Warten auf
Schweden. Die
Sprache ist der wichtigste Weg in die schwedische Gesellschaft, darüber
sind sich fast alle einig. Trotzdem sind viele Sprachkurse für
Einwanderer völlig unzureichend, zumindest für die Schüler. Andere haben
entdeckt, dass es da gutes Geld zu verdienen gibt. Die Integration mag
missglückt sein, aber die Integrationsindustrie läuft hervorragend.
“Spricht er Schwedisch?” fragt der Arbeitgeber.
“Hassan ist in Schweden geboren.”
“Ja, das steht hier. Aber spricht er Schwedisch?”
Rassismus? Oder vielleicht zur Hälfte Vorurteil, zur Hälfte Erfahrung
mit Gymnasiasten aus Rosengård und ähnlichen Gebieten? “Das Gymnasium
ist heutzutage keine Garantie mehr, dass ein Schüler Schwedisch
spricht”, sagt Sven Hagströmer, Öresund AG, auf einer Konferenz in
Rosengård. Er wünscht sich einen landesweiten Sprachtest auf höherem
Niveau als das heutige SFI (Schwedisch für Einwanderer). Würden
Arbeitgeber so ein Zeugnis zu sehen bekommen, würden keine komischen
Fragen mehr gestellt und viele Unannehmlichkeiten würden vermieden.
Hagströmer, der eine Arbeitsvermittlung in Tensta betreibt, steht kaum
im Verdacht, Leuten wie Hassan übel mitspielen zu wollen. Aber was meint
er mit “Spricht er Schwedisch?” Ohne zu fragen weiß ich, dass er mehr
meint als der Brite, der fragt “Does he speak English?”.
In Stockholm ist es unendliche Male schwerer als in London, eine Arbeit
zu finden oder überhaupt ernst genommen zu werden, wenn man die Sprache
misshandelt. Sagst du “Varfår anvenda sevora outlendska årt ner dät finz
inhemskt adekfat våkaboulär dispånibäl?”^1^ werden Leute
anfangen, langsam mit dir zu reden, sie werden schwere Worte vermeiden
und dich ansonsten wie einen geistig Zurückgebliebenen behandeln. Und
sie werden dich nicht an ihrem Arbeitsplatz haben wollen. Laut unseren
Antirassisten liegt das daran, dass Schweden rassistischer sind als
andere. Das ist so nicht sicher. Aber sie sind bestimmt musikalischer
als andere.
“Miss deinen Schnurr”, schreibt die Lehrerkandidatin an die Tafel. Die
Schüler kramen nach ihren Linealen, die anderen Lehrer starren ins
Nichts. Bis es jemand begreift. “Sie meint ‘miss deine
Schnur’”.^2^
Ihr lacht, nehme ich an. Lacht nur. Ihr habt keine Ahnung, in was für
eine Bredouille es einen erwachsenen Araber oder Polen bringt, den
Unterschied zwischen langen und kurzen Vokalen hören zu müssen. Oder
sich einzuprägen, dass es “die” Schnur heißt. Gibt es da eine Regel?
Wer mit Schwedisch aufgewachsen ist, versteht nicht, welch seltsame
Sprache er spricht. Versuch einmal, einen Chinesen oder Franzosen
“luspudeln tjuter vid husknuten”^3^ sagen zu lassen. In
Unterschied zu den meisten Sprachen ist das Schwedische ein sprudelnder
Bach in dem die Vokale über Steine gestreckt werden und wo die Worte
scheinbar ohne Grund aufsteigen und absinken aber mit einer solchen
Präzision dass man einen Satz über eine ganze Buchseite ohne Komma
schreiben kann weil der Leser selbst die Pausen da einfügt wo sie
hingehören und wenn ein Schwede für sich selbst liest hört er in seinem
Kopf die Atempausen zwischen den Worten.
“Prosodie” nennt man das und es ist fast unmöglich nachzuahmen, wenn man
nicht in dieser Tonart in den Schlaf gewiegt wurde. Deshalb klingt in
euren Ohren Schwedisch mit russischer Melodie klagend, mit arabischer
starrsinnig und mit polnischer ungehalten und eintönig wie der Dialekt
aus Uppsala. Und – lasst es uns zugeben – quälend wie falscher Gesang.
Ich weiß. Nach einer Viertelstunde mit krächzendem Ungarisch-Schwedisch
wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass es aufhört.
Zu allem Überfluss ist die unberechenbare Betonung wichtig für die
Bedeutung, also glaube nicht du wüsstest was du sagst, bloß weil die
Worte an der richtigen Stelle gelandet sind. Und dann das Schwerste
überhaupt, die Inversion, eine seltene Eigenheit^4^, die
letzte Verteididungslinie der Schweden, ohne jahrelanges Training
unmöglich zu erzwingen: “Schau Boris, das Subjekt kommt immer nach dem
Verb, wenn der Satz mit etwas anderem als dem Subjekt eingeleitet wird.”
Verstanden? Macht nichts. Aber Boris sagt: “Letzte Woche ich verstand
es, ich glaubte.”
Nein, das war noch nicht alles. Versuch einmal, mit Hilfe eines
Wörterbuchs eine Zeitung zu lesen, oder auch Straßenschilder. Steht da
Fahrradhelmpflicht? Flüchtlingsauffanglager? Sperrmüllraum? Oder
wenigstens Weihnachtsessen? (Ich dachte lange Zeit,
“Reimfleisch”^5^ sei ein Leiden, das sich stillsitzende
Dichter einfangen.) Wie soll ein Vietnamese, dessen Sprache aus
einsilbigen Worten besteht (in Hanio schreibt man Za-rem-ba), wissen,
wie er “Zugriffsgeschwindigkeitsmessung” auseinanderklamüsern soll? Zug
scheint ein Verkehrsmittel zu sein… Zugriff – ein Berg im Wasser mit
Schienenverbindung?
Und dann der schwedische Tonfall: Hier ruft der Gast “Bist du noch ganz
dicht?”, wenn der Kellner die Reste des Aquavits abräumen will. Jeder
Schwede versteht, dass diese Äußerung auf den Durst des Gastes anspielt
und nicht auf den Verstand des Kellners. Aber heutzutage gibt es
Kellner, die das nicht verstehen. Die nehmen es persönlich. Doch doch,
sie können die Sprache, aber nicht ihren Nerv.
Inger Lindberg, Professorin in Schwedisch als Fremdsprache, unterlag
diesem Missverständnis und meint, dass der Ausländer die Geschichte der
schwedischen Trinkkultur hätte studieren müssen, mitsamt Durst und
Schuldgefühlen, Abstinenzbewegung und Stempelbuch^6^, um
diesen Tonfall zu verstehen. Wessen Fehler war es? Der des Kellners, der
zu wenig über die nordische Spirituosenneurose wusste, oder der der
Professorin, die zu wenig über den Kellner wusste? Vielleicht hatten
beide zu wenig “multikulturelle Kompetenz”? Siehe da, ein guter
Ausgangspunkt für die Debatte darüber, wer sich wem anpassen soll.
Worauf will ich mit dieser Tirade hinaus? Darauf dass, weil es weder
wahrscheinlich noch wünschenswert ist, dass Schweden weniger musikalisch
werden, und weil die Sprache in diesem Land wohl auch in Zukunft der
vorrangige Schlüssel zur Gemeinschaft bleiben wird (wichtiger als die
Hautfarbe, will ich meinen), Schwedisch für Einwanderer ein
Prestigeprojekt sein sollte, mit gut bezahlten Lehrern und ausgefeilter
Pädagogik. Ein musikalisches Abenteuer sollte es sein. (Das haben sie an
der Sprachschule Paragona in Warschau verstanden, wo Vokalexperten
eingeflogen werden, damit kein Doktor “Sollen wir nackt baden?” sagt,
wenn er “den Nacken badden”^7^ meint.)
Tatsächlich war es während eines kurzen Zeitraums in den Sechzigern mit
etwas Glück möglich, nach drei Monaten sogar die Inversion zu
beherrschen. Damals schafften es ein paar links angehauchte
Sprachlehrer, die Regierung davon zu überzeugen, dass es unwürdig ist,
das Schwedisch des Griechen bei “Geh nicht unter hängender Last”
aufhören zu lassen. Das führte zu einer großzügigen Anzahl an Stunden,
enthusiastischen Lehrern und motivierten Studenten.
Alles weitere ist eine Geschichte des Verfalls. Keine andere Schulform
wurde über die Jahre so misshandelt wie SFI. Schimpft also nicht gleich
auf den Einwanderer, wenn er sich nicht verständlich machen kann. Und
schimpft auch nicht auf die Lehrer. Die haben nämlich so gut wie nichts
zu sagen.
Versuch gern selbst, in einer Klasse mit dreißig Schülern (fünfzig, wenn
du Pech hast) zu unterrichten, zu der jede Woche Anfänger hinzukommen,
in der einige Hochschullehrer sind und andere nicht schreiben können, in
der einige alles geben wollen während andere nichts geben können, weil
sie nach der Vergewaltigung in Kenia auf Valium sind. Wieder andere
sitzen da ihr drittes Jahr, weil jemand meinte, sie bräuchten “feste
Routine und etwas zu tun”. Und du selbst, lieber Lehrer, hast vielleicht
noch nie Erwachsene unterrichtet, wenn du überhaupt Sprachlehrer bist.
Du bist vielleicht Tanzpädagoge und fragst deine Kollegen nach dem
Unterschied zwischen Objekt und Subjekt (ja, das kam bei der staatlichen
Lernia in Stockholm wirklich vor). Aber solltest du zufällig
qualifizierter SFI-Lehrer sein und damit länger studiert haben als deine
Kollegen, die Schweden unterrichten, dann bekommst du niedrigeren Lohn
bei längeren Arbeitstagen.
Ich werde euch, liebe Leser, nicht mit all den Malen, wo zum Beispiel
funktionierende Schulen eine nach der anderen stillgelegt wurden,
langweilen; ich will nur ein paar symbolische Punkte zur Orientierung
reichen. Es brauchte beispielsweise vierzig Jahre Einwanderung bis die
Regierung einsah, warum man getrennte Kurse für Akademiker und
Analphabeten braucht. Die SFI-Lehrer wussten das von Anfang an. Aber
erst 2003 wurden sie erhört.
An der Sprachschule Paragona in Warschau, wo man in sieben Monaten
Ärzteschwedisch unterrichtet, hat man eigene Unterrichtsmaterialien
zusammengeschustert. Die meisten SFI-Bücher sind nicht anwendbar,
bekomme ich zu hören, “weil sie Unbehagen bei den Studenten
hervorrufen”.
Ich versuche es mit ”+46”, dem wohl meistverbreiteten Lehrbuch über
Schwedisch als Fremdsprache. Das erste schwedische Ding, das man trifft,
ist die Uhr. Ist es viertel vor oder viertel nach? Pünktlichkeit zählt.
Einer der ersten Sätze, die man zu sagen lernt, ist, dass man krank ist.
Wir heißen Abdul oder Keziban. Wir sind um acht Uhr in der Schule (das
mit der Pünktlichkeit ist erst gemeint), gehen zur Apotheke,
buchstabieren unseren verdammten Namen, bitten um Verzeihung, sind
wieder krank und schon auf Seite 63 erfahren wir, wie die Zukunft
aussieht: Fatemeh und Mohsen haben einen Laden, arbeiten 80 Stunden die
Woche und sind froh darüber. Dann werden wir bestohlen und betrogen, wir
achten auf Sonderangebote, heben den Kassenzettel auf, kaufen gebraucht,
werden zum dritten mal krank, danach deprimiert, werden überwiesen,
überfahren, treffen die einsame Gudrun mit dem kaputten Kreuz, dann
Peter mit den Magenbeschwerden, wir werden allergisch, aber haben genug
Kraft, Vokale zu üben: “Die Knie tun weh und die Nase ist verstopft” und
Betonung: “Sie hat Fieber”, das Tempus nicht vergessen: “Ich hatte diese
Woche keine Zeit”. Wir sehen schlecht, hören schlecht und es juckt, aber
wir lernen die Körperteile “Ihr tut der … weh”.
Auf Seite 119 keimt Hoffnung auf mehr Heiterkeit. Alma aus dem 19.
Jahrhundert erzählt. Leider falsch gelegen: Sie wird von Läusen
angesteckt und stirbt, erst 49 Jahre alt, weil es damals kein Penicillin
gab. Aber heute gibt es das! Neue Hoffnung, aber auf der nächsten Seite
bricht sich Alice das Bein. Wir haben Probleme mit den Nachbarn, melden
Verstopfung im Müllschacht, üben das Hörverstehen: “Nein, jetzt hat mir
wieder jemand die Zeit gestohlen.” Wir machen ein Praktikum in der
Großküche und lernen, Worte zusammenzusetzen: Praktikums-Platz.
Wenn wir auf Seite 190 ankommen, haben wir immer noch nicht gelernt,
dass es “Sonne” und “Mond” heißt, aber wir haben sieben Mal unsere
Personennummer aufgesagt.
Reicht es? Vielleicht noch eine Grammatikübung? Mach einen Satz aus
zweien: “Er ist zu Hause. Er ist krank.”
Man könnte meinen es sei unmöglich, ein Schwedisch-Anfängerbuch ohne
Meer, Schärengarten und Berge zu schreiben, ohne Schnaps, Psalmen und
Eishockey, ohne Evert Taube und Bellman, ohne die Asa-Mythen (warum
heißt es Thorstraße?), ohne auch nur einen Hauch schwedischer Kultur und
wo niemand je flirtet, ins Theater geht, scherzt, wo ihm etwas gelingt
oder er sich zumindest mit den unfehlbaren Produkten der Nobel AG um die
Ecke bringt.
Es ist also doch möglich. Roy Anderssons Film “Lieder aus dem zweiten
Stock” ist ein Lustspiel im Vergleich zur geruchlosen Hölle, die
Almqvists & Wiksells Verlag da präsentiert. Nein, das ist kein einzelner
Unglücksfall. Im “Handbuch Schwedisch als Fremdsprache” ist der Adressat
ein Typ, der andauernd “genau” sagt und der sich allem Anschein nach vom
Tropf ernährt und durch Zellteilung fortpflanzt, denn weder isst noch
flirtet er, so beschäftigt ist er damit, Formulare auszufüllen.
Natürlich erzählen diese Bücher nicht von Schweden. Es ist der
Einwanderer, der porträtiert wird. Unterbewusst natürlich. Aber woher
kommt das Bild dieses armen Würstchens, das zum Sozialfall geboren ist,
das an die Hand genommen und wie ein Kind angeredet werden muss? Niemand
hat den Autoren entsprechende Anweisungen gegeben, also muss es aus der
Luft kommen, die sie atmen. Kann dies ein weiterer Schlüssel zur Havarie
der Integration sein? Während wir darauf waren, dass die Wissenschaft
diese Frage beantwortet, lasst uns einen Blick darauf werfen, was dieses
Bild für Konsequenzen hat.
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Fußnoten:
^1^ Das ist leider unübersetzbar, denn der Inhalt des Satzes ist
unwichtig und zielt mit der falschen Schreibweise darauf ab, die
typischen Fehler von Einwanderern in der Betonung der Vokale und der
Satzmelodie in Schrift zu fassen.
^2^ Man stelle sich vor, “Schnurr” bedeute so viel wie “Schniedel”, um
neben den Sprachschwierigkeiten auch die lustige Seite dieses Beispiels
zu sehen.
^3^ Wiederum ist der Bedeutung dieses Satzes (“Der Lauspudel schreit an
der Hausecke”) nebensächlich. Es geht hier um die Betonung auf mehreren
Silben der Worte und um die langen Vokale.
^4^ Für Deutsche zum Glück gar nicht so schwer. Was seltsame
Satzstellung angeht, machen wir den Schweden leicht was vor. Gleiches
gilt natürlich für die zusammengesetzten Worte im nächsten Abschnitt.
^5^ Rim ist im Schwedischen der “Reim”, rimma bedeutet neben
“reimen” aber auch “salzen”. Rimfläsk ist also “Pökelfleisch”. (Als
mir nach 20 Minuten Grübeln kein ähnlich gutes deutsches Wortspiel
einfiel, gab ich auf und erkläre es lieber.)
^6^ Früher mussten Schweden ein Buch zum Alkoholkauf beim
Systembolaget mitbringen, in dem die Rationen abgestempelt wurden.
Motbok nannte sich dieses.
^7^ Mit “badden” ist “baden, einwickeln” gemeint. Im Schwedischen liegt
der hörbare Unterschied zwischen den beiden Sätzen nur in der länge der
Vokale.
“Ich glaube nicht, dass die vom Sozialamt Sadisten sind”, sagt eine
SFI-Lehrerin in Vårberg, “sie folgen wohl bloß ihren Regeln.” Ihr bester
Schüler, eine armenische Lehrerin, soll gezwungen werden, den
Schwedischkurs einen Monat vor dem Examen abzubrechen. Weil sie
weiterstudieren will, ist dieses lebenswichtig für sie. Aber das
Sozialamt meint, ihr Schwedisch sei gut genug, jetzt soll sie
irgendeinen Job suchen, Arbeit geht vor. Nein, eine Stelle haben sie
keine für sie. Aber will sie die Zuwendungen behalten, soll sie ihre
Zeit auf dem “Jobmarkt” in Vårberg verbringen. (Unsere Armenierin ist
nicht dumm. Sie meldet sich beim Jobmarkt, um dann in die Schule zu
entwischen.)
Auf dem Jobmarkt sitzt dagegen Juhan Khaled, Möbelschreiner aus Kirkuk
im Norden Iraks, dem das gleiche Sozialamt vorschreibt, jeden Tag
mindestens zwei Stunden am Bildschirm nach Arbeit zu suchen. Tut er das
nicht, wird die Sozialhilfe gestrichen. Juhan würde lieber schreinern,
wenn er Werkzeug hätte. Aber jetzt sitzt er hier seit anderthalb Jahren.
Nein, er schaut nie auf den Bildschirm, denn er kann nicht lesen. Ja,
auf dem Sozialamt weiß man das.
Der Automechaniker Marion Hanna fährt jeden Tag von Södertälje nach
Liljeholmen, um in einem Schnellkurs Schwedisch zu lernen. Er sagt, er
habe nicht darum gebeten und verstehe so gut wie nichts, genauso wie die
anderen 18 in seiner Gruppe. “Der halbe Tag geht so für mich drauf. Ich
lerne mehr, wenn ich meiner Tochter Märchen vorlese”, sagt Marion. Wie
ist er denn dort gelandet? Er glaubt, dass die Gemeinde den Kurs schon
eingekauft hatte und dann mit Leuten füllen musste. “Das ist Wahnsinn.
Ein Mensch mit geringer Ausbildung kann keine acht Stunden täglich
dasitzen und Grammatik erklärt bekommen – auf Schwedisch”, sagt ein
SFI-Lehrer.
Und dann haben wir Abdulrahman Ali, der eigentlich Glück hat. Er fuhr
LKW im Irak und kam jetzt in den Schwedischkurs für LKW-Fahrer, eine
schlaue Erfindung der SFI-Lehrer in Vårberg (in Schweden werden 7000
LKW-Fahrer gesucht). Aber das Sozialamt will seine Unterstützung
streichen. Er soll stattdessen auf dem Jobmarkt sitzen, denn Studien
gelten nicht als Beschäftigung.
Oder der Schweißer Ali Firas. Die werden von der Industrie händeringend
gesucht und Firas hat es sogar geschafft, in eine Weiterbildung für die
schwedische Lizenz zu kommen, und bräuchte nur ein wenig Geld zum Leben
während des Kurses. Aber das Sozialamt sagt nein. Sie haben
herausgefunden, dass Firas nachts auf den Booten nach Finnland putzt und
finden, dass er das auch weiterhin tun sollte.
Ich muss auch von Safia Nasser erzählen, die in Bagdad Mathe und
Arabisch unterrichtete. Ihr Mann hatte eine Schmuckgeschäft. “Alles
weg.” Jetzt hat sie fast als Vorschullehrerin (Mangelberuf) Fuß gefasst,
“aber sie sagen ich muss besser Schwedisch”. Das würde sie nur zu gerne.
Aber das Sozialamt findet, sie könne genug. Sie verliert ihre Beihilfe,
wenn sie weiter Schwedisch lernt. Schweden kann es sich nicht leisten,
sie noch zwei Monate im SFI zu behalten. Ein seltsames Land, findet
Magister Nasser, denn es war genug Geld da, sie zu einem Kurs zu
schicken, um den sie nicht gebeten hatte. Der dauerte sechs Monate bei
Lernia in Liljeholmen. Das war etwas mit “Marktwirtschaft”, glaubt
Nasser. Sie kann es nicht genau sagen, denn damals verstand sie kein
Schwedisch.
(Für die, die es nicht wissen: Für die “Integration” sind das
Arbeitsamt, das Amt für Erwachsenenausbildung, die Regionsverwaltungen
und das Einwanderungsamt zuständig. Aber auf dem Unterhaltsgeld sitzt
das Sozialamt, das am meisten zu sagen hat. Deshalb die unzähligen
Reibereien zwischen diesen Behörden.)
Auch wenn die Integration missglückt ist, geht es der
Integrationsindustrie bestens. Im ganzen Land spießen Ausbildungsfirmen
aus dem Boden, unbekümmert von der Börse, denn ihr Markt ist politisch,
nicht ökonomisch. Einige Firmen liefern auch Ausbildung. Was andere
abliefern werden wir gleich zu sehen bekommen.
Ich brauchte drei Tage um herauszufinden, welchen Kurs Frau Ambro denn
jetzt drei Monate lang besucht hat. Sie konnte mir weder die Adresse
noch den Namen der Schule nennen. Man nimmt den Bus von Farsta,
vielleicht war es Nummer 1831, erzählt Frau Ambro, nach Telje steigt man
dann aus. Telje in Farsta? Ach, Telia! Das macht sie jeden Nachmittag,
fünf Tage die Woche. Sie ist 59 Jahre alt und sehr müde nach dem
Schwedischunterricht an den Vormittagen, besonders weil zum Essen
zwischen Vårberg und Farsta keine Zeit bleibt. Wovon handelt der Kurs
denn? “Das kann ich nicht sagen”, sagt Frau Ambro, “weil ich nicht
verstehe, was sie sagen. Aber ich glaube es geht ums Wetter.” Sie hatte
ein Geschäft in Mogadischu, spricht zusätzlich Arabisch, aber hat nie
lesen gelernt. (Ihre Muttersprache Somali wurde erst 1972
Schriftsprache.) Sie will nicht nach Farsta fahren, “um drei Stunden
lang auf die Uhr zu schauen”. Aber tut sie es nicht, bekommt sie kein
Geld zum Leben.
Der Kurs heißt Thema Kommunikation. Die Firma, die ihn der Gemeinde
Stockholm verkauft hat, nennt sich Kompetenzausbildung AG. Man sagt, die
Schüler sollen da Alltagsschwedisch üben. Zum Beispiel Briefe schreiben.
Der Medizinstudent aus Taschkent scheint das gut hinzubekommen. Aber ist
das Unterricht, was ich da sehe? Die Lehrerin redet vor allem selbst,
ja, tatsächlich übers Wetter. “Jetzt ist Herbst, die Blätter fallen. Wir
stellen die Uhren um.” Manchmal stellt sie eine Frage, aber berichtigt
die Antworten nicht. Was macht Frau Ambro in dieser Klasse? Ich habe es
gestoppt: In den drei Stunden Unterricht durfte sie eine Minute und
zwanzig Sekunden lang ihr Schwedisch üben. Das war das eine Mal als sie
die Frage verstand. Für diese Sekunden haben wir der Kompetenzausbildung
AG 240 Kronen gezahlt. Das entspricht ungefähr 15.000 Kronen pro Stunde
für Frau Ambros effektive Sprachausbildung.
Hinterher frage ich den Chef warum man der Gemeinde nicht sofort
mitgeteilt hat, dass Frau Ambro nichts von diesen Stunden hat (von denen
sie jetzt fünfhundert Stück durchgemacht hat). Das hätte jeder normaler
Lehrer getan. Da windet sich der Chef und sagt, dass “die Sprache zu
hören immer etwas bringt”. Das ist wahr. Aber Frau Ambro hat schon ein
Radio.
Aber sag nicht, dass die teure “Einführung” ein schlechtes Geschäft sei.
Die 4.840 Kronen, die Kompetenzausbildung jeden Monat für die
Aufbewahrung von Frau Ambro bekommt, sind mehr als diese zum Leben
bekommt.
“Die dachten nur ans Geld”, sagt ein Lehrer, der Anfang des Jahrzehnts
für die Firma gearbeitet hat. “Man will zwar heute überall Vielfalt,
aber kommt man mit Schwedischlehrern aus, die nicht rechtschreiben
können?” fragt sich ein anderer ehemaliger Angestellter. Zuletzt senkte
die Firma die Gehälter der Lehrer auf das niedrigste Niveau der Branche
und erhöhte das Pensum auf dreißig volle Stunden Unterricht pro Woche,
fast doppelt so viel wie an Gymnasien üblich. Früher nannte man so etwas
“Ausbeutung”. Jeder weiß, dass Unterricht, der diesen Namen verdient,
unter solchen Bedingungen nicht möglich ist.
Jetzt fragt sich der Leser vielleicht, wer diese Kapitalisten sind, die
entdeckt haben, was für ein gutes Geschäft der Flüchtling ist.
Vorsitzender der Kompetenzausbildung AG ist Tomas Eneroth,
Vorstandsmitglied bei SAP, vormals Vorsitzender im Ausbildungsausschuss
des Reichstags und auch bei Lernia. Und der Geschäftsführer heißt Jonas
Thoursie, ein alter Freund von Eneroth aus JuSo-Tagen.
Viele Gemeinen, darunter Stockholm, haben ihre SFI-Ausbildung in Firmen
ausgegliedert. Der Gedanke dahinter war, dass die Konkurrenz die Preise
drückt und die Qualität erhöht. Am liebsten beides zugleich. Sicherlich
kann Konkurrenz auch für Schulen und Pflegeheime unter gewissen
Voraussetzungen gesund sein. Aber ein funktionierender Merkt setzt gut
informierte und mündige “Kunden” voraus. Und dass man wirklich eine Wahl
hat.
Wie glaubt ihr würden Autowerkstätten aussehen, wenn man die neuen
Bremsen mit Kupons vom Sozialamt bezahlen müsste, wenn man sich die
Werkstatt nur von einer Liste auf Französisch aussuchen und bei
Unzufriedenheit nicht wechseln dürfte? Bestenfalls würden ein paar
Automechaniker aus reiner Berufsehre versuchen, sauber zu bleiben. Aber
wohl nicht sehr viele.
Genau das ist dagegen der Zustand bei SFI. Als “Kunde” sind Flüchtlinge
in unserem System so gut wie machtlos. Die Alten im Heim haben
vielleicht noch einen Angehörigen, der Alarm schlagen kann bei
Pflegemissständen. Die Flüchtlinge haben niemanden. Viele können nicht
einmal beurteilen, ob ihr Unterricht gut oder schlecht ist, denn womit
soll ihn der irakische Unteroffizier vergleichen? Man hätte sich also
mit dem Hintern ausrechnen können, dass es nur eine Frage der Zeit ist
bis die Schnäppchenjäger angerannt kommen, wenn man SFI dem Markt
aussetzt.
Habt deshalb Mitgefühl mit den armen SFI-Lehrern, die ständig zu hören
bekommen, sie würden die Integration eigenhändig zugrunde richten. Sie
bekommen nur selten die Chance, ihre Arbeit gut zu machen. Beschuldigt
also nicht die Lehrer, sondern ihre Arbeitgeber und lasst die Revisoren
einmal ein Auge auf die zuweilen engen Freundschaften zwischen
unseriösen SFI-Unternehmern und deren Auftraggeber in den Gemeinden
werfen.
Unter diesen Vorraussetzung wäre SFI zur Katastrophe geworden, gäbe es
nicht die Idealisten. Wer funktionierendes SFI sehen will, braucht nur
die rote Linie nach Süden zum Erwachsenengymnasium in Vårberg zu nehmen.
Dort kann man sich mit Michael Carnheden über das Getriebe der R-Serie
von Scania unterhalten, oder über den richtigen Gebrauch des
konjugierten Verbs, oder was der r-Laut bei Baudelaire bewirkt. Zur Zeit
bringt er zwanzig Einwanderern LKW-Schwedisch bei. Der Kurs läuft seit
September und spätestens im Mai sollen alle den C-Führerschein haben und
hinterm Steuer sitzen.
Vårbergs SFI-Lehrer haben ihre Kompetenzen überschritten. Sie haben die
Region nach Flüchtlingen mit Mangelberufen durchsucht, haben ihnen
angepasste Kurse zusammengestellt, haben Pakte mit Praxen, Speditionen
und Einzelhandelschefs geschlossen und haben – das Allerschwierigste –
eine ganze Reihe von Sozialämtern davon überzeugt, Ausnahmen von
diversen Regeln zu machen (wie die, dass Ausbildung nicht als
Beschäftigung gilt). Und sie sorgten dafür, dass die Leute zu Essen und
ein Dach über dem Kopf hatten. Eigentlich Selbstverständliches, könnte
man meinen. Aber weil unser Integrationsapparat so aufgebaut ist wie er
ist, war es eine kleine Heldentat.
“Idealismus”, schrieb ich, aber das war das falsche Wort. “Respekt” ist
eher am Platz. Zuallererst vor sich selbst als Lehrer. Und vor den
Schülern.
Wie bezeugt man einer Frau Respekt, die sich zum Pflegepersonal
ausbildet, aber zum Unterricht in ein graues somalisches Gewand verhüllt
kommt? So vielleicht: “In diesem wunderschönen Kleid wirst du nicht im
Krankenhaus arbeiten können. Wenn du immer so gekleidet sein musst, ist
es wohl besser, dass du abbrichst.” “Und schau an, am nächsten Tag kam
sie mit rosa Kopftuch und normaler Kleidung und wirkte sehr zufrieden
damit, dass sie mich dazu gebracht hat, mich zu beschweren.”, erzählt
die Lehrerin.
Siehe da, eine elegante Art, das mit der “Kultur” zu handhaben. Von
weniger eleganten handelt der nächste Artikel.
Juhan Khaled, Marion Hanna, Abdulrahman Ali, Ali Firas, Safia Nasser
und Frau Ambro heißen in Wirklichkeit anders.
Maciej Zaremba
—
Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur
Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier
entlang.
Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-03. Jag tackar Maciej
Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.