Als die schwedische Wahlbehörde letzte Woche das amtliche Endergebnis der Wahl vom 19. September bekanntgab und die Kontrollauszählungen abgeschlossen waren, hatte sich im Vergleich zum vorläufigen Ergebnis wenig geändert. Die Zentrumspartei hat den Sozialdemokraten noch ein Mandat im Parlament abgeknöpft. Das bedeutet, dass die Vier-Parteien-Allianz von Premierminister Reinfeldt nur zwei anstatt der zunächst geglaubten drei Sitze von einer eigenen Mehrheit entfernt ist.
Bevor heute Nachmittag bekannt wird, wie die Verhandlungen zur Regierungbildung ausfielen und wie Fredrik Reinfeldt regieren will, ist es an der Zeit, das Wahlergebnis und dessen Bedeutung ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.
Moderate gegen Sozialdemokraten
Das Duell zwischen den das letzte Jahrhundert der schwedischen Politik dominierenden Sozialdemokraten (S) und der größten Partei des bürgerlichen Lagers, den Moderaten, haben letztere klar für sich entschieden und knapp vier Prozent im Vergleich zu 2006 hinzugewonnen, während (S) gut vier eingebüßt hat. Das ist nicht nur jeweils das historisch beste beziehungsweise schlechteste Wahlergebnis beider Parteien und das erste Mal, dass die Sozialdemokraten nicht mehr mit Abstand die größte Partei sind. Zusätzlich ist es ein Novum, dass eine bürgerliche Regierung in Schweden überhaupt wiedergewählt wird und ihren Vorsprung gegenüber Rot-Grün sogar vergrößern kann.
Was sind die Ursachen dafür? Wählerbefragungen zeigen, dass die Person Fredrik Reinfeldt sehr wichtig für die Entscheidung der bürgerlichen Wähler war, während (S)-Chefin Mona Sahlin keine so große Rolle spielte. Reinfeldt, der lange Zeit als wenig aufregend oder gar charismatisch galt, hat es also geschafft, das Amt auszufüllen und viele davon zu überzeugen, dass er ein guter Premier ist. Dazu mag auch die geglückte schwedische EU-Ratspräsidentschaft beigetragen haben und nicht zuletzt der Eindruck – gerechtfertigt oder nicht – dass die Finanz- und Wirtschaftskrise Schweden nicht so hart getroffen hat wie andere Länder und dass jetzt wieder Aufschwungszeiten anstehen.
Wie in vielen anderen Ländern ist die Altersstruktur auch in Schweden ein wichtiger Faktor bei Wahlen, denn ältere wählen eher konservativ als junge Menschen. 18-29-jährige machen 20% der Wahlberechtigten aus, die Gruppe 65+ ist ein Fünftel größer. Im Gegensatz zu zum Beispiel Deutschland ist die Aufteilung von Stadt und Land jedoch umgekehrt. Ländliche Gegenden im Norden sind Hochburgen der Sozialdemokraten und die Ballungsgebiete wählen eher bürgerlich.
Ein weiterer Grund für die Verluste der Sozialdemokratie ist laut Wählerbefragungen die Koalitionsaussage mit den Linken, die zum ersten Mal versucht wurde und sich als sehr unpopulär bei den Stammwählern von (S) erwies. Der linke Parteichef Lars Ohly ist für viele ein rotes Tuch und machte es der Mitte schwer, vom bürgerlichen Block zu Rot-Grün zu wechseln.
Vorrangig halte ich jedoch für ausschlaggebend, dass es Rot-Rot-Grün nicht gelungen ist, die ideologischen Unterschiede herauszustellen und ein positives Zukunftsbild von einer gerechteren, sozialeren Gesellschaft aufzuzeigen. Stattdessen wurden Details diskutiert, ein paar Prozent Steuern hier, eine Regeländerung in der Krankenversicherung da. Dies ließ die beiden Blöcke politisch recht nah beieinander erscheinen, trotz grundlegend anderer Sichtweisen bezüglich gesellschaftlicher und eigener Verantwortung.
Ob man die Koalition der vier bürgerlichen Parteien mit diesem Wahlergebnis als “Gewinner” sehen kann, ist jedoch fraglich. Einerseits ja, denn sie haben die rot-grüne Gegenseite klar geschlagen. Anderseits nein, denn sie haben ihre eigene Mehrheit im Parlament eingebüßt. Das ist dem Einzug einer neuen Partei in den Reichstag zu schulden: den Schwedendemokraten.
Von frustrierten, arbeitslosen Männern
Die Schwedendemokraten (SD) haben in den letzten Jahren stetig an Zustimmung gewonnen, vor allem im südlichen Schonen. Ihr Parteiprogramm kreist um die Begrenzung der Einwanderung nach Schweden und darum, die “schwedische Kultur” zu bewahren. Damit meinen sie, wie es sich für eine Partei mit Wurzeln in der rechtsextremen Szene gehört, das klassisch-romantische Schweden, das eigentlich nur noch in den Köpfen deutscher Touristen existiert; nicht das moderne, weltoffene Land, das sich wohlwollende Blicke und Vorbildcharakter in der restlichen Welt erarbeitet hat.
Wie der Einzug von (SD) in den Reichstag zu bewerten ist und wie man in den kommenden vier Jahren mit ihnen umgehen sollte, darüber scheiden sich die Geister. Gibt es wachsende Ausländerfeindlichkeit, gar Rassismus, in Schweden, oder sind die Stimmen für die Schwedendemokraten vor allem Protestwähler?
Die einen heben hervor, dass die Integrationsdebatte tatsächlich nicht offen genug geführt wurde und dass es selbstverständlich auch hierzulande Probleme zu lösen gibt (siehe dazu z.B. die Artikelserie Warten auf Schweden). Diese Sichtweise heißt zugeben, dass (SD) ein von den anderen Parteien vernachlässigtes Thema aufwirft und deshalb Erfolge verbucht. Hiergegen spricht einiges.
Zum einen wächst in Schweden die Zustimmung zu Einwanderung weiterhin stetig, von einer weitreichenden Wende zu mehr Ausländerfeindlichkeit keine Spur. Zum anderen findet man Antworten, wenn man sich die Gesellschaftsschichten anschaut, aus denen (SD) ihre Stimmen bekommt. Mit Abstand überrepräsentiert sind hier Männer, die staatliche Beihilfen beziehen – ironisch, wenn man bedenkt, dass (SD) üblicherweise mit Milchmädchenrechnungen zu den Kosten von Ausländern für den Sozialstaat hausieren geht.
Ich halte deshalb die These, dass (SD) vor allem von Proteststimmen derer profitierte, die sich als Verlierer im heutigen Schweden sehen, für richtiger. Dass effektiv nur zwei politische Blöcke mit diffusen Unterschieden zur Wahl standen, hat hierbei sicherlich geholfen. Doch selbst wenn dies der Fall ist und die Stimmen für die Schwedendemokraten nicht als wachsender Rassismus zu werten sind, ist das Resultat dasselbe, nämlich dass eine Partei mit offen rassistischem Programm im Parlament das Zünglein an der Waage ist, solange die beiden anderen Blöcke nicht aufbrechen. Letztere werden sich daran messen lassen müssen, ob sie sich für politische Entscheidungen von den Stimmen der Schwedendemokraten abhängig machen und ihnen auf diese Weise Einfluss geben, oder nicht.
Die Interpretation als Protestwähler ist hingegen wichtig, wenn man die Ursachen bekämpfen will. Hierbei kann man das Argument vertreten, dass die bürgerliche Allianz zumindest eine teilweise Schuld am Erfolg von (SD) trägt. Eine wirtschaftsliberale Politik, in der man den Abbau sozialer Sicherheiten als Eigenverantwortung verkauft und in der Solidarität zum Unwort wird, erzeugt mehr gesellschaftliche Verlierer und von ihrer Landesführung Frustrierte, die die Schwedendemokraten als einzige “echte Alternative” sehen, die ihnen auch gleich noch einen Sündenbock mitliefert.
Frauen und Freibeuter
Zwei weitere kleine Parteien hatten sich Hoffnung gemacht, die Vier-Prozent-Hürde zu nehmen und ins schwedische Parlament einzuziehen: die Piraten und die Feministische Initiative (Fi). Beide bekamen unter einem Prozent der Stimmen.
Die Piratenpartei litt darunter, dass alle ihre Themen in den Medien des letzten halben Jahres so gut wie keine Rolle spielten. Man kann, wenn man möchte, dahinter politisches Kalkül der Regierung sehen. Die Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung wurde auf nach der Wahl verschoben, ebenso die zweite Instanz des Gerichtsverfahrens gegen die Pirate Bay, das mittlerweile begonnen hat. Nichtsdestotrotz landen eingeschränkte bürgerliche Freiheiten und erhöhte Überwachung immer weit unten, wenn Wähler nach wichtigen Themen gefragt werden. Es ist den Piraten trotz anscheinend guter Organisation nicht gelungen, genug Leute davon zu überzeugen, dass ihre Themen wichtiger sind als die “klassischen” wie Arbeitsmarkt, Schulen oder das Gesundheitssystem, zu denen die Piraten keine Stellung beziehen.
(Fi) ist die Feministenpartei von Gudrun Schyman, ehemals Parteichefin der Linkspartei. Diese konnte zumindest in Schymans Heimkommune Simrishamn einen Erfolg verbuchen – als drittstärkste Partei mit vier Sitzen.