Gute drei Wochen bleiben bis zur Wahl und so langsam gewinnt der
Wahlkampf an Fahrt. Man sieht zwar (noch?) erstaunlich wenige
Wahlplakate in den Straßen, aber die beiden rivalisierenden Seiten,
sozialdemokratisch-links-grün und die oppositionelle
bürgerlich-christdemokratisch-liberale “Allianz”, haben auf dem
Marktplatz in Uppsala (und sicher auch anderswo in Schweden) kleine
Holzhäuser (_valstugor_) aufgeschlagen, die täglich bis zur Wahl
bemannt sind. Dort kann man sich nicht nur Information und
Parteiprogramme beschaffen, sondern auch die Position der jeweiligen
Partei zu bestimmten Themen erfragen und diskutieren.
Ich ging da gestern Nachmittag einmal vorbei, habe ein paar
Fotos gemacht und auch
kurz an zwei Ständen geplaudert. Mit meiner nicht gerade kleinen Kamera
und dem T-Shirt mit Radio Paradise
Aufdruck, das ich zufällig anhatte, wurde ich doch glatt gefragt, ob ich
fürs Radio arbeite, ungeachtet der Tatsache, dass Radiosender mit Fotos
recht wenig anfangen können.
Die regierenden Sozialdemokraten treten trotz schlechter
Prognosen selbstbewusst auf
und ein Plakat lautet “Es läuft prima für Schweden. Jetzt kommen die
Arbeitsplätze. Warum also die Steuern senken und jeden fünften Lehrer,
Polizist und Krankenschwester abschaffen?”
(Bild). In der
Tat wächst die schwedische Wirtschaft weit über EU-Durchschnitt und
Schweden werden immer
reicher (S).
Trotzdem hat die Opposition natürlich allerhand auszusetzen und in der
kurzen Rede, die Erik Ullenhag
(Bild) von der
Folkspartei (liberal) hielt, ging es um Mängel bei der (laut Regierung
erfolgreichen) Integration von Einwanderern und bei der Bereitstellung
von Altenwohnungen. Auf seinem Plakat
(Bild) heisst es
“Ja zu früheren Noten in Schulen” und der Hintergrund der Debatte ist,
wieviel Anforderungen man an Schüler stellen darf. Teilweise herrscht
die etwas seltsame Einstellung, dass man so gut wie nichts von Schülern
verlangen darf, aber trotzdem jeder durchkommen muss. Das Niveau leidet
dadurch nicht nur auf Schul- sondern auch auf Universitätsebene.
Die konservativen Moderaten setzen auf Recht, Ordnung und Sicherheit,
wie man es von ihnen erwartet: “Worte, bei denen man sich geborgen
fühlen muss: Nachtkino, Nachtbus und Nachtspaziergang”
(Bild). Hat da
jemand Angst vor Dunkelheit?
Die Christdemokraten (KD) schießen meiner Meinung nach den Vogel ab und
stellen eine der echten Errungenschaften des schwedischen Staates in
Frage, nämlich die guten Möglichkeiten für Frauen (und Männer!) Kinder
und Beruf zu vereinen. Hier ist Schweden Deutschland weit voraus und es
ist wohl nicht abwegig, darin einen der Gründe für die deutlich höhere
Geburtenrate (1.7 Kinder pro Frau gegen 1.4 in Deutschland) zu sehen.
Die Christdemokraten hätten aber lieber die Frauen am
Herd
(S) und wollen mehr Förderung für daheimbleibende Elternteile. Der
Mensch am Stand von KD
(Bild) rechnete
mir doch tatsächlich vor, was existierende Kindergärten so alles kosten.
Der Störfall in
Forsmark,
zu dem immer mehr Details bekannt werden, wie
viel
da eigentlich schief lief, spielt erstaunlicherweise keine Rolle im
Wahlkampf und man hört sehr wenig Protest gegen Atomkraft. Im Gegenteil.
Die Allianz will, sollte sie denn die Wahl gewinnen, den status quo
beibehalten, also zwar keine neuen Kernkraftwerke bauen, aber die
bestehenden so lange wie möglich weiterlaufen lassen.
Noch weniger hat sich der Skandal um die
Razzia
bei der Pirate Bay als Wahlkampfthema halten
können und auf meine Nachfrage beim Stand der Regierungspartei, was denn
aus dieser Geschichte um Justizminister Bodström geworden sei, konnte
ich keine Antwort bekommen. Auch der Überwachungsaspekt, den ich
versuchte anzuschneiden, wurde allenfalls mit Platitüden abgespeist.
Alle Artikel zur schwedischen Wahl am 17. 9.
2006.