Miss deinen Schnurr

Warten auf Schweden. Die Sprache ist der wichtigste Weg in die schwedische Gesellschaft, darüber sind sich fast alle einig. Trotzdem sind viele Sprachkurse für Einwanderer völlig unzureichend, zumindest für die Schüler. Andere haben entdeckt, dass es da gutes Geld zu verdienen gibt. Die Integration mag missglückt sein, aber die Integrationsindustrie läuft hervorragend.

“Spricht er Schwedisch?” fragt der Arbeitgeber.
“Hassan ist in Schweden geboren.”
“Ja, das steht hier. Aber spricht er Schwedisch?”

Rassismus? Oder vielleicht zur Hälfte Vorurteil, zur Hälfte Erfahrung mit Gymnasiasten aus Rosengård und ähnlichen Gebieten? “Das Gymnasium ist heutzutage keine Garantie mehr, dass ein Schüler Schwedisch spricht”, sagt Sven Hagströmer, Öresund AG, auf einer Konferenz in Rosengård. Er wünscht sich einen landesweiten Sprachtest auf höherem Niveau als das heutige SFI (Schwedisch für Einwanderer). Würden Arbeitgeber so ein Zeugnis zu sehen bekommen, würden keine komischen Fragen mehr gestellt und viele Unannehmlichkeiten würden vermieden.

Hagströmer, der eine Arbeitsvermittlung in Tensta betreibt, steht kaum im Verdacht, Leuten wie Hassan übel mitspielen zu wollen. Aber was meint er mit “Spricht er Schwedisch?” Ohne zu fragen weiß ich, dass er mehr meint als der Brite, der fragt “Does he speak English?”.

In Stockholm ist es unendliche Male schwerer als in London, eine Arbeit zu finden oder überhaupt ernst genommen zu werden, wenn man die Sprache misshandelt. Sagst du “Varfår anvenda sevora outlendska årt ner dät finz inhemskt adekfat våkaboulär dispånibäl?”^1^ werden Leute anfangen, langsam mit dir zu reden, sie werden schwere Worte vermeiden und dich ansonsten wie einen geistig Zurückgebliebenen behandeln. Und sie werden dich nicht an ihrem Arbeitsplatz haben wollen. Laut unseren Antirassisten liegt das daran, dass Schweden rassistischer sind als andere. Das ist so nicht sicher. Aber sie sind bestimmt musikalischer als andere.

“Miss deinen Schnurr”, schreibt die Lehrerkandidatin an die Tafel. Die Schüler kramen nach ihren Linealen, die anderen Lehrer starren ins Nichts. Bis es jemand begreift. “Sie meint ‘miss deine Schnur’”.^2^

Ihr lacht, nehme ich an. Lacht nur. Ihr habt keine Ahnung, in was für eine Bredouille es einen erwachsenen Araber oder Polen bringt, den Unterschied zwischen langen und kurzen Vokalen hören zu müssen. Oder sich einzuprägen, dass es “die” Schnur heißt. Gibt es da eine Regel?

Wer mit Schwedisch aufgewachsen ist, versteht nicht, welch seltsame Sprache er spricht. Versuch einmal, einen Chinesen oder Franzosen “luspudeln tjuter vid husknuten”^3^ sagen zu lassen. In Unterschied zu den meisten Sprachen ist das Schwedische ein sprudelnder Bach in dem die Vokale über Steine gestreckt werden und wo die Worte scheinbar ohne Grund aufsteigen und absinken aber mit einer solchen Präzision dass man einen Satz über eine ganze Buchseite ohne Komma schreiben kann weil der Leser selbst die Pausen da einfügt wo sie hingehören und wenn ein Schwede für sich selbst liest hört er in seinem Kopf die Atempausen zwischen den Worten.

“Prosodie” nennt man das und es ist fast unmöglich nachzuahmen, wenn man nicht in dieser Tonart in den Schlaf gewiegt wurde. Deshalb klingt in euren Ohren Schwedisch mit russischer Melodie klagend, mit arabischer starrsinnig und mit polnischer ungehalten und eintönig wie der Dialekt aus Uppsala. Und – lasst es uns zugeben – quälend wie falscher Gesang. Ich weiß. Nach einer Viertelstunde mit krächzendem Ungarisch-Schwedisch wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass es aufhört.

Zu allem Überfluss ist die unberechenbare Betonung wichtig für die Bedeutung, also glaube nicht du wüsstest was du sagst, bloß weil die Worte an der richtigen Stelle gelandet sind. Und dann das Schwerste überhaupt, die Inversion, eine seltene Eigenheit^4^, die letzte Verteididungslinie der Schweden, ohne jahrelanges Training unmöglich zu erzwingen: “Schau Boris, das Subjekt kommt immer nach dem Verb, wenn der Satz mit etwas anderem als dem Subjekt eingeleitet wird.” Verstanden? Macht nichts. Aber Boris sagt: “Letzte Woche ich verstand es, ich glaubte.”

Nein, das war noch nicht alles. Versuch einmal, mit Hilfe eines Wörterbuchs eine Zeitung zu lesen, oder auch Straßenschilder. Steht da Fahrradhelmpflicht? Flüchtlingsauffanglager? Sperrmüllraum? Oder wenigstens Weihnachtsessen? (Ich dachte lange Zeit, “Reimfleisch”^5^ sei ein Leiden, das sich stillsitzende Dichter einfangen.) Wie soll ein Vietnamese, dessen Sprache aus einsilbigen Worten besteht (in Hanio schreibt man Za-rem-ba), wissen, wie er “Zugriffsgeschwindigkeitsmessung” auseinanderklamüsern soll? Zug scheint ein Verkehrsmittel zu sein… Zugriff – ein Berg im Wasser mit Schienenverbindung?

Und dann der schwedische Tonfall: Hier ruft der Gast “Bist du noch ganz dicht?”, wenn der Kellner die Reste des Aquavits abräumen will. Jeder Schwede versteht, dass diese Äußerung auf den Durst des Gastes anspielt und nicht auf den Verstand des Kellners. Aber heutzutage gibt es Kellner, die das nicht verstehen. Die nehmen es persönlich. Doch doch, sie können die Sprache, aber nicht ihren Nerv.

Inger Lindberg, Professorin in Schwedisch als Fremdsprache, unterlag diesem Missverständnis und meint, dass der Ausländer die Geschichte der schwedischen Trinkkultur hätte studieren müssen, mitsamt Durst und Schuldgefühlen, Abstinenzbewegung und Stempelbuch^6^, um diesen Tonfall zu verstehen. Wessen Fehler war es? Der des Kellners, der zu wenig über die nordische Spirituosenneurose wusste, oder der der Professorin, die zu wenig über den Kellner wusste? Vielleicht hatten beide zu wenig “multikulturelle Kompetenz”? Siehe da, ein guter Ausgangspunkt für die Debatte darüber, wer sich wem anpassen soll.

Worauf will ich mit dieser Tirade hinaus? Darauf dass, weil es weder wahrscheinlich noch wünschenswert ist, dass Schweden weniger musikalisch werden, und weil die Sprache in diesem Land wohl auch in Zukunft der vorrangige Schlüssel zur Gemeinschaft bleiben wird (wichtiger als die Hautfarbe, will ich meinen), Schwedisch für Einwanderer ein Prestigeprojekt sein sollte, mit gut bezahlten Lehrern und ausgefeilter Pädagogik. Ein musikalisches Abenteuer sollte es sein. (Das haben sie an der Sprachschule Paragona in Warschau verstanden, wo Vokalexperten eingeflogen werden, damit kein Doktor “Sollen wir nackt baden?” sagt, wenn er “den Nacken badden”^7^ meint.)

Tatsächlich war es während eines kurzen Zeitraums in den Sechzigern mit etwas Glück möglich, nach drei Monaten sogar die Inversion zu beherrschen. Damals schafften es ein paar links angehauchte Sprachlehrer, die Regierung davon zu überzeugen, dass es unwürdig ist, das Schwedisch des Griechen bei “Geh nicht unter hängender Last” aufhören zu lassen. Das führte zu einer großzügigen Anzahl an Stunden, enthusiastischen Lehrern und motivierten Studenten.

Alles weitere ist eine Geschichte des Verfalls. Keine andere Schulform wurde über die Jahre so misshandelt wie SFI. Schimpft also nicht gleich auf den Einwanderer, wenn er sich nicht verständlich machen kann. Und schimpft auch nicht auf die Lehrer. Die haben nämlich so gut wie nichts zu sagen.

Versuch gern selbst, in einer Klasse mit dreißig Schülern (fünfzig, wenn du Pech hast) zu unterrichten, zu der jede Woche Anfänger hinzukommen, in der einige Hochschullehrer sind und andere nicht schreiben können, in der einige alles geben wollen während andere nichts geben können, weil sie nach der Vergewaltigung in Kenia auf Valium sind. Wieder andere sitzen da ihr drittes Jahr, weil jemand meinte, sie bräuchten “feste Routine und etwas zu tun”. Und du selbst, lieber Lehrer, hast vielleicht noch nie Erwachsene unterrichtet, wenn du überhaupt Sprachlehrer bist. Du bist vielleicht Tanzpädagoge und fragst deine Kollegen nach dem Unterschied zwischen Objekt und Subjekt (ja, das kam bei der staatlichen Lernia in Stockholm wirklich vor). Aber solltest du zufällig qualifizierter SFI-Lehrer sein und damit länger studiert haben als deine Kollegen, die Schweden unterrichten, dann bekommst du niedrigeren Lohn bei längeren Arbeitstagen.

Ich werde euch, liebe Leser, nicht mit all den Malen, wo zum Beispiel funktionierende Schulen eine nach der anderen stillgelegt wurden, langweilen; ich will nur ein paar symbolische Punkte zur Orientierung reichen. Es brauchte beispielsweise vierzig Jahre Einwanderung bis die Regierung einsah, warum man getrennte Kurse für Akademiker und Analphabeten braucht. Die SFI-Lehrer wussten das von Anfang an. Aber erst 2003 wurden sie erhört.

An der Sprachschule Paragona in Warschau, wo man in sieben Monaten Ärzteschwedisch unterrichtet, hat man eigene Unterrichtsmaterialien zusammengeschustert. Die meisten SFI-Bücher sind nicht anwendbar, bekomme ich zu hören, “weil sie Unbehagen bei den Studenten hervorrufen”.

Ich versuche es mit ”+46”, dem wohl meistverbreiteten Lehrbuch über Schwedisch als Fremdsprache. Das erste schwedische Ding, das man trifft, ist die Uhr. Ist es viertel vor oder viertel nach? Pünktlichkeit zählt. Einer der ersten Sätze, die man zu sagen lernt, ist, dass man krank ist. Wir heißen Abdul oder Keziban. Wir sind um acht Uhr in der Schule (das mit der Pünktlichkeit ist erst gemeint), gehen zur Apotheke, buchstabieren unseren verdammten Namen, bitten um Verzeihung, sind wieder krank und schon auf Seite 63 erfahren wir, wie die Zukunft aussieht: Fatemeh und Mohsen haben einen Laden, arbeiten 80 Stunden die Woche und sind froh darüber. Dann werden wir bestohlen und betrogen, wir achten auf Sonderangebote, heben den Kassenzettel auf, kaufen gebraucht, werden zum dritten mal krank, danach deprimiert, werden überwiesen, überfahren, treffen die einsame Gudrun mit dem kaputten Kreuz, dann Peter mit den Magenbeschwerden, wir werden allergisch, aber haben genug Kraft, Vokale zu üben: “Die Knie tun weh und die Nase ist verstopft” und Betonung: “Sie hat Fieber”, das Tempus nicht vergessen: “Ich hatte diese Woche keine Zeit”. Wir sehen schlecht, hören schlecht und es juckt, aber wir lernen die Körperteile “Ihr tut der … weh”.

Auf Seite 119 keimt Hoffnung auf mehr Heiterkeit. Alma aus dem 19. Jahrhundert erzählt. Leider falsch gelegen: Sie wird von Läusen angesteckt und stirbt, erst 49 Jahre alt, weil es damals kein Penicillin gab. Aber heute gibt es das! Neue Hoffnung, aber auf der nächsten Seite bricht sich Alice das Bein. Wir haben Probleme mit den Nachbarn, melden Verstopfung im Müllschacht, üben das Hörverstehen: “Nein, jetzt hat mir wieder jemand die Zeit gestohlen.” Wir machen ein Praktikum in der Großküche und lernen, Worte zusammenzusetzen: Praktikums-Platz.

Wenn wir auf Seite 190 ankommen, haben wir immer noch nicht gelernt, dass es “Sonne” und “Mond” heißt, aber wir haben sieben Mal unsere Personennummer aufgesagt.

Reicht es? Vielleicht noch eine Grammatikübung? Mach einen Satz aus zweien: “Er ist zu Hause. Er ist krank.”

Man könnte meinen es sei unmöglich, ein Schwedisch-Anfängerbuch ohne Meer, Schärengarten und Berge zu schreiben, ohne Schnaps, Psalmen und Eishockey, ohne Evert Taube und Bellman, ohne die Asa-Mythen (warum heißt es Thorstraße?), ohne auch nur einen Hauch schwedischer Kultur und wo niemand je flirtet, ins Theater geht, scherzt, wo ihm etwas gelingt oder er sich zumindest mit den unfehlbaren Produkten der Nobel AG um die Ecke bringt.

Es ist also doch möglich. Roy Anderssons Film “Lieder aus dem zweiten Stock” ist ein Lustspiel im Vergleich zur geruchlosen Hölle, die Almqvists & Wiksells Verlag da präsentiert. Nein, das ist kein einzelner Unglücksfall. Im “Handbuch Schwedisch als Fremdsprache” ist der Adressat ein Typ, der andauernd “genau” sagt und der sich allem Anschein nach vom Tropf ernährt und durch Zellteilung fortpflanzt, denn weder isst noch flirtet er, so beschäftigt ist er damit, Formulare auszufüllen.

Natürlich erzählen diese Bücher nicht von Schweden. Es ist der Einwanderer, der porträtiert wird. Unterbewusst natürlich. Aber woher kommt das Bild dieses armen Würstchens, das zum Sozialfall geboren ist, das an die Hand genommen und wie ein Kind angeredet werden muss? Niemand hat den Autoren entsprechende Anweisungen gegeben, also muss es aus der Luft kommen, die sie atmen. Kann dies ein weiterer Schlüssel zur Havarie der Integration sein? Während wir darauf waren, dass die Wissenschaft diese Frage beantwortet, lasst uns einen Blick darauf werfen, was dieses Bild für Konsequenzen hat.

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Fußnoten:
^1^ Das ist leider unübersetzbar, denn der Inhalt des Satzes ist unwichtig und zielt mit der falschen Schreibweise darauf ab, die typischen Fehler von Einwanderern in der Betonung der Vokale und der Satzmelodie in Schrift zu fassen.

^2^ Man stelle sich vor, “Schnurr” bedeute so viel wie “Schniedel”, um neben den Sprachschwierigkeiten auch die lustige Seite dieses Beispiels zu sehen.

^3^ Wiederum ist der Bedeutung dieses Satzes (“Der Lauspudel schreit an der Hausecke”) nebensächlich. Es geht hier um die Betonung auf mehreren Silben der Worte und um die langen Vokale.

^4^ Für Deutsche zum Glück gar nicht so schwer. Was seltsame Satzstellung angeht, machen wir den Schweden leicht was vor. Gleiches gilt natürlich für die zusammengesetzten Worte im nächsten Abschnitt.

^5^ Rim ist im Schwedischen der “Reim”, rimma bedeutet neben “reimen” aber auch “salzen”. Rimfläsk ist also “Pökelfleisch”. (Als mir nach 20 Minuten Grübeln kein ähnlich gutes deutsches Wortspiel einfiel, gab ich auf und erkläre es lieber.)

^6^ Früher mussten Schweden ein Buch zum Alkoholkauf beim Systembolaget mitbringen, in dem die Rationen abgestempelt wurden. Motbok nannte sich dieses.

^7^ Mit “badden” ist “baden, einwickeln” gemeint. Im Schwedischen liegt der hörbare Unterschied zwischen den beiden Sätzen nur in der länge der Vokale.

“Ich glaube nicht, dass die vom Sozialamt Sadisten sind”, sagt eine SFI-Lehrerin in Vårberg, “sie folgen wohl bloß ihren Regeln.” Ihr bester Schüler, eine armenische Lehrerin, soll gezwungen werden, den Schwedischkurs einen Monat vor dem Examen abzubrechen. Weil sie weiterstudieren will, ist dieses lebenswichtig für sie. Aber das Sozialamt meint, ihr Schwedisch sei gut genug, jetzt soll sie irgendeinen Job suchen, Arbeit geht vor. Nein, eine Stelle haben sie keine für sie. Aber will sie die Zuwendungen behalten, soll sie ihre Zeit auf dem “Jobmarkt” in Vårberg verbringen. (Unsere Armenierin ist nicht dumm. Sie meldet sich beim Jobmarkt, um dann in die Schule zu entwischen.)

Auf dem Jobmarkt sitzt dagegen Juhan Khaled, Möbelschreiner aus Kirkuk im Norden Iraks, dem das gleiche Sozialamt vorschreibt, jeden Tag mindestens zwei Stunden am Bildschirm nach Arbeit zu suchen. Tut er das nicht, wird die Sozialhilfe gestrichen. Juhan würde lieber schreinern, wenn er Werkzeug hätte. Aber jetzt sitzt er hier seit anderthalb Jahren. Nein, er schaut nie auf den Bildschirm, denn er kann nicht lesen. Ja, auf dem Sozialamt weiß man das.

Der Automechaniker Marion Hanna fährt jeden Tag von Södertälje nach Liljeholmen, um in einem Schnellkurs Schwedisch zu lernen. Er sagt, er habe nicht darum gebeten und verstehe so gut wie nichts, genauso wie die anderen 18 in seiner Gruppe. “Der halbe Tag geht so für mich drauf. Ich lerne mehr, wenn ich meiner Tochter Märchen vorlese”, sagt Marion. Wie ist er denn dort gelandet? Er glaubt, dass die Gemeinde den Kurs schon eingekauft hatte und dann mit Leuten füllen musste. “Das ist Wahnsinn. Ein Mensch mit geringer Ausbildung kann keine acht Stunden täglich dasitzen und Grammatik erklärt bekommen – auf Schwedisch”, sagt ein SFI-Lehrer.

Und dann haben wir Abdulrahman Ali, der eigentlich Glück hat. Er fuhr LKW im Irak und kam jetzt in den Schwedischkurs für LKW-Fahrer, eine schlaue Erfindung der SFI-Lehrer in Vårberg (in Schweden werden 7000 LKW-Fahrer gesucht). Aber das Sozialamt will seine Unterstützung streichen. Er soll stattdessen auf dem Jobmarkt sitzen, denn Studien gelten nicht als Beschäftigung.

Oder der Schweißer Ali Firas. Die werden von der Industrie händeringend gesucht und Firas hat es sogar geschafft, in eine Weiterbildung für die schwedische Lizenz zu kommen, und bräuchte nur ein wenig Geld zum Leben während des Kurses. Aber das Sozialamt sagt nein. Sie haben herausgefunden, dass Firas nachts auf den Booten nach Finnland putzt und finden, dass er das auch weiterhin tun sollte.

Ich muss auch von Safia Nasser erzählen, die in Bagdad Mathe und Arabisch unterrichtete. Ihr Mann hatte eine Schmuckgeschäft. “Alles weg.” Jetzt hat sie fast als Vorschullehrerin (Mangelberuf) Fuß gefasst, “aber sie sagen ich muss besser Schwedisch”. Das würde sie nur zu gerne. Aber das Sozialamt findet, sie könne genug. Sie verliert ihre Beihilfe, wenn sie weiter Schwedisch lernt. Schweden kann es sich nicht leisten, sie noch zwei Monate im SFI zu behalten. Ein seltsames Land, findet Magister Nasser, denn es war genug Geld da, sie zu einem Kurs zu schicken, um den sie nicht gebeten hatte. Der dauerte sechs Monate bei Lernia in Liljeholmen. Das war etwas mit “Marktwirtschaft”, glaubt Nasser. Sie kann es nicht genau sagen, denn damals verstand sie kein Schwedisch.

(Für die, die es nicht wissen: Für die “Integration” sind das Arbeitsamt, das Amt für Erwachsenenausbildung, die Regionsverwaltungen und das Einwanderungsamt zuständig. Aber auf dem Unterhaltsgeld sitzt das Sozialamt, das am meisten zu sagen hat. Deshalb die unzähligen Reibereien zwischen diesen Behörden.)

Auch wenn die Integration missglückt ist, geht es der Integrationsindustrie bestens. Im ganzen Land spießen Ausbildungsfirmen aus dem Boden, unbekümmert von der Börse, denn ihr Markt ist politisch, nicht ökonomisch. Einige Firmen liefern auch Ausbildung. Was andere abliefern werden wir gleich zu sehen bekommen.

Ich brauchte drei Tage um herauszufinden, welchen Kurs Frau Ambro denn jetzt drei Monate lang besucht hat. Sie konnte mir weder die Adresse noch den Namen der Schule nennen. Man nimmt den Bus von Farsta, vielleicht war es Nummer 1831, erzählt Frau Ambro, nach Telje steigt man dann aus. Telje in Farsta? Ach, Telia! Das macht sie jeden Nachmittag, fünf Tage die Woche. Sie ist 59 Jahre alt und sehr müde nach dem Schwedischunterricht an den Vormittagen, besonders weil zum Essen zwischen Vårberg und Farsta keine Zeit bleibt. Wovon handelt der Kurs denn? “Das kann ich nicht sagen”, sagt Frau Ambro, “weil ich nicht verstehe, was sie sagen. Aber ich glaube es geht ums Wetter.” Sie hatte ein Geschäft in Mogadischu, spricht zusätzlich Arabisch, aber hat nie lesen gelernt. (Ihre Muttersprache Somali wurde erst 1972 Schriftsprache.) Sie will nicht nach Farsta fahren, “um drei Stunden lang auf die Uhr zu schauen”. Aber tut sie es nicht, bekommt sie kein Geld zum Leben.

Der Kurs heißt Thema Kommunikation. Die Firma, die ihn der Gemeinde Stockholm verkauft hat, nennt sich Kompetenzausbildung AG. Man sagt, die Schüler sollen da Alltagsschwedisch üben. Zum Beispiel Briefe schreiben. Der Medizinstudent aus Taschkent scheint das gut hinzubekommen. Aber ist das Unterricht, was ich da sehe? Die Lehrerin redet vor allem selbst, ja, tatsächlich übers Wetter. “Jetzt ist Herbst, die Blätter fallen. Wir stellen die Uhren um.” Manchmal stellt sie eine Frage, aber berichtigt die Antworten nicht. Was macht Frau Ambro in dieser Klasse? Ich habe es gestoppt: In den drei Stunden Unterricht durfte sie eine Minute und zwanzig Sekunden lang ihr Schwedisch üben. Das war das eine Mal als sie die Frage verstand. Für diese Sekunden haben wir der Kompetenzausbildung AG 240 Kronen gezahlt. Das entspricht ungefähr 15.000 Kronen pro Stunde für Frau Ambros effektive Sprachausbildung.

Hinterher frage ich den Chef warum man der Gemeinde nicht sofort mitgeteilt hat, dass Frau Ambro nichts von diesen Stunden hat (von denen sie jetzt fünfhundert Stück durchgemacht hat). Das hätte jeder normaler Lehrer getan. Da windet sich der Chef und sagt, dass “die Sprache zu hören immer etwas bringt”. Das ist wahr. Aber Frau Ambro hat schon ein Radio.

Aber sag nicht, dass die teure “Einführung” ein schlechtes Geschäft sei. Die 4.840 Kronen, die Kompetenzausbildung jeden Monat für die Aufbewahrung von Frau Ambro bekommt, sind mehr als diese zum Leben bekommt.

“Die dachten nur ans Geld”, sagt ein Lehrer, der Anfang des Jahrzehnts für die Firma gearbeitet hat. “Man will zwar heute überall Vielfalt, aber kommt man mit Schwedischlehrern aus, die nicht rechtschreiben können?” fragt sich ein anderer ehemaliger Angestellter. Zuletzt senkte die Firma die Gehälter der Lehrer auf das niedrigste Niveau der Branche und erhöhte das Pensum auf dreißig volle Stunden Unterricht pro Woche, fast doppelt so viel wie an Gymnasien üblich. Früher nannte man so etwas “Ausbeutung”. Jeder weiß, dass Unterricht, der diesen Namen verdient, unter solchen Bedingungen nicht möglich ist.

Jetzt fragt sich der Leser vielleicht, wer diese Kapitalisten sind, die entdeckt haben, was für ein gutes Geschäft der Flüchtling ist. Vorsitzender der Kompetenzausbildung AG ist Tomas Eneroth, Vorstandsmitglied bei SAP, vormals Vorsitzender im Ausbildungsausschuss des Reichstags und auch bei Lernia. Und der Geschäftsführer heißt Jonas Thoursie, ein alter Freund von Eneroth aus JuSo-Tagen.

Viele Gemeinen, darunter Stockholm, haben ihre SFI-Ausbildung in Firmen ausgegliedert. Der Gedanke dahinter war, dass die Konkurrenz die Preise drückt und die Qualität erhöht. Am liebsten beides zugleich. Sicherlich kann Konkurrenz auch für Schulen und Pflegeheime unter gewissen Voraussetzungen gesund sein. Aber ein funktionierender Merkt setzt gut informierte und mündige “Kunden” voraus. Und dass man wirklich eine Wahl hat.

Wie glaubt ihr würden Autowerkstätten aussehen, wenn man die neuen Bremsen mit Kupons vom Sozialamt bezahlen müsste, wenn man sich die Werkstatt nur von einer Liste auf Französisch aussuchen und bei Unzufriedenheit nicht wechseln dürfte? Bestenfalls würden ein paar Automechaniker aus reiner Berufsehre versuchen, sauber zu bleiben. Aber wohl nicht sehr viele.

Genau das ist dagegen der Zustand bei SFI. Als “Kunde” sind Flüchtlinge in unserem System so gut wie machtlos. Die Alten im Heim haben vielleicht noch einen Angehörigen, der Alarm schlagen kann bei Pflegemissständen. Die Flüchtlinge haben niemanden. Viele können nicht einmal beurteilen, ob ihr Unterricht gut oder schlecht ist, denn womit soll ihn der irakische Unteroffizier vergleichen? Man hätte sich also mit dem Hintern ausrechnen können, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis die Schnäppchenjäger angerannt kommen, wenn man SFI dem Markt aussetzt.

Habt deshalb Mitgefühl mit den armen SFI-Lehrern, die ständig zu hören bekommen, sie würden die Integration eigenhändig zugrunde richten. Sie bekommen nur selten die Chance, ihre Arbeit gut zu machen. Beschuldigt also nicht die Lehrer, sondern ihre Arbeitgeber und lasst die Revisoren einmal ein Auge auf die zuweilen engen Freundschaften zwischen unseriösen SFI-Unternehmern und deren Auftraggeber in den Gemeinden werfen.

Unter diesen Vorraussetzung wäre SFI zur Katastrophe geworden, gäbe es nicht die Idealisten. Wer funktionierendes SFI sehen will, braucht nur die rote Linie nach Süden zum Erwachsenengymnasium in Vårberg zu nehmen.

Dort kann man sich mit Michael Carnheden über das Getriebe der R-Serie von Scania unterhalten, oder über den richtigen Gebrauch des konjugierten Verbs, oder was der r-Laut bei Baudelaire bewirkt. Zur Zeit bringt er zwanzig Einwanderern LKW-Schwedisch bei. Der Kurs läuft seit September und spätestens im Mai sollen alle den C-Führerschein haben und hinterm Steuer sitzen.

Vårbergs SFI-Lehrer haben ihre Kompetenzen überschritten. Sie haben die Region nach Flüchtlingen mit Mangelberufen durchsucht, haben ihnen angepasste Kurse zusammengestellt, haben Pakte mit Praxen, Speditionen und Einzelhandelschefs geschlossen und haben – das Allerschwierigste – eine ganze Reihe von Sozialämtern davon überzeugt, Ausnahmen von diversen Regeln zu machen (wie die, dass Ausbildung nicht als Beschäftigung gilt). Und sie sorgten dafür, dass die Leute zu Essen und ein Dach über dem Kopf hatten. Eigentlich Selbstverständliches, könnte man meinen. Aber weil unser Integrationsapparat so aufgebaut ist wie er ist, war es eine kleine Heldentat.

“Idealismus”, schrieb ich, aber das war das falsche Wort. “Respekt” ist eher am Platz. Zuallererst vor sich selbst als Lehrer. Und vor den Schülern.

Wie bezeugt man einer Frau Respekt, die sich zum Pflegepersonal ausbildet, aber zum Unterricht in ein graues somalisches Gewand verhüllt kommt? So vielleicht: “In diesem wunderschönen Kleid wirst du nicht im Krankenhaus arbeiten können. Wenn du immer so gekleidet sein musst, ist es wohl besser, dass du abbrichst.” “Und schau an, am nächsten Tag kam sie mit rosa Kopftuch und normaler Kleidung und wirkte sehr zufrieden damit, dass sie mich dazu gebracht hat, mich zu beschweren.”, erzählt die Lehrerin.

Siehe da, eine elegante Art, das mit der “Kultur” zu handhaben. Von weniger eleganten handelt der nächste Artikel.

Juhan Khaled, Marion Hanna, Abdulrahman Ali, Ali Firas, Safia Nasser und Frau Ambro heißen in Wirklichkeit anders.

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-03. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

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