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Reinfeldt in Kritik

Noch gut acht Wochen sind es bis zur Wahl in Schweden und es gibt den ersten Skandal, der den Ausgang beinflussen könnte.

Es begann damit, dass Arbeitsminister Littorin letzten Mittwoch plötzlich zurücktrat. Als Gründe gab er ausschließlich Privates an. Der Gerichtsstreit mit seiner Ex-Frau nehme ihn sehr in Anspruch und er wolle seine Kinder aus dem Rampenlicht der Medien nehmen. Das klang plausibel und wurde als wenig relevant für den Wahlkampf beurteilt.

Dann kam jedoch heraus, worum es eigentlich ging. Das Aftonbladet (äquivalent BILD-Zeitung) hatte Littorin am Tag vor seinem Rücktritt mit den Anschuldigungen einer Frau konfrontiert, dass er Sex von ihr gekauft haben soll. Dazu muss man wissen, dass käuflicher Sex in Schweden für die Freier strafbar ist (nicht für die Prostituierten).

Premierminister Reinfeldt ist von der Affäre insofern betroffen, dass er zwischen Littorins Rücktritt und dem Bekanntwerden der Anschuldigungen öffentlich gesagt hat, dass Littorins Angaben aus der Rücktritts-Bekanntgage sich mit dem deckten, was dieser ihm persönlich mitgeteilt habe. Später musste er jedoch zugeben, dass Littorin ihn doch schon zu Beginn von den Anschuldigungen unterrichtet habe und dass sie mit Grund für den Rücktritt waren, wenn auch in der Sache falsch.

Littorin wird also vorgeworfen, seine Kinder anstatt des wahren Grundes vorgeschoben zu haben, und Reinfeldt, dass er mitgeholfen hat, Nebelkerzen zu werfen, wenn nicht gar öffentlich und wissentlich gelogen zu haben.

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Valpejl.se

Man muss sie einfach gern haben, die Transparenz, die sich aus dem schwedischen Öffentlichkeitsprinzip ergibt. Dank selbigem kann das hiesige öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen zum Beispiel die Seite Valpejl aufsetzen, die eine Übersicht über alle Kandidaten zu den Wahl im September bietet – inklusive allerlei persönlichen Informationen wie Alter, Wohnort, Einkommen der letzten beiden Jahre und in welchen Firmen sie aktiv sind. Zusätzlich können die Kandidaten, wenn sie wollen, ihr Profil dort ausfüllen und ein paar Standardfragen beantworten.

Beim Versuch, profilierte Minister wie Außenminister Carl Bildt oder Finanzminister Anders Borg dort nachzuschlagen, wird man nicht fündig, denn sie treten in der Tat nicht selbst zur Wahl an. Um Minister zu werden, braucht man nämlich keinen Parlamentsplatz. Premierminister Reinfeldt ist jedoch dabei.

Valpejl bedeutet übrigens “Wahl-Peilung”; ähnlich salopp wie der deutsche Ausdruck “von etwas Peilung haben”.

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Kernkraft wieder erlaubt

Gestern wurde – mit denkbar knapper Mehrheit – im schwedischen Parlament der Gesetzentwurf der Regierung angenommen, der das Verbot von neuen Kernreaktoren aufhebt.

Das war eine wichtige Entscheidung, nicht nur weil es ein Wahlversprechen war, das Staatschef Reinfeldt jetzt noch kurz vor den Neuwahlen einlöst, sondern auch weil Schweden damals Vorreiter beim Atomausstieg war und Modell für Kernkraftgegner auch in Deutschland.

Nach dem neuen Gesetz wird Schweden auch in Zukunft höchstens 10 Reaktoren haben, eventuelle neue müssen also bestehende ersetzen (an denselben Standorten). Außerdem müssen sie ohne Subventionen gebaut werden und die Betreiber können nicht mehr auf so viele Garantien im Schadensfall hoffen. Die beiden letzten Punkte dürften es sehr unwahrscheinlich machen, dass tatsächlich bald ein neuer Meiler in Schweden entsteht. Ohne massive Subventionen gäbe es nämlich gar keine Kernkraftwerke und der einzige zur Zeit in Europa im Bau befindliche (in Finnland) liegt Jahre hinter dem Zeitplan und Milliarden von Euro über dem Budget.

Ganz abgesehen davon tritt der gestrige Beschluss erst zum Jahreswechsel in Kraft und bis dahin könnte das Gesetzt schon wieder abgeschafft sein. Die Opposition hat dies für den Fall angekündigt, dass sie die Wahl im September gewinnen.

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Neues vom Wahlkampf

Noch gut vier Monate sind es bis zur Wahl und der Wahlkampf ist mittlerweile ordentlich angelaufen. Fast täglich liest man in der Zeitung einen Meinungsartikel, oft mit Politikernamen als Absender, der für oder gegen einen Teilaspekt der eigenen oder gegnerischen Parteilinie argumentiert.

Um den Verlust 2006 nicht zu wiederholen, kopieren die Sozialdemokraten diesmal das Konzept der regierenden bürgerlichen “Allianz” und treten offiziell zusammen mit Linkspartei und den Grünen an. Das hat allerlei Kritik hervorgebracht, indem man den Finger auf die Themen legte, in denen die drei Parteien wesentlich voneinander abweichen, und klare Aussagen verlangte. Dabei kam der ein oder andere seltsame Kompromiss heraus, zum Beispiel bei der Vorbeifahrt Stockholm. Die Sozialdemokraten sind dafür, die beiden kleineren Partner dagegen. Deshalb will man einen Volksentscheid zu dem Thema durchführen, falls man die Wahl gewinnt. Verfassungsrechtliche Probleme (es müsste ein eigenes Gesetz erlassen werden dafür) werden vorerst ignoriert. Bei der Arbeitsmarktpolitik, den Steuern sowie der Kranken- und Arbeitslosenversicherung mussten alle für sie jeweils bittere Pillen schlucken, um eine gemeinsame Linie vorlegen zu können. DN hat eine Zusammenstellung der Kompromisse (PDF).

Gestern legten die Rot-Grünen ihr Schattenbudget vor, das die geplanten Veränderungen im Falle des Wahlsieg konkretisiert:

  • Am meisten dürfte die Allianz schmerzen, dass die Rot-Grünen den Jobbskatteavdrag, eine massive Steuersenkung für Arbeitende, größtenteils beibehalten wollen. Sie haben als Opposition zwar immer dagegen argumentiert, wollen aber nur die letzte Stufe (10 von 70 Milliarden Kronen) zurücknehmen. Das ist zwar im Prinzip ein Sieg für den jetzigen Finanzminister Borg, aber es wäre ihm eben leichter gefallen, gegen eine geplante Abschaffung zu argumentieren.
  • Die Steuern für Rentner zu kürzen steht auch auf dem Programm von Rot-Grün und ist wohl auch von bürgerlicher Seite geplant, aber weil erstere schneller waren, ist man in der Defensive.
  • Die steuerliche Absetzbarkeit der Arbeitslosenversicherung will man wieder einführen, also in der Praxis eine Steuererhöhung, die nur die betrifft, die nicht in der “A-kassa” sind. Damit will man die vielen zurückgewinnen, die aus dem System ausgetreten sind, seit die Allianz es für den einzelnen verteuert hat.
  • Auch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung sollen wieder angehoben werden, ebenso die der Krankenversicherung
  • 10 Milliarden pro Jahr für Investitionen in Infrastruktur (unter anderem Schnellzüge und öffentliche Verkehrsmittel) sind ein wichtiger zusätzlicher Ausgabenpunkt, ebenso die 12 Millarden mehr an die Kommunen für Wohnungsbau und Schulen.
  • Um das alles zu finanzieren will man wie erwähnt die Steuern erhöhen, es soll jedoch vor allem die treffen, die mehr als 40.000 Kronen pro Monat verdienen. Außerdem soll die abgeschaffte Vermögenssteuer wieder eingeführt und alle Umweltsteuern sowie Alkohol- und Tabaksteuern erhöht werden.
  • Weniger ausgeben will man unter anderem beim Militär. Die Steuererleichterung für “haushaltsnahe Dienste”, die man von Linker Seite als ideologisch falsch ansieht (ein “Hausmädchen” zu haben ist elitär und Klassendenken), will man abschaffen; die für Handwerkslöhne jedoch ausbauen.

Das ist alles klassisch “linke” Politik: höhere Steuern, vor allem für “Reiche”, die höhere Ausgaben und Leistungen des Staates finanzieren sollen. Und weil viele Schweden als Grundhaltung haben, eben diese Leistungen als sinnvoll und notwendig zu erachten, kann man hierzulande mit Steuererhöhungen Wahlen gewinnen. Die letzte Umfrage sieht Rot-Grün vorne (Flash).

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Wahlkampf eröffnet

Wie erwartet stürzt sich die schwedische Politik nach dem Ende der EU-Ratspräsidentschaft in den Wahlkampf. Am 19. September sind sowohl Reichstags- als auch landesweite Kommunalwahlen.

Zum Auftakt gab es gleich mehrere Fernseh- und Radio-Duelle der sieben Parteivorsitzenden. Die regierende bürgerliche Allianz aus Moderaten, der liberalen Volkspartei, Zentrum und Christdemokraten tritt wieder gemeinsam an. Neu ist, dass die bei weitem größte Partei, die Sozialdemokraten, diese Strategie nachahmen und sich schon jetzt deutlich mit den Grünen und der Linkspartei verbündet.

Das hauptsächliche Unterscheidungsmerkmal de beiden Blöcke sind bisher die Steuern: Die Allianz will weiter senken; der linke Block will erhöhen. Ja, in Schweden kann man mit Steuererhöhungen zur Wahl gehen, ohne dass das automatisch einem Todesstoß gleichkommt. Solidarität ist zwar ein abgenutzter Begriff, wird aber weiter hochgehalten. Das Argument der Sozialdemokraten ist, dass die Bürgerlichen den Sozialstaat zu weit eingeschränkt haben, um damit Steuervorteile für Besserverdienende zu finanzieren. Einzelne Fälle, in denen Langzeit-Krankgeschriebene trotz offensichtlicher Beschwerden (z.B. Krebskranke) zu Arbeit gezwungen wurden, werden gerne angeführt, um für eine Lockerung der von der Allianz verschärften Bedingungen zu werben.

Gleichzeitig dreht sich die Diskussion um die Deutungsherrschaft des derzeitigen Zustands von Schweden. Die Regierung kann mit einiger Glaubwürdigkeit sagen “Schaut her, wir haben die Wirtschaftskrise mit viel Stimulanz abgefedert und uns trotzdem nicht überschuldet. Die Wachstumsvorhersagen sind glänzend und die für die Arbeitslosigkeit auch.”

Umfragen zufolge schrumpft der Vorsprung des linken Blocks und der Ausgang der Wahl ist offen. Die bisherigen und zukünftigen Artikel zum Thema sind unter dem Schlagwort Wahl 2010 gemeinsam aufrufbar.

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Zentrum und Christdemokraten raus, Schwedendemokraten rein?

Im September kommenden Jahres sind in Schweden wieder Wahlen und auch jetzt ist ein Blick auf die aktuellen Umfragen schon interessant. Es sieht nämlich so aus als hätte die derzeitige bürgerliche Regierung die Chance, wiedergewählt zu werden. Das wäre insofern historisch und ungewöhnlich, als dass nicht-sozialdemokratische Regierungen bisher immer nur ein kurzes Zwischenspiel waren.

Die Gründe sind wohl nicht zuletzt, dass es der Regierung geglückt ist, sich als gute “Krisenmanager” hinzustellen und dass Premierminister Reinfeldt als EU-Ratsvorsitzender eine gute Figur abgibt und Schweden für seine Leistung Anerkennung erntet. Dieser Bonus aus der Außenpolitik wird auch nächstes Jahr noch eine Rolle spielen und ist ein Feld, wo Oppositionsführerin Sahlin wenig dagegen halten kann.

Was Reinfeldt jedoch die Wiederwahl kosten könnte, sind seine kleineren Koalitionsparteien. Sowohl die Zentrumspartei als auch die Christdemokraten liegen laut obiger Umfrage nah an der Vier-Prozent-Hürde. Die schwedischen Grünen, die mit den Sozialdemokraten koalieren wollen, sind dagegen im Aufwind.

Gleiches gilt – zum großen Bedauern vieler – auch für die ausländerfeindlichen Schwedendemokraten, die mit guter Marginale zum ersten Mal in den Reichstag kämen, wenn die Umfrage Wahlergebnis würde. Tritt dieser Fall ein, ist es wahrscheinlich, dass weder der bürgerliche noch der rot-grüne Block eine eigene Mehrheit zur Regierungsbildung haben. Es gibt jedoch eine breite Ablehnung der Schwedendemokraten in den anderen Parteien, so dass es dann wohl eher auf eine Minderheitenregierung als auf Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen hinauslaufen wird.

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In aller Kürze

Was ist gerade aktuell in Schweden?

  • Freischulen. In Schweden können Firmen Schulen betreiben und bekommen pro Schüler das gleiche Geld wie kommunale Schulen. Das ist ein gutes Geschäft und die Diskussion darum ist nicht neu. Gerade handelt sie vor allem davon, inwieweit es gerechtfertigt ist, wenn auf diese Weise Steuergelder direkt an Aktieninhaber ausgeschüttet oder im Ausland investiert werden.
  • Schnellzüge. Die Regierung würde gerne Hochgeschwindigkeitszüge (Snälltåg) auf den Weg bringen, doch Kritiker meinen, das sei aus Umweltgesichtspunkten (Stichwort: klimatsmart) Unsinn.
  • Israel ist empört über einen schwedischen Zeitungsartikel, in dem behauptet wird, palästinensische Opfer würden für Organhandel missbraucht. Die Forderung nach einer Entschuldigung oder Distanzierung der schwedischen Regierung lehnt man hierzulande jedoch ab. Schließlich könne man nicht die Verfassung brechen und gegen die eigene Pressefreiheit vorgehen. Außenminister Bildt nutzt wie üblich sein Blog zur Stellungname (1 2) und fügt hinzu, dass eine Distanzierung von einem bestimmten Artikel eine Zustimmung zu all dem anderen Unsinn, der gedruckt werde, impliziere.
  • Schweinegrippe-Impfungen stehen auch in Schweden an und damit die Diskussion über Sinn und Unsinn derselben, samt welche Gruppen bevorzugt werden sollten.
  • Christer Fuglesang, der einzige schwedische Astronaut, wird – vorausgesetzt alles geht gut – morgen zu seiner zweiten Reise im Space Shuttle zur Internationalen Raumstation aufbrechen. Er twittert darüber: @CFuglesang (schwedisch und englisch).
  • Ein neuer Botschafter der USA ist in Stockholm eingetroffen und willkommen geheißen worden. Matthew Barzun ist mit 38 Jahren einer der jüngsten Botschafter und der Netz-Welt unter anderem von CNet bekannt. Der Posten ist Obamas Dank für Barzuns erfolgreiches Engagemang in seiner Wahlkampagne.

  • Die schwedische Wirtschaft hat ebenso wie die deutsche aufgehört zu schrumpfen, bis zu einem echten Aufschwung erwartet man aber weiter steigende Arbeitslosenzahlen. Die Regierung verspricht weitere Steuersenkungen zum Jahreswechsel und hält sich mit Konjunkturprogrammen zurück. Die Sozialdemokraten in der Opposition fordern mehr öffentliche Eingriffe in den Arbeitsmarkt. Da wirft die Parlamentswahl in einem Jahr schon ihre Schatten voraus. Gleichzeitig wird diskutiert, ob “die Krise” nicht maßlos überbewertet ist, schließlich habe die große Mehrheit der Bevölkerung nichts von ihr mitbekommen und durch die Zinssenkungen auf die Wohnungs- und Häuserkredite sogar mehr Geld in der Tasche. Politik solle den Wohlstand der Menschen und nicht das Bruttosozialprodukt optimieren.

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Politisches

Die politische Stimmung in Schweden hat sich in den letzten Wochen und Monaten verändert. Im September lag die Opposition aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen laut Umfragen fast zehn Prozent vor der Regierungskoalition aus Moderaten, Volkspartei, Zentrum und Christdemokraten. Nach aktuellen Befragungen ist dieser “Vorsprung” jetzt so gut wie aufgebraucht und die beiden Lager sind in der Wählergunst gleichauf.

Auch wenn sich die deutsche SPD über die 38 Umfrageprozent der schwedischen freuen würde, kann man Fragen, woran der Stimmungswandel liegt. Die hiesigen politischen Kommentatoren sehen zwei Hauptgründe:

  • Die Regierung Reinfeldt hat sich erfolgreich als Krisenmanager darstellen können. Unabhängig davon, ob sie wirklich gute Arbeit leisten, hat sich dieser Eindruck festgesetzt, was schlicht daran liegen könnte, dass Menschen in unsicheren Zeiten dazu neigen, sich hinter die aktuellen Führungspersonen zu stellen.
  • Die Sozialdemokraten unter Mona Sahlin ringen mit ihrer eigenen Linie und dem Verhältnis zu den möglichen zukünftigen Koalitionspartnern. Im November kam die Meldung, dass man mit den Grünen eine gemeinsame Wahlplattform ausarbeiten will, unter Ausschluss der Linken, die die letzte sozialdemokratische Regierung unterstützten. Das war ein unpopulärer Schachzug; man machte kurz darauf einen Rückzieher und holte die Linke ins Boot. Und die ganze Diskussion, ob eine so frühe – es sind noch anderthalb Jahre bis zur Wahl – klare Koalitionsaussage gut oder schlecht ist, lässt die Opposition zur Zeit nicht als Alternative mit klarer Linie erscheinen. Aber wie gesagt ist es noch lange bis zur Wahl und viel kann passieren. Ein weiterer Faktor, der leider auch immer eine Rolle spielt, ist das Charisma der jeweiligen Spitzenkandidaten. Mona Sahlin hat es noch nicht geschafft, sich gegen den eigentlich eher blassen Fredrik Reinfeldt als vertrauenserweckende mögliche Regierungschefin darzustellen. Aber das soll der Wahlkampfmanager von Obama wohl jetzt [ändern](http://www.sr.se/cgi-bin/international/nyhetssidor/artikel.asp?nyheter=1&programid=2108&Artikel=2671182).
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