiger Diskussion hat man sich in Stockholm jetzt geeinigt, welcher Platz auf der Insel Södermalm nach ihr benannt wird. Wenn man auf diesen Link geht und dann per Klick links die GPS-Koordinaten anzeigen lässt, sollte die Markierung genau auf dem Platz erscheinen.

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Wort der Woche: Friggebod

Mit friggebod bezeichnet man im Schwedischen ein Schuppen, ein kleines Häuschen oder auch nur einen überdachten, oft pavillonähnlichen Platz zum Draußensitzen. Charakteristisches Merkmal eines Friggebod ist, dass er weniger als 10 Quadratmeter Grundfläche hat und unter 3 Meter hoch ist. Bis zu diesen Maßen braucht man in Schweden nämlich keine Baugenehmigung.

Der Name kommt von Birgit Friggebo, die 1979 als schwedische Wohnungsministerin von der Folkpartiet eben diese Regelung einführte. Jetzt muss man nur noch wissen, dass “Schuppen” auf Schwedisch bod (sprich: buhd) heißt, um den Witz hinter der naheliegenden Wortneuschöpfung von Friggebo-bod zu Friggebod zu verstehen. Es gibt wohl schlechtere Arten, seinen Namen verewigt zu bekommen.

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"Personnummer" in Deutschland kommt

Deutsche bekommen eine Nummer:

Das Bundeszentralamt für Steuern [vergibt] von Juli an jedem Deutschen vom Baby bis zum Opa eine eindeutige Identifikationsnummer. Die bislang dezentral geführten Datenbestände der rund 82 Millionen in Deutschland gemeldeten Personen aus rund 5300 Meldestellen werden gleichzeitig erstmals zentral bei der dem Bundesfinanzministerium angegliederten Behörde zusammengeführt. Ersetzt werden sollen damit die noch von Land zu Land unterschiedlich angelegten, bisherigen Steuernummern. [...]
Datenschützer sehen die Personenkennziffer, die dem Betroffenen anders als die Personalausweisnummer noch über sein Ableben hinaus 20 Jahre lang angehaftet sowie mit umfangreicheren Datenbeständen verknüpft werden soll, kritisch. Sie fürchten einen Einstieg in die Totalerfassung der Bevölkerung. Private Kommunikationspartner der Finanzbehörden wie Arbeitgeber oder Auftraggeber der Steuerpflichtigen etwa könnten nach Ansicht der Bürgerrechtler die ID zur eindeutigen Zuordnung von Daten zu Steuervorgängen verwenden. Der Gesetzgeber habe sich keine Gedanken darüber gemacht, wie die Nutzung dieser Informationen im Wirtschaftsleben aufgehalten werden soll.

In Schweden ist die Personnummer und das zentrale Steuer- und Melderegister aus dem Alltagsleben nicht wegzudenken. Trotz der in den beiden Texten genannten Vorteile, sträubt sich in mir etwas gegen die Einführung in Deutschland. Datenschutz ist eines der wenigen Dinge, um die es in Deutschland besser steht als in Schweden. Ich sehe das als hohes Gut, das es wert ist zu verteidigen, aber trotz zahlreicher kritischer Stimmen scheint der Zeitgeist in die entgegengesetzte Richtung zu gehen.

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UNT zum G8-Gipfel

Tagesschau.de zitiert in seiner Presseschau zum G8-Gipfel die hiesige Lokalzeitung Upsala Nya Tidning. Zwar ganz am Ende, aber immerhin.

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Schweden beim G8-Treffen

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Mit einem T-Shirt in der Tasche, das nebenstehenden Aufdruck zeigt, kommt man nicht nach Deutschland. Es handelt sich um das Logo des Piratbyrån, einer Interessenorganisation für den Dateitausch im Internet, und erinnert an die Bedeutung der Musikkassette, die es erstmals vielen Menschen erlaubte, Musik zu vervielfältigen. Wenn man dann noch eine Broschüre des alternativen G8-Gipfels bei sich hat, ist das natürlich noch verdächtiger und man wird in Rostock am Fährhafen an der Einreise gehindert. So erging es zumindest zwei Schweden, die zu eben diesem Treffen fahren wollten.

Diese Geschichte reiht sich ein in andere Berichte in den schwedischen Medien der letzten Tage, in denen über Einzelschicksale von schwedischen Teilnehmern an den Protesten geschrieben wurde. Da gab es noch die ebensowenig rühmliche Geschichte, dass die beiden Sprecher der schwedischen Jungen Grünen über Nacht festgesetzt wurden, weil bei der Durchsuchung des Busses, mit dem sie kamen, schwarze Masken gefunden wurden. Oder eben diese Geschichte.

Ansonsten kann man in der schwedischen Berichterstattung die meisten Informationen finden, die auch in den deutschen Medien Schlagzeilen machen. Das Thema ist verständlicherweise weniger dominant und die schwedische Perspektive sorgt dafür, dass man zum Beispiel erfährt, welches Fabrikat eines der Schnellboote war, mit denen man die Greenpeace-Boote einfing. Ein schwedisches. Von der Freude und Feier über die gelungene friedliche Blockade konnte man heute morgen in DN ebenso lesen wie von den Gerüchten, dass ein in schwarz gekleideter Mann, der zum Steinewerfen aufrief, als Polizist erkannt wurde.

Ich glaube nicht, dass das Bild der Schweden von Deutschland durch die Ereignisse rund um Heiligendamm nachhaltig verschlechtert wird, aber sie werden aufmerksam verfolgt. Von der “Rahmenhandlung” abgesehen, wird natürlich auch das G8-Treffen an sich in den schwedischen Medien behandelt.

Nachtrag, 11.5.07: Telepolis schreibt auch darüber.

Bild: von den Piraten geklaut.

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Private Politiker-Emails

Das schwedische Öffentlichkeitsprinzip hat praktische Auswirkungen auf die Kommunikation vieler Menschen. Selbst wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass nachher jemand in mein Büro kommt und danach fragt, bin ich zum Beispiel angehalten, alle Emails von Studenten, die wir unterrichten, zu speichern. Sie sind “öffentliche Vorgänge”, offentliga handlingar, und müssen dementsprechend jedem unverzüglich vorgelegt werden, der danach fragt.

Gleichzeitig ist es falsch, wenn behauptet wird, dass alle alle Emails an die Adresse von Abgeordneten öffentlich werden, und diese deshalb auch private Email-Adressen bräuchten. Private Emails an die Arbeitsadresse sind in der Regel in Ordnung und werden nur öffentlich, wenn sie an die Amts- und nicht die Privatperson gerichtet sind. Nicht der Kommunikationsweg, sondern der Gegenstand sind ausschlaggebend. Trotzdem kann es natürlich sinnvoll sein, die offiziellen Emails mit Hilfe von Assistenten zu bewältigen und eine wenig bekannte Adresse für private Angelegenheiten zu haben.

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Alkoholversand zulässig

Tagesschau.de schreibt über ein Urteil des europäischen Gerichtshofes:

Künftig sind Schweden nicht mehr gezwungen, Bestellungen von Alkohol über die Monopolorganisation Systembolag laufen zu lassen. Sie dürfen direkt per Versandhandel in anderen EU-Staaten einkaufen.

Letzten Herbst wurde in gleicher Instanz entschieden dass man beim Einkauf über das Internet nicht die hohen schwedischen Steuern auf Alkohol umgehen darf. Der Zoll hat aber trotzdem private Alkoholsendungen beschlagnahmt, weil sie gegen das herrschende Alkoholmonopol des Systembolaget verstoßen.

Das heutige Urteil ist also ein harter Schlag gegen die schwedische Alkoholpolitik, wird doch das Systembolaget legal umgangen werden und damit in der Praxis das Monopol ausgehebelt. Außerdem stehen dem schwedischen Staat Schadenersatzklagen wegen der beschlagnahmten Lieferungen ins Haus.

Viele Schweden wird das freuen, ich bin zwiegespalten. Wenn sich die schwedische Steuer auch praktisch durchsetzen lässt, sollte der Alkoholkonsum durch den Versand via Internet nicht steigen, die Altersgrenze von 20 Jahren lässt sich dagegen wohl kaum noch forcieren.

Ich kann mir schon vorstellen, zum Beispiel Frankenweine aus der “alten Heimat” zu bestellen. Mehr zum Thema auf Schwedisch hier und hier.

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