In den letzten Jahren ist der Blatte^1^ modern geworden. Viele wollten eine gemeinsame Identität für alle nicht-Svennar schaffen, nicht zuletzt die Zeitschrift Gringo. Im dritten Artikel der Serie Warten auf Schweden fragt sich Maciej Zaremba, ob dieser Wille dem Rassismus in Schweden Aufwind gibt.
Es war voll im Schwimmbad Vivalla an diesem Tag, weswegen die Beweislage gut ausfiel. Man hörte: “Verdammte Zigeunerschweine”, “Ich werd’ alle Zigeuner ficken”, einige hörten außerdem “Huren, Hurensöhne und Pack”. Weil all das den Roma zugerufen wurde, führte der Ankläger an, dass der Schreihals wegen Volksverhetzung bestraft werden solle. Aber er überzeugte das Gericht in Örebro nicht, welches mit der Begründung freisprach, dass dies “nicht als Herabsetzung des Ansehens der Roma betrachtet werden kann”.
Dieses Urteil erregte die Schwedendemokraten^2^, die meinten, dass der Angeklage sicherlich verurteilt worden wäre, wenn sein Name nicht Habibi, sondern Svensson gelautet hätte.
Es gibt Hinweise, dass die Schwedendemokraten hier recht haben könnten. Wenn es um gewöhnliche Straftaten geht, können Einwanderer kaum damit rechnen, milder behandelt zu werden; eher umgekehrt. Aber bei Hassreden scheint das Einwanderer-Sein ein mildernder Umstand zu sein. Zum Beispiel wird der Vorfall im Schwimmbad nicht in die Statistik für angezeigte Hassverbrechen aufgenommen, eben weil der Schreihals Habibi hieß.
Nach der Zählweise des Rats zur Verbrechensvorbeugung (Brå) ist es also kein Hassverbrechen, wenn ein Einwanderer gegen Roma oder Schwarze hetzt. Zum Hassverbrechen wird es erst, wenn ein Schwede dies tut. Es sei erwähnt, dass Brå diese Regel selbst nicht mag, aber gezwungen ist, den Anweisungen der Säpo^3^ zu folgen. Und die hält es offenbar für gegeben, dass ein hasserfüllter Einwanderer ein geringeres Risiko darstellt als ein Schwede.
Ich frage mich natürlich wie Brå es anstellt, die richtigen Schweden herauszusortieren. Das ist mühsam, bekomme ich zu hören. “In der Anzeige steht selten, wo jemand geboren ist. Deshalb richten wir uns nach dem Namen”.
Soll man sich wundern, dass ein Staat, der Straftaten nach Namen Buch führt – “Was meinst du? Klingt Holt schwedisch? Ok, dann war es eine Straftat” – gewisse Probleme mit der “Integration” hat?
Für die Schwedendemokraten wurde dieses Urteil zu einem weiteren Beleg, dass der Staat Ausländer zulasten der Einheimischen bevorzugt. So kann man das natürlich sehen. Oder auch umgekehrt. Als Beweis der Geringschätzung: Ach – du bist ja nur ein Einwanderer.
Ich lese einen Artikel auf der Debattenseite von DN, in dem Masoud Kamali die sexuelle Veranlagung eines Ministers in seine Argumentation einbaut. Im Kulturteil lese ich, wie Kurdo Baksi mit Verachtung die Kleidung, das Geschlecht und die Rasse einer Politikerin als Erklärung für ihre Ansichten analysiert.
Wären diese Texte von einem Svensson geschrieben worden, hätte man ihn wohl öffentlich ausgepeitscht, wenn man die Artikel überhaupt gedruckt hätte. Aber mit diesen Namen darunter weckten sie kaum Entrüstung, außer – genau! außer bei anderen Autoren mit ungewöhnlichen Namen (wie Madon, Wager, Demirbag-Sten). Ja, bei diesen Gelegenheiten durften sie alleine die schwedische Presse-Ethik verteidigen.
Was bekommen wir hier zu sehen? Den Anfang einer geteilten Öffentlichkeit, wo Hautfarbe, Geschlecht, Religion und Herkunft das Recht geben, Dinge zu sagen, die andere nicht dürfen? Man kann leicht Beiträge finden, in denen jemand abgetan wird, weil er kein Einwanderer ist, nicht aus den “Vororten” kommt, zufällig ein Mann in gewissem Alter ist oder – am allerschlimmsten – eine eingewanderte Frau ist, die nicht unterschreibt, dass in Schweden Rassismus herrscht. Dann kann man sie “Hausneger” nennen und damit durchkommen, wenn man nicht Svensson heißt, natürlich.
Das aussagekräftigste Beispiel dafür, wie wichtig die Identität des Absenders geworden ist, ist die Zeitschrift Mana, deren Chefredakteur Babak Rahimi es für notwendig hielt, sich in seinen Artikeln als Frau im Iran auszugeben, inklusive erfundener Biografie.
Es ist merkwürdig, dass diesmal genau diejenigen den zivilisierten Diskurs unterhöhlen, die sich selbst für “Antirassisten” halten. Als Geschmacksprobe hier ein Beitrag aus der Bloggosphäre: “Den Begriff Hausneger könnte man effektiv … gegen Neger/Einwanderer anwenden, die in einer bürgerlichen Partei sind, z.B. Nyamko Subyami^4^ in der Folkpartiet” (antirassistische Schreibweise, meine Anm.). Kapiert? Nicht in Schweden geboren zu sein, verpflichtet zu bestimmten Ansichten. Eine etabliertere Bloggerin, der sich zur “Linken” bekennt, findet Einwanderer nicht gut, die “mischfarbige Beziehungen” eingehen. Das erschwere den Kampf gegen Rassismus, findet sie. Genau wie die extreme Rechte scheint sie der Ansicht zu sein, dass Hautfarbe verpflichtet.
Wenn es doch nur Extremisten wären, die Einwanderern eine bestimmte Identität zuschreiben. Aber als es vor wenigen Jahren zu einem akademischen Streit zwischen Dozent Westholm und Professor Kamali kam, bekamen wir vom Rednerpult des Parlaments zu hören, dass die Regierung eingreifen müsse:
”... diese schädliche und polemische Diskussion wurde in Dagens Nyheter veröffentlicht, wodurch der Konflikt negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Einwandererbevölkerung und den schwedischen Behörden haben kann.”
Ja, ihr habt euch nicht verlesen. Wenn ein Westholm einen Kamali kritisiert, kann das die gesamte “Einwandererbevölkerung” krumm nehmen. Keiner der Gewählten wandte hastig etwas gegen die Idee ein, dass “Einwanderer” eine Volksgruppe sind, wie Pavlovs Hunde festgelegt, deren zuliebe wir Diskussionen abwürgen müssen (gerade die polemischen). Lag es daran, dass die Rednerin nicht in Schweden geboren war? Ana-Maria Narti hieß sie.
Wenn “Einwanderer” zur Sprache kommen, werden Mitbürger unsicher, was es sich zu sagen gehört. Als ob die Sprache vermint worden wäre. Nett gemeinte Fragen wie “Wo kommst du her?” können mittlerweile Entrüstung auslösen. “Ich bin in Mora geboren.” Man muss aufpassen, was man sagt. Und vielleicht denkt man ja wirklich falsch, ein wenig veraltet? Es ging doch alles so schnell … Und es ist bei Weitem nicht leicht zu wissen, wie man der neuen Vielfalt gerecht werden soll. Da wird eine SFI-Lehrerin als “elitär” beschimpft, wenn sie etwas dagegen einwendet, dass jemand, der nicht schreiben kann und mit starkem Farsi-Akzent spricht, Einwanderern Schwedisch beibringen soll. Da wird eine andere wegen Diskriminierung angezeigt, weil sie gesagt hat, Frauen im Iran seien unterdrückt.
Wenn Menschen anfangen, sich in ihrer Sprache und ihren Gedanken unsicher zu fühlen, öffnet sich ein Markt für Bauchredner, Anstandsdamen und Alibis. Will man die Erfolge der Schwedendemokraten verstehen, kann man Gringo nicht außen vor lassen, die Zeitschrift, die 2005 entstand und drei Jahre später in Konkurs ging.
Es ist nicht besonders verwunderlich, dass ein paar gebürtige Jugendliche, die die Frage “Woher kommst du?” einmal zu oft gehört haben, auf die Idee kommen, eine Zeitschrift Umgekehrt zu machen, wo die “Blattar” für alles Coole und Attraktive stehen, während die “Svennar” Statisten im debilen Hintergrund darstellen. Das kann als Satire helfen, Augen zu öffnen: “Ach so, ihr schert uns alle über einen Kamm und schaut auf uns herab? Schluckt eure eigene Medizin!”
Aber Gringo ging weiter. Dort wurde der “Blatte” zur Identität gemacht, deren einzige sichere Eigenschaft es war, kein “Svenne” zu sein und es auch nie zu werden. Teils weil die Svennar sie nicht herein ließen (Rassismus), teils weil die Kultur der Svennar die Mühe gar nicht wert war.
Ja, so könnte vielleicht die Reaktion auf unerwiderte Liebe aussehen. Aber Gringo war Theater. Die Redakteure, die vorgaben für eine verstoßene Masse zu sprechen, waren gut angepasste Unternehmer, die sich ein “Blatte-Schwedisch” ausgedacht hatten, das kaum einer spricht, und die sich zum Vermittler für Ansichten aufgeschwungen hatten, die kaum jemand vertritt. Und die man mit Nazismus vergleichen kann: “Leider gründet sich der schwedische Nationalismus auf die Sprache, genau die gleiche Art Nationalismus, die Hitler befürwortete”, stand in Gringos Agenda. Oder auch, dass schwedische Frauen untaugliche Sexobjekte waren (zu kleine Ärsche), während die schwarzen viel besser rochen, wie in Gringo 7/05 zu lesen war. Wurden Schwedens Einwanderer dadurch in ihrer eigenen Identität gestärkt?
Das Eigenartige war nicht, dass dort Muff und umgekehrter Rassismus gedruckt wurden. Das Eigenartige war, dass alte Volksbewegungen, Behörden und Firmen fünfstellige Beträge dafür bezahlten, das Ganze in Kursen und Vielfaltstagen wiederholt zu bekommen. Dass man mit Einwanderern auf eine spezielle Art reden muss, weil sie ein Volk für sich sind, mit eigenem Kauderwelsch, dass sie kein Interesse an schwedischer Kultur haben, aber verlangen, dass man ihre eigene anerkennt. Da war es raus. Ein Carlos, oder heißt er Zaynar, hat es gesagt. Was für eine Erleichterung.
Muss gesagt werden, was für ein gefundenes Fressen Gringo für unsere Xenophoben wurde? “Gringo… (hat) es geschafft, die Immigranten in Schweden als Vorortsaffen darzustellen, die blind von ihrem fundamentalen Bedürfnis nach Bestätigng und Respekt gesteuert sind”, jubelt einer der unbehaglichsten Blogger dieser Ecke. Nicht ganz gerecht, aber auch nicht ganz falsch. Noch wichtiger für die Schwedendemokraten (SD) war Gringos Bestätigung ihrer Grundidee: dass Schwede-Sein etwas ethnisches ist. Der kichernde Empfang, den der Hohn auf “Svennar” auf Konferenzen und in den Fernsehsofas fand, schien zu bestätigen, was SD lange behauptet hatte: dass Schweden seine Selbstachtung verloren hat und nicht auf seine Kultur aufzupassen weiß – also brauchte es die Schwedendemokraten.
Das Absurdeste an der Geschichte ist, dass die Einrichtungen, die sich mit Gringo einließen, dessen Ideologie in keinster Weise ernst nahmen. Sie kauften Ablassbriefe zum Herzeigen, wenn die Revision der Vielfältigkeitsarbeit kommt. Auf diese Weise brauchten sie nicht selbst darüber nachzudenken, ob es Rassismus ist, von einem Schwedischlehrer gutes Schwedisch zu verlangen, oder ob es wirklich eine gute Idee ist sich aufzuregen, wenn eine Frau den Handschlag verweigert. Es ist ja auch traumatisch, solche Dinge zu diskutieren.
Sicher kann das traumatisch sein. Wenn es schiefgeht, kann man das R-Wort genannt werden. Vor einiger Zeit bekamen sechzig führende Staatswissenschaftler, die in einem Brief an die Regierung gegen die politische Einflussnahme in der Integrationsuntersuchung protestierten, von Mona Sahlin^5^ als Antwort, dass ihr Protest “rassistische Untertöne” hätte. Was sich bei Dilsa Demirbag-Stens Prüfung der Korrespondenz als reine Erfindung entpuppte. (Expressen 30/6 -04)
Ich gehe davon aus, dass Mona Sahlin zufrieden mit sich war, hatte sie doch mit nur einem Wort des Spotts eine beschwerliche Debatte ruhig gestellt. Aber noch mehr freuten sich die Schwedendemokraten. Wenn legitime Kritik an Integrationspolitik ohne Hand und Fuß auf diese Weise abgetan wird, bekommen die Fremdenhasser ein Monopol auf diese Debatte.
Da gibt es den Schulrektor (in Råneå), der einen Dreizehnjährigen nach Hause schickt, weil auf seinem T-Shirt eine schwedische Flagge zu sehen ist mit den Worten “Schweden ist mein Vaterland”. Das Kleidungsstück könnte “nazistisch verstanden werden”, findet der Rektor. Dann war da die Kommune Nyköping, die der Kirchengemeinde verbietet, auf dem Totengedenkplatz neben Lids mittelalterlicher Kirche ein Kreuz aufzustellen. “Zu starkes religiöses Symbol”, heißt es, unpassend in einer multikulturellen Gesellschaft wo auch Atheisten Anstoß nehmen können.
Die Achtklässler der Strandskolan in Klagshamn bekamen kein Klassenfoto, weil sie an dem Tag Trikots der Nationalmannschaft anhatten (vor dem Spiel gegen Dänemark). “Es steht in unserem Lehrplan, dass wir gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz arbeiten sollen”, erklärt der Rektor. Nein, er finde nicht, dass die Nationalmannschaft für Rassismus stehe, aber die Trikots könnte jemand “so auffassen”. Außerdem kann “Den blomstertid nu kommer”^6^ als “diskriminierend wahrgenommen werden” und ist deshalb ungeeignet für Schulabschlussfeiern, findet der Diskriminierungsombudsman (DO), der die Bräckeskolan auf Hisingen wegen Psalmgesang gerügt hat.
(Interessanterweise ist der Rat schwedischer Muslime mit dem DO hier nicht einer Meinung. Die Vorsitzende Helena Benaouda sagt mir, dass es “absurd wäre, Psalmgesang an Schulabschlussfeiern generell zu verbieten.” Im Gegenzug sollte die Schule jedes Mal die Eltern fragen, ob alle damit einverstanden sind.)
Fast hätte ich Kista vergessen, wo einige Beamte die Flagge vom Gemeindehaus nehmen wollten, damit die Einwanderer auf dem Järvafältet sich mehr zu Hause fühlen könnten. Zum Glück war der Gemeindedirektor zufällig ein japanisch-italienisch-spanischer Indianer. Luis Abascal hieß er, kam aus Uruguay, brummelte “jetzt sind wir in Schweden” und die Flagge blieb.
Wir leben in interessanten Zeiten. Für die Rektoren in Råneå und Klagshamn ist blau-gelb etwas Suspektes, für Abascal ist die Flagge ein verbindendes Symbol. Damit sei nicht nur gesagt, dass die obigen Verwirrungen immer mehr aufgebrachte Mitbürger in die Arme der Schwedendemokraten treiben, sondern auch gezeigt, welch schwächelnde Empathie man mit den Menschen hat, deren Gleichstellung man zu verteidigen vorgibt. Man versucht, dem Zerrbild der Einwanderer gerecht zu werden. Oder vielleicht nur dem eigenen Selbstbild.
Die Gemeinde Sigtuna glaubt sich an vorderster Front der multikulturellen Gesellschaft. Allgemeine Schulferien am orthodoxen Karfreitag, dem kurdisch-persischen Neujahr Noruz und an Id Al-Fitr, dem Ende des Ramadan. Alle werden eingebunden, dass es eine Freude ist. Gleichzeitig bereitet es Frau Cherine leider wenig Sorgen, dass Kerstin und Kalle in die Schule gehen während sie und ihre Familie Neujahr feiert. Ihr Problem ist stattdessen, Schwedisch zu lernen. Wo bekommt sie Information dazu? Nirgends. Sigtuna ist eine der wenigen Gemeinden, in denen alle Information, auch die über die Kurse “für den, der Schwedisch von Grund auf lernen muss”, ausschließlich in eben dieser Sprache bereitliegt.
Habibi heißt in Wirklichkeit anders.
Maciej Zaremba
—
Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur
Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier
entlang.
Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-05. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.
Fußnoten:
^1^Blatte und Svenne sind unübersetzbar. Ersteres hat sich aus
einer abfälligen Bezeichnung für Einwanderer (deren Ursprung unklar ist)
zu einem Wort entwickelt, das von (Teilen) der Gruppe selbst zur
Identifikation verwendet wird – parallel dazu, wie sich manche Schwarze
“Nigger” nennen und wie Homosexulle das Wort “schwul” übernommen haben.
Svenne ist das Gegenstück zum Blatte, also eine abfällige
Bezeichnung des letzteren für “typische Schweden”. Die Ableitung kommt
wohl vom allgegenwärtigen Nachnamen “Svensson”.
^2^Die “Schwedendemokraten” sind eine nationalistisch-traditionalistische Partei, die “Schweden schwedisch erhalten” wollen. Am ehesten sind sie wohl mit den deutschen “Republikanern” zu vergleichen. Die Wikipedia weiß mehr.
^3^Säpo steht für Säkerhetspolisen, also “Sicherheispolizei”. Damit ist der nationale Geheimdienst Schwedens gemeint.
^4^Nyamko Sabuni ist Integrationsministerin der Regierung Reinfeldt.
^5^Mona Sahlin ist heute Parteichefin der größten Partei Schwedens, den Sozialdemokraten.
^6^Das ist der bekannteste und beliebteste der schwedischen
Sommer-Psalme. Er wird traditionell bei Schulabschlussfeiern gesungen.
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