Wort der Woche: Studentnation

Seltsam, dass ich noch nie ausführlicher über die Nationen hier in Uppsala geschrieben habe. Erwähnt wurden sie jedoch schon gelegentlich. Mit studentnation oder einfach nur nation meint man Studentenverbindungen, wie sie in an den Universitäten Lund und Uppsala im 17. Jahrhundert entstanden und noch heute fortbestehen. Alles Folgende bezieht sich vorwiegend auf die Situation in Uppsala.

Im Gegensatz zu den Verbindungen in Deutschland hat sich in den Nationen keine fragwürdige politische Richtung herausgebildet, was wohl daran liegt, dass alle Studenten Mitglied in einer der 13 Nationen sein müssen (siehe Liste am Ende des Artikels). Die Mitgliedschaft kostet etwa 40 Euro pro Semester und kann insofern mit den Studentenwerksgebühren in Deutschland verglichen werden, als dass die Nationen ähnliche Aufgaben übernehmen und Dienstleistungen für Studenten anbieten. Darunter befinden sich

  • Kneipen und Restaurants
  • Wohnungen für die Mitglieder
  • Stipendien
  • Bibliotheken
  • Zeitungen
  • Sport
  • traditionelle Feste (gasques)
  • Clubs mit unterschiedlichen Musikrichtungen und Konzerte

  • kulturelle Aktivitäten wie Chöre, Orchester, Theatergruppen…

    Die Nationen werden von Studenten selbst verwaltet und bauen stark auf freiwilliges Engagement. Für einige Posten mit mehr Arbeit und Verantwortung nehmen Studenten sogar ein Semester oder ein Jahr Auszeit vom Studium und werden dann auch auf Niveau des normalen Studentenlohns bezahlt. Hier sind vor allem die Kuratoren zu nennen:

  • Der erste Kurator (förste kurator, abgekürzt “1Q”) ist der Chef und vorderster Repräsentant der jeweiligen Nation.

  • Der zweite Kurator (andre kurator, 2Q) kümmert sich um die Finanzen.

  • Der dritte (tredje kurator, 3Q) koordiniert die verschieden täglichen und Festaktivitäten.

    Die Kuratoren und zahlreichen anderen Posten werden von den Mitgliedern (landsmän) auf Versammlungen (landskap) gewählt, die mehrmals jährlich stattfinden. Nicht wenige schwedische Prominente waren Kurator während ihrer Studentenzeit, zum Beispiel war Dag Hammarskjöld 1Q von Uplands Nation. Jede Nation hat außerdem eine kleine Anzahl Inspektoren, oft Professoren und langjährige Mitglieder, die den Studenten mit Rat und Tat zur Seite stehen.

    Die Nationen sind nach den klassischen schwedischen Regionen (landskap) benannt und geordnet, wobei es im Laufe der Zeit allerlei Zusammenschlüsse und Neugruppierungen gab. Die Mitgliederzahl und damit auch die Vielfalt der Aktivitäten variiert von Nation zu Nation. Norrlands Nation ist die größte und Gotlands die kleinste. Jede Nation besitzt ein Haus im Stadtkern von Uppsala, in dem alle Aktivitäten stattfinden und in dem auch das Herz jeder Nation liegt: der Pub.

    Die Pubs sind mehr als nur Kneipe, denn es wird auch Essen serviert und sie dienen als sozialer Sammelpunkt. Wegen des eher symbolischen Lohns der freiwillig arbeitenden Studenten und dank einiger Steuerprivilegien sind alkoholische Getränke unschlagbar billig – 2-3 Euro für ein Bier anstatt der 5-6 Euro außerhalb der Nationen. Das ist der offensichtliche Grund, warum Studenten kaum abseits der Nationen ausgehen, und führt wiederum dazu, dass die Nationen bei Restaurant- und Barbetreibern recht unbeliebt sind und dass das Nachtleben in Uppsala außerhalb der Nationen einiges zu wünschen übrig lässt.

    Wegen der Abgeschlossenheit der Nationen kann man fast von einer Zweiklassengesellschaft sprechen, Studenten und Nichtstudenten, denen der Zugang zu den Nationen verwehrt ist. Als Student spielt es jedoch keine große Rolle, in welcher Nation man Mitglied ist, denn alle haben Zutritt zu allen anderen Nationshäusern. Es ist jedoch nicht unüblich, dass man bei der eigenen Nation kein Eintrittsgeld für gewisse Dinge bezahlt.

    Schweden wählen oft die Nation der Region, aus der sie ursprünglich kommen, aber nur wenige Nationen verlangen, dass man eine Verbindung zum entsprechenden Landesteil vorweisen kann, um Mitglied zu werden. Austauschstudenten habe freie Wahl und nutzen die angebotenen Möglichkeiten gern, auch um mit Schweden in Kontakt zu kommen anstatt nur mit anderen Austauschstudenten.

    Der soziale Aspekt ist ohne Zweifel der Hauptanziehungspunkt der Nationen. Es sind Plätze, an denen man sich trifft und gemeinsam etwas auf die Beine stellt. Durch das breite Angebot gibt es für die meisten eine passende Möglichkeit, sich zu engagieren – sei es bei einem Fest, kulturell oder beim kostenloses Weihnachtsessen für die Armen und Einsamen der Stadt.

    Eine Liste der Nationen in Uppsala:

  • Gotlands, die kleinste Nation.

  • Gästrike-Hälsinge, meist abgekürzt: GH.
  • Göteborgs
  • Kalmar
  • Norrlands, die mitgliederstärkste Nation.
  • Smålands
  • Stockholms
  • Södermanlands-Nerikes, genannt SNerikes
  • Uplands, Uppsala mit Umland, meine Wahl.
  • Värmlands
  • Västgöta, gesprochen “vächöta” mit ch wie in Fluch.
  • Västmanlands-Dala, V-Dala genannt.
  • Östgöta, gesprochen “öchöta”, siehe Västgöta.

  • Skånelands Nation nimmt ohne eigenes Haus, Aktivitäten und Mitgliedsgebühr eine Ausnahmerolle ein und bietet für diejenigen, die die Nationen ablehnen einen Ausweg. Die Mitglieder von Skånelands haben konsequenterweise auch keinen Zugang zu den anderen Nationen.

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