Wer in den letzten Wochen in Schweden unterwegs war, dem dürfte sie
nicht entgangen sein, die Werbung für Gymnasien. Zum Beispiel ist die
U-Bahn in Stockholm voll davon. Werbung für Schulen ist auch in Schweden
noch nicht alt und hat doch schon ihre eigenen zweifelhaften Methoden
hervorgebracht. Das Ködern von Schülern mit Versprechen von Reisen oder
eigenen Laptop-Computern wurde für nicht legitim erklärt und auch die
direkte Werbung per SMS an Schüler erntete harte Kritik.
Wie kam es dazu und warum sind Schüler plötzlich so heiß begehrte
Kunden? Der Hintergrund sind private, von Firmen geführte Schulen,
euphemistisch als “freie Schulen”, schwedisch friskolor, bezeichnet.
Diese gibt es prinzipiell schon eine ganze Weile in Schweden, aber erst
unter der aktuellen bürgerlichen Regierung erfahren sie einen
regelrechten Boom (mehrere hundert Schulen) mit Schwerpunkt Stockholm,
weil die Politik die Gründung von Schulen und die Privatisierung von
kommunalen Schulen ermuntert. Letzteres ist zunächst einmal ärgerlich,
weil Schulen oft unter Wert abgegeben werden und so effektiv ehemalige
Steuergelder in die Privatwirtschaft fließen und vom Bürger bezahlte
gemeinschaftliche Ressourcen verschwendet werden.
Das System mit freien Schulen funktioniert dann folgendermaßen. Jeder
Schüler bestimmt über die Wahl der Schule, wohin das staatliche Geld für
seine Ausbildung fließt. Freie und kommunale Schulen bekommen gleich
viel Geld pro Schüler – es geht also zunächst einmal nicht um Schulen wo
Eltern zusätzlich bezahlen müssen. Das mag gerecht klingen, allerdings
haben die kommerziellen Schulen den nicht zu unterschätzenden Vorteil,
sich ihre Schüler aussuchen zu können. Das führt nicht nur zu einer
Abgrenzung von reich und arm – entsprechend für Deutschland sehr schön
beschrieben in diesem
ZEIT-Artikel – sondern
benachteiligt zusätzlich die kommunalen Schulen, die ihre Ressourcen
verstärkt auf die Unterstützung schwächerer Schüler aufwenden müssen
anstatt sie fürs Anwerben und Verhätscheln der “Elite” zu benutzen. Aus
eben diesem Grund bekamen kommerzielle Schulen bis zum Regierungswechsel
noch weniger Geld pro Schüler.
Nun behaupten Verfechter der freien Schulen, dass diese mehr leisten
fürs gleiche Geld. Schließlich geht es für sie mit der Schüleranzahl ums
Überleben und angeblich setzen sich dann beim Kunden Schüler diejenigen
durch, die Qualität bieten. Statistiken, die das belegen sollen, zeigen,
dass im Durchschnitt die Noten auf freien Schulen besser sind und dass
mehr Abgänger dann auf die Uni gehen. Ersteres lässt sich aber schon
alleine durch die Auswahl der Schüler erklären und dazu kommt noch, dass
Freischulen im Verdacht stehen, gerade wegen des Erfolgsdrucks eine
mildere Benotung anzulegen, um gut dazustehen. Zentralabitur gibt es in
Schweden nicht.
Die allgemeine Schule, inklusive Schulpflicht, ist eine Errungenschaft
der Zivilisation und sicherlich eines der Dinge für die die meisten
gerne bereit sind, Steuern zu zahlen. Was Schweden jetzt also tut, ist,
diese Steuergelder immer mehr an gewinnorientierte Firmen zu vergeben
anstatt eigene Schulen unterhalten zu wollen. In gewisser Weise ist es
also Staatswirtschaft ohne die Vorteile derselben, nämlich der
Kontrolle. Natürlich müssen sich die kommerziellen Schulen auch an die
vom Staat vorgegebenen Lehrpläne halten und es gibt eine Schulaufsicht
(schw. Skolverket). Diese hat jedoch nur
Ressourcen für sporadische, zudem meist angekündigte Kontrollen, die
auch nur selten ernsthafte Konsequenzen haben. Die Politik ist sich des
Problems bewusst und es gibt Pläne für härtere Kontrollen. Das gilt
insbesondere, wenn geschlossene Interessensgruppen Schulen betreiben
wollen. Beim Gedanken, was Schüler auf einer Schule der
Nationaldemokraten
oder einer religiösen Sekte, die die Bibel für wortwörtlich wahr hält,
lernen, graust es nicht wenigen. Als Beispiel ein kurzes Zitat aus dem
Bericht des Skolverket von 2002 über die Schule von Livets
Ord:
Es ist sehr schwer, eher unmöglich, bei einem Betrieb, der so stark
von Autoritätsglauben und subtilen Strafandrohungen bei Zweifeln
geprägt ist, zu behaupten, dass es wirklichen Platz für die schiere
Möglichkeit gäbe, eine von der Glaubensgemeinschaft abweichende
Ansicht zu haben. (Übersetzung von mir)
Und diese Ansicht beinhaltet unter anderem Kreationismus oder dass
Homosexualität eine Sünde ist. Die Schule von Livets Ord unterrichtet
bis heute ungestört; es sind jedoch öfter Schulen von und für Muslime
und die Angst vor deren Radikalisierung, an die man denkt, wenn man
religiöse Weltanschauungen im Unterricht verbieten will.
Es dürfte nicht schwer zu erraten gewesen sein, dass ich “freie” Schulen
für eine schlechte Idee halte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die
Kommerzialisierung des Bildungssystemes langfristig sehr negative
Konsequenzen auf die Gesellschaft haben wird.
Wer weiterlesen möchte, findet im Anschluss eine Liste mit Links zu
Artikeln und Webseiten, die ich im Laufe der Zeit gesammelt habe.