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Regierung Reinfeldt II

Vorgestern trat der neue schwedische Reichstag zusammen und wählte seinen Vorsitzenden. Die beiden politischen Lager, Rot-Rot-Grün und die bürgerliche Allianz, hatten je einen Kandidaten vorgeschlagen, da jedoch keines der beiden eine eigene Mehrheit hat, freuten sich die neu hinzugekommenen Schwedendemokraten (SD) darauf, zum ersten Mal ihre vermeintliche Macht auszuspielen. Doch es kam anders. Der Kandidat der Allianz, Per Westerberg, war schon in der letzten Mandatsperiode Talman des Reichstages und wurde wiedergewählt, ohne dass die Stimmen von (SD), die auch auf ihn kamen, eine Rolle gespielt hätten.

Dazu brauchte es dreierlei Kuriosa. Zum einen stimme eine Abweichler von Rot-Grün für Westerberg. Zum anderen verpasste eine Abgeordnete der Linken ihre Stimmabgabe, weil sie nicht rechtzeitig von der Toilette zurückkam. Und zum dritten war Thomas Bodström, ehemals Innenminister der Sozialdemokraten und einer ihrer wichtigsten Figuren, schlicht verreist und konnte nicht abstimmen. Dafür fängt Bodström sich wieder einmal Kritik ein, denn sein Urlaubsantrag war noch nicht genehmigt und er ist bekannt dafür, viele Nebenaktivitäten und -einkünfte zu haben, die seine Arbeit im Parlament beeinträchtigen.

Gestern fand dann die feierliche Eröffnung des Parlaments statt und der dazu gehörende Gottesdienst bot den Schwedendemokraten die erste Gelegenheit, sich zu blamieren und ihr wahres Gesicht zu zeigen. Denn obwohl sie von sich behaupten, keine Rassisten zu sein, standen die zwanzig Abgeordneten geschlossen auf und verließen die Kirche, als die Bischöfin vom gleichen Wert aller Menschen sprach und die Demonstrationen gegen Rassismus erwähnte.

Am späteren Nachmittag stellte Fredrik Reinfeldt dann endlich seine neue Regierung vor und hielt eine Regierungserklärung (PDF), die kaum Überraschungen enthielt, sondern sich im Wesentlichen mit den Parteiprogrammen aus dem Wahlkampf deckt und eine direkte Fortsetzung aus den vergangenen vier Jahren verspricht.

An dieser Stelle ist einzuwerfen, dass in Schweden Minderheitsregierungen, wie sie Reinfeldt II im Gegensatz zur letzten sein wird, durchaus handlungsfähig sind und eine lange Tradition in Schweden haben. Eine Vorlage geht nämlich im Parlament durch, solange die Opposition nicht geschlossen einen Gegenvorschlag vorlegt und für diesen stimmt. Das bedeutet zum Beispiel dass Reinfeldts Budget angenommen werden wird, wenn nicht die Schwedendemokraten mit Rot-Grün für deren Vorschlag stimmen. Dies ist unwahrscheinlich, wenn nicht vorab mit (SD) verhandelt wird, was wiederum kaum denkbar ist.

Die Opposition hat also die Prinzipielle Möglichkeit, die Regierung jederzeit abzusägen, doch dafür müssten Sozialdemokraten, Grüne und Linke sich mit den Schwedendemokraten zusammentun. Ein solcher opportunistischer Schachzug würde sie jedoch immens viele Sympathien kosten, vom Verrat an ihren Prinzipien einmal ganz abgesehen. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Minderheitenregierung der Allianz die ganze Mandatperiode lang im Sattel bleibt.

Wie sieht sie nun aus, die Regierung Reinfeldt II? 24 Minister wird es geben – so viele wie in keiner anderen europäischen Regierung. Das hat verhandlungstechnische Gründe, denn die kleineren Koalitionspartner von Reinfeldts Moderaten wollten gern ihre vier (Folkpartiet und Centern) beziehungsweise drei (Kristdemokraterna) Minister behalten weswegen die Zuständigkeiten etwas neu verteilt wurden, damit die Moderaten, entsprechend ihrem höheren Anteil am Wahlergebnis, drei Minister mehr abbekommen als zuletzt.

Zu den Umstellungen gehört auch, dass nicht mehr Maud Olofsson vom Zentrum, sondern Jan Björklund von den Liberalen stellvertretender Staatsminister wird. Das Integrations- und Gleichberechtigungsministerium wird abgeschafft und die Aufgaben den Ministerien für Ausbildung und Arbeitsmarkt zugeschlagen, deren jeweilige stellvertretende Minister zusätzlich Integrations- beziehungsweise Gleichberechtigungsminister werden.

Die gesamte Ministerliste findet sich auf regeringen.se und SvD stellt die sieben neuen Namen vor, für Schweden typisch inklusive Jahreseinkommen.

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Kleine Wahlanalyse

Als die schwedische Wahlbehörde letzte Woche das amtliche Endergebnis der Wahl vom 19. September bekanntgab und die Kontrollauszählungen abgeschlossen waren, hatte sich im Vergleich zum vorläufigen Ergebnis wenig geändert. Die Zentrumspartei hat den Sozialdemokraten noch ein Mandat im Parlament abgeknöpft. Das bedeutet, dass die Vier-Parteien-Allianz von Premierminister Reinfeldt nur zwei anstatt der zunächst geglaubten drei Sitze von einer eigenen Mehrheit entfernt ist.

Bevor heute Nachmittag bekannt wird, wie die Verhandlungen zur Regierungbildung ausfielen und wie Fredrik Reinfeldt regieren will, ist es an der Zeit, das Wahlergebnis und dessen Bedeutung ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.

Moderate gegen Sozialdemokraten

Das Duell zwischen den das letzte Jahrhundert der schwedischen Politik dominierenden Sozialdemokraten (S) und der größten Partei des bürgerlichen Lagers, den Moderaten, haben letztere klar für sich entschieden und knapp vier Prozent im Vergleich zu 2006 hinzugewonnen, während (S) gut vier eingebüßt hat. Das ist nicht nur jeweils das historisch beste beziehungsweise schlechteste Wahlergebnis beider Parteien und das erste Mal, dass die Sozialdemokraten nicht mehr mit Abstand die größte Partei sind. Zusätzlich ist es ein Novum, dass eine bürgerliche Regierung in Schweden überhaupt wiedergewählt wird und ihren Vorsprung gegenüber Rot-Grün sogar vergrößern kann.

Was sind die Ursachen dafür? Wählerbefragungen zeigen, dass die Person Fredrik Reinfeldt sehr wichtig für die Entscheidung der bürgerlichen Wähler war, während (S)-Chefin Mona Sahlin keine so große Rolle spielte. Reinfeldt, der lange Zeit als wenig aufregend oder gar charismatisch galt, hat es also geschafft, das Amt auszufüllen und viele davon zu überzeugen, dass er ein guter Premier ist. Dazu mag auch die geglückte schwedische EU-Ratspräsidentschaft beigetragen haben und nicht zuletzt der Eindruck – gerechtfertigt oder nicht – dass die Finanz- und Wirtschaftskrise Schweden nicht so hart getroffen hat wie andere Länder und dass jetzt wieder Aufschwungszeiten anstehen.

Wie in vielen anderen Ländern ist die Altersstruktur auch in Schweden ein wichtiger Faktor bei Wahlen, denn ältere wählen eher konservativ als junge Menschen. 18-29-jährige machen 20% der Wahlberechtigten aus, die Gruppe 65+ ist ein Fünftel größer. Im Gegensatz zu zum Beispiel Deutschland ist die Aufteilung von Stadt und Land jedoch umgekehrt. Ländliche Gegenden im Norden sind Hochburgen der Sozialdemokraten und die Ballungsgebiete wählen eher bürgerlich.

Ein weiterer Grund für die Verluste der Sozialdemokratie ist laut Wählerbefragungen die Koalitionsaussage mit den Linken, die zum ersten Mal versucht wurde und sich als sehr unpopulär bei den Stammwählern von (S) erwies. Der linke Parteichef Lars Ohly ist für viele ein rotes Tuch und machte es der Mitte schwer, vom bürgerlichen Block zu Rot-Grün zu wechseln.

Vorrangig halte ich jedoch für ausschlaggebend, dass es Rot-Rot-Grün nicht gelungen ist, die ideologischen Unterschiede herauszustellen und ein positives Zukunftsbild von einer gerechteren, sozialeren Gesellschaft aufzuzeigen. Stattdessen wurden Details diskutiert, ein paar Prozent Steuern hier, eine Regeländerung in der Krankenversicherung da. Dies ließ die beiden Blöcke politisch recht nah beieinander erscheinen, trotz grundlegend anderer Sichtweisen bezüglich gesellschaftlicher und eigener Verantwortung.

Ob man die Koalition der vier bürgerlichen Parteien mit diesem Wahlergebnis als “Gewinner” sehen kann, ist jedoch fraglich. Einerseits ja, denn sie haben die rot-grüne Gegenseite klar geschlagen. Anderseits nein, denn sie haben ihre eigene Mehrheit im Parlament eingebüßt. Das ist dem Einzug einer neuen Partei in den Reichstag zu schulden: den Schwedendemokraten.

Von frustrierten, arbeitslosen Männern

Die Schwedendemokraten (SD) haben in den letzten Jahren stetig an Zustimmung gewonnen, vor allem im südlichen Schonen. Ihr Parteiprogramm kreist um die Begrenzung der Einwanderung nach Schweden und darum, die “schwedische Kultur” zu bewahren. Damit meinen sie, wie es sich für eine Partei mit Wurzeln in der rechtsextremen Szene gehört, das klassisch-romantische Schweden, das eigentlich nur noch in den Köpfen deutscher Touristen existiert; nicht das moderne, weltoffene Land, das sich wohlwollende Blicke und Vorbildcharakter in der restlichen Welt erarbeitet hat.

Wie der Einzug von (SD) in den Reichstag zu bewerten ist und wie man in den kommenden vier Jahren mit ihnen umgehen sollte, darüber scheiden sich die Geister. Gibt es wachsende Ausländerfeindlichkeit, gar Rassismus, in Schweden, oder sind die Stimmen für die Schwedendemokraten vor allem Protestwähler?

Die einen heben hervor, dass die Integrationsdebatte tatsächlich nicht offen genug geführt wurde und dass es selbstverständlich auch hierzulande Probleme zu lösen gibt (siehe dazu z.B. die Artikelserie Warten auf Schweden). Diese Sichtweise heißt zugeben, dass (SD) ein von den anderen Parteien vernachlässigtes Thema aufwirft und deshalb Erfolge verbucht. Hiergegen spricht einiges.

Zum einen wächst in Schweden die Zustimmung zu Einwanderung weiterhin stetig, von einer weitreichenden Wende zu mehr Ausländerfeindlichkeit keine Spur. Zum anderen findet man Antworten, wenn man sich die Gesellschaftsschichten anschaut, aus denen (SD) ihre Stimmen bekommt. Mit Abstand überrepräsentiert sind hier Männer, die staatliche Beihilfen beziehen – ironisch, wenn man bedenkt, dass (SD) üblicherweise mit Milchmädchenrechnungen zu den Kosten von Ausländern für den Sozialstaat hausieren geht.

Ich halte deshalb die These, dass (SD) vor allem von Proteststimmen derer profitierte, die sich als Verlierer im heutigen Schweden sehen, für richtiger. Dass effektiv nur zwei politische Blöcke mit diffusen Unterschieden zur Wahl standen, hat hierbei sicherlich geholfen. Doch selbst wenn dies der Fall ist und die Stimmen für die Schwedendemokraten nicht als wachsender Rassismus zu werten sind, ist das Resultat dasselbe, nämlich dass eine Partei mit offen rassistischem Programm im Parlament das Zünglein an der Waage ist, solange die beiden anderen Blöcke nicht aufbrechen. Letztere werden sich daran messen lassen müssen, ob sie sich für politische Entscheidungen von den Stimmen der Schwedendemokraten abhängig machen und ihnen auf diese Weise Einfluss geben, oder nicht.

Die Interpretation als Protestwähler ist hingegen wichtig, wenn man die Ursachen bekämpfen will. Hierbei kann man das Argument vertreten, dass die bürgerliche Allianz zumindest eine teilweise Schuld am Erfolg von (SD) trägt. Eine wirtschaftsliberale Politik, in der man den Abbau sozialer Sicherheiten als Eigenverantwortung verkauft und in der Solidarität zum Unwort wird, erzeugt mehr gesellschaftliche Verlierer und von ihrer Landesführung Frustrierte, die die Schwedendemokraten als einzige “echte Alternative” sehen, die ihnen auch gleich noch einen Sündenbock mitliefert.

Frauen und Freibeuter

Zwei weitere kleine Parteien hatten sich Hoffnung gemacht, die Vier-Prozent-Hürde zu nehmen und ins schwedische Parlament einzuziehen: die Piraten und die Feministische Initiative (Fi). Beide bekamen unter einem Prozent der Stimmen.

Die Piratenpartei litt darunter, dass alle ihre Themen in den Medien des letzten halben Jahres so gut wie keine Rolle spielten. Man kann, wenn man möchte, dahinter politisches Kalkül der Regierung sehen. Die Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung wurde auf nach der Wahl verschoben, ebenso die zweite Instanz des Gerichtsverfahrens gegen die Pirate Bay, das mittlerweile begonnen hat. Nichtsdestotrotz landen eingeschränkte bürgerliche Freiheiten und erhöhte Überwachung immer weit unten, wenn Wähler nach wichtigen Themen gefragt werden. Es ist den Piraten trotz anscheinend guter Organisation nicht gelungen, genug Leute davon zu überzeugen, dass ihre Themen wichtiger sind als die “klassischen” wie Arbeitsmarkt, Schulen oder das Gesundheitssystem, zu denen die Piraten keine Stellung beziehen.

(Fi) ist die Feministenpartei von Gudrun Schyman, ehemals Parteichefin der Linkspartei. Diese konnte zumindest in Schymans Heimkommune Simrishamn einen Erfolg verbuchen – als drittstärkste Partei mit vier Sitzen.

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Warten auf den Reichstag

Na sowas. Euch so lange warten zu lassen, war selbstverständlich nicht geplant – ab und an kommt einem dann aber doch die Arbeit, inklusive Reisen, dazwischen.

Zum Trost sei gesagt, dass in Schweden in der Zwischenzeit so gut wie nichts passiert ist. Die Verhandlungen zur Regierungsbildung liefen hinter verschlossenen Türen und viele der Gerüchte, über die in den letzten anderthalb Wochen geschrieben wurde, entpuppten sich als Enten.

Heute tritt endlich der neu gewählte Reichstag zusammen und wählt sich seinen Sprecher (Talman). Dieser Posten ist das Äquivalent zum deutschen Bundestagspräsidenten und das formell höchste Amt, in das man in Schweden gewählt werden kann. Bei der Wahl des Talman wird sich zum ersten Mal zeigen, ob Fredrik Reinfeldt Stimmen aus der Opposition für “seinen” Kandidaten herausgehandelt hat, oder ob die neu im Parlament vertretenen rechtsextremen Schwedendemokraten ihre vermeintliche Rolle als Zünglein an der Waage ausspielen können.

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Immer langsam

Die sogenannten Qualitätsmedien zeichnen sich nach den schwedischen Wahlen durch Ungeduld aus. Die Stimmenauszählung läuft noch und die einen bauschen den hypothetischen Fall, dass weniger als 300 Stimmen Unterschied zur vorläufigen Zählung vom Sonntag für eine eigene Mehrheit von Reinfeldts Allianz reichen würden, zu einer ungerechtfertigten Dramatik auf. Sicher, es gibt die Wahlbezirke, in denen es knapp ist so dass ein paar Stimmen ein Mandat zwischen den Blöcken hin und her schieben können. Knappe Bezirke gibt es jedoch statistisch für beide Seiten und warum bloß die einen zu Gunsten gerade der richtigen Allianzpartei umkippen sollten, bleibt unbegründet.

Die ZEIT kommentiert derweil (danke, @toco), was für ein Fehler es ist, dass die Grünen die Einladung Reinfeldts ablehnen und “keine Verantwortung übernehmen”. Dazu kann man wiederum nur sagen, dass so eine Einschätzung völlig verfrüht ist. Hier warten erst einmal alle auf das endgültige Wahlergebnis, das sich bis morgen Vormittag verspäten wird. Deshalb gab es auch noch keine direkte Einladung zu Verhandlungen an die Grünen, die sie hätten ausschlagen können.

Aber irgend etwas muss man ja anscheinend schreiben.

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Wie geht es weiter?

Bevor ich mich an die Analyse des Wahlergebnisses mache, ein kurzes Update was jetzt in der schwedischen Politik passiert.

Zuallererst ist zu sagen, dass der bürgerliche Block immer noch die Chance hat, eine eigene Mehrheit zu bekommen. Morgen findet nämlich die sogenannte Onsdagsräkningen (Mittwochszählung) statt, die das vorläufige Ergebnis von vorgestern Nacht neu auszählt und dann auch die Briefwahlstimmen aus dem Ausland beinhaltet. Diese etwa 100.000 Stimmen sind aus Erfahrung eher konservativ als Sozialdemokratisch und es braucht nur 7000 bürgerliche Stimmen in den richtigen Wahlkreisen, um das Ergebnis zu kippen. In diesem Fall wären alle Spekulationen darüber, woher Fredrik Reinfeldt die drei fehlenden Stimmen im Parlament bekommt, hinfällig.

Nichtsdestotrotz finden diese statt und Reinfeldts Einladung an die Grünen waren das Hauptgesprächsthema gestern. Von deren Seite hat man dem bürgerlichen Block erst einmal die Leviten gelesen und eine lange Liste vorgelegt, die eine Zusammenarbeit sehr schwer machen. Dazu gehören die Kernkraftfrage, Klimapolitik, die Umgehungsstraße um Stockholm sowie die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Es wäre den grünen Wählern auch schwer zu vermitteln, wenn man plötzlich zur Stütze einer bürgerlichen Regierung würde, nachdem man mit Rot gegen diese zur Wahl gegangen ist. Dennoch wäre es wohl vermittelbar und sinnvoll, wenn man dabei der Regierung ein paar der grünen Kernfragen aufzwingen könnte – das denkt zumindest Per Gahrton, Mitbegründer der schwedischen Grünen. Zusätzlich will man nur in Verhandlungen gehen, wenn auch die Sozialdemokraten mit dabei sind.

Eine alternative Lösung für Reinfeldt wäre, drei beliebige Parlamentarier aus dem Rot-Grünen Block “abzuwerben”. Dass Abgeordnete ihre Partei verlassen und “poltische Wilde” im Parlament werden, kommt immer wieder vor und diese Personen könnten, wenn sie es geschickt anstellen, als Helden herauskommen, die den Einfluss der Schwedendemokraten verhindern. Nebenbei müssten sie sich nicht voll der Allianz anschließen, sondern von Fall zu Fall für oder gegen sie Stimmen, so dass sie gleichzeitig ihrem Wählerauftrag gerecht werden könnten und die Regierungspoliktik in Richtung Rot-Grün ziehen.

Vorerst heißt es jedoch abwarten. Reinfeldt selbst betonte gestern, dass er erst am 5. Oktober, wenn das neue Parlament zusammentritt, mit seinem Regierungsvorschlag an die Öffentlichkeit treten wird und dass bis dahin in Ruhe Verhandlungen geführt werden müssten und zwar nicht via Journalisten. Um Spekulationen und Informationslecks vorzubeugen, prägte er den zitatwürdigen Satz “Alles was nicht von mir gesagt wird, ist falsch.”

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Reaktionen

Dass die fremdenfeindlichen Schwedendemokraten ins Parlament gewählt wurden hat landesweit Bestürzung, Ärger und Enttäuschung ausgelöst. Typische Zitate aus meinem Bekanntenkreis lauten “Pfui Teufel!”, ”,7 Prozent der schwedischen Bevölkerung sollten sich was schämen!”, “Katastrophe!”, “Schweden fühlt sich heute anders an. Auf schlechtere Weise” oder “Heute schäme ich mich für mein Land”.

In der Tat hat Schweden als Inbegriff von Offenheit und das Bewusstsein, vieles besser hinbekommen zu haben als der Rest der Welt, einen Knacks erlitten. Via Facebook organisierten sich gestern in den Städten spontane Demonstrationen gegen Rassismus und Intoleranz mit tausenden Teilnehmern. So voll hat man den Sergels Torg lange nicht gesehen:

Videolink

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Vorläufiges Endergebnis

valresultat Die nebenstehende Grafik zeigt das vorläufige Endergebnis (siehe val.se) der gestrigen Reichstagswahl in Schweden. Daran werden sich höchstens noch vereinzelte Zehntel ändern, wenn man am Mittwoch die endgültige Auszählung bekannt gibt.

Die wichtigsten Ergebnisse sind demnach:

  • Die Sozialdemokraten (S) sind Verlierer der Wahl und bekommen so wenige Stimmen wie nie zuvor. Der Abstand zu den Moderaten (M) von Fredrik Reinfeldt ist von 25 Prozent bei der Wahl von 2002 auf unter ein Prozent geschrumpft, auch wenn (S) größte Partei bleibt.
  • Die kleinen Parteien verlieren leicht, bis auf die Grünen (MP), die drittstärkste Kraft wurden, und die neu hinzugekommenen Schwedendemokraten (SD) am rechten äußeren Rand des Parteienspektrums.
  • Betrachtet man die beiden politischen Blöcke, die jeweils gemeinsam Wahlkampf machen, so ist Rot-Rot-Grün mit 157 von 349 Sitzen im Reichstag weit von der Mehrheit (175) entfernt, jedoch verfehlen auch die “Gewinner” der Wahl, die Allianz aus Moderaten, Zentrum (C), Christdemokraten (KD) und Liberalen (FP), diese Mehrheit und kommen nur auf 172 Sitze.
  • Damit ist eingetreten, was viele befürchtet haben: Die Schwedendemokraten sind mit 20 Sitzen das Zünglein an der Waage – zumindest solange die beiden Blöcke in ihrer bisherigen Konstellation verharren. Da jedoch keine andere Partei mit den Rechtsextremen zusammenarbeiten will, wird eben dies unhaltbar und man erwartet, dass sich der bürgerliche Block den Grünen nähert, um eine Minderheitenregierung aufzustellen.
  • Die Wahlbeteiligung lag 1,7 Prozent höher als bei der letzten Wahl und kam auf 82,1 Prozent

Zu den wahrscheinlichen Gründen für diesen Wahlausgang und was er für die Zukunft Schwedens bedeutet später mehr.

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Wahlgewinner ohne Mehrheit

Mittlerweile sind die meisten Bezirke ausgezählt und die Zahlen aus der Wählerbefragung scheinen sich mehr oder weniger zu bestätigen: Premierminister Reinfeldts Moderate gewinnen etwas hinzu, die Sozialdemokraten verlieren und liegen nur noch knapp vor diesen. Zusammen mit den gewollten Koalitionspartnern liegt der bürgerliche Block, der die letzten vier Jahre Schweden regiert hat, damit vor der Opposition.

Jedoch kommen die rechtsextremen “Schwedendemokraten” in den Reichstag und verhindern möglicherweise eine eigene Mehrheit für die bürgerliche Allianz, die nach derzeitigem Stand auf 48.3 Prozent der Stimmen kommt. Die aktuelle Hochrechnung vom schwedischen Fernsehen sagt, dass die Sitzverteilung im Parlament 175 zu 154 zu 20 für Allianz, Rot-Grün und Schwedendemokraten ausfällt. Damit hätte die Allianz eine eigene Mehrheit mit einer Stimme, wäre also nicht auf Unterstützung außerhalb der Koalition angewiesen.

Nachtrag, 22:00: Diese eine Stimme Mehrheit ist nach der letzten Prognose wieder weg und es kann bis morgen dauern, bis sich das gesetzt hat. Deutsche Medien rätseln auch mit.

Mittlerweile scheint sich die Mandatverteilung auf 172 für die bürgerliche Allianz, 157 für Rot-Grün und 20 für die Schwedendemokraten einzupendeln, was bedeutet, dass letztere das Zünglein an der Waage sind, solange die beiden Blöcke nicht aufbrechen. Die Regierungsbildung wird interessant.

In seiner Rede gibt Fredrik Reinfeldt sich stark. Immerhin hat er das historisch beste Ergebnis für die Moderaten eingefahren, während die Sozialdemokraten ihr schlechtestes abbekamen. Nichtsdestotrotz braucht er eine Mehrheit im Parlament, um wieder Staatsminister zu werden. Er erteilte den Schwedendemokraten eine klare Absage und nannte explizit die Grünen, denen er eine Hand reichen will. Diese hatten jedoch noch Minuten davor dieses Szenario abgelehnt, weil die politischen Unterschiede zu groß seien.

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Auszählung beginnt

Jetzt arbeiten die Wahlhelfer im ganzen Land fleißig an der Auszählung. Man kann auf val.se live mitverfolgen wie die Ergebnisse eintreffen. Zur Zeit sind erst 10 von 5668 Wahlkreisen ausgezählt, es hat also wenig Sinn, dies schon zu kommentieren.

Übrigens werden alle Stimmen im Laufe der kommenden Woche bei der Wahlbehörde noch einmal ausgezählt und das wird das amtliche Endergebnis, das dann auch die Personenstimmen beinhaltet. Die Wahlhelfer brauchen sich heute Abend also nicht um die optionalen Kreuze auf den Stimmzetteln zu kümmern.

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Valvaka 2010

Die Spannung steigt. In ein paar Minuten kommt die erste Wählerbefragung des schwedischen Fernsehens, das 11.000 Menschen an den Wahllokalen befragt hat. Die Erfahrung zeigt, dass diese auf ein bis zwei Prozent richtig liegen. Echte Zahlen, also von den Wahlhelfern gezählte Stimmen, kommen dann etwas später am Abend.

Hier also die Zahlen von SVTs Wählerbefragung:

  • Moderaterna: 29,1 (+2,9)
  • Folkpartiet: 7,2 (-0,3)
  • Centerpartiet: 7,1 (-0,8)
  • Kristdemokraterna: 5,7 (-0.9)
  • Socialdemokraterna: 30,0 (-5)
  • Miljöpartiet: 9,0 (+3,8)
  • Vänsterpartiet: 6,1 (+0,3)
  • Sverigedemokraterna: 4,6 (+1,7)
  • Übrige: 1,2 (-1,6)

Die beiden Blöcke hätten damit: 49,1 Prozent für die Bürgerlichen, 45,1 Prozent für die Rot-Grünen.

Sollte sich das bestätigen, hätte Schweden eine neue Partei im Parlament – die rechtsextremen Schwedendemokraten. Die Sperre liegt in Schweden nämlich bei vier Prozent. Das kann bedeuten, dass die bürgerliche Allianz, trotzdem sie die Wahl gegen Rot-Grün gewonnen zu haben scheint, keine eigene Mehrheit im Reichstag bekommt. Dann würde Fredrik Reinfeldt wohl eine Minderheitenregierung anführen und versuchen, die Grünen ins Boot zu holen, was allerdings die “grüne Stimme der Allianz”, die Centerpartiet, verprellen dürfte.

Als erste Analyse kann man wohl sagen, dass die Sozialdemokraten, nicht ganz unerwartet, die großen Verlierer sind und nicht einmal mehr mit Abstand die größte Partei werden. Damit kann die vom bürgerlichen Block kopierte Strategie, zusammen mit fertigen Koalitionspartnern in den Wahlkampf zu gehen, als gescheitert erachtet werden. Die Linkspartei ist vielen außerhalb ihres eigenen Wählerkreises sehr suspekt und war den Sozialdemokraten ein Klotz am Bein. Ursprünglich wollten sie auch nur mit den Grünen zusammenarbeiten.

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