Vielleicht, dann lieber nicht. Oder doch?
Vielleicht, dann lieber nicht. Oder doch?
Es folgt die Teil 3 der Liste (PDF) mit neuen Gesetzen und veränderten Regeln in Schweden, samt meinem Senf dazu. Teil 1, Teil 2.
Ich habe gerade zum Frühstück einen interessanten Artikel in DN gelesen, der sich leider nicht online finden lässt. Darin ging es um die unterschiedliche Berichterstattung über die “Finanzkrise” im Vergleich zwischen Schweden und Deutschland.
Der Autor Stefan Jonsson stellt fest, dass in Schweden eine typische Schlagzeile “Erhöhte KFZ-Steuer trifft Autoindustrie hart” lautet, während man in Deutschland viel öfter “Kaptialismus in der Krise” liest. Hierzulande stehen also die Geldbeutel der Bürger und die Beschwerden für schwedische Firmen im Vordergrund, in Deutschland eher die Hintergründe, Ursachen und mögliche Auswege – die große Idee eben. Karl Marx ist dort kein Tabu, während hierzulande keine Wirtschaftsredaktion sich je einer grundlegenden Ideen-Diskussion widmet.
Jonsson meint weiter, dass das vermittelte Bild der aktuellen “Krise” in beiden Ländern damit grundlegend anders ist: In Schweden nimmt man eine Verteidigungshaltung gegenüber der “Krise” ein und sieht sie fast als “Naturkatastrophe”, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegt. In Deutschland schafft man dagegen die Voraussetzungen für einen vernünftigen politischen Dialog, indem alternative Weltordnungen diskutiert werden.
Soweit zur im Artikel vertetenen Meinung. Ich bin geneigt zuzustimmen, was die Medienkritik angeht; dass der Beitrag im Kultur- und nicht im Wirtschaftsteil von DN erscheint, ist symptomatisch. Dennoch vergleicht Jonsson Äpfel mit Birnen, sprich Die ZEIT mit Dagens Nyheter. Es fällt nicht schwer zu behaupten, dass es in Schweden (und wohl in vielen anderen Ländern) kein gleichwertiges Pendant zur ZEIT gibt. Hochwertiger Journalismus ist in Deutschland leichter zu finden als in Schweden. Wenn man allerdings wie neulich von dramatischen Kürzungen bei der Süddeutschen liest, kommt die Frage nicht auf, wie lange das noch der Fall sein wird.
Die generelle Frage, ob die eher ideologische Debatte der Deutschen dem Pragmatismus der Schweden wirklich vorzuziehen ist, kann ich mir derweil selbst nicht eindeutig beantworten.
Dass in den letzten Jahren einige Kritik laut wurde, dass mehr und mehr Mietwohnungen in Städten, vor allem in Stockholm, zu Eigentumswohungen (bostadsrätter) umgewandelt wurden, hielt ich für berechtigt. Geldscheffelei zugunsten der Wohlhabenden und die Verdrängung von Geringverdienern aus den zentraleren Vierteln waren die Argumente.
Jetzt da der Boom der Wohnungspreise vorbei ist, versucht man aber, es wieder gutzumachen. Zum Beispiel die kommunale Wohnungsfirma Stockholmshem. Mit den Verkäufen aus den letzten Jahren hat man ein paar Milliarden Kronen auf der hohen Kante, die man jetzt, wenn Wohnungen teils unverkäuflich sind, nutzt um aufzukaufen. DN berichtet von einem Neubaugebiet in Årsta, das vom Bauherren als Eigentumswohnungen gedacht war, jetzt aber noch vor Fertigstellung von Stockholmshem billig übernommen wird, um daraus Mietwohnungen zu machen.
Ich bin ja generell eher skeptisch, wenn marktwirtschaftliche Interessen zu sehr in die Politik hineinspielen, aber das finde ich zur Abwechslung einmal ein positives Beispiel. Es ist nicht nur schlau auf die offensichtliche Weise, in Zeiten hoher Preise zu verkaufen und in der Krise wieder zuzukaufen, sondern man wirkt gleichzeitig auch noch abschwächend auf die Konjunkturzyklen, indem man im Boom die hohe Nachfrage bedient und sie in der Krise selbst schafft.
Da es gerade aktuell ist und weil ich das Wort bis eben nicht kannte, kommt diesmal ein vorgezogenes WdW.
Dra av bedeutet “absetzen”, gemeint ist “von der Steuer”. Avdrag ist das Substantiv dazu und wird für alle Möglichen Dinge verwendet, für die es Steuererleichterungen gibt. Rot (sprich: ruht) bedeutet “Wurzel”. Wurzelsteuererleichterung? Mitnichten.
Rot ist in diesem Fall ein Akronym und steht für reparation, ombyggnader & tillbyggnad, zu Deutsch “Reparatur, Um- & Ausbau”. Es handelt sich also um Steuererleichterungen, wenn man an seiner Wohnung oder seinem Haus Reparaturen oder Bauarbeiten durchführen lässt. Die Betonung liegt dabei auf lässt, denn es geht nur um die Lohnkosten (keine Materialkosten) von gewerbetreibenden Handwerkern, die man beauftragt. Dafür bekommt man die Hälfte (!) der Lohnkosten zurück, bis zu 50.000 Kronen pro Jahr. Das Finanzamt macht Werbung: “Hast du Reparaturen und Umbauten bisher aufgeschoben? Ruf schon heute einen Handwerker an. Am Montag kann die Arbeit beginnen und du bekommst den Nachlass im Nachhinein.”
Diese Art von Steuererleichterung gab es vor ein paar Jahren schon einmal und heute hat die Regierung die Wiedereinführung verkündet, um dem Abschwung entgegenzuwirken und Arbeitsplätze zu schaffen. Etwa dreieinhalb Milliarden Kronen soll der Rotavdrag pro Jahr kosten und er ist Teil des schwedischen “Krisenpakets” in dessen Rahmen die Regierung Reinfeldt zusätzliche 23 Milliarden Kronen in den nächsten drei Jahren ausgeben will.
Um sich ein Bild von den Zahlen zu machen, braucht man als Deutscher übrigens nicht umzurechen: Der Faktor zehn von der Krone zum Euro wird durch die um fast den gleichen Faktor kleinere Bevölkerung Schwedens “ausgeglichen”. Wenn Schweden eine Milliarde Kronen ausgibt, ist das pro Kopf also grob das gleiche wie wenn Deutschland eine Milliarde Euro spendiert.
Die gleiche Art von Steuernachlass wie den Rotavdrag gibt es seit etwa einem Jahr schon für haushaltsnahe Dienste, also zum Beispiel Putzkräfte. Seitdem sind viele neue Reinigungsfirmen entstanden.
Gestern darüber spekuliert, heute schon Wirklichkeit: Die schwedische Reichsbank senkt den Leitzins drastisch um 1,75 Prozent. Von 3,75 auf 2 Prozent.
Nachtrag: Die europäische Zentralbank tut das gleiche, auch wenn da schon bei 0,75 Prozent von “historisch” die Rede ist.
Wenn sich ein Laie wie ich zu einem so komplexen Thema wie “der Wirtschaft” äußert, ist das natürlich mit Vorsicht zu genießen. Nichtsdestotrotz bekommt man aus Medien und Wirklichkeit allerlei mit und versucht, sich ein eigenes konsistentes Bild zu machen.
Dass neben der Autosparte von Volvo, die bisher zu Ford gehört, jetzt auch Saab (General Motors) zum Verkauf steht, macht gerade in Schweden Schlagzeilen. Die Entlassungen in dieser Branche habe ich ja schon erwähnt. Von einer Verstaatlichung will das schwedische Wirtschaftsministerium jedoch nichts wissen (heute verspätet auch bei SpOn zu lesen) – das wäre ja auch eine völlige Kehrtwende zur Privatisierungspolitik der bürgerlichen Regierung.
Entlassen wird gerade viel in Schweden und dass die Politik seit der letzten Wahl dazu geführt hat, dass mehr Schweden als zuvor ohne soziale Sicherung dastehen, ist aufmerksamen Lesern dieses Blogs auch nicht neu.
Die internationale Wirtschaftskrise hat Fondssparer und zukünftige Rentner um 30-50% ihres Geldes gebracht; in Schweden basiert nämlich ein großer Anteil des Rentensystems auf Fonds und nicht auf Beiträgen die direkt von der gerade arbeitenden Generation an die älteren gezahlt werden. Zusätzlich hat die schwedische Krone in den letzten drei Monaten 12% ihres Wertes gegenüber dem Euro verloren. Man muss heute über 10,50 Kronen für einen Euro auf den Tisch legen.
Ist die schwedische Wirtschaft deshalb im “freien Fall”, wie zum Beispiel Rainer schreibt? Ich glaube nicht. Es gibt nämlich auch positive Seiten.
Zu Saab und Volvo ist zuallererst zu sagen, dass die beiden im Vergleich zu ihren Mutterkonzernen eher gut dastehen und nicht der Grund für deren Misere sind. Zum anderen ist es gerade der schwache Kurs der Krone, der positiv auf die schwedischen Exporte wirken dürfte, auch auf den Tourismus, wenn der Kurs dauerhaft niedrig bleibt. Die sinkenden Rohstoffpreise zum Beispiel bei Holz werden durch den Verfall der Krone zumindest teilweise kompensiert. Roh- und halbveredelte Materialien (z.B. Papier und Stahl) machen etwa ein Drittel der schwedischen Exporte aus.
Dass die Banken gerade etwas vorsichtiger sind, wem sie Geld leihen, ist nur vernünftig, weil die Überschuldung privater Haushalte ein Problem ist. Bis vor kurzem bekam fast jeder ohne Schwierigkeiten große Summen geliehen. Dass jetzt mit weniger Krediten auch die Nachfrage nach Wohnungen sinkt, ist verständlich; man kann die rückläufige Preisentwicklung bei Wohnrechten und Häusern aber auch als Gesundschrumpfen sehen. Die Zinsen sind derweil auf dem Weg nach unten, was sowohl die Nachfrage als auch den Geldbeutel von Wohneigentümern wieder wachsen lassen wird.
Sie ist nicht völlig vergessen in den schwedischen Medien, aber viel hat man in letzter Zeit nicht von der Ostseepipeline gehört. Nord Stream, das russische Konsortium mit Ex-Kanzler Schröder im Vorstand, hatte bei der schwedischen Regierung beantragt, die Gas-Pipeline am Grund der Ostsee durch die schwedische Wirtschaftszone und nah an Gotland vorbei bauen zu dürfen.
Anfang des Jahres wurde der erste Antrag als mangelhaft abgelehnt und letzten Monat reichte Nord Stream einen neuen ein, der dann ganz nach schwedischer Art an die betroffenen Ministerien und Behörden zu Begutnachtung weitergereicht wurde. Laut einer kurzen Notiz in DN stellen sich drei Viertel dieser “Remissinstanzen” wiederum kritisch gegen den Antrag. Die darin enthaltenen Informationen seinen immer noch unvollständig, vor allem was die Konsequenzen für die schon stark belastete Natur in der Ostsee angeht.
Unterdessen hat man auf Gotland mit dem Bauen angefangen. Nord Stream bezahlt nämlich den Ausbau des Hafens von Slite im Nordosten der Insel mit 100 Millionen Kronen. Ganz uneigennützig, versteht sich.
Wie wahrscheinlich ein endgültiges schwedisches Nein zur Pipeline ist, kann man als Laie kaum beurteilen – zu viele europa-, welt- und machtpolitische Interessen spielen dabei eine Rolle. Außerdem ist zu vermuten, dass das Projekt mittlerweile ein ganz anderes Problem hat: Der Niedergang der Finanzwirtschaft hat Russland stark getroffen und die niedrigen Rohstoffpreise wirken sich wohl nicht sonderlich gut auf die zu erwartende Rentabilität der Pipeline aus.
Der Begriff Ubuntu kommt aus den Sprachen der afrikanischen Völker Zulu und Xhosa und steht für „Menschlichkeit" und „Gemeinsinn", aber auch für den Glauben an ein universelles Band des Teilens, das alles Menschliche verbindet. (Zitat Wikipedia).
Als Europäer kennt man das Wort wohl vor allem von der Linux-Distribution her. Seit kurzem wird hierzulande aber auch die gleichnamige “Fair-Trade-Cola” beworben und verkauft. Ich habe bisher weder die Cola noch das Linux probiert. Ersteres werde ich bei Gelegenheit tun, bei letzterem bevorzuge ich das Original.
Als das vorvorletzte Land hat Schweden, genauer gesagt das Parlament, gestern am späten Abend für den Lissabon-Vertrag gestimmt. Das ist zwar keine sonderliche Überraschung, aber natürlich trotzdem bemerkenswert und schön.
A propos Europa. Die Krone hat seit letztem Monat weiter an Wert verloren und man muss jetzt 10.2 Kronen zahlen, um einen Euro zu bekommen. Damit hat die schwedische Währung seit August (damaliger Kurs: 9.3 Kr/Eur) rund zehn Prozent ihres Wertes verloren.