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Von Eisenstangen und Nicht-Rassisten

Die ausländerfeindlichen “Schwedendemokraten” (SD), die seit 2010 im schwedischen Parlament sitzen, versuchten in letzter Zeit verstärkt, das Image des Rassismus loszuwerden und sich als “normale Partei” zu etablieren. Umfragen zufolge schien das sogar zu funktionieren; zeitweise werden sie als drittstärkste Partei gehandelt. Ein kürzlich aufgetauchtes Handy-Video zerstörte dieses Bild jedoch wieder und zeigt SD-Spitzenleute so, wie viele sich das wahre Gesicht der Partei hinter der Fassade vorstellen.

Darauf ist zu sehen, wie die beiden mit einem Stockholmer Lokalpolitiker der Partei an einem frühen Sonntagmorgen im Juni mit Eisenrohren durch die Hauptstadt ziehen und Ärger suchen. Da wird ein offenbar Betrunkener drangsaliert, eine Frau, die sich dagegen wehrt, gefilmt zu werden, gegen ein Auto geschubst, ein bekannter Komiker wegen seiner ausländischen Herkunft als „Pavian“ tituliert und eine Passantin von Almqvist als „kleine Hure“ beschimpft, wobei dann noch Ausdrücke wie „Neger-Lover“ und „Fotze“ fallen.

schreibt die TAZ. Auch wenn Parteichef Åkesson versucht, das neue Prinzip “keine Toleranz für Rassisten” durchzusetzen und die fraglichen Personen zurückgetreten sind, sorgt dies für Spannungen innerhalb der Partei, unter anderem mit dem Jugendverband.

Der Rest lacht SD derweil aus, vielleicht die beste Art des Umgangs mit ihnen.

Wir haben Sprachrohre - Wir haben
Eisenrohre

Grüne: Wir haben Sprachrohre.
SD: Wir haben Eisenrohre.

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Aus der Politik

In letzter Zeit ist wenig passiert in der schwedischen Politik. Fredrik Reinfeldt von den bürgerlichen Moderaterna regiert weiter in Minderheit und mit eingeschränktem Handlungsspielraum. Dies als Stabilität im kriselnden Europa und als Politik der ruhigen Hand darzustellen, hat eine Weile gut funktioniert, mittlerweile mehren sich jedoch die Stimmen, die der Regierung Ideenlosigkeit vorwerfen.

Stark kritisiert wurde Reinfeldts Aussage zu “ethnischen Schweden”. Auch wenn er ihn lediglich im Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit unter Einwanderern, gegen die man mehr tun müsse, verwendete, spielt dieser Begriff den nationalistischen Schwedendemokraten (SD) in die Hände, die davon ausgehen, dass es ein wohldefiniertes “Schwedentum” gibt, das es zu schützen gilt. Bisher zeichnet sich nicht ab, dass SD eine Eintagsfliege im schwedischen Parlament wird. Die Umfragen sehen sie stabil über der 4%-Hürde, von der auch die drei kleineren Parteien in Reinfeldts Allianz nicht weit entfernt sind.

Nach Juholts Rücktritt haben die Sozialdemokraten unter Stefan Löfven die Einbußen in den Umfragen wieder wettgemacht und würden wieder stärkste Partei werden, wenn heute Wahl wäre. Allerdings tun sie sich schwer damit, aus dem Carema-Skandal Kapital zu schlagen. Die Rolle von Firmen im Gesundheits-, Betreuungs- und Ausbildungssektor wird weiterhin heftig diskutiert; eine gute und praktikable Lösung wie man verhindert, dass auf diesem Weg Steuergelder direkt in große Unternehmensgewinne fließen, hat derweil noch niemand. Damit dürfte eines der Wahlkampfthemen für 2014 schon jetzt feststehen.

Im Zusammenhang mit den Waffengeschäften mit Saudi-Arabien kam auch die Frage auf, inwiefern schwedische Firmen Diktaturen Telekommunikationsausrüstung verkaufen dürfen, die dann zur Überwachung von Bevölkerung und Opposition genutzt wird. Konkret wurde bekannt, dass sowohl Ericsson als auch Telia Sonera an Weißrussland liefern. Die politische Dimension war hierbei weniger, ob das alles legal war, sondern welchen moralischen Kompass die Firmen (staatlich oder nicht) anlegen und ob dieser einer Justierung bedarf.

A propos Überwachung: Schweden hat ohne großes öffentliches Interesse die Vorratsdatenspeicherung eingeführt.

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Vierzigtausend Milliarden!!!1!

Wie erwartet machen die neu ins schwedische Parlament gekommenen “Schwedendemokraten” (SD) sich regelmäßig lächerlich. Verpasste und schlecht vorbereitete Sitzungen, wegen Verleumdung vorbestrafte Parlamentariker, die für den in der Ausnüchterungszelle einspringen, und ähnliche Geschichten verstärken das Bild vom tumben Verein, der mit bei einigen leider populären Ansichten hausieren geht.

Ein besonders schönes Beispiel von Inkompetenz brachte neulich die SD-Parlamentarikerin Sandstedt, als sie etwas beklagte, für das 400.000 Euro ausgegeben wurden. Das seien ja umgerechnet – sie schaut auf ihren Zettel – 40.000 Milliarden schwedische Kronen!

Ihr SD-Kollege Kinnunen berichtigte sie kurz darauf im Fernsehen. Sie habe sich lediglich versprochen. Es seien natürlich “nur” 4000 Milliarden. Popcorn!

Damit einem die Umrechnung à la Schwedendemokraten in Zukunft erleichtert wird, gibt es jetzt www.fyrtiotusenmiljarder.com. Sehr schöne Satire.

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Reaktionen

Dass die fremdenfeindlichen Schwedendemokraten ins Parlament gewählt wurden hat landesweit Bestürzung, Ärger und Enttäuschung ausgelöst. Typische Zitate aus meinem Bekanntenkreis lauten “Pfui Teufel!”, ”,7 Prozent der schwedischen Bevölkerung sollten sich was schämen!”, “Katastrophe!”, “Schweden fühlt sich heute anders an. Auf schlechtere Weise” oder “Heute schäme ich mich für mein Land”.

In der Tat hat Schweden als Inbegriff von Offenheit und das Bewusstsein, vieles besser hinbekommen zu haben als der Rest der Welt, einen Knacks erlitten. Via Facebook organisierten sich gestern in den Städten spontane Demonstrationen gegen Rassismus und Intoleranz mit tausenden Teilnehmern. So voll hat man den Sergels Torg lange nicht gesehen:

Videolink

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Der Diebstahl des Auschwitz-Schildes

Wer es nicht mitbekommen hat: Vor ein paar Wochen wurde der eiserne Schriftzug “Arbeit macht frei” vom Tor in Auschwitz gestohlen, jedoch ein paar Tage später mitsamt Dieben wieder gefunden.

Zunächst hieß es, es ginge schlicht um Diebstahl – ohne politische Motivation. Das gilt wohl für die Diebe selbst, jedoch nicht für die Auftraggeber. Geplant war anscheinend, das Schild in Schweden zwischenzulagern. Die hiesige rechte Szene fungierte nach bisherigen Erkenntnissen nämlich als Vermittler zwischen den Dieben und dem eigentlichen Käufer, einem Nazi in England.

Widerlich.

Links: SvD, SR

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Minderheitenregierung

Wie gesagt ist die Diskussion in vollem Gange, was zu tun sei, wenn nach der schwedischen Wahl nächstes Jahr weder das bürgerliche noch das rot-grüne Parteienlager eine Mehrheit im Parlament bekommt, weil die rechtsextremen Schweden in den Reichstag kommen. Mona Sahlin, Parteichefin der Sozialdemokraten, hat die kleineren der bürgerlichen Parteien schon zur Zusammenarbeit eingeladen, was bei diesen jedoch auf eher kühle Reaktionen stieß. Politikwissenschaftler Olof Ruin fasst die Optionen zusammen und argumentiert für eine Minderheitenregierung, also die Situation, in der die Regierung sich bei jeder Abstimmung im Parlament die Mehrheiten zusammensuchen muss.

Minderheitenregierungen sind in Schweden die üblichere Wahl, während man in Deutschland eher auf die “große Koalition” ausweicht. Das hat wohl wieder mit dem größeren Willen zum Konsens in Schweden zu tun, denn hierzulande ist es nicht unmöglich, dass eine Oppositionspartei mit der Regierung abstimmt, wenn man in der Sache übereinstimmt. Auch Premierminister kamen schon so zustande.

Eine wirklich interessante Lösung fand ich, dass als Kompromiss zwischen den Blöcken eine der kleinen Parteien alleine die Regierung stellt und von den großen toleriert wird. Die schwedischen Grünen hätten dafür wohl die besten Chancen nächstes Jahr. Ein solches Modell wäre nicht einmal neu für Schweden: Mit der Regierung Ullsten übernahm die liberale Folkpartiet 1979 in Schweden das Ruder für ein Jahr, obwohl sie bei der Wahl 1976 nur gut 11 Prozent der Stimmen bekommen hatte. Die erste Amtszeit von Fälldin war zwei Jahre nach der Wahl an der Kernkraftfrage gescheitert.

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Wem gehört die Flagge?

“Bin ich Schwede?” fragt Maciej Zaremba den Parteichef der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, als sie sich treffen. “Das weiß ich nicht, ich treffe dich zum ersten Mal”, antwortet dieser. Was meint er damit? Im vierten Teil der Artikelserie Warten auf Schweden versucht Maciej Zaremba, die Angst vor den Fremden zu verstehen und trifft auf die Trauer um das verlorene Folkhemmet^1^.

Die Kirche in Rinkeby steht meistens leer, die Moschee ist überfüllt. Aber nur erstere ist auf der Karte der Gemeinde eingezeichnet. Ich stelle mich mit einer jüdischen Kippa auf dem Kopf vor die Moschee, man sagt schließlich es sei unbehaglich für einen Israeli, sich in diesen Vierteln aufzuhalten. Stunden vergehen, Menschen gehen ein und aus, nichts passiert. Ich gehe weiter nach Tensta. Endlich, an der Bar kommt die Frage: “Was hast du auf dem Kopf?” Mir bleibt keine Zeit zu antworten bevor eine Stimme hinter mir “Symbol! Er ist Jude!” ruft. Zu der Stimme gehören breite Schultern, eine schwarze Lederjacke und ein schiefes Lächeln. “Du, ich bin zwar Moslem, aber wir sind wie Juden! Wir hassen auch Araber!”

Tun wir? Er ist irakischer Kurde. “Das Land, das es nicht gibt. Araber haben mein Land zerstört!” Aber jetzt, sage ich schnell, um das Thema Araber zu beenden, jetzt scheint ihr doch ein Kurdistan im Norden des Iraks zu bekommen. “Du”, sagt er, “jetzt sind es die Kurden, die sich selbst ihr Land kaputt machen. Zwei Banden mit Banditen, die um die Macht kämpfen. Pfui Teufel! Soll ich ehrlich sein? Soll ich?” Er sieht sich um, senkt die Stimme und beugt sich vor: “Du, wenn es Krieg gibt, kämpfe ich für Schweden. Viel besseres Land.”

Auf welche Stufe der Integrationstreppe sollen wir diesen Kejal stellen? Laut Integrationsministerin Nyamko Sabuni ist die Frage falsch gestellt. Nicht wir haben die Macht zum Beurteilen, findet sie und sagt “Integriert ist man wenn man ‘Ja, ich will leben, ich will sterben im Norden’^2^ sagt – nicht im Kongo – und wenn man das auch wirklich meint.”

Keine schlechte Antwort, denke ich mir. Dieses Gefühl setzt voraus, dass man die Bräuche des Landes mag und wie Kejal bereit ist, für sie einzutreten. Was kann man mehr verlangen?

Jimmie Åkesson verlangt viel mehr. Nach dem Programm der Schwedendemokraten soll die Staatsbürgerschaft im Prinzip ein Privileg für Schweden sein. Und “Schwede ist der, der sich selbst als Schwede sieht und von anderen als solcher wahrgenommen wird”. Ich fahre nach Kristianstad, um herauszufinden was das bedeutet.

“Man muss schwedische Werte haben”, sagt Åkesson. “Man braucht unsere Sichtweise auf Demokratie und Gleichberechtigung – nein, das war falsch – auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Und wie wir uns um Tiere kümmern.”

Reicht das? “Nein, dazu kommt noch die Kombination aus Körpersprache und solchen Dingen. Dass man pünktlich ist und sich in die Schlange stellt, zum Beispiel.” Und dann die Äußerlichkeiten. “Eine Frau mit Kopftuch, die einem nicht die Hand gibt, kann keine Schwedin sein”, sagt er, “auch kein Sikh mit Turban”.

Die Schwedendemokraten haben eine Kulturtheorie. Menschen geht es am besten unter ihresgleichen. Ein hoher Grad an ethnischer und kultureller Gleichheit ist Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft. (Deshalb war es ein Fehler, die Staatskirche abzuschaffen.) Also hat jede Kultur das Recht, ihre “ursprüngliche” Eigenheit zu beschützen. Hier bedienen sich die Schwedendemokraten beim Weltnaturschutzbund: Jede Kultur muss wie eine bedrohte Art bewahrt werden, der Vielfalt zuliebe. Bewahrt wird, indem man Vermischung mit anderen vermeidet. Deshalb sollte jede Kultur in einem eigenen Staat wohnen. Ein Volk, eine Nation, ein Staat.

Ich verstehe, dass vor diesem Hintergrund die ethnische Säuberung auf dem Balkan ein Fortschritt für die Vielfalt der Kulturen war, auch wenn ein paar Leute bei dem Coup heimatlos wurden. Deshalb frage ich den Parteichef nach der Zigeunerkultur. Schließlich ist diese auch eine Kultur, oder? Ja, ist sie. Und unvereinbar mit der schwedischen sei sie. Und sie soll bewahrt werden, der Vielfalt zuliebe? “Ja, genau so wie alle anderen Kulturen.” Wo denn? Da weiß Åkesson keine rechte Antwort darauf, welchen Landstrich die Roma für sich beanspruchen. Vielleicht weiß ich es besser? Aber solange sie in Schweden wohnen sollen sie wie Schweden werden.

Wie muss man werden, um “von anderen als Schwede wahrgenommen” zu werden? Bin ich für dich Schwede? frage ich Åkesson. “Das könntest du sein.” Könntest? “Ich weiß es nicht, ich treffe dich zum ersten Mal… eine tiefere Analyse ist auf die Schnelle schwer. Ich helfe ihm ein wenig: Ich habe zehn Jahre länger als du in Schweden gelebt und kann die Kultur wahrscheinlich ein wenig besser, weil es mein Beruf ist. Schwede?

“Ich kann das nicht beurteilen”, sagt Åkesson, “weil es nicht selbstverständlich ist, mit welcher Kultur du dich identifizierst. Ich nehme an du kommst aus einem anderen Land.” Dann erklärt er, warum man als Schwede kein Durcheinander bei der Zugehörigkeit haben kann. Man hat sich hauptsächlich schwedisch zu fühlen, nichts anderes nebenher.

Deshalb bin ich schließlich als zweifelhaft einzuordnen, zusammen mit Cornelis Vreeswijk, Nyamko Sabuni und Zlatan Ibrahimovic^3^, zu dem es laut Åkresson so manche offene Frage gibt. Zlatan ist nicht in Schweden geboren. Er gibt sich individualistisch; das ist unschwedisch. Er hat gesagt, dass er für Bosnien spielen will! Und Jackie Arklöv^3^? “Ohne Zweifel Schwede. Er ist ja schwedisch erzogen worden und kennt keine andere Kultur neben der schwedischen.

Aha. Für Åkesson ist das “Schwedentum” eine warme Wertegemeinschaft, die dafür sorgt, dass man versteht und sich untereinander wohl fühlt. Und er empfindet dies offenbar mit Jackie Arklöv, aber nicht mit Vreeswijk, Sabuni oder mir. Ob er versteht, was er da sagt? Ich mache einen letzten Anlauf. Er hat gesagt, dass er Laila Freivalds als schwedisch wahrnimmt, obwohl sie aus Lettland eingewandert ist. Warum ist er dann nicht bereit, Nyamko Sabuni, die auch als Kind hierher kam, als genauso gute Mitbürgerin zu akzeptieren?

“Ich habe einfach keine Lust, das zu wollen.”

Das sagt er zwei Mal, es ist also kein Lapsus. Aber woher soll ich wissen, ob das Augenzwinkern den Rassisten oder den Folkhemmet-Nostalgikern gilt? Ist Sabunis Fehler, schwarz zu sein – oder vielleicht dass sie zu den Liberalen gehört – und so markant urban ist?

Das “Folkhemmet” ist für die Schwedendemokraten nämlich genauso positiv aufgeladen wie in den Leitartikeln des Dala-Demokraten. Und wenn man nachschaut, findet man kaum Unterschiede zwischen ihrem Programm und dem der Sozialdemokraten aus den dreißiger Jahren; abgesehen von Details wie einem Weltkrieg, 80 vergangenen Jahren und einer von Grund auf anderen Welt. Heutzutage muss man Leute ja von den Dingen überzeugen, die man diesmal nicht mit ins Parteiprogramm geschrieben hat, weil sie so selbstverständlich sind: Dass Schweden ein Volk mit dem selben Glauben, Bräuchen und Aussehen ist und gerade deswegen sind sie untereinander solidarisch. Und halten sich natürlich fern von Europa, das von unvernünftigen und fremden Elementen bevölkert wird.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig, ob der Mythos vom Folkhemmet wahr ist oder nicht. Er ist der einzige schwedische Mythos mit Wirkung. Und wer ihn geschickt ausnutzt zieht die Stimmen der Frustrierten an, egal ob sie von links oder rechts kommen. Falsch oder nicht, der Mythos sagt, dass es einmal ein Gemüt, eigentlich eine richtige Kultur, hier im Lande gab, die uns umeinander kümmern ließ, jeden sein Scherflein beitragen, nicht schmarotzen, die Obrigkeit respektieren, einander trauen, das Fahrrad unverschlossen abstellen… Dann passierte etwas, eine äußere Kraft (Ausländer laut Åkesson, Neoliberale laut einigen Sozialisten, jüdische Liberale laut den Antisemiten) kam und zerstörte alles.

Åkessons Partei sagt von sich, für Religionsfreiheit zu sein, warum also Moscheen verbieten? “Die stellen einen Fremdkörper im Stadtbild dar”, antwortet Åkesson. Er kann ganz kleine Moscheen gut heißen, solange sie rot sind und weiße Kanten haben. “Mal im Ernst, Jimmie”, sage ich, “schau mal aus dem Fenster und antworte nicht als Parteichef sondern als echter Schone. Hättest du nicht lieber eine schöne Moschee oder ein Taj Mahal vor den Augen anstatt dem hier?”

Seine Aussicht ist die schmutzig-graue Plattenfassade der Regionalverwaltung mit hunderten gleicher Gucklöcher, eine Kopie des Kronoberg-Gefängnisses.

“Nein”, antwortet Jimmie Åkesson, “das hier… damit ist man doch aufgewachsen, das fühlt sich eher schwedisch an.”

“Schweden braucht die Erlaubnis, um seinen Verlust zu trauern”, sagt Luis Abascal. Er erntete in den 90ern viel Lob als Stadtteil-Direktor im Einwanderervorort Kista, indem er Firmen mit einbezog. Innerhalb von fünf Jahren sanken die Sozialleistungen von 250 auf 70 Millionen und die Arbeitslosigkeit von 25 auf 3 Prozent.

Welchen Verlust? “Den Verlust den Schwedentums”, antwortet Abascal. Des Schwedentums, von dem der Mythos Folkhemmet handelt.

Als er 1974 nach Schweden kam gab es zwei Fernsehkanäle, drei Radiosender, eine Staatskirche, eine staatstragende Partei und zwei paar Unterhosen zur Auswahl bei Epa oder Tempo^4^. Im Bus sahen Schweden Gesichter wie aus dem Spiegel, der Staat kümmerte sich um das meiste, Politiker logen nur selten und Direktoren hatten keine neunstellige Rente.

Abascal meint, dass wir die enormen Veränderungen, die Schweden durch die Aufnahme großer Flüchtlingswellen mitgemacht hat, nicht wirklich verstehen. Wenn man bedenkt wie natürlich das Unbehagen am Fremden ist, dann muss man die Geduld und Großzügigkeit der Schweden bewundern. Er findet man solle zuhören, wenn jemand murrt, weil er ein Fremder im eigenen Land geworden ist. Vielleicht ist er ja einer der letzten Schweden im Vorort, der zwischen Waschküche und Supermarkt versucht, Brücken zwischen dem alten und dem neuen Schweden zu schlagen; und der vielleicht sogar ein Held ist. Aber weil er seine Frustration nicht korrekt ausdrücken kann, wird er als Reaktionär oder schlimmeres abgestempelt.

Abascal fragt sich, warum die Dankbarkeit, die viele Flüchtlinge gegenüber Schweden empfinden, in der öffentlichen Debatte nicht vorkommt. Man hört vor allem Kritik und Vorhaltungen. Deshalb versteht er, wenn es manchen so vorkommt, als ob man den Fremden zum Essen eingeladen hat, dabei sein Bestes gegeben hat oder fast, aber vom Gast nur die Klage über den sparsamen Nachtisch zu hören bekommt, nachdem er das Mahl heruntergeschlungen hat.

Was ist mit der Integration? “Eine Katastrophe”, findet Abascal, aber nicht weil Schweden rassistisch ist, wie einige behaupten. “Rassisten vermischen biologische mit psychologischen Eigenschaften. Das tun Schweden nicht. Aber sie sind mit einer Partei aufgewachsen, die laufend wiederholte, dass man im besten Land der Welt lebe. Da bekommt man leicht den Eindruck, dass alle Hinzugekommenen Schmarotzer sind.”

Deshalb verstehe er die Verbitterung, die müsse ausheilen, Leute müssen loswerden können, was sie auf dem Herzen haben. Erst dann kann man von einem mehr harmonischen Verhältnis zwischen den “neuen Schweden” und den “ethnischen Schweden” sprechen.

Ich höre zu, werde immer mehr gefangen. Er spricht frei heraus, nennt Einwanderer nicht “sie”, auch nicht “wir”. Er senkt nicht die Stimme, wenn er dies und das kritisiert. Äußerst selten heutzutage. Außerdem nuanciert er seine Urteile, was noch seltener ist: Er schätzt Nyamko Sabuni (“Sie hat klar gemacht, dass die Stellung der Frau nicht verhandelbar ist; man braucht die Arbeit von Ottar^5^ nicht noch einmal von vorne zu machen”), aber er rümpft die Nase über die “Politik mit dem Schlagstock” ihrer liberalen Partei, die andeutet, dass alles Schuld der Einwanderer sei. “Die wollen sich wohl für die nächste Wahl aufstellen.”

“An der verunglückten Integration sind weder die Schweden noch die Einwanderer schuld”, sagt Abascal. “Es liegt am System.” Nämlich daran, dass unsere Bürokraten als gegeben annehmen, dass “der Einwanderer” Probleme hat. Wenn er nicht gleich selbst das Problem ist. Will ich Beispiele? Man bot in Kista einen Computer-Kurs für somalische Frauen an. Als sie kamen schlugen die Sozialarbeiter Alarm. Diese Frauen können keine männlichen Lehrer bekommen, so eingewickelt von Kopf bis Fuß wie sie waren. “Wir haben keine anderen Lehrer”, erwiderte Abascal bestimmt. Und siehe da – es ging gut, der Kulturschock war nur in den Köpfen der Sozialarbeiter. Doch die kamen gleich auf etwas Neues: Diese Frauen konnten unmöglich die Laptops mit nach Hause nehmen. Denn dort würden sie entweder gestohlen oder ihre Männer würden sich herabgesetzt fühlen, weil die Frauen ein Gerät haben, das sie selbst nicht beherrschten. “Reine Projektion”, lacht Abascal.

Ich nehme an, dass es die selben Leute waren, die vorschlugen, die Flagge vom Rathaus zu nehmen. Die nackte Stange, so der Gedanke, würde weniger ausgrenzend wirken.

Ich habe Lius Abascal so viel Platz gegeben, weil seine Haltung selten in der öffentlichen Debatte vorkommt, die einem Minenfeld gleicht: Auf der einen Seite die, die bei jeder Gelegenheit wiederholen, dass in Schweden schwedische Regeln gelten. Auf der anderen die “Multikultis” (mit Erlöser-Allüren, allergisch auf Nuancen), die die “Mehrheitskultur” demontieren wollen, damit sich keiner außen vor fühlt.

Erstere wollen Moscheen loswerden – letztere wollen die Flagge einziehen, wenn sie nicht gerade gegen Psalmgesang kämpfen. Erstere erklären die havarierte Integration damit, dass Einwanderer nicht hinein passen, letztere damit, dass Schweden auf “rassistischen Strukturen” beruht. Die Schimpfworte fliegen und mittendrin ducken sich die Schulrektoren, die erwarten, dass ihnen der Vielfaltsberater erklärt, wofür blau-gelb, Psalme, das Kreuz, der Handschlag oder der Schleier stehen. Sie haben nicht verstanden, dass kein Ratgeber der Welt ihnen da aus der Patsche helfen kann. Wofür die Symbole stehen wird dadurch definiert, wie sie die Rektoren selbst anwenden.

Es begab sich auf dem Markt von Nora vor ein paar Jahren, dass eine Gruppe junger Männer mit rasierten Köpfen sich ihren Weg zu einem Stand bahnten, an dem ein paar Ausländer standen. Keine Polizei vor Ort, keiner wusste wohin, die Fäuste schon in der Luft, Blicke machtlos abgewendet. Da hörte man plötzlich Gesang. Er kam scheinbar von nirgendwo, ein Sopran, hoch und mächtig. Es wurde immer ruhiger, die Menschenmenge wurde dichter, nur der Gesang war zu hören. Da brachen die Angreifer ein, sahen unsicher um sich und zogen sich gen Ausgang zurück, erzählt man. Auch dass die Stimme ihnen durch die Dunkelheit folgte und sie den Markt verließen.

Belehrenderweise war es der Psalm “Blott en dag, ett ögonblick i sänder”, der die nationale Sturmtruppe so effektiv vertrieb. Einer der Psalmen also, der laut dem Diskriminierungsbeauftragten ungeeignet für Schulabschlussfeiern ist, weil er auf Einwanderer “ausschließend” wirken kann.

Ich finde die Stimme. Sie gehörte Maria Langefors, Pastorin der Missionskirche und ausgebildete Sängerin. “Ich sang aus vollem Hals, à la Nilsson”, erinnert sich Langefors. Warum versuchtest du es nicht mit “We shall overcome”?

“Alles ging so schnell, ich sang was mir am Herzen lag.”

Kejal heißt in Wirklichkeit anders.
Ottar – Elise Ottesen-Jensen

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-10. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

Fußnoten:
^1^Wörtlich übersetzt “Volksheim”. Der Begriff beinhaltet mehr als in einer Fußnote Platz hat und sollte aus dem weiteren Text klarer werden.

^2^Das ist einer der Refrains aus der schwedischen Nationalhymne.

^3^Vreeswijk ist schwedisch-holländischer Troubadour und eine Ikone in Schweden (siehe auch hier). Sabuni (ursprünglich aus Burundi) ist Integrationsministerin der Regierung Reinfeldt. Zlatan ist der schwedische Fußballstar schlechthin (bosnisch/kroatische Herkunft). Arklöv ist in Liberia geboren und verurteilter schwedischer Kriegsverbrecher und Mörder. Freivalds ist sozialdemokratische Politikerin und war seit Ende der 80er mehrmals Justiz- und Außenministerin.

^4^Tempo und Epa sind alte schwedische Warenhausketten, die mittlerweile in Åhlens aufgegangen sind. Siehe auch Epa-traktor.

^5^Ottar ist der Spitzname von Elise Ottesen-Jensen, norwegisch-schwedische Sexualaufklärerin. Eine Zeitschrift mit den Themen Sexualiät und Gesellschaft nennt sich nach ihr auch Ottar.

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Verloren in der Vielfalt

In den letzten Jahren ist der Blatte^1^ modern geworden. Viele wollten eine gemeinsame Identität für alle nicht-Svennar schaffen, nicht zuletzt die Zeitschrift Gringo. Im dritten Artikel der Serie Warten auf Schweden fragt sich Maciej Zaremba, ob dieser Wille dem Rassismus in Schweden Aufwind gibt.

Es war voll im Schwimmbad Vivalla an diesem Tag, weswegen die Beweislage gut ausfiel. Man hörte: “Verdammte Zigeunerschweine”, “Ich werd’ alle Zigeuner ficken”, einige hörten außerdem “Huren, Hurensöhne und Pack”. Weil all das den Roma zugerufen wurde, führte der Ankläger an, dass der Schreihals wegen Volksverhetzung bestraft werden solle. Aber er überzeugte das Gericht in Örebro nicht, welches mit der Begründung freisprach, dass dies “nicht als Herabsetzung des Ansehens der Roma betrachtet werden kann”.

Dieses Urteil erregte die Schwedendemokraten^2^, die meinten, dass der Angeklage sicherlich verurteilt worden wäre, wenn sein Name nicht Habibi, sondern Svensson gelautet hätte.

Es gibt Hinweise, dass die Schwedendemokraten hier recht haben könnten. Wenn es um gewöhnliche Straftaten geht, können Einwanderer kaum damit rechnen, milder behandelt zu werden; eher umgekehrt. Aber bei Hassreden scheint das Einwanderer-Sein ein mildernder Umstand zu sein. Zum Beispiel wird der Vorfall im Schwimmbad nicht in die Statistik für angezeigte Hassverbrechen aufgenommen, eben weil der Schreihals Habibi hieß.

Nach der Zählweise des Rats zur Verbrechensvorbeugung (Brå) ist es also kein Hassverbrechen, wenn ein Einwanderer gegen Roma oder Schwarze hetzt. Zum Hassverbrechen wird es erst, wenn ein Schwede dies tut. Es sei erwähnt, dass Brå diese Regel selbst nicht mag, aber gezwungen ist, den Anweisungen der Säpo^3^ zu folgen. Und die hält es offenbar für gegeben, dass ein hasserfüllter Einwanderer ein geringeres Risiko darstellt als ein Schwede.

Ich frage mich natürlich wie Brå es anstellt, die richtigen Schweden herauszusortieren. Das ist mühsam, bekomme ich zu hören. “In der Anzeige steht selten, wo jemand geboren ist. Deshalb richten wir uns nach dem Namen”.

Soll man sich wundern, dass ein Staat, der Straftaten nach Namen Buch führt – “Was meinst du? Klingt Holt schwedisch? Ok, dann war es eine Straftat” – gewisse Probleme mit der “Integration” hat?

Für die Schwedendemokraten wurde dieses Urteil zu einem weiteren Beleg, dass der Staat Ausländer zulasten der Einheimischen bevorzugt. So kann man das natürlich sehen. Oder auch umgekehrt. Als Beweis der Geringschätzung: Ach – du bist ja nur ein Einwanderer.

Ich lese einen Artikel auf der Debattenseite von DN, in dem Masoud Kamali die sexuelle Veranlagung eines Ministers in seine Argumentation einbaut. Im Kulturteil lese ich, wie Kurdo Baksi mit Verachtung die Kleidung, das Geschlecht und die Rasse einer Politikerin als Erklärung für ihre Ansichten analysiert.

Wären diese Texte von einem Svensson geschrieben worden, hätte man ihn wohl öffentlich ausgepeitscht, wenn man die Artikel überhaupt gedruckt hätte. Aber mit diesen Namen darunter weckten sie kaum Entrüstung, außer – genau! außer bei anderen Autoren mit ungewöhnlichen Namen (wie Madon, Wager, Demirbag-Sten). Ja, bei diesen Gelegenheiten durften sie alleine die schwedische Presse-Ethik verteidigen.

Was bekommen wir hier zu sehen? Den Anfang einer geteilten Öffentlichkeit, wo Hautfarbe, Geschlecht, Religion und Herkunft das Recht geben, Dinge zu sagen, die andere nicht dürfen? Man kann leicht Beiträge finden, in denen jemand abgetan wird, weil er kein Einwanderer ist, nicht aus den “Vororten” kommt, zufällig ein Mann in gewissem Alter ist oder – am allerschlimmsten – eine eingewanderte Frau ist, die nicht unterschreibt, dass in Schweden Rassismus herrscht. Dann kann man sie “Hausneger” nennen und damit durchkommen, wenn man nicht Svensson heißt, natürlich.

Das aussagekräftigste Beispiel dafür, wie wichtig die Identität des Absenders geworden ist, ist die Zeitschrift Mana, deren Chefredakteur Babak Rahimi es für notwendig hielt, sich in seinen Artikeln als Frau im Iran auszugeben, inklusive erfundener Biografie.

Es ist merkwürdig, dass diesmal genau diejenigen den zivilisierten Diskurs unterhöhlen, die sich selbst für “Antirassisten” halten. Als Geschmacksprobe hier ein Beitrag aus der Bloggosphäre: “Den Begriff Hausneger könnte man effektiv … gegen Neger/Einwanderer anwenden, die in einer bürgerlichen Partei sind, z.B. Nyamko Subyami^4^ in der Folkpartiet” (antirassistische Schreibweise, meine Anm.). Kapiert? Nicht in Schweden geboren zu sein, verpflichtet zu bestimmten Ansichten. Eine etabliertere Bloggerin, der sich zur “Linken” bekennt, findet Einwanderer nicht gut, die “mischfarbige Beziehungen” eingehen. Das erschwere den Kampf gegen Rassismus, findet sie. Genau wie die extreme Rechte scheint sie der Ansicht zu sein, dass Hautfarbe verpflichtet.

Wenn es doch nur Extremisten wären, die Einwanderern eine bestimmte Identität zuschreiben. Aber als es vor wenigen Jahren zu einem akademischen Streit zwischen Dozent Westholm und Professor Kamali kam, bekamen wir vom Rednerpult des Parlaments zu hören, dass die Regierung eingreifen müsse:

”... diese schädliche und polemische Diskussion wurde in Dagens Nyheter veröffentlicht, wodurch der Konflikt negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Einwandererbevölkerung und den schwedischen Behörden haben kann.”

Ja, ihr habt euch nicht verlesen. Wenn ein Westholm einen Kamali kritisiert, kann das die gesamte “Einwandererbevölkerung” krumm nehmen. Keiner der Gewählten wandte hastig etwas gegen die Idee ein, dass “Einwanderer” eine Volksgruppe sind, wie Pavlovs Hunde festgelegt, deren zuliebe wir Diskussionen abwürgen müssen (gerade die polemischen). Lag es daran, dass die Rednerin nicht in Schweden geboren war? Ana-Maria Narti hieß sie.

Wenn “Einwanderer” zur Sprache kommen, werden Mitbürger unsicher, was es sich zu sagen gehört. Als ob die Sprache vermint worden wäre. Nett gemeinte Fragen wie “Wo kommst du her?” können mittlerweile Entrüstung auslösen. “Ich bin in Mora geboren.” Man muss aufpassen, was man sagt. Und vielleicht denkt man ja wirklich falsch, ein wenig veraltet? Es ging doch alles so schnell … Und es ist bei Weitem nicht leicht zu wissen, wie man der neuen Vielfalt gerecht werden soll. Da wird eine SFI-Lehrerin als “elitär” beschimpft, wenn sie etwas dagegen einwendet, dass jemand, der nicht schreiben kann und mit starkem Farsi-Akzent spricht, Einwanderern Schwedisch beibringen soll. Da wird eine andere wegen Diskriminierung angezeigt, weil sie gesagt hat, Frauen im Iran seien unterdrückt.

Wenn Menschen anfangen, sich in ihrer Sprache und ihren Gedanken unsicher zu fühlen, öffnet sich ein Markt für Bauchredner, Anstandsdamen und Alibis. Will man die Erfolge der Schwedendemokraten verstehen, kann man Gringo nicht außen vor lassen, die Zeitschrift, die 2005 entstand und drei Jahre später in Konkurs ging.

Es ist nicht besonders verwunderlich, dass ein paar gebürtige Jugendliche, die die Frage “Woher kommst du?” einmal zu oft gehört haben, auf die Idee kommen, eine Zeitschrift Umgekehrt zu machen, wo die “Blattar” für alles Coole und Attraktive stehen, während die “Svennar” Statisten im debilen Hintergrund darstellen. Das kann als Satire helfen, Augen zu öffnen: “Ach so, ihr schert uns alle über einen Kamm und schaut auf uns herab? Schluckt eure eigene Medizin!”

Aber Gringo ging weiter. Dort wurde der “Blatte” zur Identität gemacht, deren einzige sichere Eigenschaft es war, kein “Svenne” zu sein und es auch nie zu werden. Teils weil die Svennar sie nicht herein ließen (Rassismus), teils weil die Kultur der Svennar die Mühe gar nicht wert war.

Ja, so könnte vielleicht die Reaktion auf unerwiderte Liebe aussehen. Aber Gringo war Theater. Die Redakteure, die vorgaben für eine verstoßene Masse zu sprechen, waren gut angepasste Unternehmer, die sich ein “Blatte-Schwedisch” ausgedacht hatten, das kaum einer spricht, und die sich zum Vermittler für Ansichten aufgeschwungen hatten, die kaum jemand vertritt. Und die man mit Nazismus vergleichen kann: “Leider gründet sich der schwedische Nationalismus auf die Sprache, genau die gleiche Art Nationalismus, die Hitler befürwortete”, stand in Gringos Agenda. Oder auch, dass schwedische Frauen untaugliche Sexobjekte waren (zu kleine Ärsche), während die schwarzen viel besser rochen, wie in Gringo 7/05 zu lesen war. Wurden Schwedens Einwanderer dadurch in ihrer eigenen Identität gestärkt?

Das Eigenartige war nicht, dass dort Muff und umgekehrter Rassismus gedruckt wurden. Das Eigenartige war, dass alte Volksbewegungen, Behörden und Firmen fünfstellige Beträge dafür bezahlten, das Ganze in Kursen und Vielfaltstagen wiederholt zu bekommen. Dass man mit Einwanderern auf eine spezielle Art reden muss, weil sie ein Volk für sich sind, mit eigenem Kauderwelsch, dass sie kein Interesse an schwedischer Kultur haben, aber verlangen, dass man ihre eigene anerkennt. Da war es raus. Ein Carlos, oder heißt er Zaynar, hat es gesagt. Was für eine Erleichterung.

Muss gesagt werden, was für ein gefundenes Fressen Gringo für unsere Xenophoben wurde? “Gringo… (hat) es geschafft, die Immigranten in Schweden als Vorortsaffen darzustellen, die blind von ihrem fundamentalen Bedürfnis nach Bestätigng und Respekt gesteuert sind”, jubelt einer der unbehaglichsten Blogger dieser Ecke. Nicht ganz gerecht, aber auch nicht ganz falsch. Noch wichtiger für die Schwedendemokraten (SD) war Gringos Bestätigung ihrer Grundidee: dass Schwede-Sein etwas ethnisches ist. Der kichernde Empfang, den der Hohn auf “Svennar” auf Konferenzen und in den Fernsehsofas fand, schien zu bestätigen, was SD lange behauptet hatte: dass Schweden seine Selbstachtung verloren hat und nicht auf seine Kultur aufzupassen weiß – also brauchte es die Schwedendemokraten.

Das Absurdeste an der Geschichte ist, dass die Einrichtungen, die sich mit Gringo einließen, dessen Ideologie in keinster Weise ernst nahmen. Sie kauften Ablassbriefe zum Herzeigen, wenn die Revision der Vielfältigkeitsarbeit kommt. Auf diese Weise brauchten sie nicht selbst darüber nachzudenken, ob es Rassismus ist, von einem Schwedischlehrer gutes Schwedisch zu verlangen, oder ob es wirklich eine gute Idee ist sich aufzuregen, wenn eine Frau den Handschlag verweigert. Es ist ja auch traumatisch, solche Dinge zu diskutieren.

Sicher kann das traumatisch sein. Wenn es schiefgeht, kann man das R-Wort genannt werden. Vor einiger Zeit bekamen sechzig führende Staatswissenschaftler, die in einem Brief an die Regierung gegen die politische Einflussnahme in der Integrationsuntersuchung protestierten, von Mona Sahlin^5^ als Antwort, dass ihr Protest “rassistische Untertöne” hätte. Was sich bei Dilsa Demirbag-Stens Prüfung der Korrespondenz als reine Erfindung entpuppte. (Expressen 30/6 -04)

Ich gehe davon aus, dass Mona Sahlin zufrieden mit sich war, hatte sie doch mit nur einem Wort des Spotts eine beschwerliche Debatte ruhig gestellt. Aber noch mehr freuten sich die Schwedendemokraten. Wenn legitime Kritik an Integrationspolitik ohne Hand und Fuß auf diese Weise abgetan wird, bekommen die Fremdenhasser ein Monopol auf diese Debatte.

Da gibt es den Schulrektor (in Råneå), der einen Dreizehnjährigen nach Hause schickt, weil auf seinem T-Shirt eine schwedische Flagge zu sehen ist mit den Worten “Schweden ist mein Vaterland”. Das Kleidungsstück könnte “nazistisch verstanden werden”, findet der Rektor. Dann war da die Kommune Nyköping, die der Kirchengemeinde verbietet, auf dem Totengedenkplatz neben Lids mittelalterlicher Kirche ein Kreuz aufzustellen. “Zu starkes religiöses Symbol”, heißt es, unpassend in einer multikulturellen Gesellschaft wo auch Atheisten Anstoß nehmen können.

Die Achtklässler der Strandskolan in Klagshamn bekamen kein Klassenfoto, weil sie an dem Tag Trikots der Nationalmannschaft anhatten (vor dem Spiel gegen Dänemark). “Es steht in unserem Lehrplan, dass wir gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz arbeiten sollen”, erklärt der Rektor. Nein, er finde nicht, dass die Nationalmannschaft für Rassismus stehe, aber die Trikots könnte jemand “so auffassen”. Außerdem kann “Den blomstertid nu kommer”^6^ als “diskriminierend wahrgenommen werden” und ist deshalb ungeeignet für Schulabschlussfeiern, findet der Diskriminierungsombudsman (DO), der die Bräckeskolan auf Hisingen wegen Psalmgesang gerügt hat.

(Interessanterweise ist der Rat schwedischer Muslime mit dem DO hier nicht einer Meinung. Die Vorsitzende Helena Benaouda sagt mir, dass es “absurd wäre, Psalmgesang an Schulabschlussfeiern generell zu verbieten.” Im Gegenzug sollte die Schule jedes Mal die Eltern fragen, ob alle damit einverstanden sind.)

Fast hätte ich Kista vergessen, wo einige Beamte die Flagge vom Gemeindehaus nehmen wollten, damit die Einwanderer auf dem Järvafältet sich mehr zu Hause fühlen könnten. Zum Glück war der Gemeindedirektor zufällig ein japanisch-italienisch-spanischer Indianer. Luis Abascal hieß er, kam aus Uruguay, brummelte “jetzt sind wir in Schweden” und die Flagge blieb.

Wir leben in interessanten Zeiten. Für die Rektoren in Råneå und Klagshamn ist blau-gelb etwas Suspektes, für Abascal ist die Flagge ein verbindendes Symbol. Damit sei nicht nur gesagt, dass die obigen Verwirrungen immer mehr aufgebrachte Mitbürger in die Arme der Schwedendemokraten treiben, sondern auch gezeigt, welch schwächelnde Empathie man mit den Menschen hat, deren Gleichstellung man zu verteidigen vorgibt. Man versucht, dem Zerrbild der Einwanderer gerecht zu werden. Oder vielleicht nur dem eigenen Selbstbild.

Die Gemeinde Sigtuna glaubt sich an vorderster Front der multikulturellen Gesellschaft. Allgemeine Schulferien am orthodoxen Karfreitag, dem kurdisch-persischen Neujahr Noruz und an Id Al-Fitr, dem Ende des Ramadan. Alle werden eingebunden, dass es eine Freude ist. Gleichzeitig bereitet es Frau Cherine leider wenig Sorgen, dass Kerstin und Kalle in die Schule gehen während sie und ihre Familie Neujahr feiert. Ihr Problem ist stattdessen, Schwedisch zu lernen. Wo bekommt sie Information dazu? Nirgends. Sigtuna ist eine der wenigen Gemeinden, in denen alle Information, auch die über die Kurse “für den, der Schwedisch von Grund auf lernen muss”, ausschließlich in eben dieser Sprache bereitliegt.

Habibi heißt in Wirklichkeit anders.

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-05. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

Fußnoten:
^1^Blatte und Svenne sind unübersetzbar. Ersteres hat sich aus einer abfälligen Bezeichnung für Einwanderer (deren Ursprung unklar ist) zu einem Wort entwickelt, das von (Teilen) der Gruppe selbst zur Identifikation verwendet wird – parallel dazu, wie sich manche Schwarze “Nigger” nennen und wie Homosexulle das Wort “schwul” übernommen haben. Svenne ist das Gegenstück zum Blatte, also eine abfällige Bezeichnung des letzteren für “typische Schweden”. Die Ableitung kommt wohl vom allgegenwärtigen Nachnamen “Svensson”.

^2^Die “Schwedendemokraten” sind eine nationalistisch-traditionalistische Partei, die “Schweden schwedisch erhalten” wollen. Am ehesten sind sie wohl mit den deutschen “Republikanern” zu vergleichen. Die Wikipedia weiß mehr.

^3^Säpo steht für Säkerhetspolisen, also “Sicherheispolizei”. Damit ist der nationale Geheimdienst Schwedens gemeint.

^4^Nyamko Sabuni ist Integrationsministerin der Regierung Reinfeldt.

^5^Mona Sahlin ist heute Parteichefin der größten Partei Schwedens, den Sozialdemokraten.

^6^Das ist der bekannteste und beliebteste der schwedischen Sommer-Psalme. Er wird traditionell bei Schulabschlussfeiern gesungen. Mehr dazu auf SChwedisch

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Das Verhältnis der Schweden zu Deutschland

Der SR hat einen sehr lesenswerten Artikel über die Entwicklung der deutsch-schwedischen Beziehungen. Grundthese ist, dass das Ende des zweiten Weltkriegs einen Bruch in eben diesen darstellt, der bis heute wirkt.

Dass sich Schweden nach 1945 genauso wie das restliche Westeuropa (inklusive Deutschland) vor allem an der angelsächsischen Welt orientiert hat, ist kaum verwunderlich. Interessant ist trotzdem der Widerspruch, dass einerseits der deutsche Einfluss dermaßen abnahm, man andererseits jedoch lange keinen Bedarf sah, die eigene Rolle im Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Anhand des Beispiels Uppsala war hier zu diesem Thema ja schon einmal etwas zu lesen.

Das Zitat

„Ich glaube, dass die spontane Assoziation vieler mit Deutschland nicht die Autobahn oder die Bundesliga ist, sondern Nationalismus, Hitler und der Holocaust."

würde ich dennoch so nicht unterschreiben.

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SVT und die Katholiken

Wer in den letzten Tagen Nachrichten gelesen hat, dem dürfte die Diskussion um die ultrakonservative katholische Bruderschaft SSPX, die der Papst rehabiliert hat, nicht entgangen sein. Das schwedische Fernsehen (SVT) spielte dabei eine beachtenswerte Rolle. Es war nämlich das Programm Uppdrag granskning (“Auftrag Überprüfung”), das das Interview mit dem SSPX-Bischof ausgestrahlt hat, in dem er seine 20 Jahre alten Aussagen zur Leugnung des Holocausts bereitwillig wiederholt – mit dem Hinweis, doch bitte nicht die Polizei zu rufen, weil das in Deutschland (wo das Interview stattfand) ja illegal sei.

Die ganze Sendung kann im Netz angesehen werden. Man kann zu 35:45 Minuten vorspulen, da fängt das Interview (auf englisch) an. (Nachtrag: Es gibt auch die ganze Sendung englisch untertitelt. Danke für den Hinweis per Email.)

Der Rest des Programms dreht sich um einen Priester, der die schwedische Kirche verlassen hat und der SSPX beigetreten ist und jetzt “Schweden katholisch machen” will. SSPX darf hiesige katholische Kirchen nicht mitbenutzen, aber bei den Protestanten fand man unwissende Priester, die SSPX die Türen ihrer Kirchen öffneten.

Außerdem werden die Verbindungen von SSPX zu rechtsextremen Gruppen, sowohl in Schweden wie in Frankreich, ausführlich behandelt. Auch in diesen Teilen des Programms bekommt man Dinge zu hören, die jeden halbwegs vernünftigen Menschen vor Wut schäumen lassen.

Und was ist die Reaktion des Vatikans auf Uppdrag granskning? Man vermutet ein Komplott und greift den Boten an, anstatt sich um das eigentliche Problem zu kümmern: die Botschaft. Links: 1, 2, 3, 4, 5.

Nachtrag: SpOn hat jetzt noch etwas mehr Hintergründe

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