Schweden wählt EU-freundlich

Wahlresultat

Fast alle Wahllokale sind ausgezählt und obiges Bild zeigt das Ergebnis aus Schweden bei der EU-Wahl. In grau dahinter die letzte Wahl 2004.

Ein paar Kommentare dazu:

  • Die beiden großen Parteien, Sozialdemokraten (S) und die regierenden Moderaten (M) bleiben fast unverändert, beide hatten sich aber einen Zuwachs erhofft. M wollte sogar stärkste Partei werden.
  • Die Linkspartei (V) verliert mehr als die Hälfte ihrer Stimmen. Es liegt nahe zu vermuten, dass ihre Forderung zum Austritt Schwedens aus der EU etwas damit zu tun hat. Vielleicht ist Schweden ja in der EU angekommen.
  • Dass die Grünen (MP), die ihre EU-skeptische Haltung letztes Jahr geändert haben, jetzt stark hinzugewinnen, passt in dieses Bild; ebenso, dass die EU-freundlichste Partei, die liberale Folkpartiet (FP), auch zu den starken Gewinnern gehört.
  • Und natürlich auch, dass die Juni-Liste (JL), die als Hauptprogrammpunkt ein Nein zur EU hat, ihre bisherigen drei Mandate alle verliert.
  • Die auch international, gerade aus Deutschland, viel beachtete neue Partei ist die Piratenpartei (PP), die mit 7,1% ihr eines Mandat (von total 18 schwedischen) im EU-Parlament sicher hat. Das könnte Signalwirkung für andere Länder haben, dass Überwachungs- und Internet-Themen nicht auf Dauer ignoriert werden wollen.

    Schweden ist eines der wenigen Länder, in denen die Wahlbeteiligung gewachsten ist: um 6,7%. Zwar sind 44% eigentlich kein Grund zur Freude, aber es ist auch innerhalb Schwedens ein Bruch des bisherigen Trends. Wie kommt es? Ich glaube es lag am echten Wahlkampf, den sowohl Parteien als auch die Medien geboten haben. Es wurde sich ausführlich mit EU-Themen auseinander gesetzt, die EU nicht als Sündenbock missbraucht, sondern wirklich hinterleuchtet, was die Parteien und ihre Kandidaten im EU-Parlament erreichen wollen – im Gegensatz zu innenpolitischen Themen.
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Wort der Woche: Valvaka

Das schwedische Wort Val bedeutet “Wahl”, sowohl im politischen wie auch im allgemeineren Sinn. Außerdem bedeutet es auch “Wal”, aber davon soll hier nicht die Rede sein. Vaka ist als Substantiv eher ungebräuchlich, kommt aber vom gleichlautenden Verb, welches “wachen, bewachen, beobachten” bedeutet.

Die Valvaka ist also die Prozedur, auf das Wahlergebnis zu warten, und mit dem Wort werden sowohl die Wahlsendungen im Fernsehen als auch die Wahlparties der Parteien bezeichnet.

Die Valvakor zur heutigen EU-Parlamentswahl fangen in Schweden so um halb neun erst an. Schließlich sind die Wahllokale bis 21 Uhr geöffnet und erst danach beginnt die Zählung. Echte Zahlen dürfen europaweit erst ab 22 Uhr veröffentlicht werden, denn dann schließen die letzten Wahllokale in Portugal. Das hindert die ARD nicht daran, schon jetzt zu senden.

Ich werde hier im Laufe des Abends in meiner eigenen kleinen Valvaka Nachrichten aus Schweden nachtragen und meinen Senf dazu abgeben.


18:10 Wenn ich mir das ARD-Programm anschaue, will ich gleich mal anmerken, dass hier in Schweden wirklich EU-Wahlkampf gemacht wurde. Die nationalen Themen spielten zwar immer wieder einmal hinein, aber es wurde meist echte EU-Politik diskutiert. Außerdem war die Wahl ein starkes Thema in den hiesigen Medien – es fand also wirklich Wahlkampf statt, was ich von Deutschland nicht so mitbekommen habe. Deshalb erwarte ich hier auch eine deutlich höhere Wahlbeteiligung als die 43% in Deutschland. Schwedische Zahlen gibt es aber wie gesagt erst nach 21 Uhr.


19:50 Noch eine gute Stunde bis zu den ersten Prognosen. Aus Uppsala kommt die Nachricht, dass die Stimmzettel der rechtsextremen Schwedendemokraten in einigen Wahllokalen “verschwanden”. Wie das mit den Stimmzetteln in Schweden läuft, steht hier.


20:30 Das Interesse aus Deutschland für die schwedische Piratenpartei ist groß, schaut z.B. auf die Live-Suche bei Twitter. Gleich fängt hier die Wahlberichterstattung an und in einer halben Stunde schließen die Wahllokale.


20:40 Im Fernsehen wird berichtet, dass in einigen Wahllokalen die Stimmzettel der Piratenpartei versteckt oder weggeworfen wurden. Ansonsten bisher nur allgemeine Information bis um 21 Uhr die erste, noch recht unsichere Prognose kommt. Die Sendung ist erstaunlich wenig sachlich, man redet u.a. ausführlich mit einer Opernsängerin.


21:00 So, die erste Prognose (Exit-Poll) ist da.

  • Sozialdemokraterna: 25,1% (+0.5)
  • Moderaterna: 18.5 % (+0.3)
  • Miljöpartiet: 11.5 % (+5.5)
  • Folkpartiet: 11.4 % (+1.5)
  • Piratpartiet: 7.4 % (+7.4)
  • Centerpartiet: 5.8 % (-0.5)
  • Vänsterpartiet: 5.7 % (-7.1)

  • Kristdemokraterna: 5.1% (-0.6)

    Die Piraten also als fünftgrößte Partei. Das ist noch keine Hochrechnung, weil erst jetzt angefangen wird, auszuzählen.

    12% der Männer, 19% der 18-30-jährigen wählten offenbar Piratenpartei, was sie zur stärksten Partei in dieser Altersgrupe macht.


    21:20 Als erste Analyse kann man sagen, dass die Linken und die EU-kritische Juni-Liste, die 2004 14% bekam, klare Wahlverlierer sind. Eine klare Absage gegen EU-Neinsager also. Gewinner sind die Grünen, die mittlerweile pro-EU sind, und natürlich die Piraten.

    Wahlbeteiligung kommt erst um 22 Uhr, zusammen mit den ersten auf Auszählungen basierenden Hochrechnungen. Man rechnet aber mit einer höheren Beteiligung als die 35,2% von 2004.

    Die Wahlsendung ist auf irritierende Weise unsachlich. Man lässt die Gäste von ihren “wunderbaren Erlebnissen” aus dem Wahlkampf erzählen.


    22:00 Jetzt sind europaweit die Wahllokale geschlossen und die ersten wirklichen Zahlen kommen von der schwedischen Wahlbehörde:

  • Sozialdemokraterna: 27,4

  • Moderaterna: 16,6
  • Miljöpartiet: 9,9
  • Folkpartiet: 12,0
  • Piratpartiet: 7,1
  • Centerpartiet: 6,6
  • Vänsterpartiet: 5,9
  • Kristdemokraterna: 4,8
  • Junilistan: 3,8

    Die jeweils aktuellsten Zahlen findet man [hier](http://www.val.se/val/ep2009/valnatt/rike/index.html) Im Vergleich zur obigen Prognose ist überraschend, wie schlecht die regierenden Moderaten abschneiden. Die Wahlbeteiligung ist um 6,6% gewachsen, auf 43,6%.
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Wählen gehen

Ich war heute Morgen wählen und hoffe, dass alle, die das noch nicht getan haben und das hier lesen, sich auch noch ins Wahllokal aufmachen. Hier in Stockholm scheint sogar die Sonne, was sich hoffentlich gut auf die Wahlbeteiligung auswirkt.

Wie läuft der Wahlvorgang in Schweden ab? Man schnappt sich seinen Ausweis und die Wahlkarte, die man vor einigen Wochen per Post bekommen hat, und begibt sich damit zum auf eben dieser angegebenen Wahllokal – wenn man nicht schon vorab an einem der seit 20. Mai offenen Wahllokale abgestimmt hat. 12 Prozent Wahlbeteiligung (800.000 Stimmen) kamen auf diese Weise schon vor heute zusammen.

Vor dem Wahllokal erwarten einen die Helferlein der Parteien:

Wahl 090607

Diese dürfen ankommende Wähler nicht mehr beeinflussen, sondern ihnen lediglich sagen für welche Partei sie stehen und den entsprechenden Stimmzettel aushändigen.

Gewählt wird nämlich nicht, indem man eine Partei ankreuzt, sondern indem man das A6-große Papier der entsprechenden Partei in ein Kuvert steckt. Diese Zettel bekommt man auch noch im Wahllokal:

Wahl 090607

Auf dem Stimmzettel kann man, wenn man möchte, einen Kandidaten der jeweiligen Parteiliste ankreuzen, um ihm oder ihr in der Reihenfolge nach vorne zu helfen. Der leere Zettel in der Mitte erfüllt zwei Funktionen:

  • Zum einen ist dafur da, ungültig zu stimmen. Das nennt man hier “leer/blank abstimmen”. Dazu braucht man den Zettel, denn die Kuverts haben eine Aussparung, wo die Wahlhelfer sehen können, dass ein Zettel darin ist, aber naturlich nicht welcher.
  • Zum anderen kann es passieren, dass in einem Lokal die Stimmzettel einer Partei ausgehen oder dass eine kleine Partei es logistisch nicht hinbekommen hat, ihre Zettel in alle Lokale zu bringen. Dann kann man auf den leeren Zettel den Namen der Partei schreiben. Eine bestimmte Person kann man dann aber nicht ankreuzen, auch wenn man den Namen wüsste.

Dann geht man mit dem Kuvert und den Wahlzetteln hinter einen Schirm, steckt den Zettel seiner Wahl ins Kuvert, klebt es zu und geht zum Tisch mit den Helfern und der Urne. Dort zeigt man seinen Ausweis und die Wahlkarte, es wird der eigene Name im Wahlregister gestrichen und das Kuvert kommt in die Urne. Mit dem Lächeln der Helfer ist man dann fertig:

Wahl 090607

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6. Juni

Gestern war schwedischer Nationalfeiertag, unter anderem feiert man die Verfassung von 1809, die bis 1974 hielt. Mehr dazu hier oder bei Radio Schweden.

Ich war gestern Nachmittag kurz in der Stadt, um ein paar Bilder zu machen. Es war zwar viel los auf den Straßen, aber übermäßig viel Blau-Gelb war nicht zu sehen.

Nationaldagen 090606


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Baskery - One Horse Down

[Videolink](http://www.youtube.com/watch?v=6kyzOG7m3Qs), [Band-Webseite](http://www.baskery.com)

Drei schwedische Schwestern machen Country-Punk.
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Farbe bekennen

Die Wahl zum EU-Parlament hat begonnen. Holland hat schon gewählt (leider falsch ); in Deutschland, Österreich und Schweden ist Sonntag Wahltag, auch wenn hierzulande schon viele von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, bei einem der Vorab-Wahllokale vorbeizuschauen, die seit gut zwei Wochen geöffnet sind.

Vorab für all die, die nicht bis zu Ende lesen wollen: Geht wählen! Wenn euch keine der Parteien passt, macht die Stimme ungültig. Das geht mit in die Rechnung ein – im Unterschied zur nicht abgegebenen Stimme.

Es folgen wie versprochen ein paar Gedanken zur wichtigen Frage, was man denn wählen soll – natürlich aus meiner eigenen Perspektive. Zuallererst muss man sich, finde ich, klarmachen, dass nicht die Politik zur Abstimmung steht, die die Parteien bezüglich des Verhältnisses zwischen dem eigenen Land und der EU vertreten. Stattdessen geht es darum, welche Politik man künftig von der EU sehen will. Dass sich, gerade in Schweden, viele Menschen und auch einige Parteien noch nicht damit abgefunden haben, dass Politik von der EU kommt, die jeden betrifft, sollte eigentlich keine Rolle spielen. Tut es aber natürlich doch, denn ich finde es widersinnig, eine Partei, deren Programm für “weniger EU” und mehr “Eigenständigkeit” der Nationen steht, ins EU-Parlament zu wählen. Es geht darum, bessere EU-Politik zu machen, nicht weniger.

Weiterhin ist wichtig zu bedenken, dass die europäischen Parteien sich zu Fraktionen zusammenschließen, die meist gemeinsam abstimmen. (Fraktionszwang gibt es jedoch keinen.) Folgende fünf Parteigruppen sind für die deutschen und schwedischen Parteien relevant.


Parteigruppe Sozialdemokraten Christdemokraten/Konserv schwedische Socialdemokraterna ative Partei(en) SPD Moderaterna, deutsche Partei(en) Kristdemokraterna CDU, CSU


Man stimmt also indirekt auch immer für die Parteien aus den anderen Ländern, die im gleichen Block sitzen wie die “eigene” Partei. Das bedeutet zum Beispiel, dass jeder, der konservativ (CDU/CSU bzw. Moderaterna oder KD in Schweden) wählt, auch für die italienische Popolo della Libertà von Berlusconi stimmt, bei der seit Kurzem auch die Neofaschisten dabei sind. Das ist für mich genauso ausgeschlossen wie andere rechtspopulistische Parteien.

Wenn es um Wirtschaftsfragen geht, bin ich im Grunde Sozialdemokrat. Mit der schwedischen SAP habe ich aber zwei Probleme. Zum einen waren die schwedischen Sozialdemokraten damals treibende Kraft bei der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und haben aus meiner Sicht die falsche Haltung zu Urheberrechts- und Überwachungsfragen. Zum anderen gehören sie zu denen, die sich im Grunde unsicher sind, wie gut die EU für Schweden eigentlich ist. Frei bewegliche Arbeitskraft, einer der Grundpfeiler der europäischen Einigung, sehen sie als Bedrohung für das “schwedische Modell” der Tarifverträge.

Die hiesigen Linken wollen Schweden ganz aus der EU austreten lassen, stehen also außer Frage.

Was ist mit den Grünen? Wenn ich mich aus dem schwedischen Wählerregister aus- und ins deutsche eingetragen hätte, hätte ich wahrscheinlich grün gewählt. Die hiesigen Grünen haben sich aber gerade erst dazu durchgerungen, die schwedische EU-Mitgliedschaft überhaupt gutzuheißen. Sie sind gegen den Euro und den Vertrag von Lissabon, was zwar eigentlich keine für diese Wahl relevanten Fragen sind, sie mir aber extrem unsympathisch macht. Außerdem sind sie sehr links und eher mit dem Fundi-Flügel der deutschen Grünen zu vergleichen. Andererseits haben sie (neben den offensichtlichen Unweltfragen, in denen sich die schwedischen Parteien aber weitgehend einig sind) weniger Überwachung und eine Reform des Urheberrechts auf dem Programm, um privates Filesharing zu legalisieren.

Internetfragen scheinen in Deutschland gerade erst mit der “Zensursula”-Debatte in die Allgemeinheit durchzudringen. In Schweden ist man da etwas weiter. Die FRA-Debatte, das PirateBay-Urteil und das IPRED-Gesetz waren jeweils wochenlang Schlagzeilen wert und haben die Piratenpartei hervorgebracht, wie wohl den Einzug ins EU-Parlament schaffen wird (s.u.). Mit deren Programm stimme ich zwar völlig überein, habe aber trotzdem zwei Probleme mit ihnen. Zum einen ist es eine Ein-Fragen-Partei, die zu allem außer dem Schutz der Privatsphäre und der radikalen Reform der Urheber- und Patentsysteme keine Stellung beziehen. Auch wenn ich diese Fragen für lange vernachlässigt und wichtig halte, gibt auch andere wichtige Themen. Die Piraten wollen im Parlament entweder der Gruppe der Grünen oder den Liberalen beitreten und in allen anderen Fragen mit dieser Gruppe abstimmen, was ich wiederum für akzeptabel halte. Allerdings stellen sich die Piraten gegen den Lissabon-Vertrag, was erstens unnötig ist, weil das keine Frage des EU-Parlamentes ist und der Vertrag von Schweden schon ratifiziert ist, und zweitens die Piratpartei nach eigener Aussage als Nachfolger der EU-kritischen Juni-Liste platziert, die in der letzten EU-Wahl drittgrößte schwedische Partei wurde und für mich unwählbar ist.

Bleiben die Liberalen. Wenn man mit “liberal” die Stärkung der Bürgerrechte und Freiheiten meint, bin ich dafür zu haben. Wenn man damit die neoliberale Dereglierung der Märkte meint, dann nicht. Ich finde es ein wenig absurd, dass dieselbe FDP, die den Schlamassel der Banken- und Wirtschaftskrise mit ihrer Politik mitverursacht hat, in Deutschland immer bessere Umfragewerte bekommt. Das schwedische Pendant Folkpartiet ist jedoch weniger marktliberal und hat mit die beste EU-Politik.

Schweden hat noch eine zweite Partei, die in der liberalen Gruppe im EU-Parlament landen wird: Die Centerpartiet bezeichnet sich selbst als “sozial-liberale grüne Partei”. In der Tat kann man sie die zweite grüne Partei Schwedens nennen (auch gegen Kernkraft) und sie haben in den Fragen der Piratenpartei glaubwürdig ähnliche, wenn auch weniger radikale Positionen wie diese vertreten. Außerdem behauptet der EU-Profiler, sie liege mir am nächsten. Dass das Zentrum gegen die Einführung des Euro in Schweden ist, spielt ja wie gesagt bei dieser Wahl keine Rolle. Bei einer Wahl zum schwedischen Reichstag würde ich sie (wenn ich dürfte) nicht wählen.

Bei alldem ist noch gar nicht berücksichtigt, dass bei der Wahl die Direktstimmen auf dem Wahlzettel viel genutzt werden und man “seinen” Kandidaten ins Parlament schicken kann. In der Tat sind die EU-Parlamentariker recht frei und ein überzeugender Kandidat kann trotz “Fehlern” seiner Partei gute Arbeit leisten. Auf die einzelnen Kandidaten werde ich jetzt nicht noch eingehen, aber ich habe mit Interesse deren Antworten auf Bürgerfragen gelesen, die man im EU-Portal von DN findet.

Summa summarum bleiben mir zwei Möglichkeiten:

  • Piratenpartei wählen und die Kandidatin auf Platz Zwei ankreuzen. Ich habe Amelia Andersdotter vor einiger Zeit kurz getroffen und trotz ihres jungen Alters von 21 Jahren teilt sie die Torheit ihrer Partei und des Kandidaten auf Platz Eins nicht, den EU-Vertrag abzulehnen. Nebenbei würde ich die grüne Parteigruppe stützen (wenn die Piraten diese auswählen) ohne für die schwedischen Grünen stimmen zu müssen. Sollten sie bei den Liberalen landen, deckt sich das mit der zweiten Wahlmöglichkeit:
  • *Centerpartiet* oder *Folkpartiet* wählen, wahrscheinlich eher erstere. Die entscheidende Frage ist wohl, ob ich die Themen der Piraten für wichtig genug halte, für eine Ein-Frage-Partei zu stimmen (was ich an sich für problematisch halte), oder ob ich ihren ohne Frage existierenden Einfluss auf die etablierten Parteien schon ausreichend finde.

    Zuletzt noch zu den [aktuellen Umfragen](http://www.dn.se/polopoly_fs/1.884775!synovate.swf) in Schweden: Acht Parteien scheinen die 4%-Hürde zu nehmen. Die Sozialdemokraten (26%, 5 Sitze), die Moderaten (22%, 5 Sitze), Grünen und Folkpartiet mit je 11% (2 Sitze), Linke, Zentrum, Christdemokraten und Piraten mit je um die 6% und einem Sitz. Die Piraten werden also eher nicht drittstärkste Partei wie [einige behaupten](http://www.taz.de/1/politik/europa/artikel/1/piraten-werden-ins-eu-parlament-einziehen/), scheinen aber ihren Platz im EU-Parlament in der Tasche zu haben. Ich habe kurz nach einer Umfrage/Vorhersage für die Wahl in Deutschland gesucht, aber keine gefunden – seltsam. Wie wählt ihr und warum?
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Sommar 2009

Was die Sommarpratare sind, wissen Leser dieses Blogs natürlich. Jetzt ist es wieder so weit und die diesjährigen Redner wurden bekannt gegeben. Mit dabei sind die Außenminister der Nachbarländer Norwegen und Finnland, IKEA-Gründer Ingvar Kamprad und die übliche Mischung aus Autoren, Schauspielern, Musikern und anderen bekannten und/oder interessanten Persönlichkeiten. Der deutsch-stämmige Korrespondent Günter Graffenberger wird sicherlich auch interessant zu hören sein.

Sommar wird dieses Jahr 50 Jahre alt und ich kann nur noch einmal betonen wie sehr dieses Radioprogramm für viele Schweden zu den warmen Wochen des Jahres gehört. Gesendet wird täglich vom Mittsommertag (20. Juni) an bis zum 16. August. Natürlich wird man die MP3s auch wieder als Podcast herunterladen können.

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Linkisch

Ein paar Links aus den letzten Tagen…

  • Die hiesige Piratenpartei hat es auf Tagesschau.de geschafft.
  • Schweden ist stark für EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei; Deutschland und vor allem Frankreich sind dagegen. Das ist zwar nicht neu, aber anscheinend hat sich Außenminister Bildt so stark zu diesem Thema in den französischen Medien geäußert, dass Sarkozy seinen Besuch in Schweden verschoben hat.
  • Es scheint, als habe Schweden in den USA ein Imageproblem: Plakat.

  • Ein ausführlicher Artikel der ZEIT zur Schlacht von Poltava vor 300 Jahren, die den Abstieg Schwedens als und den Aufstieg Russlands zur Großmacht markierte.

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Wem gehört die Flagge?

“Bin ich Schwede?” fragt Maciej Zaremba den Parteichef der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, als sie sich treffen. “Das weiß ich nicht, ich treffe dich zum ersten Mal”, antwortet dieser. Was meint er damit? Im vierten Teil der Artikelserie Warten auf Schweden versucht Maciej Zaremba, die Angst vor den Fremden zu verstehen und trifft auf die Trauer um das verlorene Folkhemmet^1^.

Die Kirche in Rinkeby steht meistens leer, die Moschee ist überfüllt. Aber nur erstere ist auf der Karte der Gemeinde eingezeichnet. Ich stelle mich mit einer jüdischen Kippa auf dem Kopf vor die Moschee, man sagt schließlich es sei unbehaglich für einen Israeli, sich in diesen Vierteln aufzuhalten. Stunden vergehen, Menschen gehen ein und aus, nichts passiert. Ich gehe weiter nach Tensta. Endlich, an der Bar kommt die Frage: “Was hast du auf dem Kopf?” Mir bleibt keine Zeit zu antworten bevor eine Stimme hinter mir “Symbol! Er ist Jude!” ruft. Zu der Stimme gehören breite Schultern, eine schwarze Lederjacke und ein schiefes Lächeln. “Du, ich bin zwar Moslem, aber wir sind wie Juden! Wir hassen auch Araber!”

Tun wir? Er ist irakischer Kurde. “Das Land, das es nicht gibt. Araber haben mein Land zerstört!” Aber jetzt, sage ich schnell, um das Thema Araber zu beenden, jetzt scheint ihr doch ein Kurdistan im Norden des Iraks zu bekommen. “Du”, sagt er, “jetzt sind es die Kurden, die sich selbst ihr Land kaputt machen. Zwei Banden mit Banditen, die um die Macht kämpfen. Pfui Teufel! Soll ich ehrlich sein? Soll ich?” Er sieht sich um, senkt die Stimme und beugt sich vor: “Du, wenn es Krieg gibt, kämpfe ich für Schweden. Viel besseres Land.”

Auf welche Stufe der Integrationstreppe sollen wir diesen Kejal stellen? Laut Integrationsministerin Nyamko Sabuni ist die Frage falsch gestellt. Nicht wir haben die Macht zum Beurteilen, findet sie und sagt “Integriert ist man wenn man ‘Ja, ich will leben, ich will sterben im Norden’^2^ sagt – nicht im Kongo – und wenn man das auch wirklich meint.”

Keine schlechte Antwort, denke ich mir. Dieses Gefühl setzt voraus, dass man die Bräuche des Landes mag und wie Kejal bereit ist, für sie einzutreten. Was kann man mehr verlangen?

Jimmie Åkesson verlangt viel mehr. Nach dem Programm der Schwedendemokraten soll die Staatsbürgerschaft im Prinzip ein Privileg für Schweden sein. Und “Schwede ist der, der sich selbst als Schwede sieht und von anderen als solcher wahrgenommen wird”. Ich fahre nach Kristianstad, um herauszufinden was das bedeutet.

“Man muss schwedische Werte haben”, sagt Åkesson. “Man braucht unsere Sichtweise auf Demokratie und Gleichberechtigung – nein, das war falsch – auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Und wie wir uns um Tiere kümmern.”

Reicht das? “Nein, dazu kommt noch die Kombination aus Körpersprache und solchen Dingen. Dass man pünktlich ist und sich in die Schlange stellt, zum Beispiel.” Und dann die Äußerlichkeiten. “Eine Frau mit Kopftuch, die einem nicht die Hand gibt, kann keine Schwedin sein”, sagt er, “auch kein Sikh mit Turban”.

Die Schwedendemokraten haben eine Kulturtheorie. Menschen geht es am besten unter ihresgleichen. Ein hoher Grad an ethnischer und kultureller Gleichheit ist Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft. (Deshalb war es ein Fehler, die Staatskirche abzuschaffen.) Also hat jede Kultur das Recht, ihre “ursprüngliche” Eigenheit zu beschützen. Hier bedienen sich die Schwedendemokraten beim Weltnaturschutzbund: Jede Kultur muss wie eine bedrohte Art bewahrt werden, der Vielfalt zuliebe. Bewahrt wird, indem man Vermischung mit anderen vermeidet. Deshalb sollte jede Kultur in einem eigenen Staat wohnen. Ein Volk, eine Nation, ein Staat.

Ich verstehe, dass vor diesem Hintergrund die ethnische Säuberung auf dem Balkan ein Fortschritt für die Vielfalt der Kulturen war, auch wenn ein paar Leute bei dem Coup heimatlos wurden. Deshalb frage ich den Parteichef nach der Zigeunerkultur. Schließlich ist diese auch eine Kultur, oder? Ja, ist sie. Und unvereinbar mit der schwedischen sei sie. Und sie soll bewahrt werden, der Vielfalt zuliebe? “Ja, genau so wie alle anderen Kulturen.” Wo denn? Da weiß Åkesson keine rechte Antwort darauf, welchen Landstrich die Roma für sich beanspruchen. Vielleicht weiß ich es besser? Aber solange sie in Schweden wohnen sollen sie wie Schweden werden.

Wie muss man werden, um “von anderen als Schwede wahrgenommen” zu werden? Bin ich für dich Schwede? frage ich Åkesson. “Das könntest du sein.” Könntest? “Ich weiß es nicht, ich treffe dich zum ersten Mal… eine tiefere Analyse ist auf die Schnelle schwer. Ich helfe ihm ein wenig: Ich habe zehn Jahre länger als du in Schweden gelebt und kann die Kultur wahrscheinlich ein wenig besser, weil es mein Beruf ist. Schwede?

“Ich kann das nicht beurteilen”, sagt Åkesson, “weil es nicht selbstverständlich ist, mit welcher Kultur du dich identifizierst. Ich nehme an du kommst aus einem anderen Land.” Dann erklärt er, warum man als Schwede kein Durcheinander bei der Zugehörigkeit haben kann. Man hat sich hauptsächlich schwedisch zu fühlen, nichts anderes nebenher.

Deshalb bin ich schließlich als zweifelhaft einzuordnen, zusammen mit Cornelis Vreeswijk, Nyamko Sabuni und Zlatan Ibrahimovic^3^, zu dem es laut Åkresson so manche offene Frage gibt. Zlatan ist nicht in Schweden geboren. Er gibt sich individualistisch; das ist unschwedisch. Er hat gesagt, dass er für Bosnien spielen will! Und Jackie Arklöv^3^? “Ohne Zweifel Schwede. Er ist ja schwedisch erzogen worden und kennt keine andere Kultur neben der schwedischen.

Aha. Für Åkesson ist das “Schwedentum” eine warme Wertegemeinschaft, die dafür sorgt, dass man versteht und sich untereinander wohl fühlt. Und er empfindet dies offenbar mit Jackie Arklöv, aber nicht mit Vreeswijk, Sabuni oder mir. Ob er versteht, was er da sagt? Ich mache einen letzten Anlauf. Er hat gesagt, dass er Laila Freivalds als schwedisch wahrnimmt, obwohl sie aus Lettland eingewandert ist. Warum ist er dann nicht bereit, Nyamko Sabuni, die auch als Kind hierher kam, als genauso gute Mitbürgerin zu akzeptieren?

“Ich habe einfach keine Lust, das zu wollen.”

Das sagt er zwei Mal, es ist also kein Lapsus. Aber woher soll ich wissen, ob das Augenzwinkern den Rassisten oder den Folkhemmet-Nostalgikern gilt? Ist Sabunis Fehler, schwarz zu sein – oder vielleicht dass sie zu den Liberalen gehört – und so markant urban ist?

Das “Folkhemmet” ist für die Schwedendemokraten nämlich genauso positiv aufgeladen wie in den Leitartikeln des Dala-Demokraten. Und wenn man nachschaut, findet man kaum Unterschiede zwischen ihrem Programm und dem der Sozialdemokraten aus den dreißiger Jahren; abgesehen von Details wie einem Weltkrieg, 80 vergangenen Jahren und einer von Grund auf anderen Welt. Heutzutage muss man Leute ja von den Dingen überzeugen, die man diesmal nicht mit ins Parteiprogramm geschrieben hat, weil sie so selbstverständlich sind: Dass Schweden ein Volk mit dem selben Glauben, Bräuchen und Aussehen ist und gerade deswegen sind sie untereinander solidarisch. Und halten sich natürlich fern von Europa, das von unvernünftigen und fremden Elementen bevölkert wird.

Es ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig, ob der Mythos vom Folkhemmet wahr ist oder nicht. Er ist der einzige schwedische Mythos mit Wirkung. Und wer ihn geschickt ausnutzt zieht die Stimmen der Frustrierten an, egal ob sie von links oder rechts kommen. Falsch oder nicht, der Mythos sagt, dass es einmal ein Gemüt, eigentlich eine richtige Kultur, hier im Lande gab, die uns umeinander kümmern ließ, jeden sein Scherflein beitragen, nicht schmarotzen, die Obrigkeit respektieren, einander trauen, das Fahrrad unverschlossen abstellen… Dann passierte etwas, eine äußere Kraft (Ausländer laut Åkesson, Neoliberale laut einigen Sozialisten, jüdische Liberale laut den Antisemiten) kam und zerstörte alles.

Åkessons Partei sagt von sich, für Religionsfreiheit zu sein, warum also Moscheen verbieten? “Die stellen einen Fremdkörper im Stadtbild dar”, antwortet Åkesson. Er kann ganz kleine Moscheen gut heißen, solange sie rot sind und weiße Kanten haben. “Mal im Ernst, Jimmie”, sage ich, “schau mal aus dem Fenster und antworte nicht als Parteichef sondern als echter Schone. Hättest du nicht lieber eine schöne Moschee oder ein Taj Mahal vor den Augen anstatt dem hier?”

Seine Aussicht ist die schmutzig-graue Plattenfassade der Regionalverwaltung mit hunderten gleicher Gucklöcher, eine Kopie des Kronoberg-Gefängnisses.

“Nein”, antwortet Jimmie Åkesson, “das hier… damit ist man doch aufgewachsen, das fühlt sich eher schwedisch an.”

“Schweden braucht die Erlaubnis, um seinen Verlust zu trauern”, sagt Luis Abascal. Er erntete in den 90ern viel Lob als Stadtteil-Direktor im Einwanderervorort Kista, indem er Firmen mit einbezog. Innerhalb von fünf Jahren sanken die Sozialleistungen von 250 auf 70 Millionen und die Arbeitslosigkeit von 25 auf 3 Prozent.

Welchen Verlust? “Den Verlust den Schwedentums”, antwortet Abascal. Des Schwedentums, von dem der Mythos Folkhemmet handelt.

Als er 1974 nach Schweden kam gab es zwei Fernsehkanäle, drei Radiosender, eine Staatskirche, eine staatstragende Partei und zwei paar Unterhosen zur Auswahl bei Epa oder Tempo^4^. Im Bus sahen Schweden Gesichter wie aus dem Spiegel, der Staat kümmerte sich um das meiste, Politiker logen nur selten und Direktoren hatten keine neunstellige Rente.

Abascal meint, dass wir die enormen Veränderungen, die Schweden durch die Aufnahme großer Flüchtlingswellen mitgemacht hat, nicht wirklich verstehen. Wenn man bedenkt wie natürlich das Unbehagen am Fremden ist, dann muss man die Geduld und Großzügigkeit der Schweden bewundern. Er findet man solle zuhören, wenn jemand murrt, weil er ein Fremder im eigenen Land geworden ist. Vielleicht ist er ja einer der letzten Schweden im Vorort, der zwischen Waschküche und Supermarkt versucht, Brücken zwischen dem alten und dem neuen Schweden zu schlagen; und der vielleicht sogar ein Held ist. Aber weil er seine Frustration nicht korrekt ausdrücken kann, wird er als Reaktionär oder schlimmeres abgestempelt.

Abascal fragt sich, warum die Dankbarkeit, die viele Flüchtlinge gegenüber Schweden empfinden, in der öffentlichen Debatte nicht vorkommt. Man hört vor allem Kritik und Vorhaltungen. Deshalb versteht er, wenn es manchen so vorkommt, als ob man den Fremden zum Essen eingeladen hat, dabei sein Bestes gegeben hat oder fast, aber vom Gast nur die Klage über den sparsamen Nachtisch zu hören bekommt, nachdem er das Mahl heruntergeschlungen hat.

Was ist mit der Integration? “Eine Katastrophe”, findet Abascal, aber nicht weil Schweden rassistisch ist, wie einige behaupten. “Rassisten vermischen biologische mit psychologischen Eigenschaften. Das tun Schweden nicht. Aber sie sind mit einer Partei aufgewachsen, die laufend wiederholte, dass man im besten Land der Welt lebe. Da bekommt man leicht den Eindruck, dass alle Hinzugekommenen Schmarotzer sind.”

Deshalb verstehe er die Verbitterung, die müsse ausheilen, Leute müssen loswerden können, was sie auf dem Herzen haben. Erst dann kann man von einem mehr harmonischen Verhältnis zwischen den “neuen Schweden” und den “ethnischen Schweden” sprechen.

Ich höre zu, werde immer mehr gefangen. Er spricht frei heraus, nennt Einwanderer nicht “sie”, auch nicht “wir”. Er senkt nicht die Stimme, wenn er dies und das kritisiert. Äußerst selten heutzutage. Außerdem nuanciert er seine Urteile, was noch seltener ist: Er schätzt Nyamko Sabuni (“Sie hat klar gemacht, dass die Stellung der Frau nicht verhandelbar ist; man braucht die Arbeit von Ottar^5^ nicht noch einmal von vorne zu machen”), aber er rümpft die Nase über die “Politik mit dem Schlagstock” ihrer liberalen Partei, die andeutet, dass alles Schuld der Einwanderer sei. “Die wollen sich wohl für die nächste Wahl aufstellen.”

“An der verunglückten Integration sind weder die Schweden noch die Einwanderer schuld”, sagt Abascal. “Es liegt am System.” Nämlich daran, dass unsere Bürokraten als gegeben annehmen, dass “der Einwanderer” Probleme hat. Wenn er nicht gleich selbst das Problem ist. Will ich Beispiele? Man bot in Kista einen Computer-Kurs für somalische Frauen an. Als sie kamen schlugen die Sozialarbeiter Alarm. Diese Frauen können keine männlichen Lehrer bekommen, so eingewickelt von Kopf bis Fuß wie sie waren. “Wir haben keine anderen Lehrer”, erwiderte Abascal bestimmt. Und siehe da – es ging gut, der Kulturschock war nur in den Köpfen der Sozialarbeiter. Doch die kamen gleich auf etwas Neues: Diese Frauen konnten unmöglich die Laptops mit nach Hause nehmen. Denn dort würden sie entweder gestohlen oder ihre Männer würden sich herabgesetzt fühlen, weil die Frauen ein Gerät haben, das sie selbst nicht beherrschten. “Reine Projektion”, lacht Abascal.

Ich nehme an, dass es die selben Leute waren, die vorschlugen, die Flagge vom Rathaus zu nehmen. Die nackte Stange, so der Gedanke, würde weniger ausgrenzend wirken.

Ich habe Lius Abascal so viel Platz gegeben, weil seine Haltung selten in der öffentlichen Debatte vorkommt, die einem Minenfeld gleicht: Auf der einen Seite die, die bei jeder Gelegenheit wiederholen, dass in Schweden schwedische Regeln gelten. Auf der anderen die “Multikultis” (mit Erlöser-Allüren, allergisch auf Nuancen), die die “Mehrheitskultur” demontieren wollen, damit sich keiner außen vor fühlt.

Erstere wollen Moscheen loswerden – letztere wollen die Flagge einziehen, wenn sie nicht gerade gegen Psalmgesang kämpfen. Erstere erklären die havarierte Integration damit, dass Einwanderer nicht hinein passen, letztere damit, dass Schweden auf “rassistischen Strukturen” beruht. Die Schimpfworte fliegen und mittendrin ducken sich die Schulrektoren, die erwarten, dass ihnen der Vielfaltsberater erklärt, wofür blau-gelb, Psalme, das Kreuz, der Handschlag oder der Schleier stehen. Sie haben nicht verstanden, dass kein Ratgeber der Welt ihnen da aus der Patsche helfen kann. Wofür die Symbole stehen wird dadurch definiert, wie sie die Rektoren selbst anwenden.

Es begab sich auf dem Markt von Nora vor ein paar Jahren, dass eine Gruppe junger Männer mit rasierten Köpfen sich ihren Weg zu einem Stand bahnten, an dem ein paar Ausländer standen. Keine Polizei vor Ort, keiner wusste wohin, die Fäuste schon in der Luft, Blicke machtlos abgewendet. Da hörte man plötzlich Gesang. Er kam scheinbar von nirgendwo, ein Sopran, hoch und mächtig. Es wurde immer ruhiger, die Menschenmenge wurde dichter, nur der Gesang war zu hören. Da brachen die Angreifer ein, sahen unsicher um sich und zogen sich gen Ausgang zurück, erzählt man. Auch dass die Stimme ihnen durch die Dunkelheit folgte und sie den Markt verließen.

Belehrenderweise war es der Psalm “Blott en dag, ett ögonblick i sänder”, der die nationale Sturmtruppe so effektiv vertrieb. Einer der Psalmen also, der laut dem Diskriminierungsbeauftragten ungeeignet für Schulabschlussfeiern ist, weil er auf Einwanderer “ausschließend” wirken kann.

Ich finde die Stimme. Sie gehörte Maria Langefors, Pastorin der Missionskirche und ausgebildete Sängerin. “Ich sang aus vollem Hals, à la Nilsson”, erinnert sich Langefors. Warum versuchtest du es nicht mit “We shall overcome”?

“Alles ging so schnell, ich sang was mir am Herzen lag.”

Kejal heißt in Wirklichkeit anders.
Ottar – Elise Ottesen-Jensen

Maciej Zaremba

Übersetzt aus dem Schwedischen. Für mehr Information dazu, zur Lizenz und zu den fünf anderen Teilen der Artikelserie bitte hier entlang.

Svenska originalet publicerades i DN, 2009-03-10. Jag tackar Maciej Zaremba för tillstånd att publicera min översättning.

Fußnoten:
^1^Wörtlich übersetzt “Volksheim”. Der Begriff beinhaltet mehr als in einer Fußnote Platz hat und sollte aus dem weiteren Text klarer werden.

^2^Das ist einer der Refrains aus der schwedischen Nationalhymne.

^3^Vreeswijk ist schwedisch-holländischer Troubadour und eine Ikone in Schweden (siehe auch hier). Sabuni (ursprünglich aus Burundi) ist Integrationsministerin der Regierung Reinfeldt. Zlatan ist der schwedische Fußballstar schlechthin (bosnisch/kroatische Herkunft). Arklöv ist in Liberia geboren und verurteilter schwedischer Kriegsverbrecher und Mörder. Freivalds ist sozialdemokratische Politikerin und war seit Ende der 80er mehrmals Justiz- und Außenministerin.

^4^Tempo und Epa sind alte schwedische Warenhausketten, die mittlerweile in Åhlens aufgegangen sind. Siehe auch Epa-traktor.

^5^Ottar ist der Spitzname von Elise Ottesen-Jensen, norwegisch-schwedische Sexualaufklärerin. Eine Zeitschrift mit den Themen Sexualiät und Gesellschaft nennt sich nach ihr auch Ottar.

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