Wort der Woche: Progg

Progg ist der schwedische Vorläufer des Punk. Progg ist der Beweis, dass Schweden in den Siebzigern cooler war als Deutschland. Progg ist politisch. Progg ist links. Progg ist tot. Progg lebt. Progg ist musikalisch anspruchslos. Progg ist alternativ. Progg ist zeitlos. Alles Aussagen, die gleichzeitig zutreffen und falsch sind – zumindest jedoch eine unzureichende Beschreibung abliefern.

Es geht also um Musik. Das Wort kommt sprachlich zwar von “progressiv”, progg hat aber nur wenig mit dem Musikgenre progressive rock zu tun. Progg ist nicht einmal ein einheitliches Genre, sondern eine schwedische Musikbewegung der 70er Jahre, die viele Stile umfasst. Die Bandbreite reicht von Folkmusik über vorwiegend instrumentalen Rock bis zu Blues.

In den Sechzigern war es wohl recht schwer für schwedische Bands, Plattenverträge zu bekommen, wenn sie andere Musik machten als die Labels für Hitverdächtig hielten. Gegen Ende des Jahrzehnts bildete sich also ein alternative Szene mit eigenen Plattenlabels, die in den Siebzigern ihre kurze Blütezeit erlebten. Die Ansichten der linken 68er dominierten die politische Anschauung der Bewegung, sorgten aber auch dafür, dass unpolitischere Bands ausscherten.

Gemeinsamkeit war auf jeden Fall, dass auf Schwedisch gesungen wurde und dass man sich als Gegengewicht gegen kommerzielle Musik sah. Musik wie ABBA senke das politische Bewusstsein und richte alles auf den Massenkonsum aus, dachten nicht wenige. Passend zum gestrigen Abend sei angemerkt, dass man im Progg das Schlagerfestival verachtete. 1975 gab es als Gegenveranstaltung ein Alternativfestival in Stockholm, auf dem Ulf Dageby vom Nationalteatern sich im Lied Doin´ the Omoralisk Schlagerfestival über selbiges auslässt.

Die zunehmende Politisierung führte dann gegen Ende der 70er zu Uneinigkeiten und als 1980 das zur Bewegung gehörende Magazin Musikens makt (Macht der Musik) eingestellt wurde, war Progg zu Ende. Der Punk hatte übernommen – und zwar nicht nur die Aufmerksamkeit der Jugendlichen, sondern auch die politisch linke Systemkritik. Zum Beispiel ist Staten och Kapitalet, das neulich schon im Zusammenhang mit Ebba Grön und Joakim Thåström Erwähnung fand ein Cover von Blå Tåget, bei denen es viel zahmer klang.

Seit den 90er Jahren stößt der schwedische Progg wieder auf mehr Interesse und einige der Künstler sind wieder auf Tour und spielen mit viel Zuspruch auf Festivals. Es wird respektiert, dass die Bewegung ein sehr wichtiger Beitrag zur schwedischen Musikgeschichte war, auch wenn man einige der extremeren kommunistischen Texte eher belächelt. Im Gegensatz zur Schlagerbewegung kann man vieles von dieser Musik heute noch hören.

Es gab und gibt zu viele Musiker, die man zum Progg rechnet, als dass ich sie hier alle aufzählen könnte, geschweige denn kennen würde. Ein paar der Protagonisten sollen aber zumindest erwähnt werden: Träd, Gräs och Stenar, die Hoola Bandoola Band mit Mikael Wiehe, Kebnekaise, Björn Afzelius, Peps Persson mit Peps Blodsband, Samla Mammas Manna und natürlich Nationalteatern. Letztere habe ich sogar in meinem ersten Jahr in Schweden auf einem Festival gesehen, natürlich ohne damals je von ihnen gehört zu haben. Peps Persson habe ich neulich verpasst, als er in Uppsala gespielt hat, aber ich hoffe, das irgendwann nachzuholen.

Nach so viel Text jetzt endlich zur Musik. Videos nach dem Klick.

Leider findet sich nur recht wenig der oben genannten bei YouTube und dann meist in zweifelhafter Audioqualität. Trotzdem hier die drei “besten”, die ich finden konnte, abgesehen von denen im gestrigen Artikel und in Rainers.

[Nationalteatern – Bängen Trålar](http://www.youtube.com/watch?v=4WVol2KSXSc):

[Sillstryparn – Doin the Omoralisk Schlagerfestival](http://www.youtube.com/watch?v=ylzX73rskiE):

[Hoola Bandoola Band (mit Joakim Thåström) – Fred](http://www.youtube.com/watch?v=LAgPRfsHn7I):

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