Letzten Freitag habe ich endlich einen langanhaltenden Missstand beheben können. Denn trotz zweieinhalb Jahren in Stockholm und davor mehr als fünf in Uppsala – eine Katzensprung weg – war ich bis dahin noch nie in Gröna Lund, dem Vergnügungspark Stockholms. Dieser liegt auf dem Djurgården, auf der anderen Straßenseite vom Skansen und jeder Tourist hat ihn mindestens aus der Ferne schon gesehen.
Ich muss sagen ich hatte unerwartet viel Spaß. Die Achterbahnen sind lustig (Insane!) und wegen des begrenzten Platzes ist alles in die Höhe gebaut, so dass man richtig gute Aussicht über die Stadt bekommt. Wenn man seinen Nervenkitzel im Zaum halten kann also.
Habe gerade erfahren, dass vom 17. bis 19 Juni die European science fiction & fantasy convention in Stockholm stattfinden wird. Ich werde da bestimmt mal vorbeischauen.
Der Katarinahissen, der Aufzug vom Slussen zum Restaurant Gondolen und der Plattform darüber, sticht aus der Wand von Södermalm hervor und ist ein echtes Wahrzeichen der Stadt. Schließlich ist er 130 Jahre alt, in der heutigen Form immerhin schon 75. Jetzt ist der Mechanismus angeblich unreparierbar kaputt und der Betrieb deshalb eingestellt – vielleicht für immer. Denn obwohl die Konstruktion denkmalgeschützt ist und auch nach dem großen Umbau des Slussen noch stehen wird, ist es fraglich, ob sie einen neuen Aufzug aushält.
Sehr schöner Bericht der deutschen Redaktion von Radio Schweden über die Ulmen im Kungsträdgården, das schwedische Äquivalent von 1971 zu Stuttgart 21. Sowohl Text wie Audio.
Aufstehen, es ist Freitag und der erste der Osterfeiertage! Was ist das da draußen? Wolken, wo doch bestes Wetter vorhergesagt ist? Egal, der Plan steht, um halb acht aus dem Haus zu kommen. Seil, Geschirr, Karabiner, Essen, Trinken – check! Raus. An der Bushaltestelle angekommen fängt es an zu regnen. Und wird immer mehr. Handy hervorholen, Wetterbericht noch einmal: strahlender Sonnenschein. Hmmmm. Konferieren, ob wir abblasen sollen. Auf ein zögerliches Nein kommen. Wir fahren. Bus, dann S-Bahn, Richtung Nord-Westen der Hauptstadt. Kungsängen, die Königsaue, ist unser Ziel. Ein guter Kilometer Fußmarsch, dann sind wir da, am Ryssgraven, dem Russengrab, einer der populäreren Kletterklippen um Stockholm. Irgendwann werde ich einmal nachschauen, warum die Stelle so heißt. Nicht zum schmalen Landstreifen zwischen dem fünfundzwanzig Meter hohen Fels und dem Wasser gehen, sondern von hinten oben an den leicht zugänglichen Gipfel. Über die Kante zu schauen, so hoch über dem See, ist weniger gruselig als beim letzten Mal. Geschirr an, Seil aus dem Rucksack, Verankerung bauen. Sich erklären lassen, wie man sich abseilt. Schon schlau, das mit dem französischen Prusikknoten am zweiten Karabiner. Hier scheint es nicht geregnet zu haben, der Stein ist trocken, sehr schön. Und ist das da die erste Stelle blauer Himmel? Abseilen zum Fuß der Klippe. Auf die Kollegen warten und derweil das Buch studieren, in dem alle Klettermöglichkeiten in und um Stockholm beschrieben sind. Über dreihundert Seiten dicht gepackt mit Information hat dieser Stockholmsföraren. Auch nur einen kleinen Teil dessen zu klettern wird Jahre dauern. Schön, am Anfang eines Hobbys zu sein und die großen unentdeckten Möglichkeiten vor sich zu sehen. Für den Anfang eine der einfacheren Kletterrouten aussuchen und sich wieder ins Seil einknoten. Gar nicht so einfach, diese uralten, von den Eiszeiten glattgehobelten Klippen hochzukommen. Als ich mich auf halber Höhe kurz ausruhe und umdrehe zum Aussicht genießen, bricht die Sonne durch die Wolken und schickt ihre wärmenden Strahlen durch die noch ziemlich kalte Luft. In den nächsten Minuten sollte die Wettervorhersage endlich recht bekommen. Bald kommen andere Kletterer dazu und wir haben das Russengrab nicht mehr für uns alleine. Zwei, drei Routen für jeden später ist es Zeit für die Fika; belegte Brote, Äpfel, Bananen und eine Rosinen-Moosbeeren-Nussmischung geben genug Kraft für weitere Anstrengungen. Sich an einem schwereren Aufstieg versuchen. Scheitern. Trotzdem jede Menge Spaß haben bis es an den Nachhauseweg geht. Dort angekommen der anrauschenden Müdigkeit keine Zeit geben, sondern die Laufschuhe an und das Wetter ausnutzen als käme es nie wieder. Knapp zehn Kilometer an dem der drei Gewässer vor unserer Haustür entlang, wo ich seit dem Herbst nicht war, dem Lilla Värtan. Das Einschlafen später am Abend dauert höchstens zehn Sekunden.
Aufstehen, es ist Samstag und strahlend blauer Himmel. Frühstück, Essen und Trinken zum Mitnehmen vorbereiten. Den Führer für Draußen-Aktivitäten um Stockholm, das Fernglas und das Vogelbuch nicht vergessen. Sich wieder einmal bewusst werden, welch tolle Großstadt dies ist für Freiluftmenschen. Weniger als eine Stunde mit dem öffentlichen Nahverkehr und man ist entweder im Schärengarten, am Bergsteigen oder mitten im naturgeschützten Wald. Es soll in die selbe Richtung gehen wie gestern, nur nicht ganz so weit. Veddesta ist ein eher hässliches Industriegebiet wie es in den Vororten viele gibt, doch direkt dahinter beginnt der Upplandsleden, der Wanderweg, der sich vierhundertzwanzig Kilometer nach Norden, an Uppsala vorbei bis fast nach Gävle erstreckt. Die südlichste Etappe durch Görvälns Naturreservat steht heute an. Kurz zögern ob feste Wanderschuhe angesagt sind oder das genaue Gegenteil, eine flexible zweite Haut zum “barfuß” gehen, aka FiveFingers. Letzteres. Schon im Bus auf die Schuhe angesprochen werden, obwohl ich doch das eher unauffällige braune Modell trage. Dem Fragenden versichern, dass man damit auch laufen gehen kann, aber es langsam angehen lassen sollte. Schließlich sind die meisten Waden und Achillessehnen von Schuhen mit Absätzen weniger Arbeit gewohnt. An der Zielhaltestelle angekommen öffnen sich einem schon bald weite Feuchtwiesen, und Wälder mit Meeren an Buschwindröschen und Leberblümchen. In der Sonne bei wenig Wind kann man fast vergessen, dass es noch unter zehn Grad hat, und es kommt einem seltsam vor, dass die Bäume noch kein Laub haben. Nur an den Birken kann man mit etwas gutem Willen das erste zarte Grün erkennen. Das wird sich jetzt innerhalb von Tagen ändern; die Natur steht vor der Explosion und wird sich beeilen, den kurzen Sommer auszunutzen. Auf dem Weg zur Gåseborg, einer vormittelalterlichen Burgruine hoch über dem See Mälaren sehen wir zwei junge Kreuzottern, die sich auf dem Weg sonnen und sich ins Gebüsch schlängeln als wir näherkommen. Die Spaziergänger mit Hund ein paar hundert Meter weiter warnen wir besser trotzdem. Deren allzu negative Reaktion auf die putzigen Tierchen lässt es uns jedoch fast bereuen. Auf dem weiteren Weg – fünf Stunden inklusive Fika-Pause – wird es eine ansehnliche Liste an Arten werden, die wir zu Gesicht bekommen. Zu den Kreuzottern kamen noch Ringelnattern und Waldeidechsen. Hase und Rehe. Mäusebussard und Fischadler. Schellenten, Gänsegänger, Haubentaucher und Eiderenten. Eichelhäher, Zeisige, Singdrosseln, Buntspechte und Bachstelzen. Nur um ein paar zu nennen. Lustig, dass ich für die meisten Arten nur die schwedischen Namen kannte und eben eine ganze Reihe der deutschen nachschlagen musste. Über Stock und Stein geht es zum Schloss Görväln, wo man auf mehr Spaziergänger trifft. Das Café dort hat jedoch leider zu. Also gleich weiter die letzten Kilometer bis zur S-Bahn-Station und nach Hause. Heute braucht es keine zusätzliche Runde Jogging.
Aufstehen, es ist Sonntag morgen und strahlend blauer Himmel. Kletterzeug packen und auf zu einem neuen Berg, dem Ekoberget östlich der Stadt, zwischen Nacka und Värmdö. Wieder oben anfangen, allerdings mit zwei Mal abseilen um erst an den Ankerplatz zu kommen. Die vierzig Meter über dem Wasser und so steile Klippe, dass man nicht den Boden sieht, machen den Schritt über die Kante zum Nervenkitzel und lassen einen die Ausrüstung lieber doppelt kontrollieren. Doch es geht natürlich alles gut. Unten angekommen wimmelt es von Kletterern. Der Stockholmföraren lügt nicht, wenn er schreibt, dass dies eine der beliebtesten Klippen Stockholms ist. Wir stellen uns als Anfänger ein wenig unbeholfen an und sind etwas im Weg für andere. Doch ein paar nette Worte bringen die Stimmung wieder ins Lot. Ein paar Routen, Hautabschürfungen und blaue Flecken später sitzen wir schon wieder im Bus. Sichtlich braungebrannt nach drei recht intensiven, doch absolut herrlichen Tagen im Freien.
Ich hoffe, Ihr hattet auch gute Osterfeiertage.
Erwähnte Bücher:
Stockholms Friluftsliv von Hjelmstedt, Sundvall und Wåhlin (ISBN
9163179245). Ca 300 Seiten kompakte und schön bebilderte Beschreibungen
der wichtigsten Möglichkeiten zum Eislaufen, Skifahren, Wandern,
Radfahren, Paddeln, unter andere. Ein Muss für jeden, der hier lebt,
oder Urlauber, die mehr als nur die Innenstadt sehen wollen.
Stockholmsföraren von Widerberg und Jelinek (ISBN 9789163332050). Der
ultimative (weil als einziger so komplette) Führer für die hunderten
Klippen in der Gegend.
Sobald der Schnee geschmolzen ist (Reste können ruhig noch liegen) und die ersten spürbaren Sonnenstrahlen ankommen, zieht es hier jeden nach draußen. Ich war gerade am See entlang laufen und musste schmunzeln, als ich gleichzeitig Eisreste auf dem Wasser und Jogger in kurzen Hosen im Blickfeld hatte. Mich inklusive.
Gestern morgen gab es perfektes Schlittschuheis auf meinem Heimgewässer, dem Brunnsviken. Die paar Plusgrade und die Zeit um Null der letzten Wochen hatte den Schnee sich mit Wasser vollsaugen und an der Oberfläche schmelzen lassen. Und als es vorletzte Nacht wieder knackig kalt wurde, fror das alles zu einer neuen, spiegelblanken, schneefreien Ebene über den ganzen See, getragen von etwa 30 cm Eis darunter. Da frühmorgens zu zweit der blutroten Dämmerung (inklusive Lichtsäule) engegenzugleiten, war ein echter Höhepunkt dieses Winters.
Doch nur wenige Stunden später begann es wieder zu schneien. Über 20 cm sind mittlerweile zusammengekommen, wegen des starken Windes auch viel höhere Verwehungen. Ich vermute jedoch, dass die meisten die dadurch verursachten starken Zugverspätungen und die komplette Einstellung des Busverkehrs in Stockholm heute morgen eher beklagen als das verschwundene schöne Schlittschuheis.
Diesmal brannte er nicht, der Julbock in Gävle. Die Bewachung rund um die Uhr hat Unfug und Schabernack verhindert. Versuche, den Bock aus Stroh “traditionsgemäß” abzufackeln, gab es wohl einige und auch einen spektakulären Entführungsversuch: Per Helikopter sollten die drei Tonnen Stroh gekidnappt und die 160 Kilometer nach Stockholm auf den Stureplan geflogen werden. Der Wachmann ließ sich jedoch trotz des ansehnlichen Bestechungsangebots (umgerechnet 5000 Euro) nicht dazu verleiten, mal kurz wegzusehen.