Ich sitze gerade am Stockholmer Flughafen Arlanda, der – laut Lautsprecherdurchsage – heute sein fünfzigjähriges Jubiläum feiert. Der schicke Tower ist aber viel jünger, in Betrieb seit 2001.
Ich sitze gerade am Stockholmer Flughafen Arlanda, der – laut Lautsprecherdurchsage – heute sein fünfzigjähriges Jubiläum feiert. Der schicke Tower ist aber viel jünger, in Betrieb seit 2001.
Wer hier schon etwas länger mitliest weiss, dass ich ab und zu fremde Gäste beherberge. Gestern Abend kamen zwei Mittvierziger aus Teheran an, mitsamt des einen Frau und Kind.
Es ist immer wieder erfrischend, Leuten beim ersten Eindruck von Schweden zuzusehen. Der Blick auf die Eigenheiten und Unterschiede, der einem selbst mehr und mehr abhanden kommt. Dass man Nieselregen als das perfekte Sommerwetter empfinden kann, wenn man von über vierzig Grad kommt. Dass die Ruhe und Menschenleere das erstaunlichste ist, selbst im (für Schweden) so hektischen Stockholm. Wie seltsam, dass man als Student selbst für Essen und Unterkunft zahlen muss. Dass man trotzdem sein Kind hierhin schicken will, auch wenn es einen fast ruiniert. Dass der hiesige Strandschutz hoch gepriesen wird, weil man am Wasser entlang spazieren kann, weil die Strände nicht verbaut sind. Überhaupt, Wälder in Stadtnähe, grüne Wiesen, Seen und Aleen faszinierend zu finden.
Schön, aus der Selbstverständlichkeit gerissen zu werden, mit der man im Alltag so viel behandelt.
Packen. Die Mitbringsel, eingelegte Heringe und Schnaps (Hallands Fläder) nicht vergessen. Laptop, Kamera, alle Kabel, die deutsche Pre-Paid-SIM-Karte fürs Handy, check! Auf zum Bahnhof und in den X2000. Gut fünf Stunden von Stockholm bis Kopenhagen. In der ersten Klasse, die billiger als die zweite war, gehören Kaffee, Kekse und ein Fruchtkorb dazu. Und Internet! was die Zeit sehr entspannt und wie im Fluge vergehen lässt. Nein, nicht wie im Fluge, denn dieses Verkehrsmittel macht keinen Spaß mehr mit all den sinnlosen Regeln und Kontrollen, die einen zum brav von einer Schlange zur nächsten laufenden Schaf degradieren. Zugfahren ist viel zivilisierter. In Kopenhagen ankommen, Gepäck einschließen. Völlig überteuert zwar, aber egal. Ich war noch nie in Kopenhagen und die drei Stunden Aufenthalt wollen optimal genutzt werden. Ebendiese später, mit einigen Kilometern mehr in den Füßen und einer rød pølse im Magen wieder zum Zug. Nachtzug diesmal, der sich bis Frankfurt ganze zwölf Stunden Zeit lassen wird. Der erste Endruck von Kopenhagen: ziemlich positiv, Fahrradstadt, weniger posh als Stockholm und bestimmt auch sehr lebenswert. Im Zugabteil mit drei Dänen und einer Schweizerin. Erstere würdigen meine nicht ganz vergeblichen Versuche, zu verstehen was sie sagen, dann wechseln wir zu Englisch. Irgendwie unfair, dass Dänen Schwedisch verstehen, aber nicht umgekehrt, zumindest nicht auf Anhieb. In Ruhe meine beiden Dosenbiere austrinken, bevor die Sitze zu Betten werden. Dann schläft man besser. Die Schweizerin will Bettplatz tauschen, weil die Leiter zu fehlen scheint. Meinetwegen, wenn sie sich schon in Frankfurt und nicht erst in Basel wecken lassen will. Wenn die Liegen nur 5 Centimeter länger wären, würde ich in Nachtzügen noch besser schlafen. Trotzdem ganz erholt aufwachen und Zeuge werden wie das Zugpersonal in äußerst bizarrem Denglisch, bei dem alle wichtigen Worte auf Deutsch und die unwichtigen auf Englisch waren, jemandem erklärt, wie er von Frankfurt-Süd nach Stuttgart kommt. Drei weitere Stunden in Regionalzügen, Bussen und auf Schusters Rappen verbringen, um in der ehemaligen Heimat zu landen. Die Luft riecht frisch und kühl, unerwartet nach den Berichten von über fünfunddreißig Grad. Es hat ordentlich gestürmt in der Nacht zuvor, sonst wären die drei Stunden auch nur zwei gewesen. Ein paar Tage mit der Familie und alten Freunden verbringen. Der vorletzte noch nicht verheiratete ändert dies. Auf dem Fest viele fast vergessene Gesichter treffen, die heute Ansichten vertreten, die man ihnen nie zugetraut hätte. Früh morgens im Spessart laufen gehen. Rehe, Fasane, einen roten Milan und einen jungen, fast weißen Mäusebussard sehen. Äppelwoi trinken, bei weitem nicht alle hessischen Einflüsse auf Unterfranken sind schlecht. Mal wieder Schafkopf spielen. Sich ein wenig der Nostalgie hingeben und zuhören, wenn einem ältere Verwandte von früher erzählen. Wurst essen. Und richtiges, saftiges, schweres, schwarzes Sauerteigbrot. Man findet mittlerweile auch in Schweden ungesüßtes, durchaus essbares Brot, aber das ist noch eine ganze Klasse weg. Mit Freunden grillen; mehr Wurst. Klamotten kaufen, die Krone ist gegenüber dem Euro wieder auf Vorkrisenniveau und es lohnt sich wieder. Ein Auto mieten und mit vier Menschen und Gepäck voll beladen nach München fahren. In gutem Umweltgewissen baden, diese Fahrgemeinschaft aus Freunden und Familie zusammenbekommen zu haben. München im Feierabendverkehr ist nicht sehr lustig, wenn man nur mal eben jemanden zentral abliefern will. Gleich weiter Richtung Rosenheim und in einem urbayrischen Dorfgasthof zu Abend essen (Pressack sauer mit richtigem, saftigem, schwerem, schwarzem Sauerteigbrot) und mich mit ein paar Halben für die lange Fahrt entschädigen. Gut schlafen. Am nächsten Morgen die paar Kilometer zu den Alpen fahren und mit der Seilbahn zur Kampenwand hoch. Nebel, der dur ab und zu aufreißt. Trotzdem beeindruckend. Sowas hat’s in Schweden nicht. Am Wegesrand Haufen mit wachteleigroßen Hagelkörnern vom letztnächtlichen Gewitter bestaunen. Die Hänge sehen etwas mitgenommen aus. Auf der Alm zu Mittag essen und wieder rechtzeitig ins Tal bevor der nächste Regen kommt. Kurz nach Österreich zum Tanken. Sich in den Alpentälern dank gesperrter Straße ein wenig verfahren. Über eine mit Maut belegte, schmale, sehr urwäldliche Strasse zurück finden. Früh raus am Tag darauf und auf die Autobahn Richtung Weimar. Strömender Regen und dichte Gischt bis hinter Hof. Im Hotel einchecken, duschen und in die feinen Klamotten. Zur Hochzeit in der Kirche, in der Goethe geheiratet hat. Jetzt bin ich der last man standing der Junggesellen. Feier in einem alten Herrenhaus außerhalb der Stadt. Zu viel Essen und Trinken. Dann noch ein ganzer Tag in Weimar. Goethehaus, Goethedies, Goethedas. Ob die Weimarer dessen wohl ein wenig überdrüssig sind? Sich über die Ausstellung im Goethe-Nationalmuseum aufregen, die sich seiner Farbenlehre widmet und sie tendenziell verteidigt und mystifiziert anstatt klarzumachen, was für ein Griff ins Klo sie im Gegensatz zum Zeitgenossen Newton war. Bevor am nächsten Abend der Nachtzug in Frankfurt wartet, kurzer Stopp in Eisenach, durch die Drachenschlucht laufen, im einzigen Dönerladen der Stadt essen. Kann es sein, dass die (nicht mehr so) neuen Bundesländer diesbezüglich noch genauso Entwicklungsland sind wie Schweden? Auf der Wartburg den Blick über den Thüringer Wald genießen; auf dem Turm, dessen Bezahlschranke leicht auszutricksen war. He, wir hatten gerade keine zwei mal fünfzig Cent zur Hand. Dann nach Frankfurt, Auto loswerden und in Sachsenhausen die diesjährige Deutschlandreise mit ein paar großen Gläsern Appelwoi ausklingen lassen. Schön war’s.
Ja, auch hier in Schweden ist es gerade richtig heiss. Ich hoffe ja auf Abkühlung in Süddeutschland ab übermorgen. Dann komme ich nämlich da an – nach etwa 20 Stunden Zug.
Vor kurzem war ich in Köln. Abgesehen davon, dass es ungewohnt war, statt aus Familien- einmal aus Arbeitsgründen nach Deutschland zu kommen, fielen mir mindestens zwei Dinge auf. Zum einen geht da keiner bei Rot über die Straße. Ernsthaft. Man wird sogar dumm angeschaut, wenn man dem natürlichen Gefühl der Unsinnigkeit nachgibt, das sich einstellt, wenn man vor einer weit und breit leeren Straße steht. Dabei fand ich bisher, dass sich Schweden im großen und ganzen eher an Regeln halten als Deutsche.
Zum anderen war da natürlich das Kölsch. Als Beinahe-Bayer war ich selbstredend äußerst skeptisch gegenüber 0,2l-Gläschen. Doch spätestens nachdem mich unser Gastgeber in eine der älteren Braustuben mitnahm, wo einem der wortkarge bärbeißige Hühne von Wirt zwei Klösch hinstellt (welch feinmotorische Leistung!) bevor man sich seinen Platz am Tresen fertig ausgesucht, geschweige denn bestellt hat, und dann für stetigen Nachschub sorgt, war ich versöhnt und fand Kölsch sogar lecker. Was allerdings am schwedischen Folköl liegen mag.
Es liegt mir fern, das Preissystem der Deutschen Bahn zu loben. Auch sei gesagt, dass man in der Regel zu vernünftigen Preisen in Schweden Zug fahren kann. Die ehemals staatliche SJ hat sich jedoch ein besonders schlaues System einfallen lassen, die Ticketpreise festzusetzen: Je beliebter ein Zug ist, desto teurer die Fahrkarte. Der Preis steigt also mit der Zeit, je mehr Leute schon den gleichen Zug gebucht haben. Das hat den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass flexible Reisende überlastete Züge automatisch meiden und dass andere besser ausgelastet werden. Neben der offensichtlichen, dass sich früh buchen und Zeiten vergleichen lohnt, ergeben sich noch zwei interessante Folgen:
In Stockholm wird eifrig an Straßen und Schienen gebaut, und zwar vor allem unterirdisch. Eine kleine Übersicht.
Erst gestern habe ich meinen Profilen bei den Gäste-Netzwerken Couchsurfing, HospitalityClub und BeWelcome, über die wir seit ein paar Jahren regelmäßig Gäste haben, meine neue Adresse in Stockholm verpasst. Und schon kommen sie, die Anfragen. Vier Stück seit gestern! Und das um diese Jahreszeit. Es wird wohl eine schwierige Auswahl im Sommer werden und vielleicht kann ich dann den netten Menschen in Prag verstehen, der mich einmal bei sich übernachten ließ. Er erzählte von über zehn Anfragen pro Tag zur Reisezeit.
Mitte Januar öffnet das “Jumbo Hostel” seine Pforten. Die ausrangierte Boeing 747 am stockholmer Flughafen Arlanda wurde in den letzten Monaten zu einem Vandrarhem (Jugendherberge) umgebaut und soll sowohl Attraktion als auch eine billigere Übernachtungsalternative für Durchreisende sein. Tausend Kronen (93 Euro) soll ein (wahrscheinlich winziges) Dreibettzimmer kosten.
Nur gut vier Stunden wird der Zug von Stockholm nach Lund im Süden Schwedens brauchen, den ich gerade bestiegen habe. Ich werde dort heute und morgen die Wikipedia Academy besuchen und hoffentlich Gelegenheit finden, mit den richtigen Leuten über den Schreibwettbewerb zum Thema Astronomie zu reden, den ich im Rahmen des Jahres der Astronomie 2009 plane.
Es gab bisher keinen Schreibwettbewerb in der schwedischen Wikipedia und ich habe vor, das erfolgreiche Konzept der deutschen Wettbewerbe zu kopieren. Als ersten Preis bekommt man einen Asteroiden nach sich benannt. Ganz der kleineren Bevölkerung entsprechend ist die schwedische Wikipedia noch lange nicht so weit wie die deutsche und ich hoffe natürlich, dass der Wettbewerb ein paar sehr gute Artikel über Astronomie hervorbringt.
Man sagt, dass Lund genauso Fahrradstadt ist wie Uppsala. Das werde ich rausfinden, denn ich werde mir ein Rad leihen. Schlafen werde ich die eine Nacht im bekannten Vandrarhem Tåget, einem permanent neben dem Bahnhof geparkten und umgebauten Nachtzug. Ähnlich, aber dann in Bewegung, werde ich morgen Nacht verbringen und Freitag früh wieder in Uppsala ankommen.
Dank an die Svenska Astronomiska Sällskapet, die das Projekt unterstützt und unter anderem mein Zugticket bezahlt.