Deutet man an, dass die Sitten von Einwanderern Probleme mit sich
bringen, wird man schnell Rassist genannt. Aber natürlich müssen
Kulturen infrage gestellt werden dürfen. Zumindest wenn wir es wagen,
mit der eigenen anzufangen, schreibt Maciej Zaremba im abschließenden
Artikel der Serie Warten auf
Schweden .
Talal Eid erzählt, dass seine Arbeit “Muslime in Amerika” heißen sollte.
Es wurde stattdessen “Amerikanische Muslime”. Warum der Unterschied?
“Der 11. September”, sagt er. “Die Nachbarn fingen mich an zu beäugen,
fragten sich, worauf ich hinaus wollte, auf welcher Seite ich stand. Das
war nicht angenehm, aber verständlich. Damals hielten sich die Muslime
Bostons unter ihresgleichen und nahmen nur selten und ungern an der
großen Gesellschaft teil.”
Talal Eid ist Imam und Gründer des Islamic Center of New England. Bei
unserem Treffen in
Rinkeby^1^
erzählt er, wie tausende nach den Attentaten zu dem selben Schluss kamen
– es ist nicht genug, eine tolerierte Randgruppe zu sein – will man
Gleichstellung, darf einem nicht egal sein, was das Land beschäftigt.
“Im Großen und Ganzen fiel die Zeit nach dem 11. September gut für uns
aus. Mehr muslimische FBI-Agenten und andere Funktionäre. Wir waren
dabei.”
Das ist wohl nicht übertrieben. 2006 kam der erste Muslim in den
amerikanischen Kongress. Keith Ellison, so sein Name, erklärte, dass er
seinen Eid auf den Koran ablegen wolle. Es gab Proteste, die jedoch
schnell versiegten als klar wurde, dass er auf ein Exemplar des Koran
schwören würde, das er aus der Kongressbibliothek ausleihen durfte: 1764
in London gedruckt, ein Jahr später von Thomas Jefferson gekauft. So
baut man ein Volk…
Keith Ellison wurde von “Little Somalia” in Minneapolis in den Kongress
gewählt. Die Hauptstraße dort heißt Snoose Boulevard, im Gedenken an die
Schweden des vorvorletzten Jahrhunderts mit ihrem
Snus^2^.
Man sagt, es sei kein Zufall, dass es so viele Einwanderer nach
Minnesota zieht. Es läge etwas Skandinavisches und Voruteilsfreies über
dem Bundestaat. Umso seltsamer, dass die Somalier so gut in Minnesota
zurecht kommen und so schlecht in Schweden, wo sie es von allen
Flüchtlingsgruppen am schwersten haben, Arbeit zu finden, und am ehesten
im Verbrechensregister landen. Abdi Aynte, BBC-Journalist in
Minneapolis, wundert sich selbst, wie gut seine Landsleute klarkommen,
in Anbetracht der Schwierigkeiten, die ihre Kultur mit sich bringen
kann.
Zum Beispiel finden viele, dass es eine Sünde ist, Geld zu leihen. Also
verweigern sie Studienkredite. Trotzdem gibt es schon jetzt mehr
Somalier als einheimische Schwarze an den Hochschulen. “Ein Rätsel”,
lacht Aynte. Weniger lustig ist, dass andere es für sündhaft halten,
Alkohol zu handhaben. Oder Hunde. Das wäre weniger ein Problem, wenn
nicht fast alle Taxis der Stadt von Somaliern gefahren würden. Nach über
5000 Klagen von abgewiesenen Reisenden (darunter Sehgeschädigte mit
Blindenhund) drohten die Behörden, den Frömmelnden die Taxi-Lizenz zu
entziehen. (Eine Reihe Imame befand, die Berührungsangst habe keinerlei
Grundlage im Koran.) Aber die Fahrer sahen das als Diskriminierung und
gingen vor Gericht. Das wies die Klage ab: Alle dürfen ihre Religion
frei ausüben, aber niemand ist gezwungen, Taxi zu fahren.
Das erzählt Abdi Aynte in einem Seminar in Rosenbad^3^. Eine
handvoll Schwedensomalier lacht wissend. Aber meine in Schweden
geborenen Landsleute runzeln die Stirn.
Nein, so freimütig reden wir in Schweden nicht über Kultur. Wenn man
andeutet, dass Bräuche von Einwanderern Probleme bereiten, kann man von
von irgendeinem halbstaatlichen Organ gebrandmarkt werden. Ist der
Verstoß gering, kommt man mit “Kulturrassist” glimpflich davon. Wir
erinnern uns, wie das R-Wort in der Debatte um Ehrenmorde hernieder
prasselte.
Ich verstehe, wie es dazu kam. Jahrzehntelang befand man alle Kulturen
für der schwedischen unterlegen, bis einige Stigmatisierte der Sache
überdrüssig wurden. Aber deren Lösung – den Begriff “Kultur” wie die
Pest zu meiden, ist unakzeptabel.
Ich lese, dass schon verdächtig ist, wer “Zusammenprall von Kulturen”
sagt, denn so reden nur die, die “diskriminieren” wollen. Das schrieb
das Zentrum gegen Rassismus fest, eine Organisation, die vier Jahre lang
staatlich finanziert war (bis Nyamko Sabuni 2007 den Geldhahn zudrehte).
So wie viele seltsame Ideen hat auch diese eine nachvollziehbare
Geschichte. Als in Europa Rassenlehren strafbar wurden, veränderten die
Xenophoben ihren Sprachgebrauch. Es hieß nicht mehr, dass Araber eine
schlechtere Rasse waren, sondern dass ihre Kultur mit der französischen
unvereinbar war. Unglücklicherweise kam gleichzeitig die postkoloniale
Ideologie auf, die behaupten konnte, es sei “Kulturimperialismus”, für
Feminismus oder Liberalismus in Afrika zu plädieren. Und irgendwie
landeten diese beiden Denkmuster in einer perversen gegenseitigen
Umarmung. Ich habe französische Rassisten erklären gehört, dass es zum
Schutz ihrer Kultur vor schädlichem europäischem Gedenkengut sei, wenn
Front National Afrikaner aussperrt.
Selbstverständlich war es nötig, den Missbrauch von “Kultur” durch die
Rechtsextremen zu durchdringen. Doch wiederum griff der historische
Zufall ein. Die Berliner Mauer fiel, die Arbeiter der westlichen Welt
verstanden sich nicht mehr als das Salz der Welt, eher als ihre immer
schuldbewusstere Mittelschicht, weshalb dem Marxismus die Luft ausging.
Dachte man.
Jemand sollte einmal beschreiben wie es vor sich ging, dass daraus
“Antirassismus” wurde. “Einwanderer” mussten herhalten als sich das
Proletariat nicht mehr aufstellen wollte. Uns wurde der Auftrag
anvertraut, den Kapitalismus zu unterwandern. (Warum wird man eigentlich
nie gefragt, welche Rolle man in der Apokalypse spielen will?)
Vereinfacht sieht das “antirassistische” Schema folgendermaßen aus: Das
Kapital braucht gefügige Arbeitskraft. Einwanderer sind das beste
Material. Indem man deutlich macht, wie “anders” sie sind, macht man sie
extra abhängig, wodurch man sie leichter ausbeuten kann. Deshalb ist
Rassismus im Interesse des Kapitals. Was wiederum erklärt, warum das
(kapitalistische) Schweden per Definition von Rassismus durchsetzt sein
muss und warum alle Reden vom Zusammenprall von Kulturen eine suspekte
Agenda beinhalten. Kulturen gibt es, aber alle sind gleichwertig, dürfen
nicht miteinander verglichen werden, noch weniger gegeneinander
aufgewogen.
Ich übertreibe nicht. All dies kann man in der Integrationsuntersuchung
(SOU 2005:41) nachlesen, geführt von Masoud Kamali, bestellt von Mona
Sahlin^4^.
Wenn Ihr einen hauptberuflichen Antirasissten trefft, der diesen
heilsbringenden Blick hat, kann es passieren, dass er mit Rassismus
etwas anderes meint als im Wörterbuch steht. Vielleicht meint er
“Kapitalismus”, oder den “Westen”, die “Moderne” oder einfach “die
herrschende Ordnung”. Im schlimmsten Fall meint er tatsächlich
“Demokratie”. So wird der Antirassismus in Schweden von Ideologen
kompromittiert. Das sollte alarmieren, denn er wird tatsächlich
gebraucht.
Zum Beispiel erklärt der Redakteur der “Kunskapsbanken” des Zentrum
gegen Rassismus (CMR), dass ein Einwanderer kein Rassist sein kann. Der
Begriff passt ausschließlich auf Schweden (die Mehrheitsgesellschaft).
(Ich merke, dass die strikte Trennung von Einwanderern und Schweden von
den Schwedendemokraten begrüßt werden dürfte.) Masoud Kamali sagt mir
seinerseits, dass der Völkermord der Araber an den Schwarzen in Darfur
nicht im Rahmen von Rassismus diskutiert werden dürfe, denn an dieser
Plage ist allein der weiße Mann Schuld.
Ich erwähne das alles als Hintergrund dafür, warum die unumgängliche
Diskussion darüber, was Integration ist, wer sich an wen anpassen soll
und warum, beklagenswerterweise fast völlig ins Stocken gekommen ist.
Oder schlimmer – sich in die Hinterzimmer zurückgezogen hat, wo die
Schwedendemokraten rumhängen. Die “Antirassisten” haben uns nicht von
ihren Theorien überzeugt, aber sie haben es geschafft, den Begriff
“Kultur” zu stigmatisieren.
Am 14 Oktober 1956 sammelten sich 400.000 Menschen auf einem Feld vor
der indischen Stadt Nagpur, um von ihrer Kultur Abschied zu nehmen. Sie
verwarfen sie, gemeinsam und für immer, weil sie einsahen, dass sie sie
ihrer Menschenwürde beraubte. Sie hatten versucht zu reformieren, hatten
alles getan, argumentiert, demonstriert… Sie bekamen auch Recht vor dem
Gesetz, aber was half das gegen tausendjährige Bräuche. Sie standen
trotzdem weiterhin niedriger in den Augen der anderen. An diesem Tag
entsagten sie also dem Hinduismus, dieser reichen Tradition mit
Mahabarata und Bhagavad und allem drum und dran, einer Bilderwelt und
Literatur, die zweitausend Jahre die ihre war, aber die sich als
unmöglich erwies, sie mit einem Leben in Würde zu vereinen.
So begab es sich, als die Unberührbaren zum Buddhismus konvertierten, um
das Kastenwesen aus ihren Seelen zu vertreiben.
Wenn man sich das Recht nimmt, die Qualität einer Kultur zu diskutieren
(gemessen an den Chancen der Menschen auf ein würdiges Leben) wird die
Geschichte unverständlich. Als eine Million Schweden aus dem Land
flohen, war es nicht nur die Armut, es war auch die erdrückend gewordene
Einheitskultur.
Eine Kultur kann versteifen, kann zum teilweise Behinderten werden und
Krankengymnastik brauchen. Sie kann mehr oder weniger verschlossen sein,
sich selbst zu Ignoranz oder Selbstlügen verurteilen, Einbildung und
Berührungsängste wachsen lassen, sich in leeren Gesten festfahren, oder
in Opfermythen. Sie kann manipuliert werden, um eine verrottete Ordnung
aufrecht zu erhalten. (“Sollte der Schleier in der arabischen Welt einer
echten demokratischen Entscheidung unterworfen werden, würde er ohne
weiteres fallen”, schrieb der Poet Adonis vor kurzem.)
Man muss also die Kultur von anderen kritisch diskutieren können, mit
Distanz und ein wenig Humor. Das ist überhaupt nicht gefährlich oder
rassistisch. Unter einer Voraussetzung: dass wir unsere eigene Kultur
der gleichen Behandlung aussetzen.
Darauf will ich hinaus. Dass auch Schweden eine Kultur haben, genauso
wie die Jemeniten. Das ist nichts Neues für den Mitbürger, dürfte es
aber für die Mehrheit unserer Politiker und Integrationsexperten sein.
Liest man deren Werke, wird einem etwas Erstaunliches klar: Es sind nur
die anderen, die eine “Kultur” haben. Franzosen haben eine und Muslime.
Wir nicht. Kultur stellt sich dort als etwas Unmodernes und Unreifes
dar, dem Schweden entwachsen ist, so wie man Kinderkrankheiten
entwächst. Mithilfe der Vernunft haben wir uns von allem Unfug befreit
und sind nunmehr normal, wenn wir nicht sogar “das Normale” sind.
Natürlich ist das eine Art Ethnozentrismus, aber ein besonders giftiger,
denn im Gegensatz zum deutschen oder französischen ist der schwedische
seiner selbst nicht bewusst, sondern selbstverständlich.
Nirgends wird das so deutlich wie in den SFI^5^-Büchern. Die
meisten Schweden empfinden das Jante-Gesetz^6^ wohl als eine
Behinderung und Hindernis für Lebensfreude und Kreativität. In den
SFI-Büchern wird es dagegen gelehrt als sei es Teil der UNO-Charta. Die
angemessene Antwort, wenn jemand deinen Text lobt, den du selbst für
brillant hälst, soll sein: “Na ja, er war wohl so so. Ich bin nicht
zufrieden mit der Diskussion am Schluss.”
In Schwedischkursen für Ärzte im Ausland werden auch schwedische Bräuche
unterrichtet, aber mit Distanz. Da kann ein Arzt sagen: “In Schweden
solltest du dich nicht so direkt ausdrücken, wie du es gewohnt bist,
weil die Leute sonst glauben, du hättest psychische Probleme. Du musst
es geschickt verpacken. Es sei denn der Patient ist Finne, natürlich.”
Wenn es nach dem SFI-Buch geht, sollen wir folgenden Satz üben, als sei
es die einzig zivilisierte Art sich auszudrücken: “Ich kann vielleicht
ein wenig fühlen, dass du manchmal mehr Lesen üben bräuchtest.”
Ich kann dem Leser auch nicht dieses Rezept für eine geglückte
Konversation während einer Kaffeepause vorenthalten:
“Was für ein Wetter!” (Das kann sowohl gutes als auch schlechtes Wetter
bedeuten, je nach Betonung und Wetter)
“Wie warm es geworden ist.”
“Oh, was war das ein Wind gestern Abend!”
“Hast du gehört, wie das Wetter am Wochenende werden soll?”
Ja, natürlich reden wir so… Aber kaum weil wir einer Art Universalregel
gehorchen (“Respekt vor dem Privatleben anderer”, behauptet das
Lehrbuch), sondern wegen der nordischen Ängstlichkeit.
Dieser Mangel an Selbstdistanz wäre belustigend, hätte er nicht so
ernste Konsequenzen. Das Unvermögen, das Exotische an der eigenen Kultur
zu sehen, die man als supermodern wahrnimmt, bringt es mit sich, dass
man automatisch das der anderen beklagt. Jemand, der in der Kaffeepause
Sterbehilfe diskutieren will, ist nicht nur anders, er ist sozial
inkompetent. Jemand, der an Gott glaubt, kann nicht gleichzeitig so
rational sein wie wir. Und so weiter.
Zurück zu unseren somalischen Flüchtlingen, die so gut in Minnesota
zurecht kommen und so schlecht in Örebro und Rinkeby. Ein paar
Vergleiche: Es gibt über 800 “somalische” Firmen allein in Minneapolis,
gegenüber 38 in ganz Schweden, erklärt der Wirtschaftshistoriker Benny
Carlson, der auf diesem Gebiet forscht. Jeder zweite Somalier in
Minnesota hat Arbeit, knapp jeder vierte in Schweden. Wie wäre es, wenn
wir versuchten, diesen Unterschied nicht mit der somalischen, sondern
mit der schwedischen Kultur zu erklären?
Frau Arisa floh vor dem Krieg in Somalia durch gesperrte Wege in Kenia,
dann via Jemen, Syrien, Libyen und Italien nach Schweden. (Ich möchte
den Reiseführer sehen, der diese Route mit drei Kleinkindern im Gepäck
wiederholt.) Aber als Frau Arisa in Schweden landete, fragte keiner nach
ihren Talenten, die sie hierher gebracht haben. Keiner fragte, was sie
kann (sie war Schneiderin) oder was sie wollte. Was man sah war eine
hilflose und unterdrückte Frau (Schleier!), die eine lange
Eingewöhnungszeit braucht, bevor sie ihre ersten Schritte in Schweden
machen kann. Und so kochte man ihr eine dicke Suppe aus
Fürsorgemaßnahmen, die Frau Arisa entmündigten und ihre Söhne auf den
Weg in die Putzkolonne brachte.
Adbullahi Aress erzählt dies und hat dazu eine Theorie. Als die Somalier
nach Schweden kamen waren sie das Schwarzeste und fremdeste, das man je
zu Gesicht bekommen hatte. Und weil man umso mehr Mitleid mit jemandem
haben muss, je mehr er sich von uns unterscheidet, hat man sich mehr um
sie gekümmert als um andere. “Wir wurden Geiseln des Systems”, sagt
Aress. Er selbst kam durch, indem er vor den Integrierern floh, nach
deren Willen er sich nicht um Arbeit hätte kümmern sollen, bevor er
nicht alle Kurse zu Ende gebracht hatte, die man für ihn ausgesucht
hatte. Heute ist er Forscher bei Sida^7^.
Ich frage wie es mit Frau Arisa weiterging. “Sie wohnt mittlerweile in
England.”
Dort lebt heute auch Mohammed Issa, der 1998 als Beweis für unsere
Offenheit herumgereicht wurde (als erster Somalier in der
Kommunalverwaltung), der aber zehn Jahre lang keine Arbeit in Schonen
fand. In Sheffield dauerte es drei Monate. Auch Ali Hassan wohnt jetzt
in Sheffield, bekommen wir in “Konflikt” auf P1^8^ zu hören.
Er ging auf Nummer sicher und lernte einen garantierten Mangelberuf
(Krankenpfleger), aber bei jeder Bewerbung stellte sich heraus, dass es
schon genug Personal gab.
Dann muss es in den zuständigen Regionalverwaltungen doch
Rassenvorurteile geben? Aber was, wenn die Kritik hier nicht standhält?
Mag sein, dass sie nie zu sehen bekamen, wie schwarz er war, dass der
Name genug war. Stattdessen können wir die These untersuchen, ob Hassan
vielleicht aus dem gleichen Grund ohne Arbeit blieb, aus dem Lars
(Nachname: Stjernkvist) Direktor der Integrationsbehörde wurde. Ohne
Zweifel eine respektable Persönlichkeit, allerdings ohne Kompetenz für
den Auftrag (was er bald selbst einsah). Er hatte weder Erfahrung in den
Sachfragen noch innerhalb staatlicher Verwaltung. Es muss hunderte
besser geeignete, manche dunkelhäutige Dozenten in einem passenden
Themengebiet gegeben haben. Oder zumindest erfahrene Beamte. Warum
wurden sie alle zugunsten eines Lars übergangen?
Erlaubt mir zu spekulieren. Weil er über die gleichen Witze wie wir
anderen lachen würde, keine unbegründete Meinung äußern, nicht
gestikulieren oder sich auf Bücher beziehen, die wir nicht gelesen
haben, nicht unterbrechen, gleich verstehen was damit gemeint ist, dass
Olsson “ein wenig speziell” ist. Er war eine Person, mit der man sich
geborgen fühlt. Mit der keine Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit
auftreten würden. Selbstverständlich würde ein dunkelhäutiger Dozent mit
denselben Eigenschaften ebenso infrage kommen. Das Problem ist, dass es
keine solchen gibt.
Entschuldigt die Karikatur. Meine Absicht ist aufrichtig. Man darf Leute
nicht als Rassisten abstempeln, wenn sie nur auf Geborgenheit aus sind.
Dass das Resultat dasselbe sein kann, steht auf einem anderen Blatt.
Vor einiger Zeit fragte sich die Staatswissenschaftlerin Isabell
Schierenbeck, warum in Israel, das in den 90ern eine Million Flüchtlinge
aufgenommen hat (viele aus Afrika, die meisten nicht einmal Juden),
diese in gleichem Maß Arbeit haben wie Einheimische, während der
Unterschied bei der Beschäftigung in Schweden 17 Prozent beträgt. Sie
fand einen entscheidenden Unterschied in der Behandlung. Weder die
israelischen noch die schwedischen “Graswurzelbürokraten” – die, die
Neuankömmlinge treffen – waren vorurteilsfrei. Aber in Schweden konnten
die Vorurteile auf die Machtausübung durchschlagen. Warum? Weil der
schwedische Funktionär beurteilen durfte, was der Flüchtling brauchte.
Er hatte das Recht “zu helfen”. Der israelische hatte diese Möglichkeit
nicht. Er verteilte lediglich das, worauf die Leute Anrecht hatten.
Ich glaube diese Reportage hat gezeigt, dass es viele und starke
Vorurteile schwedischer Bürokraten gegenüber Auswärtigen gibt, aber dass
sie keineswegs von Rasse handeln. Wir können auch nicht wissen, ob die
Vorurteile tief sitzen, oder ob sie täglich in den ungleichen Treffen
neu geboren werden, zu denen beide Seiten gezwungen sind.
Es gibt Rassisten, aber sie sind wenige und zu scheu, das Debakel der
Integration zu erklären. Rassismus meint es außerdem nicht gut. Das
taten die Beamten in Botkyrka. Kurden kommen aus einer Herdenkultur,
dachten sie sich. Lasst uns ihnen helfen, Ziegen zu züchten! Man
startete ein Projekt, beantragte EU-Gelder, fand geeignetes Land,
diskutierte Zäune mit Gunnebo und Maschinen mit Alfa Laval (Ziegenkäse!)
und stellte ein Budget auf. Dann ging alles irgendwie den Bach runter.
Ich frage den Projektleiter wie viele Ziegenzüchter enttäuscht waren,
als es nicht zustande kam. “Ziegenzüchter?” Die wollte man erst suchen,
wenn das Projekt sicher war.
Ich rufe ein paar Integrationsstellen an. Wäre es möglich, frage ich,
all die Information zu gesunder Ernährung, die Einführungen, Ausflüge zu
IKEA und den SFI-Kurs, ja sogar alle Beihilfen abzulehnen und
stattdessen die 189.400 Kronen, die Sie für mich vom Staat bekommen
haben, ausgezahlt zu bekommen? Hier und jetzt? Wenn ich verspreche, dass
Sie nie wieder von mir hören? Nein, das geht nicht. Nicht einmal als
Kredit? Nein.
In den 40ern debattierte man bei den Sozialdemokraten, wie die Beihilfen
für Bedürftige aussehen sollten. Alva Myrdal wollte sie in Naturalien
geben. Arme sollten Seife, Kleidung und Vitamine nach Bedarfsprüfung
zugeteilt bekommen. Geld konnten sie keins bekommen – weil man ihnen
nicht zutraute, die eigenen Bedürfnisse zu beurteilen. Das Modell wurde
von anderen Sozialdemokraten opponiert. Es sei stigmatisierend, fanden
sie, außerdem bräuchte man eine riesige Bürokratie, um zu beurteilen,
was jeder einzelne braucht.
Alva Myrdal verlor dieses Mal. Aber sie bekam ihre grausame Revanche.
Ein Modell, das man in den 40ern als unzeitgemäß und stigmatisierend für
Schweden ansah, wurde fünfzig Jahre später auf Flüchtlinge angewandt.
Die schon an der Grenze ins Sozialhilfesystem eingeteilt werden. Ein
System, geschaffen um Jeppe den Fixer durchzubringen, oder Karin mit den
Kindern, die vom Vater allein gelassen wurden, und Torsten, dem die
Arbeit auf die Nerven geht, wird auf völlig nüchterne Somalier und
andere, die es nach Schweden verschlagen hat, angewendet. Und ein paar
Jahrzehnte später wunderten sich die, die die Entscheidung getroffen
hatten, sehr darüber, dass Svensson den Einwanderer nicht gleichgestellt
betrachtet – und sie fingen an, mit Svensson wegen Rassismus zu
schimpfen.
Ein Freund erzählt, wie er von Arbeitskollegen eingeladen wird
auszugehen und zusammen “Blattar zu klopfen”^9^. “Solltet ihr
nicht mich zuerst schlagen?” fragte er. “Ich bin doch so einer.” “Nein,
zum Teufel, du bist doch kein Blatte. Du hast es doch geschafft.”
Frau Arisa heißt in Wirklichkeit anders.
Maciej Zaremba
—
Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur
Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier
entlang.
Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-15. Jag tackar Maciej
Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.
Fußnoten:
^1^ Rinkeby ist ein Vorort im westlichen Stockholm mit hoher
Einwanderdichte.
^2^ Snus?
^3^ Rosenbad ist das schwedische Regierungsgebäude in Stockholm. Mehr
bei Wikipedia.
^4^Mona Sahlin ist Parteichefin der größten Partei Schwedens, der
Sozialdemokraten.
^5^ SFI = Schwedisch für Einwanderer. Siehe dazu die bisherigen Artikel
der Serie.
^6^ Das Jantelagen war schon Wort der
Woche.
^7^ Sida ist die schwedische Behörde für Entwicklungshilfe.
^8^ P1 ist einer der Radiosender des öffentlich-rechtlichen Sveriges
Radio. “Konflikt” ist ein in der Regel exzellent recherchiertes und
ausführliches wöchentliches Programm, das sich mit einem aktuellen
Brennpunkt befasst. Auf der
Webseite findet man
die Episoden auch als MP3 zum Herunterladen.
^9^Zu “Blatte” siehe Fußnote des dritten
Artikels.