Undulat = Wellensittich
Der Astronomie-Schreibwettbewerb in der schwedischen Wikipedia, den ich im Herbst angeleiert hatte und der den ganzen Winter über lief ist jetzt zu Ende und die Gewinner stehen fest.
Gewonnen hat Johan Kärnfelt von der Uni Göteborg, der einen tollen Artikel über Knut Lundmark geschrieben hat. Will den vielleicht jemand in die deutsche Wikipedia übersetzen?
Was mich als Organisator besonders gefreut hat, ist die Mischung von Teilnehmern. Auf den vorderen Plätzen tummeln sich sowohl erfahrende Wikipedia-Schreiber, die den Wettbewerb zum Anlass nahmen, sich mit Astronomie zu beschäftigen, als auch Amateurastronomen und andere Interessierte, die zum ersten Mal zur Wikipedia beitrugen. Diese bekamen im besten Sinne der Zusammenarbeit Hilfe von der “Konkurrenz” bei den technischen Details.
Sobald der Schnee geschmolzen ist (Reste können ruhig noch liegen) und die ersten spürbaren Sonnenstrahlen ankommen, zieht es hier jeden nach draußen. Ich war gerade am See entlang laufen und musste schmunzeln, als ich gleichzeitig Eisreste auf dem Wasser und Jogger in kurzen Hosen im Blickfeld hatte. Mich inklusive.
oder Individuum contra Kollektiv.
Das schwedische Verb byta bedeutet “tauschen, austauschen, wechseln”. Ein stam ist ein “Stamm”, im Zusammenhang sowohl mit Bäumen wie auch Menschen, außerdem auch “Rohr”. Letztere Bedeutung ist in der Zusammensetzung stambyte gemeint, es geht also um das Auswechseln von Rohren. Und zwar in Wohnhäusern, wo die Wasserleitungen, vor allem aber die Abflussrohre nach in der Regel 4-6 Jahrzehnten komplett erneuert werden, um Wasserschäden vorzubeugen.
Das ist ein großer Eingriff in ein Haus, der die eigene Wohnung für mehrere Wochen unbewohnbar machen kann und bei dem oft die Badezimmer gleich ganz mit renoviert werden müssen. Von Hausbesitzern einmal abgesehen, besteht der Wohnungsmarkt in Schweden wie schon oft erwähnt zum großen Teil aus so genannten Wohnrechten, es ist also die Genossenschaft, in die man sich einkauft (und wo man Stimmrecht hat), die entscheidet, wann und wie in ihren Häusern ein stambyte gemacht wird. Eben weil dies eine so große Störung des Privatlebens darstellt, ist die Frage, ob die Rohre schon ausgetauscht sind, eine der ersten, die man dem Makler vor dem Wohnungskauf stellt. Die Antwort spielt dann auch beim Preis eine Rolle.
Letzen Herbst stand auf der Vollversammlung unseres Viertels mit fast 400 Wohnungen die Frage an, ob man bald stambyte macht, oder den Mittelweg des “Relining” geht, bei dem man die Rohre erneuert, indem man die alten als Form für eine neue Wand aus Flüssigplastik benutzt. Die Details sind nicht so wichtig, interessant fand ich, dass die Wahl zwischen den beiden Alternativen gleichzeitig eine Wahl zwischen Individualismus und Kollektivismus darstellte. Denn ein richtiger stambyte würde allen, die ihre Badezimmer schon renoviert hatten, selbige wieder zerstören und dazu wie gesagt temporär starke Einschränkungen in der Benutzbarkeit der Wohnung mit sich bringen, was gerade für die nicht wenigen Älteren im Wohngebiet beschwerlich wäre. Andererseits würde die Mehrheit, die noch die alten Badezimmer hat, diese auf Kosten aller renoviert bekommen. Beim “Relining” würden Badezimmer intakt und die Wohnung benutzbar bleiben, aber jeder müsste selbst für Badezimmerrenovierungen zahlen, die in vielen Wohnungen sowieso anstehen.
Der Unterschied in den monatlichen Mehrabgaben an die Genossenschaft zwischen den beiden Lösungen wäre wegen unterschiedlicher Laufzeiten der Kredite nicht einmal übermäßig groß ausgefallen. Nach hitzigen Diskussionen fiel die Wahl aufs “Relining”; die individualistischen Interessen siegten also über die kollektivistische Alternative, die der Mehrheit von Vorteil gewesen wäre, aber einer Minderheit starke Nachteile gebracht hätte.
Interessanterweise stand auf der selben Versammlung noch eine zweite Frage an, bei der man genau gegenteilig entschied. Unser Internetanbieter wollte mit der Genossenschaft einen Rahmenvertrag abschließen, der allen den 100-MBit-Zugang plus IP-Telefonie für 150 Kronen im Monat bringen würde, anstatt der 250 alleine fürs Netz bisher. Der Haken daran: Alle würden automatisch Kunden und bezahlen die 150, auch wenn sie die bereitgestellten Dienste nicht nutzen wollen oder können. Also wieder eine Wahl zwischen einem Vorteil für viele auf Kosten einer Minderheit und der individuellen Lösung, die für die meisten mehr kostet. In diesem Fall fand die Versammlung, dass der Nachteil für die Minderheit nicht groß genug ist, um das Angebot auszuschlagen. Dem Kollektiv-Vertrag mit dem Netzanbieter wurde zugestimmt.
Was ist in den letzten Wochen in Schweden wissenswertes passiert? Die Politik betreffend blieb bei mir vor allem hängen, dass Premierminister Reinfeldt geglückt ist, was er gleich nach der Wahl andeutete: Er wollte über den bürgerlichen Block, dessen Vierparteienkoalition Schweden trotz parlamentarischer Minderheit regiert, hinaus gehen und sich mit den Grünen zu bestimmten Punkten einigen. Dies wird verständlicherweise sowohl von seinen kleineren Koalitionspartnern als auch von den Sozialdemokraten ungern gesehen, denn es ist ein Schritt in Richtung einer Blau-Grünen Koalition in der Zukunft.
Das erste große Thema, bei dem jetzt fünf (!) Parteien gemeinsam die Richtung angeben, ist die Einwanderungspolitik, die mit dem Einzug der ausländerfeindlichen “Schwedendemokraten” ins schwedische Parlament besondere Aktualität bekam. Reinfeldt beweist hier Mut und nähert sich nicht dem rechten Rand des konservativen Spektrums an, wie es zum Beispiel in Dänemark der Fall war und ist, sondern nimmt für den Rest der Legislaturperiode den Schwedendemokraten jegliche Möglichkeit zur Einflussnahme in ihrer Herzensangelegenheit, indem er mit den Grünen eine weiterhin offene und progressive Einwanderungspolitik betreibt. Kudos.
In anderen Bereichen haben die knappen Verhältnisse im schwedischen Reichstag seit der Wahl für einige überraschende Ergebnisse gesorgt. Diverse Abstimmungen, die nach der Sitzverteilung eigentlich hätten einen gewissen Ausgang nehmen sollen, kippten, weil Abgeordnete auf den falschen Knopf drückten, unabgemeldet fehlten oder zur falschen Zeit auf der Toilette waren. Außerdem funktioniert das Ausgleichssystem, nach dem abwesende Abgeordnete der Parteien gegeneinander aufgerechnet werden, anscheinend nicht immer zuverlässig. Es herrscht also mehr Spannung im Parlament als zuvor.
Ein Hauptthema der letzten Wochen war die Ernennung von Mona Sahlins Nachfolger auf dem Posten des Parteichefs der Sozialdemokraten. Es wurde der bis dato recht unbekannte Håkan Juholt, der jetzt den Auftrag hat, die Partei neu aufzustellen und die Wahl in gut drei Jahren zu gewinnen. Wir werden sehen.
Dann war da noch die Ankündigung, wer auf die neuen Scheine fürs schwedische Geld kommen wird, allesamt Kulturpersönlichkeiten: Astrid Lindgren auf dem 20er, Evert Taube auf dem 50er, Greta Garbo auf dem 100er, Ingmar Bergman auf dem neu einzuführenden 200er, Birgit Nilsson auf dem 500er und Dag Hammarskjöld auf dem 1000er. Außerdem werden die neuen Scheine, die in etwa vier Jahren in Umlauf kommen sollen, kleiner als die alten. Vor allem die geringere Höhe wird geldbeutelfreundlicher.
Fast zwei Monate Stille hier auf Fiket. Ein paar Leser fragten schon per Email an, ob bei mir alles in Ordnung sei (was mich ehrlich gefreut hat). Ja, ist es. Die Lust zum Schreiben liegt einfach manchmal brach. Das mag daran liegen, dass mir mit den Jahren so langsam der Blick des Außenstehenden abhanden kommt, der für einen nicht kleinen Teil des Stoffes hier verantwortlich war. Dies, gepaart damit dass in Schweden wenig umwälzendes geschehen ist und die Nachrichten wie überall von Japan und Nordafrika dominiert wurden, soll als Ausrede genügen.
Wie erwartet machen die neu ins schwedische Parlament gekommenen “Schwedendemokraten” (SD) sich regelmäßig lächerlich. Verpasste und schlecht vorbereitete Sitzungen, wegen Verleumdung vorbestrafte Parlamentariker, die für den in der Ausnüchterungszelle einspringen, und ähnliche Geschichten verstärken das Bild vom tumben Verein, der mit bei einigen leider populären Ansichten hausieren geht.
Ein besonders schönes Beispiel von Inkompetenz brachte neulich die SD-Parlamentarikerin Sandstedt, als sie etwas beklagte, für das 400.000 Euro ausgegeben wurden. Das seien ja umgerechnet – sie schaut auf ihren Zettel – 40.000 Milliarden schwedische Kronen!
Ihr SD-Kollege Kinnunen berichtigte sie kurz darauf im Fernsehen. Sie habe sich lediglich versprochen. Es seien natürlich “nur” 4000 Milliarden. Popcorn!
Damit einem die Umrechnung à la Schwedendemokraten in Zukunft erleichtert wird, gibt es jetzt www.fyrtiotusenmiljarder.com. Sehr schöne Satire.
Gestern morgen gab es perfektes Schlittschuheis auf meinem Heimgewässer, dem Brunnsviken. Die paar Plusgrade und die Zeit um Null der letzten Wochen hatte den Schnee sich mit Wasser vollsaugen und an der Oberfläche schmelzen lassen. Und als es vorletzte Nacht wieder knackig kalt wurde, fror das alles zu einer neuen, spiegelblanken, schneefreien Ebene über den ganzen See, getragen von etwa 30 cm Eis darunter. Da frühmorgens zu zweit der blutroten Dämmerung (inklusive Lichtsäule) engegenzugleiten, war ein echter Höhepunkt dieses Winters.
Doch nur wenige Stunden später begann es wieder zu schneien. Über 20 cm sind mittlerweile zusammengekommen, wegen des starken Windes auch viel höhere Verwehungen. Ich vermute jedoch, dass die meisten die dadurch verursachten starken Zugverspätungen und die komplette Einstellung des Busverkehrs in Stockholm heute morgen eher beklagen als das verschwundene schöne Schlittschuheis.