Varg (gesprochen: warj) ist das schwedische Wort für den
Wolf. Das Verhältnis der Schweden
zu diesem Tier ist hochaktuell und hat in den letzten Monaten sowohl
meterweise Zeitungsspalten gefüllt, als auch zu zahllosen lebhaften
Diskussionen geführt. Anlass ist, dass zum ersten Mal seit Jahrzehnten
wieder Wölfe gejagt werden.
Doch der Reihe nach. Wölfe gab es geschichtlich schon immer in Schweden.
Über die Jahrhunderte musste man seine Haustiere vor ihnen schützen,
konkurrierte mit ihnen um andere Wildtiere und jagte sie als
“Schädlinge”. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde man so gut darin, dass
man Wölfe in Südschweden ausrottete. 1900 gab es nur noch um die 100
Tiere im Land und 1965, als man das “Kopfgeld” gegen gesetzlichen Schutz
vor der Ausrottung eintauschte, nur noch etwa 10 Tiere. Seitdem versucht
man einerseits, eine auf Dauer haltbare Wolfspopulation aufzubauen, und
andererseits die Akzeptanz unter Schweden zu erhöhen.
Beides ist nicht einfach. Die Angst vor dem Wolf sitzt tief, wenn auch
völlig unbegründet: Ein einziger Fall ist in Schweden bekannt, in dem
ein Wolf einen Menschen getötet hat. Das war 1821 und der Wolf war in
Gefangenschaft aufgewachsen. Unfälle mit Braunbären sind viel häufiger,
deren Wahrnehmung ist jedoch eher vom Teddy-Bären geprägt denn vom
Inbegriff des Bösen in volkstümlichen Geschichten und Märchen. Schwedens
gefährlichste Tiere sind Wespen und Kreuzottern. Außerdem Elche – durch
die zahlreichen Verkehrsunfälle.
Die Wolfspopulation wieder aufzupäppeln stieß auf vielerlei
Schwierigkeiten. Zum einen basiert sie auf so wenigen Individen, dass
Inzucht ein Problem ist. Die allermeisten schwedischen Wölfe sind
stärker miteinander verwandt als Vollgeschwister. Einwanderung von Osten
her über Finnland wird durch illegale Jagd erschwert. Die
Rentier-Züchter im Norden haben ein Problem mit Wölfen, denn die seit
etwa hundert Jahren (dank der faktischen Ausrottung der Raubtiere)
mögliche Tierhaltung auf großen ungeschützten Flächen wird von den Samen
vehement als “traditionell” verteidigt. Dass noch bis Ende des 19.
Jahrhunderts stattdessen die Jagd auf wilde Rentiere Alltag war, wird
bei der Diskussion um die Vorrechte der schwedischen Urbevölkerung oft
unterschlagen.
Jedenfalls scheint unter mindestens einem Teil der Jäger und
Waffenbesitzer das Motto sjkut, gräv och tig! (schieß, vergrab und
schweig!) zu gelten, wenn es um Wölfe geht, und manche Wolfsspur im
Schnee endet plötzlich auf der schwedischen Seite der Grenze zu
Finnland. Etwa ein Zehntel der Wölfe wird jedes Jahr gewildert und es
ist jedes Mal eine landesweite Nachricht wert, wenn ein Übeltäter
erwischt wird.
Nichtsdestotrotz wurde letztes Jahr das vom Reichstag beschlossene Ziel
erreicht, zweihundert Wölfe mit zwanzig Würfen in Schweden zu haben.
Diese leben vorrangig nicht im nördlichen, sondern in Mittelschweden mit
Konzentrationen in Värmland und Dalarna. Sogar ins Stockholmer Umland
ist vor nicht allzu langer Zeit ein Pärchen gezogen.
Die Debatte, ob 200 Wölfe viel zu viel oder viel zu wenig sind, wie man
Haustiere (v.a. Schafsherden) am besten schützt und wie man entstandene
Schäden mit Steuergeldern ersetzen soll, ist andauernd und die Meinungen
gehen stark auseinander. Von Forscherseite sieht man kein Problem mit
ein paar tausend Wölfen und verweist auf Osteuropa, wo das ohne groß
Aufhebens funktioniert. Die starke Lobby der Jäger bestärkt dagegen
regelmäßig das Klischee der Schießwütigkeit; man möchte so gerne Wölfe
schießen und sie außerdem schon gar nicht den Jagdbedarf an anderem Wild
dezimieren lassen.
Verhärtet werden die Fronten in der Wolfsfrage zusätzlich dadurch, dass
sie die Stadt- und die Landbevölkerung teilt. Schweden ist sehr
urbanisiert und Umweltschutz ein wichtiges Thema. Die Zustimmung zu mehr
Wölfen ist bei Stadtbewohnern größer als auf dem Land, von wo man das
Argument hört, dass Städter ja leicht reden haben, sie aber nicht mit
Wölfen vor der Haustüre leben müssten. Das Gegenargument, dass man
seinen Wohnort den eigenen Vorlieben anpassen kann (wer Stadtlärm nicht
mag, zieht aufs Land; wer irrationale Angst vor Wölfen hat, sollte
vielleicht nicht in Värmland wohnen), wird dennoch von vielen als
zynisch gesehen.
Weil das 200-Wölfe-Ziel überschritten war und um die Akzeptanz zu
erhöhen, hatte die zuständige Behörde für diesen Winter 27 Wölfe zum
Abschuss freigegeben. Das ist die erste legale Jagd auf Wölfe seit 45
Jahren. 4500 (!) Jäger meldeten sich dafür an und dementsprechend war
die Quote nach zwei Tagen erfüllt und die Jagd vorbei. Doch sie war Öl
ins Feuer der öffentlichen Diskussion. Die Rechtfertigung von
Umweltminister Carlgren, dass die Jagd gut für die von Inzucht
geschädigte Population sei, wurde mehrfach widerlegt. Zum einen von
Forschern, die darlegen, dass mehr eingewanderte Wölfe der einzig
gangbare Weg sind; zum anderen durch die Untersuchung der geschossenen
Wölfe, die sich als völlig gesund erwiesen. Außerdem gab es keinerlei
Vorgaben, die Nachkommen der wenigen Neuankömmlinge (die es durch
Norrland nach Mittelschweden geschafft haben) von der Jagd auszunehmen.
Dass keine von diesen “genetisch wertvolleren” Tieren geschossen wurden,
war Zufall. Kritik an der Jagd kam zusätzlich von so gut wie allen
nationalen und internationalen Naturschutzorganisationen: Schweden hat
schließlich die Jagd auf eine bedrohte Tierart erlaubt.
Wie geht es nach dem Proteststurm weiter? Über eine Fortsetzung der Jagd
ist noch nicht entschieden, aus dem Umweltministerium hört man jedoch,
dass eine Voraussetzung der (künstlich verursachte) Zuzug von 20 Wölfen
ist, um “frisches Blut” in den Wolfsstamm zu bringen und ihn damit
robuster zu machen. Dies soll schon kommenden Winter geschehen.
Vielleicht war es berechnende Taktik, mit der Jagd den Widerstand gegen
mehr neue Wölfe bei der starken Jäger-Lobby aufzuweichen und ihnen durch
den begleitenden Proteststurm gleichzeitig klarzumachen, wie viele
Menschen mehr Wölfe in Schweden für eine gute Sache halten.
Die Öffentlichkeit hält jedenfalls ein wachsames Auge auf das Thema und
es wird auch in kommenden Jahren nicht als medialer Dauerbrenner
verebben.
Links und Quellen zum Thema:
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