Wort der Woche: Jantelagen

Das Jantegesetz (lag = Gesetz) ist nach dem fiktiven Ort Jante benannt, der im Buch Ein Flüchtling kreuzt seine Spur des dänisch-norwegischem Schriftstellers Aksel Sandemose vorkommt. Das Buch von 1933 ist nicht nur Namensgeber, sondern das Jantelagen selbst wird darin erfunden und hat seitdem einen festen Platz in der skandinavischen Kultur. Es besteht aus mehreren Geboten:

  • Du sollst nicht glauben, dass du etwas bist.
  • Du sollst nicht glauben, dass du schlauer bist als wir.
  • Du sollst nicht glauben, dass du besser bist als wir.
  • Du sollst nicht glauben, dass du mehr weißt als wir.
  • Du sollst nicht glauben, dass du uns überlegen bist.
  • Du sollst nicht glauben, dass du zu etwas taugst.
  • Du sollst nicht über uns lachen.
  • Du sollst nicht glauben, dass sich jemand für dich interessiert.
  • Du sollst nicht glauben, dass du uns etwas beibringen kannst.

(Übersetzung von mir)

Im Alltag wird es oft vereinfacht im Sinne von Du bist nicht besser als alle anderen! gebraucht und die doch etwas depressiv lautenden Teile weggelassen. Das Jantelag spielt in der Mentalität der Menschen eine große Rolle, auch wenn es nicht immer bewusst mit diesem Begriff verknüft wird.

Zunächst einmal klingt es ja sympatisch, dass man sich selbst nicht für etwas besseres halten soll. Eine Ermahnung zur Bescheidenheit eben. Es hat in der positiven Bedeutung auch etwas mit lagom zu tun, dem Wort der Woche von vor zwei Wochen, das genau richtig bedeutet. Im Sprichwort lagom är bäst (genau richtig ist am besten) deutet sich aber schon an, wie das an sich bewundernswerte Prinzip, dass alle Menschen sozial gleich sind, sich ins Negative wenden kann.

Das geschieht dann, wenn der Wunsch, nicht herauszuragen, nicht nur auf sich selbst angewendet wird, sondern zur Norm wird, gegen die man nicht verstoßen darf. Die Tendenz, nicht aufzufallen, und alles, was nicht konform ist, misstrauisch zu beäugen, gibt es in der schwedischen Gesellschaft und trägt auch zum Gemeinschaftsgefühl der skandinavischen Länder bei. Ich habe das oben genannte Buch leider nicht gelesen, es ist aber meines Wissens satirisch gemeint und will aufzeigen, wie der einzelne von der Gemeinschaft, in der Konformismus als Ideal gilt, unterdrückt und an Selbstentfaltung gehindert wird.

Am besten tritt der Einfluss des Jantelag in Diskussionen zutage. Es ist generell unangemessen, laut zu reden oder das Gespräch an sich zu reißen. Es wird diskutiert bis zum Konsens und man merkt oft, dass Leute mit ihrer wirklichen Meinung nicht herausrücken. Denn wenn man auf seiner eigenen Meinung beharrt und sie vehement verteidigt, wirkt man nicht nur äusserst unhöflich, sondern bringt seine Gesprächspartner in Bedrängnis, weil ihnen diese Situation fremd ist. Solange man unsensibel für diese kleinen Unterschiede ist, die auch weniger ausgeprägt sind, wenn man nicht schwedisch spricht, kann es vorkommen, dass man ohne (nach deutschem Maßstab) harte Diskussion mit seiner Meinung Recht bekommt. In Wirklichkeit hat man allerdings seine Meinung lediglich den anderen aufgezwungen und das Jantelag hat verhindert, dass sie auf gleiche Weise antworten. Natürlich funktioniert es nicht auf Dauer, sich auf diese Weise durchzusetzen, sondern man wird gemieden und isoliert, wenn man es übertriebt.

Das Jantelag und der nahe damit verknüpfte Gleichheitsgedanke haben aber auch positive Seiten. Existierende Hierarchien treten beispielsweise weniger stark hervor. Der schwedische Sozial- und Fürsorgestaat hängt auch mit dieser Grundeinstellung zusammen. Obige Darstellung entspricht meiner Erfahrung, ich möchte aber betonen, dass es sich trotz allem um subtile Unterschiede handelt, die nur in gewissen Situationen auffällig werden.

Eine interessante Frage zum Schluss: Soll man sich als Einwanderer dem Jantelag unterwerfen und ein typischer Svensson werden? Zu einem gewissen Grad muss man dies wohl tun, denn sonst eckt man zu oft an. Dass Deutsche generell als laut und unhöflich gelten, kann man darauf zurückführen, dass sie das Jantelag oft missachten. Trotzdem wäre es nicht gut, als Einwanderer unglücklich zu werden, weil man sich eingeschränkt fühlt. Man muss sich des Jantelagen bewusst sein und, wie für alle Regeln, selbst entscheiden, wann man sie bricht und wann man es lässt.

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