Die schwedische Regierung hat heute ihr Ja zur russischen Gaspipeline durch die Ostsee nach Deutschland gegeben und damit die Umwelt-, Sicherheits- und energiepolitischen Bedenken in den Wind geschlagen.
Die schwedische Regierung hat heute ihr Ja zur russischen Gaspipeline durch die Ostsee nach Deutschland gegeben und damit die Umwelt-, Sicherheits- und energiepolitischen Bedenken in den Wind geschlagen.
Die Wallenbergs sind die wohl bekannteste, einflussreichste und wohlhabendste Familiendynastie Schwedens und noch heute eng mit wichtigen Teilen der Wirtschaft verzahnt. Raoul Wallenberg, geboren 1912, galt in jungen Jahren als schwarzes Schaf der Familie, bekam jedoch 1944 vom schwedischen Staat den Auftrag, etwas gegen die Judenverfolgung in Ungarn zu unternehmen. In dem halben Jahr bis zur russischen Eroberung Budapests schaffte es der geschickte Diplomat mit Hilfe von schwedischen Schutzpässen, zehntausende Juden vor dem Abtransport in Konzentrationslager zu retten. Vereinzelt griff er auch unter persönlichem Risiko bei bevorstehenden Erschießungen ein.
Er geriet dann in russische Gefangenschaft und starb wahrscheinlich 1947. Die Umstände sind bis heute nicht völlig aufgeklärt und noch Jahrzehnte später gab es Hinweise darauf, dass Raoul Wallenberg am Leben sei, was die schwedische Öffentlichkeit lange beschäftigte. Es wurde vor allem Kritik an der schwedischen Regierung laut, die nach Kriegsende aus Angst, es sich mit Stalin zu verscherzen, nicht auf einen Austausch Wallenbergs hinarbeitete, sondern signalisierte, dass man ihn als tot erachtete.
Nachträgliche Ehrungen des “ungarischen Schindler” gab es viele, sowohl von amerikanischer, israelischer und natürlich ungarischer Seite. 1995 erhielt er postum den Europäischen Menschenrechtspreis des Europarates und in Berlin ist immerhin eine Straße nach ihm benannt. Ansonsten ist mein Eindruck, dass Raoul Wallenberg in Deuschland eher weniger bekannt ist, weswegen ich die Lektüre des oben verlinken Wikipedia-Artikels empfehlen möchte. Wer Schwedisch kann, sei auch auf die Radiodokumentation über ihn hingewiesen, die ich heute morgen im Zug zu Ende gehört habe und die man als MP3 herunterladen kann.
Sie ist nicht völlig vergessen in den schwedischen Medien, aber viel hat man in letzter Zeit nicht von der Ostseepipeline gehört. Nord Stream, das russische Konsortium mit Ex-Kanzler Schröder im Vorstand, hatte bei der schwedischen Regierung beantragt, die Gas-Pipeline am Grund der Ostsee durch die schwedische Wirtschaftszone und nah an Gotland vorbei bauen zu dürfen.
Anfang des Jahres wurde der erste Antrag als mangelhaft abgelehnt und letzten Monat reichte Nord Stream einen neuen ein, der dann ganz nach schwedischer Art an die betroffenen Ministerien und Behörden zu Begutnachtung weitergereicht wurde. Laut einer kurzen Notiz in DN stellen sich drei Viertel dieser “Remissinstanzen” wiederum kritisch gegen den Antrag. Die darin enthaltenen Informationen seinen immer noch unvollständig, vor allem was die Konsequenzen für die schon stark belastete Natur in der Ostsee angeht.
Unterdessen hat man auf Gotland mit dem Bauen angefangen. Nord Stream bezahlt nämlich den Ausbau des Hafens von Slite im Nordosten der Insel mit 100 Millionen Kronen. Ganz uneigennützig, versteht sich.
Wie wahrscheinlich ein endgültiges schwedisches Nein zur Pipeline ist, kann man als Laie kaum beurteilen – zu viele europa-, welt- und machtpolitische Interessen spielen dabei eine Rolle. Außerdem ist zu vermuten, dass das Projekt mittlerweile ein ganz anderes Problem hat: Der Niedergang der Finanzwirtschaft hat Russland stark getroffen und die niedrigen Rohstoffpreise wirken sich wohl nicht sonderlich gut auf die zu erwartende Rentabilität der Pipeline aus.
Das neulich verabschiedete Gesetz, das dem militärischen Geheimdienst FRA die Überwachung jeglicher kabelgebundener Kommunikation erlaubt (ältere Artikel dazu), ist weiterhin fast täglich in den Zeitungen und ist eines der Top-Themen der gerade stattfindenden Almedalsveckan. Der Protest aus der schwedischen Bevölkerung scheint nicht abzuebben – in den letzten Wochen wurden mehrere Millionen Protest-Emails geschrieben.
Gestern berichtete SvD aus “informierten Kreisen”, dass der eigentliche Zweck des Gesetzes darin besteht, die Kommunikation Russlands, die zu 80% durch Schweden geht, abzuhören und die gewonnenen Informationen als Tauschware für befreundete Dienste zu haben. Unabhängig davon, ob das stimmt und was die Russen dazu sagen, könnte das auch ein weiterer Rechtfertigungsversuch der FRA-Befürworter sein. Schweden sind nämlich im Allgemeinen skeptischer gegenüber Russland als beispielsweise Deutsche.
Mona Sahlin, Parteichefin der Sozialdemokraten, hat unterdessen angekündigt, das umstrittene Gesetz im Falle eines (nicht unwahrscheinlichen) Wahlsiegs in zwei Jahren wieder abzuschaffen. Das ist zwar etwas seltsam, weil der ursprüngliche Vorschlag von eben diesen Sozialdemokraten stammt, aber Sahlin war damals weder involviert noch Parteichefin. Der Umschwung ist also nicht ganz unglaubwürdig.
Der schwedische Umweltminister hat den Antrag von Nord Stream, das die Pipeline von Russland durch die Ostsee, inklusive der schwedischen Wirtschaftszone, nach Deutschland bauen will, zurückgewiesen. Dieser sei unvollständig und ungenau und deshalb unmöglich nach schwedischem Recht und internationalen Konventionen zu prüfen.
Es bedürfe einer Beschreibung der Umweltfolgen entlang der gesamten Strecke und einer Studie über Munitionsreste und geologische Beschaffenheiten am Ostseeboden. Auch die Bedenken anderer Ostseeanrainer sollen bedacht werden und warum Nord Stream sie nicht berücksichtigt hat. Außerdem soll die Alternative auf dem Landweg dargelegt und verglichen werden, eine Forderung, gegen die sich Nord Stream sträubt und die Polen erfreuen dürfte.
Der Bau der Pipeline am Russischen Ende hat bereits begonnen und man erhoffte sich die Zustimmung Schwedens Anfang nächsten Jahres. Daraus dürfte nichts werden, denn erst wenn Nord Stream den neuen, stark ergänzten Antrag einreicht, kann die schwedische Regierung die zuständigen Behörden diesen prüfen lassen. Und ab dann wären weitere anderthalb Jahre eine realistische Untergrenze für diesen Prozess.
Nachtrag: Was Nord Stream dazu sagt, liest man hier.
Erinnert man sich noch daran, dass Ex-Kanzler Schröder jetzt die Interessen des russischen Energieriesen vertritt? Ich wurde gerade daran erinnert als ich auf Radio Schweden las:
Der Geschäftsführer des Nord Stream-Konsortiums, Gerhard Schröder, hat den schwedischen Widerstand gegen die geplante Ostsee-Erdgasleitung kritisiert. [...] Mit der Änderung der ursprünglichen Trassenplanung habe Nord Stream die schwedischen Bedenken bereits berücksichtigt. Weiter sagte Schröder, im übrigen sei es wenig wahrscheinlich, dass Schweden andere EU-Länder wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland und auch Dänemark daran hindern werde, mit Hilfe der Gasleitung ihre Energieversorgung zu sichern.
Provoziert man mit der Aussage “Ihr könnt da eh’ nichts dagegen tun” nicht erst recht eine ablehnende Haltung? Außerdem sind die Schweden aus geschichtlichen Gründen etwas skeptischer gegenüber Russland als es die heutige deutsche Politik zu sein scheint.
Wie bringt man die Stimmung auf einer Insel, an der man eine Pipeline vorbeilegen will und deren Bewohner sich sträuben, zum Umschwung? Ganz einfach: Man kauft sie und verspricht Geld für ansonsten unfinanzierbare Projekte.
Gerade habe ich in der Zeitung gelesen^1^, dass Norwegen mit seinen zur Zeit fusionierenden Ölfirmen stark in arktische Gasvorkommen investiert. Innerhalb weniger Jahre will man die Produktion um 50% steigern und dann genauso viel Gas exportieren wie Russland. Schwer vorstellbar, dass Norwegen die eigenen Energievorkommen zu politischen Zwecken einsetzen wird wie der Nachbar im Osten, weshalb das Ganze aus politischer Sicht wohl sehr zu begrüßen ist.
^1^ Der Artikel scheint leider nicht online zu sein.
Radio Schweden befasst sich mit der diplomatischen Posse, die da gerade zwischen Estland, Russland und Schweden abläuft. Kriegt euch ein, Kinners.