Gestern war ich beim Lidingöloppet dabei. Lidingö ist, wie unschwer am letzten Buchstaben zu erkennen, eine Insel und zwar mit 32.000 Einwohnern eine ziemlich große, mit Brücke angebundene, die direkt vor der Stockholmer Innenstadt auf der anderen Seite des Freihafens liegt. Ein Lopp ist ein Lauf (löpa = laufen) und der auf Lidingö ist einer der bekanntesten Schwedens. Nach eigener Aussage ist es sogar “das weltweit größte Läuferwochenende” und mit rund 40.000 Teilnehmern abgeblich der größte Geländelauf der Welt (Bilder).
Die Strecke (Karte) geht 30km lang über teils schmale Waldwege und ist alles andere als flach. Der höchste Punkt ist zwar nur 50m über dem Meersspiegel, aber es geht ständig rauf und runter, teilweise so steil, dass selbst Elitläufer gehen müssen. Besonders der Anstieg Aborrbacken nach 25km ist legendär.
Zum 47. Mal fand der Lidingöloppet gestern statt und es waren vier ältere Herren dabei, die alle (!) Jahre mitgelaufen sind und zum mehr als vierzigsten Mal einen “Klassiker” machen. En svensk klassiker hat man gemacht, wenn man innerhalb von 12 Monaten nicht nur den Lidingöloppet, sondern auch den Vasaloppet (90km Langlaufski), das Vansbrosimmet (3km schwimmen, stromaufwärts) und die Vätternrundan (300km radfahren um den See Vättern) absolviert.
Für mich war es der zweite Anlauf zum Lidingöloppet. Letztes Jahr musste ich meinen Startplatz verkaufen, weil ich mich ein paar Wochen zuvor am Fuß verletzt hatte. Heuer habe ich jedoch viel laufen können und der eigentliche Grund meiner Anmeldung war, ein Ziel spät in der Saison zu haben, das mich den ganzen Sommer über motivierte. Nach der Anfahrt in mit Läufern vollgepfropfter U-Bahn und Bussen startete ich also am frühen gestrigen Nachmittag in Startgruppe 5 (von 9) und holte mir auf dem ersten Kilometer gleich nasse Füße, weil ich beim anfänglichen Gedränge auf der Wiese neben dem Weg sprang. Egal. Die ersten zehn Kilometer fühlten sich prima an und ich hielt in etwa mein anvisiertes Tempo von 5 Min/km. Fantastisch, wie viele Zuschauer entlang großer Teile der Strecke einen anfeuern. Alle zwanzig Minuten ein paar Sekunden Pause am Getränke- und Essensstand – schließlich muss man mit den Kräften haushalten. Es gab Bananen, saure Gurken, süßes Brot, warme Heidelbeersuppe, Kaffee und natürlich Wasser bzw. Sportgetränk.
Auch die zweite der drei Mil (eine schwedische “Meile” sind 10km) lief bestens, doch es wurde ziemlich eng auf den Pfaden, so dass man es nicht ganz vermeiden konnte, sich an den langsameren aus den früheren Startgruppen abseits des Weges vorbeizudrängen. Es zahlte sich aus, sich am Tag davor und am Morgen mit viel Kohlenhydraten aufgeladen zu haben. Die Energie ließ erst merklich nach, als es noch etwa acht Kilometer bis ins Ziel waren. Etwa da, an einem steilen Stück bergab, stürzte plötzlich ein Mann mittleren Alters direkt vor mir und landete im Gebüsch. Ich hielt an und lief erst weiter als er sich nach dem ersten Schock als ansprechbar erwies und ich sah, dass die Funktionäre schon auf dem Weg waren.
Dass die steilsten Hügel gegen Ende der Strecke kommen würden, wusste ich, aber es war mir relativ egal als es daran ging. Ich hatte bis dahin richtig Spaß gehabt und irgendwie kommt man dann schon noch ins Ziel. So ging ich, wie die meisten anderen auch, die letzten Anstiege hinauf anstatt zu rennen und erfreute mich der immer dichter stehenden enthusiastischen Zuschauer und Musikgruppen am Wegesrand. Die allerletzten Kilometer waren schmerzhaft. Knie, Waden, Hüften – der gesamte Laufapparat erinnerte lautstark daran, dass ich noch nie so lange und weit am Stück gelaufen war. Dass ich jetzt wieder mehr überholt wurde, machte nichts. Ich wusste, dass ich mein Ziel von unter drei Stunden locker erreichen würde, und trottete ohne nennenswerten Spurt, aber lächelnd und hochzufrieden ins Ziel: mit 2 Stunden und 52 Minuten als Resultat (offizielle und eigene Messung). Das ist immerhin weniger als das Doppelte der Gewinnerzeit von unglaublichen 01:34:54 und besser als 58% der gestarteten Herren.
Jetzt, gut einen Tag später, kann ich auch schon fast wieder normal gehen.
Remsa bedeutet “Streifen”, also wenn etwas materiell in Streifen ist, Streifen in Mustern heißen ränder. Remsa wird auch die “Streifenkarte” für öffentliche Verkehrsmittel genannt und um die soll es hier gehen, genauer gesagt in Stockholm.
Ich kann mir denken, dass er altmodisch erscheint, dieser längliche
Papierstreifen mit 16 Feldern, von denen per Stempel zwei bis vier Stück
pro Fahrt entwertet werden, je nach dem ob man in einer, zwei oder drei
Zonen des Stockholms Lokaltrafik (SL) unterwegs ist. Schließlich ist
doch alles andere so hochtechnisiert in Schweden. Seit ein paar Jahren
werden die anderen Tickets wie Tages-, Wochen- und Monatskarten auf
berührungslose Plastikkarten geladen, die man man an der Sperre im
Vorbeigehen an die Lesefläche hält. Es ist geplant, dass diese Karten
bald auch die Remsa ersetzen, dies
verspätet
sich jedoch bis mindestens nächstes Jahr.
Das ist auch kein Wunder, denn die gute alte Streifenkarte hat einige Vorteile, die sich nur schwer auf die elektronische Karte, die man dann mit einem beliebigen Betrag auflädt, übertragen lassen:
Punkt 2 und 3 sind bei Bussen weniger ein Problem, denn die Lesegeräte dort haben eine Anzeige und man könnte per Knopfdruck oder Kommunikation mit dem Fahrer das Zonenproblem lösen. So ist das zum Beispiel problemlos in Uppsala mit einer ähnlichen Karte für die Busse gelöst, inklusive der Punkte 4 und 5a. Doch die Stockholmer U- und S-Bahnsperren haben keine Knöpfe oder Anzeigen, sondern sind auf hohen Durchsatz ausgelegt. Ich vermute, dass man mit dem künftigen Streifenkartenersatz auch nicht um den Menschen hinter der Glasscheibe herumkommt, den es hier noch an jeder Station hat. Und dann wäre nicht einmal dem einzig wirklichen Nachteil der Remsa abgeholfen, nämlich dass man am Schalter mit Stempeln mehr Zeit braucht.
Wir werden sehen, ob der Nachfolger der vielgeliebten Remsa brauchbar wird, oder ob man Leute zum ein Drittel teureren SMS-Fahrschein bringen will. Vorerst bleibt Stockholm die Streifenkarte erhalten. Am ersten September hebt SL übrigens die Preise an, auch für die Remsa. Das führt dann immer zu Hamsterkäufen, denn die alten Streifen bleiben bis Jahreswechsel gültig.
Wer hier schon etwas länger mitliest weiss, dass ich ab und zu fremde Gäste beherberge. Gestern Abend kamen zwei Mittvierziger aus Teheran an, mitsamt des einen Frau und Kind.
Es ist immer wieder erfrischend, Leuten beim ersten Eindruck von Schweden zuzusehen. Der Blick auf die Eigenheiten und Unterschiede, der einem selbst mehr und mehr abhanden kommt. Dass man Nieselregen als das perfekte Sommerwetter empfinden kann, wenn man von über vierzig Grad kommt. Dass die Ruhe und Menschenleere das erstaunlichste ist, selbst im (für Schweden) so hektischen Stockholm. Wie seltsam, dass man als Student selbst für Essen und Unterkunft zahlen muss. Dass man trotzdem sein Kind hierhin schicken will, auch wenn es einen fast ruiniert. Dass der hiesige Strandschutz hoch gepriesen wird, weil man am Wasser entlang spazieren kann, weil die Strände nicht verbaut sind. Überhaupt, Wälder in Stadtnähe, grüne Wiesen, Seen und Aleen faszinierend zu finden.
Schön, aus der Selbstverständlichkeit gerissen zu werden, mit der man im Alltag so viel behandelt.
Säpo ist kurz für Säkerhetspolisen, zu deutsch “Sicherheitspolizei”. So nennt sich hierzulande der Inland-Nachrichtendienst. Jogg bedeutet ganz naheliegend Dauerlauf.
Wie schon öfter hier erwähnt, ist organisiertes Laufen ein ungebrochener Trend in Schweden und der Gedanke, die Säpo würde einen solchen Lauf ausrichten, wäre vielleicht nicht einmal so abwegig. Doch so weit ist man mit der Öffentlichkeitsarbeit dann doch nicht. Stattdessen war der Säpojoggen gestern in Stockholm ein spontan (natürlich via Facebook) organisiertes Läufer-Treffen, das sich von den Säpo-Leuten inspirieren ließ, die vor genau einem Jahr in schwarzen Anzügen neben der Kortege der schwedischen Kronprinzessin bei ihrer Hochzeit herliefen und sich ziemlich anstrengen mussten, mit den Pferden Schritt zu halten.
Dementsprechend war der Dresscode für den Säpojoggen schwarzer Anzug und Krawatte, weißes Hemd, schwarze Schuhe und ein Kabel im Ohr. Viele hatten zusätzlich eine dunkle Sonnenbrille auf, als die Gruppe den gut vier Kilometer langen Weg der Kortege durch die Stadt gemeinsam nachlief. Bilder gibt es hier, Videos hier und hier.
Die Stockholmer City Bikes tragen heuer nicht mehr die Werbung der Kopfschmerztabletten, die ihnen den Spitznamen Alvedoncyklar einbrachte. Stattdessen prangt jetzt SvD auf den Seiten. Das größte Problem an diesem System ist die immer offene Frage, wo die nächste Station ist und ob es dort freie Räder oder freie Plätze für die Rückgabe gibt.
Zur Abhilfe dieser Unsicherheit gibt es mittlerweile mehrere Apps für Android-Telefone (ähnliche sicher auch für iPhones), die einem auf der Karte die Stationen anzeigen, je nach aktuellem Zustand farblich markiert.
Das ist nur ein Beispiel für den Mehrwert, an den sich mehr und mehr Smartphone-Besitzer im Alltag gewöhnen und der hier von Akteuren aller Art befeuert wird. Eine richtige App-Manie ist in Schweden im Gange, was besonders beeindruckend ist, wenn man bedenkt, dass die Zielgruppe wesentlich kleiner ist als in bevölkerungsreicheren Ländern.
Meine alte Liste mit schwedischen Apps ist nicht ganz falsch, aber mittlerweile kommt es einem vor, als habe jeder und alles eine eigene App. Banken, Wetterdienste, Buchversender, Tradera (schwedisches eBay) und Blocket, Wachdienste, alle möglichen Firmen, Nischen-Nachrichten, das Militär! Kurzum zu viele, sie hier alle aufzuführen. Nichtsdestotrotz: Wer einen guten App-Tipp hat, möge einen Kommentar hinterlassen.