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Mehrsprachige Infos

Die Internetseite der Wahlbehörde ist der Platz für alle technischen und organisatorischen Fragen rund um die Wahl und dort wird auch das vorläufige Ergebnis veröffentlicht werden.

Prominent auf der Startseite verlinkt sind Broschüren mit dem Wichtigsten zur Wahl – in 25 Sprachen! Darunter natürlich auch Deutsch (PDF). Man bekommt schon immer wieder den Eindruck, dass Schweden seine Minderheiten und Einwanderer, die nicht notwendigerweise Schwedisch sprechen, nicht vergisst und aktiv versucht, sie am öffentlichen Geschehen zu beteiligen.

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Wahltag eröffnet

Heute ist es endlich so weit: gut sieben Millionen Schweden und in Schweden lebende sind aufgerufen, an die Urnen zu gehen. Das heißt, eigentlich nur noch fünf Millionen, denn gut zwei haben schon vorab gewählt.

Man erwartet eine hohe Wahlbeteiligung, bis 85 Prozent, und wenn sich die fast täglichen Umfragen der letzten Woche bestätigen, dann wird die Regierung Reinfeldt wiedergewählt. Die rechtsextremen Schwedendemokraten liegen laut diesen knapp über der vier-Prozent-Sperre könnten es zum ersten mal ins Parlament schaffen.

Zu all dem mehr im Laufe des Tages und heute Abend, wenn die vorläufigen Ergebnisse eintrudeln. Denn heute ist auf Fiket.de Valvaka angesagt.

Was in den letzten Wochen hier schon alles zum Thema stand, lässt sich unter dem Schlagwort Wahl2010 leicht finden.

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Wahlmöglichkeiten

Noch einmal zu den schon erwähnten Vorab-Wahllokalen, bei denen Schweden schon jetzt ihre Stimmen abgeben können. Es ist nämlich interessant, was mit diesen Stimmen passiert. Die (bis zu drei) geschlossenen Umschläge mit den Stimmzetteln bleiben bei ihrer Stimmkarte, die die Personalien und das Wahllokal des Abstimmenden zeigt. Das Bündel wird dann zu eben diesem Wahllokal gefrachtet. Dazu sind noch am Wahltag jede Menge Boten vom Wahlamt unterwegs, die die letzten Vorab-Stimmen an den richtigen Ort bringen und die Stimmen, die falsch gelandet sind, zwischen den Wahllokalen austauschen.

Die Stimmberechtigte, die vorab gewählt hat, kann sich auch noch umentscheiden. Dazu muss man am Wahltag in sein Wahllokal gehen und sich seine Vorabstimmen aushändigen lassen. Im Wahlregister werden Frühwähler nämlich bis zur Schließung der Wahllokale nur als “vorläufig” geführt, wenn die Wahlhelfer während des Tages die Vorabstimmen durchgehen. Erst am Ende kommen sie in die Urne und und sind dann nicht mehr von anderen zu unterscheiden.

Die Vorab-Wahllokale haben übrigens in Schweden die Briefwahl ersetzt, die nur noch aus dem Ausland möglich ist, wobei man dort auch in Botschaften oder Konsulaten wählen kann. Neben der Auslands-, der Vorab- und der “normalen” Wahl am Wahltag, gibt es noch eine letzte Art, seine Stimme loszuwerden: die Wahl im Auftrag. Hierbei übergibt man einer Vertrauensperson seine Stimmen, die diese ins Wahllokal bringt. Das ist für hilfebedürftige Menschen gedacht und es muss ein Zeuge anwesend sein, der zusammen mit dem Vertrauten die speziellen Unterlagen ausfüllen und unterschreiben muss.

Auf Schwedisch kann man das alles auf val.se nachlesen.

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Parteispendenzwist

Auch im Land, dem das Öffentlichkeitsprinzip und die Ermunterung zum Aufdecken von Missständen zu internationalen Bestnoten in Korruptionsfreiheit verholfen hat, gibt es einen schwarzen Fleck bezüglich der Transparenz, bei dem sogar Deutschland besser abschneidet: die Parteispenden. Dort gibt es nämlich dank der diversen Spendenaffären mittlerweile eine Veröffentlichungsplicht für Spenden über 10.000 Euro.

In Schweden gibt es kein solches Gesetz, jedoch eine freiwillige Übereinkunft der meisten Parteien im Reichstag, Spenden über 20.000 Kronen (≈2150 EUR) offen zu legen. Zwei der Regierungsparteien widersetzen sich jedoch. Die kleine Partei der Christdemokraten und die größte bürgerliche Partei, die Moderaterna. Gute Gegenargumente haben sie keine, denn durch die Ausnahme von Kleinspenden wird für die meisten Spender nicht öffentlich, wie sie wohl wählen, und das Wahlgeheimnis bleibt gewahrt.

Musterland Schweden hat sich wegen der undurchsichtigen Parteienfinanzierung eine Rüge vom Europarat eingefangen und angesichts der Spendenaffäre in Finnland neulich werden jetzt Fragen laut, was die beiden widerspenstigen Regierungsparteien zu verbergen haben. Die Sozialdemokraten, die bisher die freiwillige Regelung bevorzugt hatten, wollen deshalb nun doch ein diesbezügliches Gesetz einführen. Das ist wahlkampftechnisch geschickt, weil es einerseits berechtigtes Misstrauen gegen Reinfeldt aufkommen lässt und andererseits den bürgerlichen Block spaltet, denn die liberale Folkpartiet und das Zentrum sind wie die Opposition für offene Parteispenden.

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Ran an die Urnen!

Heute morgen hat in Schweden die Wahl begonnen. Denn neben der Briefwahl und der Stimmabgabe am eigentlichen Wahltag (19. September) haben ab jetzt auch zahlreiche Vorab-Wahllokale geöffnet, bei denen man zu beliebiger Zeit vorbeischauen kann, um zu wählen. Allein in der Stockholmer Innenstadt gibt es etwa zwanzig davon, an strategisch gut gelegenen Orten wie dem Hauptbahnhof, so dass man auf dem Arbeitsweg kurz Halt machen kann.

Bei der letzten Wahl nutze etwa ein Drittel der Stimmberechtigten diese Möglichkeit und heuer wird der Anteil wohl noch größer werden, weil man jetzt nicht einmal mehr die Stimmkarte, die man in den letzten Tagen nach Hause geschickt bekam, dabei haben muss. Wenn man sich ausweisen kann, wird einem vor Ort einfach eine neue Stimmkarte ausgedruckt.

Das ist natürlich nur möglich, weil es die Personnummer gibt, dank derer man das Wahlregister zentral abgleichen kann und die abgegebenen Stimmen bis zum Wahltag zum richtigen Wahllokal transportieren kann, wo sie am 19. abends gezählt werden. Deshalb finde ich die Vorab-Wahllokale ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie man staatliche hierzulande Abläufe effektiver als anderswo gestaltet und versucht, den Bürgern so wenig Steine wie möglich in den Weg zu legen. Selbst wenn dies sicherlich nicht der einzige Grund für die traditionell hohe Wahlbeteiligung in Schweden ist, kann zumindest keiner behaupten, es sei ihm zu umständlich gewesen.

Wie das mit dem Wählen vor sich geht, hatte ich bei der Europawahl letzt beschrieben. Diesmal werden drei unterschiedliche Stimmen in drei separaten Kuverts abgegeben. Eine für den Riksdag (das Parlament), eine für die Regionalverwaltung (Landsting) und eine für die Kommunen.

Aktuelle Umfragen sehen die regierende Vierparteienkoalition ein paar Prozent vor der rot-rot-grünen Opposition, die in letzter Zeit keine gute Figur machte, egal was sie hervorbrachte. Sollte Staatsminister Reinfeldt tatsächlich wiedergewählt werden, wäre das historisch, denn bisher waren bürgerliche Regierungen jeweils nur kurze Intermezzi zwischen den langen Perioden sozialdemokratischer Herrschaft.

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Wort der Woche: Utspel

Utspel setzt sich aus der Vorsilbe ut (“aus-, heraus-”) und spel (“Spiel”) zusammen. Es bezeichnet das Ausspielen der ersten Karte beim Kartenspiel, wird aber meist im übertragenen Sinn verwendet, für den mir spontan keine bessere Übersetzung einfällt als “unerwartetes Manöver”.

Im besonderen werden im Wahlkampf – in gut vier Wochen wird in Schweden gewählt – die vielen Wortmeldungen von Politkern Utspel genannt. Es ist nämlich üblich, dass Zeitungen Texte der Parteien und einzelner Politiker, in denen sie ein Vorhaben oder ihre Meinung zu einem Thema darlegen, unkommentiert auf ihrer Debatten-Seite abdrucken, um sie dann meist erst am nächsten Tag in den Leitartikeln zu kommentieren oder über Reaktionen der Gegenseite zu berichten. Und so prasseln zur Zeit täglich mehrere solcher “Ausspiele” auf die Bürger ein, die sich diese selbst zu einem Gesamtbild zusammenfügen müssen, das dann hoffentlich zur richtigen Wahlentscheidung führt.

Ein paar Beispiele für Utspel aus den letzten Wochen:

  • Der Sozialdemokrat Bodström will drei Polizei- und Geheimdienste zu einer “Superpolizei” gegen organisierte Kiminalität zusammenlegen.
  • Integrationsministerin Sabuni will neuen Asylbewerbern die Urlaubstage und den Lohn kürzen, um sie schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
  • Beide Blöcke wollen Rentner mit niedrigeren Steuern ködern und das Argument ist, dass durch den Jobbskatteavdrag (siehe WdW: Skatt) Arbeitnehmer weniger Steuern zahlen als Rentner. Ein parteiunabhängiges Utspel von Volkswirtschaftlern rechnet dagegen vor, dass dieses Raisonnement eigentlich Blödsinn ist.
  • Die Stockholmer Sozialdemokraten wollen mehr alltägliche Dienstleistungen in die U-Bahn-Stationen integrieren.
  • Die liberale Folkspartei mit Chef Björklund widmet sich wie immer besonders den Schulen und will strengere Regeln für Privatschulen und die Eltern von störenden Schülern ins Klassenzimmer holen.
  • Die Christdemokraten wollen das Gesundheitssystem sicherer machen.
  • Die Zentrumspartei will weniger Macht für die Gewerkschaften.
  • und gegen weitere Privatisierungen wettern die Sozialdemokraten.

Die Liste ließe sich beliebig fortführen und es ist deshalb nicht schwer nachzuvollziehen, dass Wähler der ständigen Utspel überdrüssig werden. Die Medien haben alle Hände voll zu tun, die Wahlversprechen alle zusammenzustellen, was wiederum auch damit zu tun hat, dass der Wahlkampf erst jetzt wirklich eröffnet wird und die Parteien ihre kompletten Manifeste noch nicht veröffentlicht haben.

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Schweden drittbestes Land

Es gibt wieder einmal eine Statistik, die belegt, was viele Schweden insgeheim denken. Denn obwohl man oft eher bescheiden und mit wenig Aufhebens daherkommt, ist es eine weit verbreitete Attitüde unter Schweden, dass sich der Rest der Welt doch bitte hierzulande abschauen möge, wie man es richtig macht. Wobei “es” sich auf alles mögliche beziehen kann, das zu funktionierenden Staat und Gesellschaft alles dazugehört. Einigen geht dieses Selbstverständnis vom Vorbild für weniger entwickelte, weniger tolerante, weniger gleichberechtigte, weniger stabile Länder jedoch zu weit und ich habe schon einige Male Einspruch dagegen gehört.

Doch wenn man auf die nackten Zahlen schaut, ist es nicht selten Schweden, das – zusammen mit den anderen nordischen Ländern – die vorderen Plätze in allerlei Bereichen einnimmt und sich deshalb durchaus als Vorbild eignet. So auch in der letzten Rangliste von Newsweek (nett gemachte interaktive Grafik), die Noten für Gesundheit, Lebensqualität, politisches Klima, Ausbildung und die Wirtschaft vergeben hat und Schweden auf den dritten Platz von hundert Ländern stellt. Nur Finnland und die Schweiz sind nach diesen Kritieren besser. Als Ausreißer ist es das schwedische Schulsystem, das nicht besonders viel Lob erhält.

Deutschland landet übriges auf Rang 12, Österreich auf 18.

Nachtrag 100819: Neulich gab es schon einmal eine Studie, die “beweist”, dass Schweden am besten ist. Außerdem weißt Außenminister Bildt darauf hin, dass Schweden Exportweltmeister für Musik ist – zwar nicht in absoluten Zahlen, aber als Anteil an der Wirtschaftsleistung.

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Wikileaks in Schweden

Wer trotz der Aufmerksamkeit der letzten Monaten noch nichts von Wikileaks gehört hat, dem sei kurz gesagt, dass es sich dabei um einen Zusammenschluss von Aktivisten handelt, die eine sichere technische Infrastruktur bereitstellen, über die Leute, die Zugang zu internen Dokumenten haben und mit deren Veröffentlichung Missstände aufdecken wollen, selbige anonym ans Licht der Welt bringen können. Der deutsche Wikipedia-Eintrag gibt einen guten Überblick, was die kleine Organisation schon alles erreicht hat. Das bisher beste Interview mit Wikileaks Frontfigur Julian Assange gab es neulich bei TED.

Mit Schweden hat Wikileaks insofern zu tun, als dass sie versuchen, die Jurisdiktionen mehrerer Länder auszunutzen, die starken Schutz für Quellen und investigativen Journalismus in ihren Gesetzen stehen haben. Schweden gehört mit seiner Meddelarfrihet, die hier im Blog schon einmal Wort der Woche war zu diesen Ländern und so kommt es, dass es unter anderem ein kleinerer schwedischer Internetdienstleister (bei mir um die Ecke in Stockholm/Solna) ist, der die ehemals geheimen Dokumente in alle Welt ausliefert.

Dazu gibt es auch gleich Spekulationen, inwieweit dies ein Thema auf politischer Ebene zwischen Schweden und den USA ist. Für letztere wurde Wikileaks nämlich durch das Material zu Irak und Afghanistan etwas mehr als unbequem und man versucht gegen den Boten vorzugehen, anstatt die Missstände zu beheben. Der schwedische Außenminister Bildt will von solchen Gesprächen jedoch nichts wissen.

Gleichzeitig wird angezweifelt, ob der Quellenschutz des schwedischen Grundgesetzes wirklich gilt, bloß weil die Server in Schweden stehen. Wikileaks müsse dafür hierzulande mindestens als Herausgeber anerkannt werden und das entsprechende Stück Papier (utgivnigsbevis) besitzen.

Nichtsdestotrotz finde ich es schön, dass meine Wahlheimat ihren Teil dazu beiträgt, Wikileaks möglich zu machen, das ich für die wichtigste Neuerung der letzten Jahre halte, was das Zusammenspiel von Medien und Politik angeht.

Nachtrag 100814: Julian Assange ist zur Zeit in Schweden und gibt Vorträge und Interviews. Heute war er Titelbild und -geschichte der größten schwedischen Tageszeitung. Nach seiner Aussage sind Schweden und Island die Länder, die Wikileaks am positivsten gegenüberstehen. Dass man Geheimnisaufdecker im Land des Öffentlichkeitsprinzips mag, ist wohl auch nicht ganz überraschend.

Assange hat außerdem angekündigt, dass er bald eine zweimonatliche Kolumne im Aftonbladet schreiben wird.

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Reinfeldt in Kritik

Noch gut acht Wochen sind es bis zur Wahl in Schweden und es gibt den ersten Skandal, der den Ausgang beinflussen könnte.

Es begann damit, dass Arbeitsminister Littorin letzten Mittwoch plötzlich zurücktrat. Als Gründe gab er ausschließlich Privates an. Der Gerichtsstreit mit seiner Ex-Frau nehme ihn sehr in Anspruch und er wolle seine Kinder aus dem Rampenlicht der Medien nehmen. Das klang plausibel und wurde als wenig relevant für den Wahlkampf beurteilt.

Dann kam jedoch heraus, worum es eigentlich ging. Das Aftonbladet (äquivalent BILD-Zeitung) hatte Littorin am Tag vor seinem Rücktritt mit den Anschuldigungen einer Frau konfrontiert, dass er Sex von ihr gekauft haben soll. Dazu muss man wissen, dass käuflicher Sex in Schweden für die Freier strafbar ist (nicht für die Prostituierten).

Premierminister Reinfeldt ist von der Affäre insofern betroffen, dass er zwischen Littorins Rücktritt und dem Bekanntwerden der Anschuldigungen öffentlich gesagt hat, dass Littorins Angaben aus der Rücktritts-Bekanntgage sich mit dem deckten, was dieser ihm persönlich mitgeteilt habe. Später musste er jedoch zugeben, dass Littorin ihn doch schon zu Beginn von den Anschuldigungen unterrichtet habe und dass sie mit Grund für den Rücktritt waren, wenn auch in der Sache falsch.

Littorin wird also vorgeworfen, seine Kinder anstatt des wahren Grundes vorgeschoben zu haben, und Reinfeldt, dass er mitgeholfen hat, Nebelkerzen zu werfen, wenn nicht gar öffentlich und wissentlich gelogen zu haben.

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Friedensnobelpreis für Hitler

Adolf Hitler war für den Friedensnobelpreis 1939 vorgeschlagen. Als Begründung steht dort in der Nominierungsdatenbank lediglich, dass “Hitler der Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei war”. Schockierend, nicht? Denn damals war das Expansionsstreben des “3. Reichs” schon mehr als offensichtlich, auch wenn es bis zum Kriegsbeginn zur Zeit der Nominierung noch ein paar Monate dauern sollte. Wie kam es dazu? Wer nominierte Hitler und warum?

Schweden hatte zwar durchaus seine eignen Nazis, es war jedoch der schwedische Sozialdemokrat und Reichtstagsabgeordnete Erik Brandt, der die Nominierung beim Nobelkommitee einreichte. Das macht die Sache erst recht seltsam und man findet im Netz allerlei Spekulationen und Aussagen wie

Wir wissen nicht, welche Argumente der Parlamentarier für Hitler ins Feld führte. [...] [Er muss] etwas verwirrt gewesen sein.

Das war er jedoch keineswegs. Die Nominierung geschah nämlich aus Protest und als Satire. Brandt war empört, dass zwölf andere schwedische Reichstagsabgeordnete den britischen Premier Neville Chamberlain für seinen Beitrag zum Münchner Abkommen für den Friedenspreis vorgeschlagen hatten. Brandt sah – aus heutiger Sicht völlig richtig – die Gefahr dieser Appeasement-Politik und argumentierte, dass Chamberlain den Friedenspreis genauso wenig verdient habe wie Hitler.

Der Nominierungsbrief strotzt vor bitterer Ironie und ist so lesenswert, dass ich ihn mal eben übersetzt habe:

An das Nobelkommitee des Norske Storting.

Der Unterzeichnete erlaubt sich hiermit höflichst vorzuschlagen, dass der Friedensnobelpreis des Jahres 1939 Deutschlands Kanzler und Führer Adolf Hitler zugeteilt werden möge, welcher sich nach Ansicht von Millionen von Menschen mehr als jeder andere auf der Welt dieser hohen Auszeichnung verdient gemacht hat.

Aus authentischen Dokumenten geht hervor, dass der Weltfrieden im September 1938 in großer Gefahr war und dass es nur eine Frage von Stunden war, bis ein großer europäischer Krieg ausbrechen würde. Die Person, die in dieser gefährlichen Situation unseren Kontinent vor dieser furchtbaren Katastrophe gerettet hat, war zweifellos und vorrangig des deutschen Volkes großer Führer, der im entscheidenden Moment darauf verzichtete, die Waffen sprechen zu lassen, obgleich er die absolute Macht besaß, den Weltkrieg zu entfesseln.

Durch seinen glühenden Friedenseifer, zuvor bestens in seinem berühmten Buch “Mein Kampf” dokumentiert – neben der Bibel das vielleicht hervorragendste und meistverbreitetste Werk der Weltliteratur – und durch seine außergewöhnliche Leistung, nur mit friedlichen Mitteln und ohne Blutvergießen Österreich Deutschland einzuverleiben, gelang es Adolf Hitler in oben genannter kritischen Situation, der Gewalt zu entsagen bei der Befreiung seiner Landsleute im Sudetenland von ihrem Heimweh und bei seinem legitimen Bestreben, sein Vaterland groß und mächtig zu machen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Hitler, solange er ungestört von ewiggestrigen Kriegstreibern in Frieden seine hohen Ziele erfüllen kann, in absehbarer Zeit Europa und vielleicht die ganze Welt befrieden wird.

Unterdessen finden sich leider immer noch ziemlich viele, die die Größe in Adolf Hitlers Friedensstreben nicht einzusehen vermögen, und ich hätte aus Rücksicht auf diese Tatsache die Zeit für noch nicht reif erachtet, Hitler als Kandidat für Nobels Friedenspreis hervorzuheben, hätten nicht einige Mitglieder des schwedischen Parlaments einen weiteren Kandidaten vorgeschlagen, nämlich Englands Premierminister Neville Chamberlain. Ein solcher Vorschlag kann nicht durchdacht erscheinen. Denn obwohl es wahr ist, dass Chamberlain durch seine außerordentliche Rücksicht und Verständnis für Hitlers Friedensmühen wesentlich zur Erhaltung des Weltfriedens beigetragen hat, lag letztlich die Entscheidung bei Hitler und nicht bei Chamberlain! Es ist Adolf Hitler und niemand anderes, dem wir alle zuforderst dafür zu danken haben, dass in fast ganz Europa noch Frieden herrscht, und in ihm ruht die Hoffnung auf zukünftigen Frieden.

Aufgrund der trotzdem unbestreitbaren Verdienste Chamberlains für den Frieden, könnte es vielleicht gerechtfertigt erscheinen, ihm einen kleinen Teil des Friedenspreises zuzuteilen, richtiger sollte jedoch sein, dass kein anderer Name an die Seite dessen Adolf Hitlers gestellt wird und diesen verdunkelt. Adolf Hitler ist schließlich der unbestreitbare, gottbegnadete Freiheitskämpfer unserer Zeit, und Millionen von Menschen blicken zu ihm auf als Friedensfürst der Welt.

Stockholm, 27. Januar 1939

E. G. C. Brandt, Abgeordneter der ersten Kammer des Reichstags

Quelle

Wie noch heute üblich verstand auch damals nicht jeder Ironie und so löste der Brief, der auch in Tageszeitungen abgedruckt wurde, heftige Proteste aus. Brandt nahm die Nominierung einen Monat später zurück, tat sich jedoch bis zu seinem Ausscheiden aus dem Parlament 1943 als aggressiver Anti-Nazi hervor und brachte Berichte von den Gräueltaten an Juden in den Reichstag. Erik Gottfrid Christian Brandt starb 1955 im Alter von 71 Jahren.

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