Tagged with Uni

Wort der Woche: Nollning

Mit der Endung -ning können im Schwedischen Verben substantiviert werden. Zum Beispiel gehört zu forska (“forschen”) die forskning (“Forschung”). Nollning kommt also von nolla, das wiederum mit der Zahl “Null” zu tun hat und entweder als Verb “nullen” oder als Substantiv die “Null” bezeichnet. Das “Nullen” beziehungsweise das “Nullstellen” sind demnach passende Übersetzungen für nollning.

Nollning

Diesen Begriff verwendet man auch die Einführungswoche für neue Studenten. Gemeint ist sowohl, dass die Neuen ja erst ab nächster Woche, wenn die Kurse anfangen, Erstsemester sind, als auch, dass sie bisher noch Null Punkte im System haben, in dem in Schweden Studienleistungen gerechnet werden. Die Leute als “Nullen” zu bezeichnen, hat in der schwedischen Sprache jedoch die gleiche negative Intonation wie im Deutschen.

In der Tat hat die ganze Veranstaltung den Beigeschmack von Autorität seitens der Organisatoren und von Erniedrigung der neuen Studenten, der für Initiationsrituale typisch ist. Es werden Spiele gespielt und Aufgaben müssen erledigt werden. Die neuen Technik- und Naturwissenschaftsstudenten in Uppsala bekommen beispielsweise ein orangefarbenes Papier-Ei um den Hals gehängt, das durch ein immer größeres ersetzt wird, je mehr jemand “falsch” gemacht hat. Wenn einem dann jemand im Gebäude begegnet, der eine fast mannshohe runde Papierscheibe um den Hals trägt, entbehrt das nicht einer gewissen Komik, gleichzeitig fragt man sich aber, warum Menschen so viel mit sich machen lassen, bloß weil ihnen jemand mit fester Stimme gesagt hat, dass das so zu sein hat. Die älteren Studenten, die das Ganze organisieren, sind nicht weniger lächerlich anzusehen, haben sie doch lange bedruckte Umhänge, bunte Kleider, große dunkle Sonnenbrillen und Haare nach Vorbild von Punks.

Nichtsdestotrotz ist der Sinn des nollning meist ein harmloser und sinnvoller, nämlich Berührungsängste abzubauen und Leute miteinander bekannt zu machen. Die Veranstaltungen sind je auf einen Fachbereich begrenzt und nicht selten finden sich schon in diesen Tagen die Leute zusammen, die dann mehrere Semester lang miteinander lernen.

Die seltsame Kleiderordnung und dass die Einführungsveranstaltung nollning genannt wird, kommt meines Wissens von den technischen Hochschulen und ist auf die klassischen Universitäten übergeschwappt. Echte Traditionalisten rümpfen deshalb wohl die Nase über diese Art der Veranstaltung. In Verbindung mit der negativen Presse wegen Mobbing und Erniedrigungen gibt es immer wieder Rufe, das nollning abzuschaffen.

Ich war gerade vor der Tür und habe ein paar Bilder gemacht:

NollningNollning

NollningNollning

Tagged , , , ,

Austauschblogger

Die Austauschstudenten für dieses Semester sind schon wieder in der Stadt und nehmen am Sprachkurs und verschiedenen Einführungsveranstaltungen teil. Wenn ich mich recht an 2001 erinnere, als ich selbst in dieser Situation war, geht es vor allem darum, das schwedische System der Universität grob zu durchschauen, die Kurse, die einem zusagen, zu wählen, sich eine Nation auszusuchen und sich mit so vielen anderen Austauschstudenten wie möglich bekannt zu machen und zu feiern.

Als ERASMUS-Student nach Uppsala zu kommen, ist denkbar einfach. Man bekommt ein Zimmer in einer der Studentensiedlungen gestellt und viele Kurse werden auf Englisch gehalten, sobald ein Student dabei ist, der kein Schwedisch kann. Es kommen jeden Herbst einige Hundert Austauschstudis hierher und meines Wissens sind Deutsche mit über einem Drittel die größte Gruppe. Die Nationen haben sogar jeweils eigene Personen, internationell sekreterare genannt, die versuchen, die Gäste einzubinden und eigene Veranstaltungen und Ausflüge organisieren.

Einige der deutschen Studenten schreiben auch Blogs, meist um den Daheimgebliebenen einen Eindruck von der Zeit im Ausland zu geben. Die Seiten vom letzten Jahr habe ich erst vor kurzem aus der Liste mit Blogs, die ich lese, geworfen, weil sie nicht mehr aktualisiert wurden. Leider war es nicht selten so, dass – nach einigen anfänglichen Beiträgen – Stille im Blog herrschte, aber vielleicht ändert sich das ja dieses Jahr.

Das erste frische Austauschblog, auf das ich heute aufmerksam wurde, ist unter vanessa84.wordpress.com zu lesen.

Tagged , , ,

Elitedenken

Ein schönes Beispiel, wie sehr Schweden vom Klischee des funktionierenden Sozialismus entfernt ist, ist die Idee der “Elitehochschule”, die in Deutschland in den letzten Jahren schon so viel Schaden angerichtet hat und sich auch in Schweden verbreitet. In diesem Zusammenhang sei auch auf den interessanten Text zum Unterschied zwischen Ausbildung und Bildung hingewiesen.

Tagged , , , , ,

Trapphus

Treppenhaus

Tagged ,

Lehreinstellung

Wer ist schuld, wenn ein Schüler oder Student das Gelehrte nicht versteht – der Lehrer oder der Schüler? Trägt der Professor die Verantwortung, den Stoff an alle Studenten zu vermitteln, oder sind Kurse ein Angebot, das erwachsene Menschen selbstverantwortlich annehmen müssen?

Es ist eine starke Verallgemeinerung, aber ich behaupte einmal, dass man in Schweden beide Fragen jeweils mit der ersten Möglichkeit beantworten würde und in Deutschland mit letzterer.

  • Was ist besser?
  • Sollte es diesbezüglich einen systematischen Unterschied zwischen Schule und Universität geben?
  • Gute Pädagogik schadet nicht, aber senkt das Prinzip, möglichst alle durchzubringen, nicht das Niveau?
  • Hindert ein verschultes Studium, in dem man Wissen weiterhin mit dem Löffel eingetrichtert bekommt, Studenten nicht daran, das selbstständige Lernen zu lernen?
  • Oder sorgt es lediglich dafür, dass die Abbrecherquote sinkt und Ausbildung weniger Steuergelder kostet? In Diskussionen mit Schweden zu diesem Thema tritt deutlich wie selten zutage, wo ich herkomme. Ja, ich musste auf der Uni lernen, damit umzugehen, dass es keinen kümmert, ob ich etwas verstanden habe oder nicht. Am Anfang ist die Eigenverantwortung eine Last, aber nach einer Weile schätzt man die Freiheit, die damit einhergeht und gerade den Unterschied zur Schule und den Reiz des Studiums ausmacht: eigene Schwerpunkte setzen, hunderte Entscheidungen selbst treffen. Das schließt natürlich nicht aus, dass Professoren eine pädagogische Ausbildung haben und gute Vorlesungen geben sollten. Aber wenn sie uns nach der Vorlesung Fragebögen ausgeteilt hätten, um die nächste auf das richtige Niveau zu legen, hätten wir das befremdlich gefunden.
Tagged , , ,

Freidenker unerwünscht?

Über dem Eingang der Universitätsaula in Uppsala steht der Leitspruch

Tänka fritt är stort. Men tänka rätt är större.

zu Deutsch

Frei zu denken, ist groß. Aber richtig zu denken, ist größer.

So ein Unsinn. Und nicht nur das, es ist auch noch gefährlicher Unsinn. Denn richtig und falsch sind normative Begriffe und werden von der Gesellschaft festgelegt. Der Spruch fördert also konformistisches Denken und entmutigt die, die aus der Masse herausstechen wollen. Äußerst unpassend für eine Universität. Wäre man bösartig, könnte man schon wieder die Parallele zum Jantelagen ziehen.

An der Uni Heidelberg steht, nachdem es zwischenzeitlich einmal “Dem deutschen Geist” hieß, heute wieder “Dem lebendigen Geist”. Besser.

(Erinnerung durch Agnes. Mehr zur Herkunft des Spruchs auf Schwedisch )

Tagged , , ,

Arbeiterkinder an der Uni

Radio Schweden kam mir zuvor, aber die dürfen ja auch einfach ihre schwedisch schreibenden Kollegen direkt übersetzen.

Fast 40 Prozent aller 20 bis 25 Jahre alten Schweden kommen aus Arbeiterfamilien. Aber ein Viertel von ihnen besucht eine Hochschule. Es werden zwar mehr, aber nur weniger als ein Prozent pro Jahr.

Das Thema, wie sehr das Ausbildungsniveau der Eltern eine Rolle dabei spielt, welchen Weg der Nachwuchs einschlägt, ist in der Tat wichtig in Schweden. Ich kenne es aus eigener Erfahrung nur von der Auswahl anderer Doktoranden. Das Thema kommt da gelegentlich auf und wird ernst genommen. Vergleichbare Zahlen auf Universitätsniveau für Deutschland habe ich in der Studie Eurostudent 2005 (pdf) gefunden. Bei etwa gleichem Anteil an Arbeiterkindern in der Bevölkerung wie in Schweden machen sie in Deutschland anstatt 25 nur 13 Prozent der Studenten aus.

Der Wikipedia-Artikel zur Bildungsbenachteiligung, über den ich die Studie gefunden habe, ist interessant und erschreckend zugleich.

Tagged , , ,

Wort der Woche: Spex

Die C-Men Ein spex ist ein lustiges Theaterstück, meist von einer studentischen Gruppe Amateure aufgeführt. Das Wort selbst kommt von “Spektakel”.

Die bekanntesten Spex kommen aus Lund (lundaspexet), aber es gibt zahlreiche Gruppen in den anderen Universitätsstädten. Im Gegensatz zur Lunder Schule, sind Spex nach Uppsala-Art in Reimform. Das Ganze ist eine äußerst unernste Angelegenheit und kann von wenige Minuten langen Einlagen während einer Gasque bis zu mehrstündigen Aufführungen reichen.

Gestern waren wir beim diesjährigen TekNat-Spex der Studenten von Technologie und Naturwissenschaften. Der Titel war “C-Men – Ett spex med genvägar som artar sig” und das Thema war Evolution und “intelligentes Design”. Die Handlung ist schnell erzählt. Die C-Men sind ein Abklatsch der X-Men mit ziemlich sinnlosen Superkräften. Ihr Boss will verhindern, dass Darwin auf die Idee der Evolution kommt und hat dazu einen “Dummstrahl” erfunden, mit dem er die Menschheit für immer an die “Wissenschaft des intelligenten Design” glauben lassen will.

Der Dummstrahl auf Darwin
gerichtet

Darwin reist zusammen mit Piraten, deren einer Jack Sparrow sehr ähnlich sieht, auf die Galapagos, wo er – passend zum Jubiläum – auf Carl von Linné trifft, der ihm die Evolution erklärt. Darwin findet das ganz toll und will es als eigene Idee ausgeben. Die ganze Zeit sind ihm die C-Men und der ~~Schiffspriester~~ Pfarrer am Stock auf den Fersen.

Klingt absurd? Ist es in echt noch viel mehr. Nicht zuletzt, weil das Publikum ermuntert wird, mitzumachen und Regianweisungen an die Darsteller zu rufen. Wenn eine Szene gut war, ruft man omstart!, damit sie wiederholt wird – mit einiger Abwandlung. Die Schauspieler sind darauf natürlich vorbereitet und oft kommen sie erst nach bei der dritten oder vierten Variante in Schwierigkeiten. Auch beliebt war es gestern, bestimmte Dialekte oder Sprachen zu fordern. Wenn der ernste Dialog dann plötzlich mit norwegischer Betonung fortgesetzt wird, ist das einige Lacher wert.

Für Amateurtheater war die Vorstellung mit Orchester, Chor und zahlreichen Tanz- und Musikeinlagen sehr aufwendig und dauerte inklusive Pause drei Stunden. Spex ist eine sehr schwedische und studentische Form der Unterhaltung und allemal wert anzusehen, vor allem wenn man sich an Absurdem erfreut und an Widersinnigem nicht allzu sehr stört.

Nachtrag, 9.5.07: mehr Bilder.

Tagged , , , ,

Härtere Regeln für Abiturienten

Der schwedische Ausbildungsminister Lars Lejonborg (auch Chef der liberalen Folkpartiet) will die Regeln ändern (S), welche Voraussetzungen man für ein Studium an einer Universität erfüllen muss. Ausreichende Noten in Schwedisch, Englisch und Mathematik am Ende des Gymnasiums sollen Bedingung werden und gute Leistungen in Mathe und Sprachen sollen beim Auswahlverfahren extra berücksichtigt werden.

Wer jetzt eine Augenbraue hebt und fragt, was denn bisher verlangt war, dem sei gesagt, dass Schüler in Schweden während der letzten drei von zwölf Schuljahren (schwedisches Gymnasium) meist große Freiheiten in der Fächerwahl haben. Das ist per se auch gut, denn fast jeder geht aufs Gymnasium und es gibt Linien, die auf handwerkliche Berufe ausgerichtet sind, anstatt auf ein Hochschulstudium.

Es ist in vielen Fällen jedoch auch möglich, die Berechtigung fürs Studium zu erlangen, ohne genügend “harte” Fächer besucht zu haben. Das führt dazu, dass die Universitäten sich auf das niedrigere Anfangsniveau der Studenten einstellen müssen und verschulte Studiengänge geschaffen werden, damit es auch genügend schaffen. Professuren in den Naturwissenschaften klagen regelmäßig über mangelhafte Vorkenntnisse der Studienanfänger und ich habe den Eindruck, dass viele im Universitätsumfeld mit der etwas härteren Schulpolitik der konservativen Regierung sympathisieren.

Auch wenn ich hier regelmäßig etwas an der Regierung Reinfeldt auszusetzen habe, bin ich bei diesem Thema geneigt, ihnen beizupflichten.

Tagged , , ,