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Assange und Schwedens Definition von Vergewaltigung

Was hat man in den letzten Wochen nicht alles zu lesen bekommen im Zusammenhang mit den Vergewaltigungsvorwürfen an Julian Assange: Fehlinformation in Blogs; Behauptungen, die vermeintlichen Opfer seien unglaubwürdig; Spott auf Twitter, hundertfach weiterverbreitet; von übereifrigen Staatsanwälten in der ZEIT; von angeblichen CIA-Verbindungen einer der Frauen; oder vom feministischen Komplott in der FAZ.

Die taz war unter den ersten, die gegen diese Hysterie anschrieben, und die Sache nüchterner betrachteten. Gestern legte die ZEIT nach mit einem Artikel, den ich so ähnlich auch schreiben wollte, jetzt aber nicht mehr brauche: Safer Sex in Schweden.

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USA beeinflussen schwedische Gesetzgebung

Kurz nach meiner kleinen Zusammenfassung darüber, was die US-Botschaftsdokumente von WikiLeaks über Schweden enthalten, kam eine weitere interessante Meldung: Die USA hatten ihre Finger im Spiel als Schweden seine Gesetzgebung im Bereich des Dateitauschs (File-Sharing) übers Internet verschärfte. Siehe auch hier.

Man habe “gut zusammengearbeitet”, allerdings bewusst hinter den Kulissen, da die öffentliche Stimmung gegen diese Maßnahmen war und man ein erstarken der Piratenpartei befürchtete. Es gab einen Plan mit mehreren Punkten, die zum großen Teil nacheinander von Schweden erfüllt wurden. Das stärkt den lange spekulierten Eindruck, dass das Justizministerium bei diesem Thema nach der Pfeife der Amerikaner tanzt und die bitteren Kommentare lassen nicht auf sich warten.

Justizministerin Beatrice Ask weist den Bericht als Lüge zurück, schließlich widerspricht er eklatant ihren bisherigen Aussagen. Wie glaubwürdig ihre Theorie ist, dass die US-Botschaft falsche Tatsachen nach Hause berichtet, “um höhere Löhne herauszuschlagen”, sei dahingestellt.

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US-Diplomatie über Schweden

Wer in den letzten Tagen und Wochen nicht den Kopf im Sand hatte, sollte mitbekommen haben, dass den USA zahlreiche diplomatische Berichte abhanden gekommen sind und via WikiLeaks ^*^ unter anderem dem SPIEGEL zugespielt wurden. Was darin alles über die deutsche Politik steht, ist dort ausführlich genug zu lesen; hier soll es um das Bild von Schweden gehen, das die Dokumente aufzeigen.

Zur Zeit sind nur sechs Berichte aus der Stockholmer US-Botschaft ^*^ öffentlich. Wenn man diese Zahl mit dem Verhältnis zur Gesamtzahl extrapoliert, wird es am Ende auf über tausend Stück hinauslaufen. Für Aufmerksamkeit haben hierzulande bisher folgende Details gesorgt:

  • Norwegen hat Schweden mit Hilfe der USA hintergangen. Schweden hätte gerne gesehen, dass Norgwegen die hiesigen JAS Gripen Kampfflugzeuge gekauft hätte anstatt der amerikanischen. Aus einem Bericht geht hervor, dass die USA deshalb die Lieferung eines Radars für den Gripen verzögerten und dass die Norweger insgeheim schon deren Modell gewählt hatten, als sie offiziell noch das schwedische Angebot prüften.
  • Schweden als heimliches NATO-Mitglied. Vor dem Besuch von Reinfeldt in Washington warnte der schwedische Botschafter, dass man ihm nicht öffentlich für die gute Zusammenarbeit in Sicherheitsaspekten danken solle, weil ihm dies daheim Schwierigkeiten machen könne. Etwas unwissend wird da berichtet, die schwedische Regierung belüge mit dem Anschein der Neutralitätspolitik und Bündnisfreiheit ihr Volk, denn Schweden ist – vor allem wegen der EU – schön länger ganz offiziell nicht mehr neutral.
  • Die Beschreibung von Außenminister Bildt als “mittelgewichtiger Hund mit der Attitüde eines großen” (medium size dog with big dog attitude) wurde mit Humor genommen. Bildts eigene Reaktion war, er wisse nicht, von welchem Hund die Rede war, er sei schließlich kein Zoologe. Ein Pudel sei er aber sicher nicht. (“Einen Pudel machen” ist ein Ausdruck im Schwedischen der in etwa “sich Asche aufs Haupt streuen” entspricht.) Ansonsten kam Carl Bildt ziemlich gut weg, es wurde explizit gewarnt, dass man sich auf Trefen mit ihm sehr gut vorbereiten müsse, weil er sehr belesen sei, gute Kontakte habe und sein Gegenüber gern teste.
  • Im Zusammenhang mit einem Skandal, der in Norwegen anfing und in dem es um die Überwachung von Bürgern seitens der Botschaften in beiden Ländern geht, kam heraus, dass die schwedische Regierung sehr wohl von diesen Aktivitäten wusste.
  • Ein Bericht handelt davon, wie Schweden genug kritische Fragen stellte und sich nicht einfach abspeisen ließ, als die CIA 2006 ihre geheimen Flüge mit Gefangen via Schweden durchführte. Dies führte zur Einstellung der Flüge.
  • Es wurde vorgeschlagen ^*^, dass Schwedens Kommunikationsinfrastruktur, zum Beispiel das Glasfasernetz von TeliaSonera, auf die Liste mit für die USA kritischer Infrastruktur zu setzen, weil Schweden ein wichtiger Knoten sei und die USA mit dem Baltikum und Russland verbinde. Außerdem auf die Liste solle eine schwedische Pharmafabrik, die ein wichtiges Mittel zur Hilfe bei einem Nuklearunfall herstelle.
  • Zuletzt in der bisherigen Liste gibt es noch den Bericht ^*^ über ein Treffen von Oppositionschefin Mona Sahlin mit der amerikanischen Botschaft, in dem sie um Schützenhilfe bei der Meinungsbildung bat und sich als starke Unterstützerin für den Militäreinsatz in Afghanistan gab.

Viel des oben genannten war schon zuvor bekannt, zumindest wurde darüber spekuliert. Wie skandalös die einzelnen Punkte sind hängt jeweils davon ab, wie sehr sich das öffentlich gesagte mit dem deckt, was im Hinterzimmer besprochen wird. Bisher musste sich hierzulande niemand groß verteidigen.

^*^Die Links gehen zu einem Spiegel von wikileaks.ch. Weitere Spiegel-Seiten hier.

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Neues von Assange

Zwei kurze Updates zum Fall Assange:

  • Gestern wurde bekannt, dass Julian Assange vor gut drei Wochen, also bevor die Vergewaltigungsvorwürfe aufkamen, bei der Einwanderungsbehörde um Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in Schweden ersucht hat. Er wolle Schweden zu seiner Basis machen und hier offiziell als Herausgeber von Wikileaks registriert werden, damit der Meddelarskydd für die Organisation gilt.
  • Heute teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass jetzt doch noch die Voruntersuchung wegen Vergewaltigung eingeleitet wird, entgegen der Aussagen von letzter Woche. Ob dies etwas mit dem Verhör zu tun hat, das mittlerweile mit Assange durchgeführt wurde, hat man nicht erfahren.

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Vorwürfe an Assange weit zurückgestuft

Die ursprünglichen Vorwürfe gegen Julian Assange von Wikileaks wurden soeben weit weniger schwerwiegend, als die Staatsanwaltschaft bekannt gab, was ihm genau zulasten gelegt wird. Der eine Fall, der auf Vergewaltigung lautete, wurde komplett fallen gelassen, es wird also nicht einmal mehr wegen sexueller Belästigung ermittelt werden. Der Inhalt der Befragung der betroffenen Frau lasse kein Verbrechen erkennen, so Oberstaatsanwältin Finné. Der Anwalt der Frau hat gegen diesen Beschluss Einspruch erhoben.

Der Vorwurf bezüglich der zweiten Frau, der zunächst als sexuelle Belästigung eingestuft wurde, wird zwar weiter untersucht werden, wurde jedoch auf Belästigung (schwedisch ofredande) zurückgestuft, also ohne den Zusatz “sexuelle”.

Mit ofredande wird hierzulande alles von Telefonterror über Mobbing bis zu Handgreiflichkeiten bewertet und üblicherweise mit Geldstrafe geahndet, wobei eine Maximalstrafe von einem Jahr Gefängnis möglich ist.

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Silbersky vertritt Assange

Leif Silbersky, der wohl bekannteste schwedische Anwalt (war auch vor zwei Jahren hörenswerter Sommarpratare), hat sich des seltsamen Falles Assange angenommen und bezeichnet ihn gleich einmal als eines der schlimmsten Beispiel für Rechtsfäulnis, das er je erlebt habe. Heise hat eine schöne Zusammenfassung, aber man weiß eigentlich nichts neues darüber, wie es zum Haftbefehl und dessen schneller Aufhebung kam, denn die Staatsanwaltschaft lässt sich Zeit.

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Haftbefehl und Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange zurückgezogen

Wie erst dieser Tage hier beschrieben, ist Schweden wichtig für Wikileaks Infrastruktur und juristische Absicherung. Zwischenzeitlich war Julian Assange in Schweden zu Besuch, hat so gut wie allen großen Zeitungen Interviews gegeben, auf deren Webseiten mit Lesern gechattet, seine Kolumne im Aftonbladet angekündigt, die Herausgeber-Bescheinigung beantragt, die man für den Grundgesetzlichen Quellenschutz braucht, und mit der Piratenpartei einen Vertrag geschlossen, dass diese die hiesigen Server von Wikileaks fortan kostenlos betreibt. Kurz gesagt war über Assange und Wikileaks letzte Woche fast täglich etwas zu lesen, wobei auch Kritik aufgegriffen wurde, jedoch meist ein positives Bild von Person und Organisation herüberkam.

Heute kam dann die überraschende Meldung, die wie ein Lauffeuer um die Welt ging, dass Assange hier in Stockholm letzte Woche zwei Frauen vergewaltigt haben soll, und dass deshalb die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat und Haftbefehl erlassen wurde. Die Spekulationen, dass das ein abgekartetes Spiel der amerikanischen Geheimdienste sei – schließlich hat Wikileaks selbst einen derer Berichte mit Plänen gegen sie zugespielt bekommen und veröffentlicht und es gab Berichte von US-Druck auf die europäischen Verbündeten, Assange anklagen zu lassen – ließen natürlich nicht auf sich warten.

Assange dementiere prompt die Vorwürfe und kündigte an, sich noch heute der schwedischen Polizei stellen zu wollen. Nach den letzten Meldungen braucht er dies jedoch nicht mehr zu tun, denn der Haftbefehl wurde schon wieder aufgehoben und die Vorwürfe für unbegründet erklärt. Die Staastsanwaltschaft schreibt auf ihrer Webseite, dass es keinen Grund für den Haftbefehl gäbe und keinen, Assange der Vergewaltigung zu verdächtigen.

Alles in allem eine recht seltsame Posse, auf deren Hintergründe hoffentlich bald noch etwas mehr Licht geworfen wird.

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Wikileaks in Schweden

Wer trotz der Aufmerksamkeit der letzten Monaten noch nichts von Wikileaks gehört hat, dem sei kurz gesagt, dass es sich dabei um einen Zusammenschluss von Aktivisten handelt, die eine sichere technische Infrastruktur bereitstellen, über die Leute, die Zugang zu internen Dokumenten haben und mit deren Veröffentlichung Missstände aufdecken wollen, selbige anonym ans Licht der Welt bringen können. Der deutsche Wikipedia-Eintrag gibt einen guten Überblick, was die kleine Organisation schon alles erreicht hat. Das bisher beste Interview mit Wikileaks Frontfigur Julian Assange gab es neulich bei TED.

Mit Schweden hat Wikileaks insofern zu tun, als dass sie versuchen, die Jurisdiktionen mehrerer Länder auszunutzen, die starken Schutz für Quellen und investigativen Journalismus in ihren Gesetzen stehen haben. Schweden gehört mit seiner Meddelarfrihet, die hier im Blog schon einmal Wort der Woche war zu diesen Ländern und so kommt es, dass es unter anderem ein kleinerer schwedischer Internetdienstleister (bei mir um die Ecke in Stockholm/Solna) ist, der die ehemals geheimen Dokumente in alle Welt ausliefert.

Dazu gibt es auch gleich Spekulationen, inwieweit dies ein Thema auf politischer Ebene zwischen Schweden und den USA ist. Für letztere wurde Wikileaks nämlich durch das Material zu Irak und Afghanistan etwas mehr als unbequem und man versucht gegen den Boten vorzugehen, anstatt die Missstände zu beheben. Der schwedische Außenminister Bildt will von solchen Gesprächen jedoch nichts wissen.

Gleichzeitig wird angezweifelt, ob der Quellenschutz des schwedischen Grundgesetzes wirklich gilt, bloß weil die Server in Schweden stehen. Wikileaks müsse dafür hierzulande mindestens als Herausgeber anerkannt werden und das entsprechende Stück Papier (utgivnigsbevis) besitzen.

Nichtsdestotrotz finde ich es schön, dass meine Wahlheimat ihren Teil dazu beiträgt, Wikileaks möglich zu machen, das ich für die wichtigste Neuerung der letzten Jahre halte, was das Zusammenspiel von Medien und Politik angeht.

Nachtrag 100814: Julian Assange ist zur Zeit in Schweden und gibt Vorträge und Interviews. Heute war er Titelbild und -geschichte der größten schwedischen Tageszeitung. Nach seiner Aussage sind Schweden und Island die Länder, die Wikileaks am positivsten gegenüberstehen. Dass man Geheimnisaufdecker im Land des Öffentlichkeitsprinzips mag, ist wohl auch nicht ganz überraschend.

Assange hat außerdem angekündigt, dass er bald eine zweimonatliche Kolumne im Aftonbladet schreiben wird.

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